Abschied vom Bahnhofgebäude Riehen
Markus Buess
Vor 111 Jahren wurden die Wiesentalbahn auf der Strecke Basel— Schopfheim und gleichzeitig das Bahnhofgebäude Riehen eröffnet. Nun hat es ausgedient und ist der Spitzhacke zum Opfer gefallen. An seiner Stelle wird ein Postgebäude mit Unterstand für die Bahnbenützer entstehen. Lassen wir seine bewegte Geschichte vor unserem geistigen Auge nochmals abrollen .. .
«Sollte die grossherzoglich-badische Regierung eine Zweigbahn nach Lörrach über baslerisches Gebiet zu führen wünschen, so wird ihr dies auf ihre Kosten und unter der Verpflichtung, einen Haltepunkt in Riehen zu errichten, gestattet.» Dieser Passus befindet sich im Staatsvertrag zwischen dem Grossherzogtum Baden und der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1852.
Seit 1856 rollten Züge über Riehener Boden. Recht früh für schweizerische Verhältnisse wurde so Riehen von einer internationalen Bahn, nämlich der Linie Basel—Säckingen(—Schaffhausen), tangiert.
1862 machte man vom oben zitierten Vertragspassus Gebrauch und baute privatrechtlich auf Basler Initiative die Wiesentalbahn auf der Strecke Basel—Riehen—Lörrach—Schopfheim als Teil der geplanten internationalen Durchgangslinie Basel—Donaueschingen—Stuttgart, die jedoch nie ganz erstellt wurde; doch wurde die 20 km lange Bahnlinie 1876 um 7 km bis Zell im Wiesental verlängert, wo dann die 1889 eröffnete meterspurige Todtnauerbahn ihren Umsetzbahnhof errichtete. Zum grossen Leidwesen der Basler, Riehener und Wiesentaler wurde diese letztere 1967 abgebrochen; zwei ihrer Mallet-Lok leisten heute noch bei der Museumsbahn Blonay—Chamby Dienst.
Die Riehener Bevölkerung war den Erbauern der Linie nicht gerade sonderlich freundlich gesinnt, weil die Bahnanlagen nicht vertieft durch das Dorfgebiet geführt wurden. So schneidet die Wiesentalbahn auch heute noch den Dorfkern entzwei. Deshalb musste alles Land samt und sonders expropriiert werden. Die Expropriationen gaben Anlass zu einigen Prozessen vor dem Bundesgericht in Lausanne.
Das Programm zur Eröffnung der Bahnlinie sah für den 5. Juni 1862 in Absatz 7 folgenden Artikel vor: Kurzer Halt in Riehen zur Mitnahme der Ortsbehörde und übrigen Eingeladenen. Im Sonderzug befanden sich der Grossherzog von Baden sowie Bundespräsident Stämpfli und Bundesrat Naeff. Die Riehener dekorierten den Bahnhof mit dem Spruch: «Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen . . .». Der Sonderzug wurde von der Zweikupplerlok «Rötteln» gezogen. Am 7. Juni 1862 wurde die Bahn offiziell dem Betrieb übergeben.
Trotz allem kämpften die Riehener nachher noch jahrelang um die Errichtung eines Güterschuppens sowie eines Abstellgeleises; 1875 war es endlich soweit! Schon 1884 wendet sich die Gemeinde Riehen an das Departement des Innern in Basel wegen der «lästigen» Bahnübergänge. Noch heute könnte der Gemeindepräsident wegen des gleichen Anliegens sich an das zuständige Departement wenden!
1889 ist die Wiesentalbahn verstaatlicht worden. Somit wurde Riehen Station der Badischen Staatsbahn, was den Riehenern billigere Tarife sowie eine neue Signalanlage einbrachte. Grund für die Verstaatlichung war der Einbezug eines Stückes der Wiesentalbahn in die strategische Ost—West-Linie Bayern—Elsass. Aus diesem Anlass mussten zwecks Umfahrung schweizerischen Territoriums in Südbaden folgende Teilstücke gebaut werden: Weil am Rhein—Tüllingerhügel tunnel— Lörrach—Schopfheim—Fahrnauertunnel (drittlängster Tunnel der Bundesrepublik!)—Säckingen (Schopfheim—Säckingen am 23. 5. 71 stillgelegt) sowie Weizen—Immendingen (1955 stillgelegt, demnächst Abbruch).
1894 wurde in Riehen ein Ausweichgleis errichtet; dieses erlaubte nun das Wenden der Lokalzüge Basel—Riehen. Der Bau des neuen Badischen Bahnhofes in Basel bedingte die Aufschüttung eines Dammes zwischen Basel und Riehen. Dadurch wurde das Bäumlihofgut, das eine Einheit zwischen Rhein und Wiese bildete, zerschnitten. Parallel mit der Errichtung des neuen, zu weit vom Stadtzentrum entfernten Badisehen Bahnhofes verlief der Bau einer Tramlinie nach Riehen (Nr. 7, heute Nr. 6), da die Bahn die Bedürfnisse der Riehener Bevölkerung nur teilweise erfüllte. Die 1908 errichtete Tramlinie machte der Wiesentalbahn den Rang streitig! 1906 figurierte Riehen an 7. Stelle der 410 badischen Stationen. 1909, nach der Eröffnung, nur noch an 136. Stelle! Die Wiesentalbahn hatte von nun an für Riehen keine grosse Bedeutung mehr (die Riehener Gymnasiasten benutzten das Tram für den Schulweg!).
Das konnte auch die 1913 eingeführte saubere elektrische Traktion nicht mehr ändern. Die Elektrifikation gab dem Gas- und Wasserwerk einige harte Nüsse zu knacken, galt es doch, das elektrolytische Verhalten der Fahrleitungserdung auf die Gas- und Wasserrohre abzuklären. Nach der Elektrifikation verschwand die «Rauchfahne» über Riehen doch nicht ganz (bis 1971 wurden sporadisch Dampflok eingesetzt!). Dies war durch zwei Umstände bedingt: Einerseits waren die Elektrolok der «Versuchsstrecke» sehr störungsanfällig und mussten deshalb oft die Werkstätten «hüten», anderseits bedingte das isoliert liegende elektrifizierte Netz aus Rationalisierungsgründen oft den Einsatz nichtfahrleitungsgebundener Triebfahrzeuge (Dampflok, Dampf- und AkkuTriebwagen). Es wurde das gleiche, richtungsweisende Stromsystem wie bei der im gleichen Jahr eröffneten BLS (15 000 Volt / 162/3 Hz) angewandt. Es standen zwölf Elektrolok dieser Serien zur Verfügung: Bad St A1 (bald ausrangiert), Bad St A2 1—9 (DR E 61 01—-09), Bad St A3 21—22 (DR E 61 21—22). Die Maschinen sowie die Personen- und Gepäckwagen waren übrigens auch mit der Regulierbremse ausgerüstet.
Die Elektrifikation konnte die Wiesentalbahn für die Riehener nicht mehr «retten», hatte es die Bahngesellschaft doch schon 1905 mit den Riehenern verdorben, als die Bahnsteigsperre eingeführt wurde. Hingegen war Riehen fortan stolz auf seinen dreigleisigen «Trambahnhof». Eng verbunden mit der Wiesentalbahn und dem Tram waren die verschiedenen Projekte einer meterspurigen Chrischonabahn von Riehen Bahnhof via Bettingen nach dem gutbesuchten Aussichtspunkt St. Chrischona. Spätere Projekte sahen eine zusammenhängende Bahn über das «Hörnli» nach Bettingen zur St. Chrischona vor. Doch der Erste Weltkrieg machte auch hier, wie bei so vielen anderen Meterspurbahnprojekten, einen Strich durch die Rechnung. In die Zeit der Elektrifikation fällt auch die «bundesrätliche» Behandlung eines «Steinwurfes» gegen einen Zug in Riehen! Auch unterschied man damals zwischen der Schweizerzeit und der mitteleuropäischen Zeit. Das Tram zeigte deutlieh, dass die Wiesentalbahn für die Riehener zur Benützung eigentlich nicht mehr existent war. Trotzdem forderte seinerzeit der Kantonsingenieur in Verkennung der Sachlage anlässlich der Elektrifizierungsarbeiten die Errichtung einer zweiten Spur auf der Strecke Riehen—Basel.
1914 bis 1918 war die Bahnlinie wegen der Kriegswirren stillgelegt; einzig die SBB besorgte den sporadischen Güterverkehr von und nach Riehen. 1921 gab es einen kurzfristigen Versuch mit drei Pendelzügen Basel—Riehen. Erst 1925 wurde der Verkehr Riehen—Wiesental wieder aufgenommen. 1939 bis 1951 war der Bahnhof Riehen für den Personenverkehr wiederum geschlossen, nicht aber die Bahnlinie. Ausserhalb des Gemeindebanns Riehen soll sich eine vom Schweizer Militär bewachte Entgleisungsweiche befunden haben. Während der Kriegsjahre tauchten wiederum Dampftriebwagen (System Kittel?) auf. Um die Zeit des Waffenstillstands vom 8. Mai 1945 herum wurden ausserhalb Riehens auf der Hochrheinstrecke ein Zug mit zwei Dampflok durch Sabotage zum Umstürzen gebracht. Die Lok, worunter sich eine französische befand, wurden etwa ein halbes Jahr lang am Fusse des Bahnbordes liegengelassen. Auf der Wiesentalbahn rollten nach Kriegsende viele französische Güterzüge mit «Reparationsholz» aus dem nahen Schwarzwald nach Frankreich.
Die Lokbespannung der Wiesentalbahn-Züge setzte sich folgendermassen zusammen: 1930 bis 1955 Pr. DR E 711. Ab 1935 Triebwagen vom Typ ET 25. 1944 bis 1950 aus österreich verschleppte E 33 und seit 1954 E 32 (sie gaben ein relativ kurzes «Gastspiel») und E 44 (heute E 145). Diese E 145 besorgen heute etwa drei Viertel der Traktionsleistung. Doch im Bestreben, die Triebfahrzeuge optimal auszunützen, werden nun auch Diesellok eingesetzt.
Zum Jubiläum des 100jährigen Bestehens der Schweizer Bahnen wurde vom 5. bis 9. November 1947 ein schweizerischer Jubiläumszug, die «Spanisch-Brötli-Bahn» auf der auf Schweizer Boden gelegenen deutschen Bahnlinie Basel—Riehen eingesetzt.
Heute halten in Riehen nur noch wenige Züge. Doch wie seit 100 Jahren führen die Züge aus zolltechnischen Gründen spezielle Wagen für Riehen-Reisende mit. 1970 wurde die Güterbeförderung nach Riehen eingestellt. Somit konnte im Januar 1971 das Abstellgleis abgebrochen werden. Zu diesen Umbauarbeiten — das Durchfahrtsgleis wurde im Hinblick auf die Inbetriebnahme der versprochenen Olympiazüge für 100 km/h Durchfahrtsgeschwindigkeit eingerichtet — wurden zum letztenmal Dampflok eingesetzt! Es waren dem Bw Haltingen zugeteilte Leihlok des Bw Radolfzell der Baureihe 050 und 052. Gleichzeitig wurden die 1935 anstelle der badischen Signale errichteten Reichsbahn-Norm-Formsignale durch vom Bad. Bahnhof Basel ferngesteuerte Lichtsignale ersetzt. Das Verkehrsvolumen ist heute beträchtlich, fahren doch 60 bis 80 Züge täglich über die eingleisige Strecke ins Wiesental. Bald werden es deren 120 sein. Hoffentlich werden sie mithelfen, die Durchgangsstrasse wirksam zu entlasten. Mit attraktiverem Rollmaterial wäre das möglich. Werden einst die Züge in Riehen durch eine Tunnelröhre rollen als Glied eines S-Bahn-Systems in der Regio Basiliensis? Pläne für diese teure, aber optimale Verkehrslösung bestehen jedenfalls.
Das Bahnhofgebäude Riehen, an dem während der dreissiger Jahre zum Verdruss der Riehener Bevölkerung Hakenkreuzflaggen prangten, ist am 25. Mai 1972 gefallen, doch die Wiesentalbahn ... ?, die fährt!
Quellen:
Staatsarchiv Basel.
Vor hundert Jahren: Riehen wird Eisenbahnstation, von Edi Wirz, z'Rieche 1962. Abhandlung von Dr. H. A. Vögelin in: Riehen, Geschichte eines Dorfes, herausgegeben von der Gemeinde Riehen (Redaktion Prof. Dr. A. Bruckner) 1972.