28 Jahre Gemeindegeschichte und Weltgeschichte

Matthias Schmutz

Matthias Schmutz, Parteikollege und Präsident der Vereinigung Evangelischer Wähler, hat das Wirken von Gerhard Kaufmann mit Humor in einen zeitgeschichtlichen Rahmen gestellt.

Im Jahre 1970, als Gerhard Kaufmann, kurz nach der Mondlandung und nach dem Scheitern der Wiedervereinigung von Basel-Stadt und Baselland, aber noch vor Einführung des Frauenstimm- und -Wahlrechts auf Bundesebene, ins Gemeindepräsidium gewählt wurde, da waren die Wogen der 68er Jugendrevolte noch nicht verebbt, und als er 1974 mit einem Stimmenanteil, wie er sonst nur in den kommunistischen Staaten üblich war, wiedergewählt wurde, waren auch der ölschock und der Rückzug der Amerikaner aus Vietnam Vergangenheit, und da gab es auch schon den Kanton Jura. Und als dann Mao Tse-tung gestorben war und die Seveso-Fässer ihren Weg nach Basel endlich gefunden hatten, da wurde er 1978 ebenso ehrenvoll im Gemeindepräsidium bestätigt, und dasselbe geschah 1982 und 1986, nachdem auch Breschnew gestorben war und der vorläufig letzte sozialdemokratische deutsche Bundeskanzler den Hut hatte nehmen müssen und nachdem auch die erste Frau in den Bundesrat gewählt, der Basler Sanitätsdirektor aber in die Wüste geschickt und Gorbatschow auf die Weltbühne geschubst worden waren. Und wie dann Gerhard Kaufmann 1990, wegen eines sympathischen Gegenkandidaten diesmal aber nur mit einem Zweidrittelsmehr, abermals wiedergewählt wurde, da hatte es auch schon in Schweizerhalle gebrannt, und die erste Frau im Bundesrat hatte ebenfalls den Hut nehmen müssen, und das AKW Kaiseraugst war definitiv erledigt und der Fichenskandal ausgestanden, und in Berlin war die Mauer geschleift und 1994, als sich Gerhard Kaufmann zum letzten Mal zur Wiederwahl stellte, war die deutsche Einheit wieder Realität, war der zweite Golfkrieg bereits über den Fernsehschirm geflimmert, lag die Sowjetunion zerfallen, hatte auch schon der jugoslawische Bürgerkrieg begonnen, waren das Wahlalter 18 angenommen und der EWR-Vertrag abgelehnt, das Laufental basellandschaftlich geworden und auch der zweite Basler Sanitätsdirektor gefeuert, und letztes Jahr endlich, wie Gerhard Kaufmann seinen Rücktritt angekündigt hat, war die Novartis schon unter Dach, war auch der Basler Baudirektor weg vom Fenster, war die Grossbankenfusion beschlossene Sache, und die Bundesschulden hatten die Hundert-Milliarden-Grenze überschritten.

Das alles macht zusammen volle 28 Amtsjahre, und dies sind zwölf mehr, als sie Bundeskanzler Kohl, und acht mehr, als sie Papst Wojtyla bisher geleistet haben. So bewegt diese Jahre ausserhalb Riehens verlaufen sind, so ruhig haben sie sich hier abgewickelt. Aber nicht etwa, weil Riehen ein langweiliges Nest, eine Schlafstadt wäre nein, sondern weil hier, von der Gunst eines gesunden Steuersubstrats abgesehen, zwischen Behörden, Verwaltung, Souverän und allgemeiner Einwohnerschaft ein förderliches Einvernehmen herrscht, eine Rechtschaffenheit, die kaum je Pannen und schon gar keine Skandale entstehen lässt, woraus folgt, dass Riehen für die BoulevardPresse ein dürres Feld darstellt. Dieses gedeihliche Miteinander nun ist das Verdienst vieler, aber es darf doch auch angenommen werden, dass es durch die alles überschauende Kompetenz, die wertorientierte, Ausgleich stiftende Art und persönliche Bescheidenheit des langjährigen Gemeindepräsidenten im Sinne eines vielfach einwirkenden Coachings begünstigt worden ist.

Ein Blick jetzt noch, wie sich Gerhard Kaufmann vor dem Hintergrund seiner Partei darstellt, wobei man die Frage aufwerfen könnte, ob er nur dank der VEW so gross herausgekommen oder ob etwa diese nur dank ihm so vital geblieben ist. Die Riehener VEW ist bekanntlich auf einem sozialen Humus gediehen, der vorwiegend aus eingesessenen und geistig zwischen evangelisch-reformierter Kirchgemeinde, Chrischona, Vereinshaus, Posaunenchor und CVJM beheimateten Riehener Familien bestand, in neuerer Zeit aber auch stark von Zuzügern ergänzt worden ist. In der Folge gibt es unter unsern Mitgliedern noch immer Leute, welche die Vereinigung Evangelischer Wähler in Verbindung mit Christian Friedrich Spittlers Reich-Gottes-Werken sehen, und die für deren politisches Wirken und für alle Behörden, den Regierungsrat inbegriffen, regelmässig beten. Intern funktioniert sie auch durchaus als Körperschaft, wie sie der Apostel Paulus für die christliche Gemeinde vorsieht: Jede und jeder tut das, was den eigenen Fähigkeiten entspricht, und alle sind gleich ehrenwert. So wirkt beispielsweise der Gemeindepräsident in einer unscheinbaren Kommission unter anderem auch als Protokollführer. Die Mitglieder der VEW bilden sich aber nicht ein, bessere Menschen zu sein als diejenigen anderer Parteien.

Als CVJM-Jungschärler und CVJM-Sportler, aber auch durch die Familie seiner Mutter, gehört Gerhard Kaufmann selber zu diesem Humus, und hier wurzelt auch sein Heimatgefühl, sein moderater Konservatismus, der mehr auf Bewahren und Hegen aus ist denn auf Veränderung und Wachstum. Ein Architekt also, der lieber Grünflächen schützt, als Gesamtüberbauungen realisiert. Allein schon aus solchem Empfinden heraus haben er und seine Partei einander gefunden und von Wahlen zu Wahlen durch gemüthaft gehaltene Parolen einander gedopt: mir gän sorg zue Rieche - Rieche z'lieb - Rieche blybt in guete Hand!

Hätte Gerhard Kaufmann trotz allem den Weg in die VEW nicht gefunden, so stünde er jetzt vielleicht nur als Regierungsrat vor uns. So aber ist er zum Glück achtundzwanzig Jahre lang unser umsichtiger Gemeindepräsident gewesen, wofür er allen Dank verdient.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1998

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