Albert Eger - ein Riehener Abenteurer wider Willen

Hans Krattiger

Als im Riehener Jahrbuch 1981 Fritz Lehmann über das renovierte Haus Rössligasse 40 («Ein Beitrag zur Geschichte eines alten Riehener Taunerhauses») berichtete, meldete sich ein Spross des Geschlechts, das seit Menschengedenken eng mit der Geschichte dieses Hauses verbunden ist und zu den ältesten Riehener Geschlechtern gehört: Albert Eger, Riehener Bürger, aber wohnhaft in Brienz. Der Artikel im Riehener Jahrbuch 1981 weckte Albert Egers Interesse an der Heimatgemeinde, die er nach jahrzehntelangem Aufenthalt im Ausland nun kennenlernen wollte. Auf was für Umwegen das geschah, davon handelt der nachfolgende Bericht.

In der bekannten Kalendergeschichte «Unverhofftes Wiedersehen» erzählt Johann Peter Hebel (1760-1826) von einem jungen Bergmann im schwedischen Falun, der im Bergwerk tödlich verunglückte, nach 50 Jahren aber bei Arbeiten im Schacht ausgegraben wurde, «ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert». Ans Tageslicht gebracht, erkannte eine betagte Jungfer im Leichnam ihren Verlobten, der sich vor einem halben Jahrhundert von ihr verabschiedet hatte mit dem Versprechen, «auf Sankt Luciä» heimzukehren und Hochzeit zu halten.

Ein unverhofftes Wiedersehen, nur nicht so tragischtraurig, sondern in freudiger Stimmung, war es auch, als ich im Frühjahr 1984 anlässlich einer Ausstellung mit dem Riehener Bürger Albert Eger zusammentraf und bei einem Kaffee im Verlauf des Gesprächs feststellte, dass wir ja vor 63 Jahren als ABC-Schützen in einem Binninger Schulhaus in der gleichen Klasse waren, Schüler der stattlichen Lehrerin Anna Kohl - «'s Kohle-n-Anni», wie wir Buben sie nannten - und der späteren Gattin von Kunstmuseums Direktor Dr. Georg Schmidt. Es war nur eine kurze Wegstrecke, die wir in unserer Jugend gemeinsam gingen; denn Albert Eger, als Bürger eines alten Riehener Geschlechts am 19. April 1915 in Binningen geboren, übersiedelte als 7j ähriger mit seinen Eltern und seinem um zwei Jahre älteren Bruder Ernst nach London, wo sein Vater als Kaufmann eine Stelle gefunden hatte. War es ein schicksalhaftes Omen, dass Albert Eger schon als Knabe den «Duft der weiten Welt» zu riechen begann? Wurde damals schon das Startloch gegraben zur Odyssee, die ihm bevorstand, Jahrzehnte seines bewegten Lebens mitprägte und die ihre eigentliche Ursache darin hatte, dass er nicht werden durfte, wozu er sich berufen wusste? Er sagte es, als er mitten in der kaufmännischen Lehre stand, eines Tages seinem Vater: «Ich will Künstler werden.» Doch sein Vater, der ebenfalls Albert hiess, reagierte auf eine solche Enthüllung wie die meisten Väter von Jünglingen, die sich zum Künstler berufen fühlen, nämlich mit dem Wort von der «brotlosen Kunst», weshalb sich Albert Eger junior fürs erste den Traum vom Künstlerleben aus dem Kopf schlagen und die kaufmännische Lehre bei der Eidgenössischen Bank AG in Basel, wohin die Familie Eger 1929 zurückgekehrt war, abschliessen musste, was er denn auch erfolgreich tat.

Lehr- und Wanderjahre

Mit dem Lehrabschlusszeugnis als guter Referenz in der Tasche begab sich der 21jährige Albert nach Zürich und verdiente sich sein Brot als Angestellter der «American Express», und zur zweijährigen Tätigkeit in dieser Firma gehört auch ein dreimonatiger Aufenthalt in Rom, wo Albert nicht nur seine sprachlichen Kenntnisse vertiefte, sondern auch - und wie hätte es in der Kunst- und Kulturstadt Rom anders sein können? - sein angeborenes musisches Talent erprobte und in Zeichnungen seine Römer Eindrücke festhielt. Mit dem Geld aber, das er in seiner ersten beruflichen Karriere erspart hatte, reiste Albert Eger nach Paris und wurde Schüler der Kunstakademie Colin, an der zur gleichen Zeit auch Herbert Leupin sein künstlerisches Rüstzeug erwarb. Da das Ersparte nur für einen sechsmonatigen Aufenthalt in Paris reichte, kehrte Albert Eger in die Schweiz zurück und erhielt bei der Uhrenfabrik «Omega» in Biel eine Stelle, die seinen künstlerischen Ambitionen eher entsprach, nämlich als Zeichner von Uhrenmodellen für «Omega»-Prospekte. Doch kaum eingearbeitet, brach der Zweite Weltkrieg aus, und die Mobilmachung rief auch den Gebirgsmitrailleur Eger Albert unter die Waffen. Zugleich aber verlor er seine Stelle und eine Arbeit, in der er viel Befriedigung gefunden hatte.

Im Osten viel Neues

Vom Fernwehfieber schon längst gepackt, meldete sich Albert, als das bekannte englische Unternehmen ICI (Imperial Chemical Industries) für seine Filiale in Bombay per Inserat in der Neuen Zürcher Zeitung einen Kaufmann suchte. Albert erhielt nicht nur die Stelle, sondern auch militärischen Urlaub, so dass er im zweiten Kriegsjahr 1940 mit der «Conte Verde» der «Lloyd Triestina» nach Indien reisen konnte. Als Visitator in Fabrikanlagen hatte er die indischen Arbeiter zu beaufsichtigen, wobei er jedoch feststellte, dass diese von Hand und also auf recht ungesunde Weise Farben mischen mussten; und als er in einem Rapport diese Arbeitsweise zu beanstanden wagte, wurde ihm das Retourbillet in die Hand gedrückt. Doch Albert trat nicht - noch nicht - den Weg zurück an, sondern im Gegenteil: noch mehr nach Osten, Richtung China, wo vom Zweiten Weltkrieg noch nichts zu spüren war, wo Europäer vielmehr hoffen konnten, dass der Ferne Osten verschont bleibe.

Mit dem Zug ganz Indien durchquerend, gelangte der Riehener Globetrotter nach Karachi und von dort per Schiff nach Singapur und nach Schanghai, wo er sich vier Monate lang aufhielt. Nun entsann er sich aber, dass er auf dem Schiff den Gouverneur der englischen Kronkolonie Hongkong, Sir Geoffrey Northcote, kennengelernt und von ihm eine Offerte für eine gutbezahlte Stelle in Hongkong erhalten hatte. Also auf nach Hongkong! Wieder Aufseher eines Lagerhauses, das jedoch der englischen Regierung gehörte, wurde hier seine human-soziale Gesinnung mehr geschätzt als in Bombay, so dass ihm Hongkong, das den Musensohn Albert Eger mit seiner Vielfalt an Eindrücken, mit seinen Bauten zu Land und den Dschunken auf dem Wasser faszinierte und zum Zeichnen anregte, leicht zur zweiten Heimat geworden wäre, wenn nicht am 7. Dezember 1941 die Hiobsbotschaft von Pearl Harbour und damit der Kriegserklärung Japans an die USA eingetroffen wäre. Die Fackel des Zweiten Weltkrieges war also auch im Fernen Osten entbrannt, was zur Folge hatte, dass die englische Kronkolonie Hongkong ebenfalls Kriegsschauplatz wurde.

In einer tagebuchartigen Monographie hat Albert Eger Eindrücke und Erlebnisse im Fernen Osten niedergeschrieben, und wie war er noch voller Zuversicht, als er, das Fischervolk auf den Dschunken beobachtend, schrieb: «Ich wollte mir ein solches Boot erbauen lassen, womit ich von Insel zu Insel segeln würde. Das war mein Ziel: Bilder malen... Nur Geduld, dachte ich.» Doch es kam anders, und statt Niederlassung hiess nun die Losung: Flucht!

Der Weg zurück

Es waren schlimme Tage und Wochen, die Albert Eger in dem von den Japanern eroberten Hongkong erlebte, und dass er diese Zeit mit heiler Haut überstand, empfindet er heute noch als Wunder. Zu diesem Wunder gehörte aber auch, dass die Eurasierin Josephine, genannt Jo, die er schon in Schanghai kennengelernt hatte, in Hongkong seine Lebensgefährtin wurde, die - noch nicht verheiratet entschlossen war, mit dem Geliebten die Flucht ins Ungewisse, den Weg zurück in Alberts Heimat, die Schweiz, zu wagen.

Und nun begann der anderthalbjährige, an Abenteuern, Gefahren und Hindernissen, an ängsten, aber auch an freudigen Erlebnissen reiche Weg zurück, der hier nur stichwortartig angegeben werden kann. Er fing an mit einer Fahrt auf einer Flussfähre von Hongkong nach dem portugiesischen Macao, auf einem Küstendampfer weiter südwärts nach Kwangchowang, wo Albert und Jo die Ehe schlössen, der dann im Verlauf der Jahre zwei Söhne und zwei Töchter entsprossen. Von der chinesischen Hafenstadt Kwangchowang aus führte nun der Weg in nordwestlicher Richtung durch das Innere Chinas, sieben Tage lang unter Strapazen durch Reisfelder zu Fuss nach Kweiping, dann mit einem vorsintflutlichen überland-Bus in zwei Tagen nach Liuchow, weiter mit dem Nachtzug nach Kweilin, von wo die Jungvermählten mit einem Soldaten-Transportflugzeug nach Chungking und in südwestlicher Richtung nach Kalkutta in dem vom Krieg noch nicht heimgesuchten Indien gelangten. Via Bombay - Persischer GolfBagdad - Teheran - Istanbul, das schon von den Deutschen besetzt war, weiter in das verdunkelte Wien und weiter nach Buchs, wo anno 1943 endlich wieder Heimatboden betreten werden konnte.

Jahre der Erfüllung

Aus Hongkong und China hatte der Abenteurer wider Willen allerdings nicht nur seine Frau und heile Haut mit in die alte Heimat gebracht, sondern auch eine Menge von Zeichnungen, die «in der Fremde» entstanden waren und die oft mehr auszusagen vermögen als Worte. Arbeit in der Schweiz fand Albert Eger beim Eidgenössischen Polizeiund Justizdepartement als Betreuer von Flüchtlingen, wozu ihn unter anderem auch seine Sprachkenntnisse befähigten. Nach Kriegsende zog es den Rastlosen abermals in den Fernen Osten, und von 1945 bis 1950 war er - mit einem relativ kurzen Abstecher nach Brasilien - als Kaufmann im Dienste der Ciba AG wieder in Hongkong tätig. In die Schweiz zurückgekehrt, machte sich die Schweizerische Verkehrszentrale die reichen Erfahrungen und das künstlerische Empfinden Albert Egers zunutze und beauftragte ihn mit der Gestaltung von Ständen und der Organisation von Ausstellungen, an denen die Schweizerische Verkehrszentrale für das Ferienland Schweiz zu werben pflegt. Bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1980, davon die letzten 18 Jahre im «Swiss Center» in London, versah Albert Eger diese Aufgabe, die seinem Bedürfnis nach künstlerischer Betätigung entsprach und die es ihm ermöglichte, in der Freizeit und in den Ferien seiner Berufung leben und den Jugendtraum realisieren zu können.

Als die Zeit des Ruhestandes näher rückte, hielt Albert von London aus Ausschau nach einem Refugium in der Heimat und am liebsten in den Bergen, mit denen er sich von Jugend an verbunden fühlt. Und er fand sein «Orplid», um es mit Mörike zu sagen, in Brienz, wo er ein Châlet erwerben konnte; ein gastfreundliches Heim und zugleich Ausgangspunkt zu Bergtouren mit Tusch und Farben, mit Pinsel und Palette. Eine letzte Station und zugleich Ort der Besinnung auf das Heimatdorf seiner Ahnen, das Dorf Riehen, das er während seiner Jahrzehnte dauernden Wanderschaft eigentlich nur dem Namen nach kannte und mit dem er sich nun doch - über Berg und Tal hinweg - als Riehener Bürger verbunden weiss.

Vom 5. bis Ende Dezember 1985 findet in der Galerie der Schweizerischen Kreditanstalt in Riehen zum 70. Geburtstag von Albert Eger eine retrospektive Ausstellung mit Zeichnungen und Bildern statt.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1985

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