Abschied und Neubeginn im Schlipf


Michèle Faller

 

Der Rebmeister hat sich vom gemeindeeigenen Rebberg verabschiedet und ist zu neuen Ufern aufgebrochen, der neue Pächter hat die traditionsreiche Arbeit im Schlipf aufgenommen. Ein Blick zurück und in die Zukunft.


 

Die Rebstöcke im Schlipf sind kahl, es ist Spätherbst. Drinnen im Rebhäuschen sitzen zwei Männer am Tisch. «Doch, ich habe in den letzten 34 Jahren etwas aufgebaut und von allen Seiten Lob dafür erhalten, wie schön die Reben gepflegt sind», sagt der ältere auf die Frage, ob er stolz auf das Geleistete sei. Sein jüngeres Gegenüber präzisiert mit Nachdruck: «Du hast ein Kulturgut mit einer 1200-jährigen Tradition wieder nach Riehen gebracht!»


 

Vom blühenden zum serbelnden Weindorf


Doch der Reihe nach: Die Geschichte des gemeindeeigenen Weinbergs im Schlipf, der mit 3,5 Hektaren gut zwei Drittel der gesamten Rebfläche in Riehen ausmacht, beginnt tatsächlich viel früher. Bereits um 750 wurde in Riehen Weinbau betrieben. Um 1770, als viele wohlhabende Basler Familien im stadtnahen Dorf einen Sommersitz mit Rebland besassen, wies Riehen eine Rebfläche von rund 70 Hektaren auf. 200 Jahre später war es noch eine knappe halbe Hektare. Gründe waren die Reblaus, das Aufkommen der Eisenbahn und mit ihr der Import ausländischer Weine, die Industrie mit besseren Verdienstmöglichkeiten und die Nachfrage nach Bauland. «Heute sind die einstigen Rebflächen auf wenige Parzellen im Schlipf zusammengeschmolzen, und es ist zu befürchten, dass bei gleichbleibender Entwicklung auch die Tage dieser letzten Zeugen einer einst blühenden Kultur gezählt sind», hiess es in einem parlamentarischen Vorstoss 1961.1


 

Der serbelnde Weinbau bewog den Einwohnerrat 1979 schliesslich zum Beschluss, im Schlipf einen gemeindeeigenen Rebberg anzulegen, worauf die Gemeinde Riehen den damals 27-jährigen Jakob Kurz als Rebmeister anstellte. Damit tat sie offenbar einen Glücksgriff, denn 33 Jahre später heisst es in einer Medienmitteilung der Gemeinde Riehen: «Köbi Kurz ist seit 1979 Rebmeister. Es ist sein grosses Verdienst, dass die Rebkultur in Riehen eine Renaissance erfahren hat.»2


 

Ein glückliches Händchen


Nicht nur von Kurz’ mehrfach ausgezeichneten Weinen war im Herbst 2012 in diesem Communiqué die Rede, sondern auch von einer neuen Ära im Gemeinderebberg: Im Zusammenhang mit der ein Jahr später anstehenden Pensionierung des Rebmeisters und der Konsolidierung der Gemeindefinanzen habe der Gemeinderat beschlossen, den gemeindeeigenen Rebbau-betrieb zu verpachten. Mit sichtlicher Freude stellte Gemeindepräsident Willi Fischer an diesem Medienanlass vor zwei Jahren das neue Pächterduo vor: den heute 26-jährigen Thomas Jost aus Möhlin und – in der Funktion eines ‹Göttis› – seinen damaligen Arbeitgeber Hanspeter Ziereisen von Efringen-Kirchen, dessen Weine in der gehobenen Schweizer Gastronomie keine unbekannten Grössen sind. Es scheint, als sei der Gemeinde Riehen ein weiterer Glücksgriff gelungen.


 

Ein Jahr später findet das erwähnte Gespräch im Rebhäuschen statt. Die Pensionierung des Rebmeisters steht kurz bevor und die Übergabe hat stattgefunden. «Es ging darum, die neuen Rebflächen, aber auch die Nachbarn rundum kennenzulernen», sagt Thomas Jost. Dann berichtet Köbi Kurz von der Neubepflanzung im Schlipf 1979 und der ersten Ernte 1981, wie auf Riesling-Sylvaner und Pinot noir Sauvignon blanc, Pinot blanc und Merlot folgten, ein Schaumwein dazukam und ab den 1990er-Jahren auch ‹Marc de Schlipf› und Hefebranntwein.


 

Ob der neue Pächter auch 34 Jahre bleibt, ist keine abwegige Frage: «Die erste Pachtdauer ist 18 Jahre. Ich möchte hier etwas aufbauen und sesshaft werden. So ein Betrieb ist auch eine Existenz.» Dass sich mit dem Winzerwechsel einiges ändern wird, hat auch mit der Art des Betriebs zu tun. So keltert der neue Pächter den Wein selber, während vorher die Coop-Kellerei den Jungwein und Most von der Gemeinde übernahm und den Wein fertigstellte. Wenn sich das Angebot auch teilweise verändern wird, ist für Jost klar: «Der Pinot noir darf in Würde altern.» Weine aus dem Burgund seien für ihn das Grösste, sagt er strahlend, und im Schlipf seien die Böden und das Klima ähnlich.


 

Der junge Pächter denkt darüber nach, ob auch eine Schaumwein- oder Weinbrand-Produktion sinnvoll wäre. «Brände werden zwar nicht in Riesenmengen getrunken. Sonst ist es auch nicht mehr gut!» Und der Rebmeister: «Ich habe viel Weinbrand verkauft.» Die beiden plaudern wie alte Bekannte und so erstaunt es nicht, dass Kurz zufrieden mit seinem Nachfolger ist: «Es tut nicht weh, den Rebberg zu übergeben. Ich weiss, dass er es gut machen wird.»


 

Rückkehr in die alte Heimat


In der Zwischenzeit ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Der einstige Rebmeister hat sich nach seiner Pensionierung im Dezember 2013 keineswegs zur Ruhe gesetzt, sondern quasi nur den Weinberg gewechselt. Von diesem aus blickt man direkt auf den Bodensee; darüber thront das heute als Napoleonmuseum zugängliche Schloss des einstigen Besitzers der kaiserlichen Reben Louis Napoléon, dem Neffen des berühmteren Feldherrn. Die neue Umgebung im thurgauischen Salenstein, in der sich Köbi Kurz niedergelassen hat, ist ihm nicht unbekannt, denn seine Eltern, die im ‹Tschäpperli› in Aesch einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Weinbau führten, stammen aus dem Thurgau. «Die Ferien habe ich immer hier verbracht und der grösste Teil der Verwandtschaft lebt hier», erklärt Kurz seine Verbundenheit. Und wegen seiner Partnerin Christine pendelte er sowieso die letzten sechs Jahre zwischen Riehen und Salenstein.


 

Der neue Arbeitgeber des sogenannten Pensionärs ist das Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg. Die Domäne Arenenberg mit Schloss und Rebberg ging 1906 als Geschenk der Kaiserin Eugénie an den Kanton Thurgau. Dort macht Kurz Rebberg-Führungen, hilft mit, «wo immer Not am Mann ist», führt Degustationen durch oder wirkt bei Weinseminaren mit.


 

Und Riehen vermisst der ehemalige Rebmeister gar nicht? «Es war eine Umstellung», sagt Kurz, meint aber weniger den Umzug als den dritten Lebensabschnitt, dessen neue Freiheiten es auch zu geniessen gelte. Der prächtige Seeblick von seinem ehemaligen Elternhaus und jetzigen Daheim tröstet sicherlich über fehlende Riehener Aussichten hinweg, und doch denkt Kurz gerne zurück: «Es war eine tolle Zeit.» Auch pflege er noch Kontakte, vor allem mit dem neuen Pächter Thomas Jost. Und er bringt sogar den Riehenern die Schönheiten des Thurgaus näher, etwa anlässlich von Besuchen der Vereinigung Pro Schlipf oder der Obst- und Gartenbaugesellschaft Riehen, deren Präsident er immer noch ist. Natürlich reist der Winzer aber auch ab und zu nach Riehen. «Letzthin war ich schnell für ein Geburtstagsfest dort – und um Wein zu kaufen.»


 

Dies dürfte ein guter Grund sein, um auch inskünftig in die alte Heimat zurückzukehren, denn seit Anfang Jahr hat sich im Schlipf unter dem neuen Pächter einiges getan. Ende April pflanzte er auf einem im Winter vorbereiteten Stück Land knapp 4000 neue Reben. Wo vorher Riesling-Sylvaner-Trauben wuchsen, gedeiht nun Chardonnay. Üblicherweise setze man die Reben im Abstand von 80 Zentimetern bis zu einem Meter, erklärt der junge Winzer. Er habe sie aber in 60-Zentimeter-Abständen gesetzt, denn: «Es muss Konkurrenz zwischen den Reben entstehen.» So müssten sie tiefer wurzeln und könnten auch Phasen mit wenig Wasser aushalten. Wichtig sei aber vor allem der kleinere Ertrag: «Im Vergleich zur anderen Methode, mit der eine Rebe 500 Gramm Trauben bringt, bringen nun zwei Reben zusammen die gleiche Menge», erklärt Jost. «So haben die Trauben mehr Inhaltsstoffe und eine höhere Qualität.»


 

Wichtiger Faktor Zeit


Geniessen kann man den Chardonnay frühestens 2019, denn obwohl sich einzelne Trauben bereits in zwei Jahren zeigen werden, sei die erste Ernte wohl erst in drei Jahren zu erwarten. Danach bleibe der Wein zwei Jahre im Fass. «Es darf etwas länger dauern, denn Zeit ist ein wichtiger Faktor im Weinausbau», erklärt Jost. Die Trauben der drei weiteren Hektaren seines Pachtlands keltert er diesen Herbst und füllt auch schon die ersten Weissweine in Flaschen ab, denn vor einem Jahr hat der Winzer eine kleine Versuchsreihe von Blauburgunder, Weissburgunder und Sauvignon blanc gekeltert. Die beiden Letztgenannten sind – nach einem Jahr im Fass – trinkreif.


 

Die Korken sind da, die Abfüllmaschine und das Glas bestellt. Die Etiketten fehlen noch. «An denen habe ich lange herumstudiert, doch nun gehen sie in den Druck», freut sich der junge Pächter. Über eine Freundin habe er einen Künstler kennengelernt, der Ziereisens und seine Idee umgesetzt habe. «Er hat es genau getroffen!», freut sich Jost. Vorfreude auf die erste Flasche herrscht sowieso: «Für jeden Winzer ist das speziell, denn auf der Etikette steht der eigene Name drauf. Es ist ein Produkt, das man selber erschaffen hat.» Er hält kurz inne. «Und darauf ist man schon ein bisschen stolz.»


 

Thomas Jost lebt etwa gleich lange in Riehen wie Köbi Kurz in Salenstein. Doch während dieser sich ans Weniger-Arbeiten gewöhnen muss, ist es bei jenem eher umgekehrt. «Ich arbeite und wohne momentan nur», bestätigt Jost, der bis anhin noch keine Zeit fand, sich in Riehen einzuleben oder sich gar nach einem passenden Verein umzusehen. «Mein Ziel ist es, mich hier zu verwurzeln, aber im ersten Jahr soll der Betrieb an erster Stelle stehen.» Bereits klar ist aber, dass es dem Fricktaler in Riehen gefällt. «Die Lage in der Dreiländer-region und die Stadtnähe sind toll. Ausserdem ist Riehen ein schönes Dorf mit einer interessanten Geschichte», erklärt der junge Mann. Eine Geschichte, die eng mit der 1200-jährigen Tradition des Kulturguts Wein zusammenhängt – und von welcher der Winzer nun selber ein Teil geworden ist.


 

1 Anzug Fritz Bachmann und Kons. vom 18.10.1961.


2 Gemeinde Riehen: Neuverpachtung Gemeinderebberg ‹Schlipf› – Thomas Jost und Hanspeter Ziereisen sind ab dem 1.1.2014 die neuen Pächter des Gemeinderebbergs, Medienmitteilung vom 2.10.2012.


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2014

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