Abschied von Edi Wirz

Albert Schudel

dieser Brief erreicht Dich nicht mehr. Du bist schnell, zu schnell von uns gegangen. Da hörte man von den Deinen, Du habest Dich von einer schweren Grippe wieder erholt, und so stand ich am Montagnachmittag nichts ahnend vor Deiner Tür, um ein Besüchlein zu machen. Du warst nicht mehr da. Fast konnte ich es nicht fassen. Wenige Stunden zuvor hat eine schwere Herzattacke Dein Leben plötzlich ausgelöscht. Still und unerwartet bist Du von uns gegangen, genau einen Monat vor Deinem 79. Geburtstag. Das Dichterstüblein in der Rebenstraße ist leer. Und doch nicht leer, denn auf den Regalen stehen Bücher und Bändchen, die Du geschaffen hast, und unzählige Zeitungen, Zeitschriften und viele unveröffentlichte Manuskripte zeugen von Deinem Wirken. Dein Geist und das, was Du geschaffen hast, lebt weiter. Wenngleich heute Schmerz und Trauer unser Herz umschleicht und uns bedrückt, so wissen wir, daß im Gedenken an Dich die Dankbarkeit obsiegen wird. Die Dankbarkeit für Deine Freundschaft, für Deine Liebe und Treue, die Dankbarkeit für all das, was Du uns in Deinem reichen Leben hast schenken dürfen.

Warst Du eigentlich Baselbieter oder Riehener? Du warst beides. Und zwar in einmaliger Weise. Obwohl Deine Vorfahren richtige Baselbieter waren, bist Du an der Sperrstraße im Klein-Basel am 26. Februar 1891 zur Welt gekommen. Wie hast Du uns in der RZ doch in dem reizenden Geschichtlein von der «Dampfmaschine» von Deinem Vater erzählt, der als Werkmeister einer Seidenfabrik tätig war und seinem kleinen Edi selber eine richtige Dampfmaschine gebastelt hatte. Du hast uns von Deinem ersten Schulweg berichtet und von all den fröhlichen Lausbubenstreichen Deiner ersten Jugendjahre. In scheuer Zurückhaltung verschwiegst Du uns, wie hart es Dich traf, als Dein Vater in jungen Jahren aus diesem Leben abberufen wurde und Du als Neunjähriger mit Deiner Mutter wieder in die Wintersinger Heimat zogst. Das Schicksal hat Dir früh Deinen Vater genommen — aber es hat Dir eine neue, glückliche Heimat geschenkt.

So schlicht wie Du warst, dachtest und schriebst, so drücktest Du das so aus: «Ich wuchs in meine Baselbieter Heimat hinein». Du wurdest ein echter Bauernbub und Wintersingen Deine geliebte Heimat, die Du je und je auch wieder aufgesucht hast. Fast scheint uns, der Name des Ortes habe es Dir angetan. Du hast Dein stilles Heimattälchen besungen wie kein anderer, und dieses Singen über die Schönheit Deiner Heimat, die Dich immer neu beglückt hat, breitete sich aus über weite Gebiete Deines geliebten Baselbietes, dem Du bis zuletzt Treue gehalten hast. Es gäbe eine lange Liste von Titeln, wollte ich hier alle Bücher, Schriften, Festspiele, alle Geschichten und Anekdoten aufzählen, in denen Du Dein Baselbiet beschrieben und besungen hast, gar nicht zu reden von all den Zeitungsartikeln, die Du während Jahrzehnten vor allem für die «Volksstimme» Sissach geschrieben hast, jener Zeitung, die Dein Großvater, der Wenslinger Lehrer Eduard Wirz, noch gründen half.

Aber nun habe ich einen zu großen Sprung gemacht. Mit zu den schönsten Jahren Deines Lebens gehörte die Zeit, da Du in Bockten die Bezirksschule besuchtest und jeden Tag zweimal den anderthalbstündigen Schulweg als einziger Bezirksschüler Deines Dorfes zu gehen hattest. Die Schule machte Dir keine Mühe und noch weniger der lange Schulweg, von dem Du oft so köstlich zu berichten wußtest. Die Erinnerung an jene frohen Schul- und Jugendjahre war eine der Quellen, aus denen Du Dein Leben lang immer wieder mit Freuden schöpftest. — Als nach dem Tode Deiner Großeltern Deine Mutter nach Sissach zog, besuchtest Du von dort aus die Obere Realschule in Basel und erwarbst die Matur und später das Lehrerpatent. Du schriebst selber, es habe wohl im Blute gelegen, daß Du Lehrer werden mußtest.

Deine erste Lehrerstelle in der Anstalt Klosterfiechten war der ideale Platz. Da konntest Du an schwierigen Buben Deine pädagogischen Fähigkeiten zeigen und entwickeln, durftest aber auch mit ihnen Heuen oder Ernten, was immer gerade auf dem großen Bauernhof nötig war. Während sieben Jahren hast Du dort manch einem schwierigen Buben geholfen, in rechte Bahnen zu kommen.

1919 kamst Du nach Riehen. Das Dorf, das Dir zur zweiten Heimat wurde. — Das Riehen, dem Du als Mensch, als Lehrer, Dichter und Historiker unschätzbar viel schenktest, war damals noch ein beschauliches Bauerndorf. «Man konnte noch hineinwachsen, sich mit dem Dorf und seinen Leuten verbunden und richtig daheim fühlen ohne die angestammte Heimat aufzugeben oder gar zu vergessen», so schriebst Du einmal selber darüber. Du bist ganz Baselbieter geblieben und doch ein ganzer Riehener geworden. Hier leuchtet ein Stück Deines so wohltuenden Wesens auf: Dein ausgeglichenes, humordurchsonntes Gemüt, verbunden mit wahrer Herzensgüte, strahlten eine seltene Harmonie aus. Daran durfte sich Deine liebe Familie sonnen, aber auch unzählige Buben und Mädchen, die während der 37 Jahre Deiner Schulmeisterzeit in unserem Dorf das Vorrecht hatten, bei Dir in die Schule gehen zu dürfen. Du hast sie sicher nicht gezählt, aber Du hast bei ihnen gezählt und sie haben ihren gütigen Lehrer nicht vergessen, der ihnen mehr mitgab, als nur Schulweisheit. Ebenso dankbar gedenken Deiner viele Kollegen, denen Du ein liebevoller, väterlicher Freund warst.

Lieber Edi, was hat Dir Riehen nicht alles zu verdanken! Wollten wir aufzählen, was alles aus Deinem fundierten historischen, kulturgeschichtlichen und heimatkundlichen Wissen heraus entstehen durfte, es gäbe eine lange, lange Reihe von Publikationen, die alle von Deiner schriftstellerischen Begabung, von Deiner einmaligen Erzählerkunst Zeugnis ablegen. In diese Reihe hinein gehört all das, was Du während mehr als vierzig Jahren mit nie erlahmender Bereitschaft und Liebe für Dein «Blättli» geschrieben hast.

An Anerkennung und literarischen Auszeichnungen hat es Dir nicht gefehlt, aber niemals wolltest Du das an die große Glocke hängen, weil es Dir nie um Erfolg und Ruhm ging. Du warst immer der Gebende, als Dichter und Schulmeister, als Familienvater oder als Kamerad und Freund. Und weit in unser Land und über seine Grenzen hinweg hörten Tausende und Zehntausende Deinen unvergeßlichen Vorlesungen am Radio zu. Wie hast Du auch Deinen Dienstkameraden durch Dein Wesen und Werk den oft harten Militärdienst in zwei Weltkriegen erleichtert und während vieler Jahre ungezählten Alten, Kranken und Invaliden mit Deinen Vorlesungen frohe Stunden gebracht.

Wir Riehener verdanken Dir viel. Nicht umsonst dankte Dir der Gemeinderat schon vor Jahren dafür, daß Du wesentlich dazu beigetragen hast, «die Liebe zur Heimat zu fördern und zu vertiefen».

Lieber Edi, nun bist Du schnell und still von uns gegangen. Darüber sind wir sehr traurig. Wir haben einen grundgütigen, lieben Mitmenschen und Freund verloren. Wir danken Dir für all das Schöne und Unvergeßliche, das Du uns geschenkt hast in Deinem Leben und Werk. Es wird weiterleben, und so wirst Du in all dem, was Du uns geschenkt hast, immer neu wieder bei uns sein. Wir werden Dich, lieber Edi Wirz, nicht, nie vergessen. 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1970

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