Alexander Clavel und der Wenkenhof


Gerhard Kaufmann


Vermögende Basler Besitzer haben mit dem Ausbau von Höfen zu prächtigen Landgütern das Siedlungsbild Riehens entscheidend mitgeprägt. Keiner dieser Bauherren hat seinen Reichtum so offen zur Schau gestellt und die Landschaft so tiefgreifend verändert wie der Industrielle Alexander Clavel-Respinger, der zusammen mit seiner Frau Fanny vor 100 Jahren den Wenkenhof gekauft hat.


Alexander Clavel (1881–1973) und sein Lebenswerk, der Wenkenhof, bilden eines der glanzvollsten Kapitel in der Geschichte Riehens, auch wenn das Wachsen und Werden dieses Werkes nicht in jeder Hinsicht so glanzvoll war. Die Expansion zum heute grössten öffentlichen Park der Gemeinde Riehen ist eng verbunden mit der Textilindustrie und den beiden Weltkriegen. Alexander Clavel war in seiner Lebensart dem Gehabe eines Grandseigneurs aus dem 19. Jahrhundert verhaftet, als Industrieller aber seiner Zeit voraus.


Sprössling einer Unternehmerfamilie in der Textilindustrie


Die weitverbreitete Meinung, die Familie Clavel entstamme einer in die Schweiz immigrierten Hugenotten-Familie, ist ebenso falsch wie die Annahme, die Clavels seien aus dem Basler ‹Daig› hervorgegangen. Tatsache ist, dass sich diese 1838 aus Lyon zugezogene Familie von Seidenfärbern und -händlern mit der Basler Oberschicht ehelich zu verbinden wusste. Der Grund, weshalb sich Alexander Clavel (1805–1873) – nennen wir ihn Alexander I. – in Basel niederliess, war ein profaner: In Lyon war es gelungen, auf synthetischem Weg Farbstoffe herzustellen. Frankreich kannte damals schon den Patentschutz, nicht aber die Schweiz. Deshalb begann Clavel in Basel mit der Herstellung von Fuchsin, einem Anilinrot, nachdem er 1840 die Witwe des verstorbenen Seidenfärbers Karl Theodor Oswald geheiratet hatte. Die erste Fabrikationsstätte war im Bläsihof an der Unteren Rebgasse. Wegen Klagen über die Schadstoffemissionen des Betriebs verbot der Kleine Rat 1863 die Herstellung von Anilinrot und machte auch für andere Farben Auflagen. Daraufhin verlegte Clavel seine Farbstofffabrik 1864 in ein neues ‹Laboratorium für Fabrikation von Anilin- und anderen Farben› an die Klybeckstrasse 198.1


Clavel betrieb zwei Gewerbe, das Färben von Seidenstoffen und Seidengarnen einerseits sowie die Herstellung des dafür benötigten Farbstoffs. Sein Sohn Alexander Clavel-Merian (II., 1847–1910) hielt es jedoch für erfolgversprechender, sich ausschliesslich der Färberei zu widmen. Wenige Wochen vor dem Tod des Vaters wurde die Farbenfabrikation an die Firma Bindschedler & Busch veräussert, die sich später ‹Gesellschaft für die chemische Industrie in Basel› nannte und ab 1945 unter dem Namen Ciba firmierte. Alexander Clavel (I.) darf also mit Fug und Recht als Begründer der weltweit tätigen Ciba, der späteren Ciba-Geigy und heutigen Novartis, bezeichnet werden und war somit ein Industriepionier der Gründerzeit.


Im Jahr 1881 kam Alexander (III.) zur Welt. 1902 vereinigten sich Clavel + fils mit der Seidendruckerei Fritz Lindenmeier zur Färberei Clavel + Lindenmeier. Wie bedeutungsvoll die Seidenfärberei und die Bandfabrikation für die Stadt Basel dank der damals vorherrschenden Mode waren, belegen folgende Zahlen: Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs betrug das Exportvolumen der Basler Bandindustrie 135 Millionen Franken. Diese war damit Spitzenreiterin der Basler Industriebetriebe, auch was die Zahl der Arbeitsplätze betraf. In dieser Branche konnte sich nur halten, wer mit der Modewelt in ständiger Tuchfühlung war und sich in den damaligen Weltmodezentren Paris, London, Wien und New York ebenso zu Hause fühlte wie im heimatlichen Fabrikkontor. Alexander Clavel (III.) – er war nach dem Besuch der Handelsschule in Neuchâtel und einer Färberlehre in das väterliche Geschäft eingetreten – entsprach diesen Anforderungen. Er besass gewissermassen einen sechsten Sinn für alles, was mit der Mode und ihren Wechselfällen zusammenhing. Darüber hinaus war er auch ein hervorragender Geschäftsmann. Nach dem Besuch einer Picasso-Ausstellung in Paris soll er seine gesamte, für das kommende Frühjahr vorbereitete Musterkollektion weggeworfen haben, um mit neuen, leuchtenderen Farben erfolgreich auf den sich anbahnenden Modewechsel zu reagieren.2


Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete die Ära der in bunten und luxuriösen Kleidern daherkommenden Damenwelt und läutete damit auch das Ende der Seidenfärberei und Bandfabrikation ein. Nicht so bei Alexander Clavel (III.): Mithilfe seines Bruders, Chemiker René Clavel, entwickelte seine Firma neue Produkte und brachte sie gewinnbringend auf den Markt. Das erfolgreichste dieser Produkte war eine Kunstseide, zum Patent angemeldet mit der Bezeichnung ‹Celanese›, einer Vorläuferin von Nylon und Perlon.3


Wenn Reichtum die Phantasie beflügelt


Als Alexander und Fanny Clavel-Respinger 1917 den Neuen Wenkenhof erwarben, hatten sie bereits genaue Vorstellungen, was mit Haus und Garten zu geschehen habe. Ein erster Schritt war die Transformation des 1860 aufgestockten Zäslinschen Lusthauses. Inspiriert von den Schlössern Hindelbank und Gümligen, gestaltete der Berner Architekt Henry B. de Fischer einen repräsentativen Landsitz, der mit seiner gartenseitigen Terrasse, dem mächtigen Dach und den bis ins letzte ausgefeilten Details den Geist des 18. Jahrhunderts atmet. Nicht nur die Formen und Proportionen, auch der grau-grüne Sandstein verblüfften die Besucherinnen und Besucher: Sie begegneten auf Basler Boden reinem Berner Barock.


Alexander Clavel liess es aber dabei nicht bewenden. Durch gezielte Landkäufe gelang es ihm, seinen Grundbesitz bis zur Mohrhaldenstrasse, zum Martinsrain, zur Hackbergstrasse und zur künftigen Rudolf Wackernagel-Strasse auszudehnen – eine Vorbedingung für die Verwirklichung seiner Bau- und Gestaltungsvorhaben mit einer für baselstädtische Verhältnisse geradezu gigantischen Dimension. 1925 entstand wiederum nach den Plänen von Henry B. de Fischer eine im Grundriss U-förmige Reithalle mit Stallungen, Kutschenremise und Gesellschaftsräumen. Als Vorbild dienten die ‹Ecuries de Bougy-St. Martin› bei Aubonne, die über der Manege thronende Zuschauerloge orientierte sich an der Spanischen Hofreitschule in Wien. Weitere Inspiration brachten die Clavels von ihren Besuchen in der französischen Kavallerieschule in Saumur mit. Die Innenausstattung der Reithalle, die Stallungen sowie der mit Rheinkieseln gepflästerte Hof sind vom Feinsten, was die damalige Handwerkskunst zu bieten hatte. Alexander und Fanny Clavel – beide Pferdeliebhaber und begeisterte Jagdreiter – sollen mehr als einmal den Ausspruch gehört haben: «Comme j’aimerais être cheval au Wenkenhof.»4


Der Standort der Reithalle wurde durch eine Art Koordinatensystem bestimmt, genannt die ‹Neue Achse›, die im rechten Winkel zur bestehenden Hauptachse verlief und fast haargenau auf das St. Margarethenkirchlein in Binningen und auf den in 30 Kilometer Entfernung liegenden Glaserberg zielt. Dieser Vorgabe hatten sich alle weiteren baulichen Massnahmen unterzuordnen. Parallel zum Bau der Reithalle wurde eine Landschaftsveränderung in Szene gesetzt, die in ihrem Ausmass auf dem Gebiet der Gemeinde Riehen ihresgleichen sucht. Anstelle ausgedehnter Obstwiesen entstand im Zeitraum von 1925 bis 1935 zwischen ‹Wenkenköpfli› und Bettingerbach, also rund um die Reithalle, ein englischer Landschaftspark. 40 000 Kubikmeter Erdreich wurden mit Hilfe von Rollbahnen bewegt, 10 000 Bäume und Sträucher wurden gepflanzt und vorher etwa 1000 Obstbäume beseitigt. Es wurde ein Tennisplatz gebaut, der Bettingerbach verlegt, ein Weiher gegraben und eine Tuffsteinbrücke errichtet. Um die Reithalle errichten zu können, musste das Terrain 8 Meter abgegraben werden. Der Pferdesport spielte eine wichtige Rolle für die Planung dieser grossartigen Anlage: Davon zeugen eine Galopp-Piste, Spring- und Hindernis-anlagen und ein Dressurviereck. Bei den Eingriffen in die Landschaft und den Anpflanzungen überliessen Garten-architekt Adolf Vivell aus Olten und Alexander Clavel nichts dem Zufall. Noch heute besticht die Grosszügigkeit der Anlage mit ihren ausgedehnten Grünräumen, beeindruckenden Baumgruppen und interessanten Perspektiven. Die ausgesparten Durchblicke sind so angelegt, dass der Park viel grösser erscheint, als er tatsächlich ist.


Doch mit der Neugestaltung des Areals zwischen Villa Wenkenhof und Reithalle hatte es noch längst nicht sein Bewenden. Bis Mitte der 1930er-Jahre folgte die Bettingerstrasse unmittelbar der westlichen Begrenzung des Alten Wenken, das heisst, sie verlief in einer Kurve bis an den Rand des Ehrenhofs. Alexander Clavel gelang es in zähen Verhandlungen, den Kanton dazu zu bewegen, die Bettingerstrasse gradlinig von der Verzweigung der Rudolf Wackernagel-Strasse – die damals neu angelegt wurde – zur Hackbergstrasse zu führen. Dadurch konnte Alexander Clavel seine Neue Achse 60 Meter verlängern und die opulente Vorfahrt mit einem prachtvollen, in den Lehrwerkstätten Bern gefertigten Gittertor abschlies-sen. Zwei auf monumentalen Kalksteinsockeln ruhende, goldpatinierte Hirsche flankieren den Eingang. Das Vorbild dieser beiden Zwölfender befindet sich im Château d’Anet unweit von Paris, dem Schloss von Diane de Poitiers. Damit nichts das harmonische Bild störe, liess Clavel sämtliche Leitungen so verlegen, dass sie den Blick nicht beeinträchtigten. Ein zwischen französischem Garten und Bettingerstrasse errichtetes Gewächshaus stellte sicher, dass seine Frau Fanny täglich frische Blumen auf ihrem Tisch vorfand.


Der Kriegsausbruch 1939 setzte weiteren Ausbauplänen ein vorläufiges Ende. Alexander Clavel gab die Idee aber nicht auf, die Neue Achse über die Bettingerstrasse hinaus zu verlängern und in einer Aussichtsterrasse münden zu lassen. 1957 war es dann soweit: Die neue Terrasse und die sich über das Dreieck zwischen Bettingerstrasse, Rudolf Wackernagel-Strasse und Hackbergstrasse erstreckende Parkanlage konnte der Öffentlichkeit übergeben werden. Auf der Terrasse steht ein an der Neuen Achse ausgerichtetes Bronzepferd, das daran erinnern soll, welchen Stellenwert edle Pferde bei den letzten Besitzern des Neuen Wenken gehabt hatten. Böse Mäuler behaupteten allerdings, Alexander Clavel sei nur mit Mühe davon abzuhalten gewesen, sich selbst hoch zu Ross verewigen zu lassen.


Weitblick über Basel und in die Zukunft 


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das an der Peripherie gelegene Areal sukzessive abparzelliert und an künftige Villenbesitzer veräussert; so am Martinsrain, an der Bettingerstrasse, am Hellring und an der Hackbergstrasse. Bei allen Verkäufen behielt sich Alexander Clavel die Plangenehmigung vor. Seine künftigen Nachbarinnen und Nachbarn mussten sich folgenden Grundbucheintrag gefallen lassen: «Auf dem belasteten Areal darf weder eine Wirtschaft, noch ein lärmendes oder übelriechendes Gewerbe, so namentlich keine Ziegelbrennerei, Dampfsäge, Knochenstampfe oder Anilinfabrik errichtet werden.» Der in Kleinbasel aufgewachsene Sohn eines Industriellen wollte nicht, dass seine Vergangenheit ihn einholte. Dem Zonenplan, der eine Industrieansiedlung ohnehin verhindert hätte, misstraute er offensichtlich.


Der Strassennetzplan der Gemeinde Riehen sah vor, die Wenkenstrasse durch den englischen Landschaftspark zu verlängern und mit dem neugeschaffenen Hellring zu verbinden. Das Areal nordöstlich der Reithalle wäre damit zur Bebauung freigegeben worden. Die Gemeinde wusste das zu verhindern, indem sie dieses 25 400 Quadratmeter umfassende Grundstück 1978 zum stolzen Preis von 4,6 Millionen Franken erwarb und in die Grünzone legte. Deshalb endet die Wenkenstrasse immer noch und hoffentlich für alle Zeiten am nördlichen Rand des weiträumigen Parkes.


Im Dezember 1954 errichteten Alexander und Fanny Clavel die Alexander-Clavel-Stiftung und verzichteten damit auf ihre Rechte an dem von ihnen in fast 50-jähriger Arbeit auf- und ausgebauten Werk – ein einmaliges Geschenk an die Bevölkerung einer ganzen Region. Im selben Jahr erwarb die Gemeinde Riehen die Reithalle und denjenigen Teil des englischen Landschaftsparks, der ausserhalb der Bauzone lag. Das Ehepaar Clavel hatte sich sowohl gegenüber der Stiftung als auch gegenüber der Gemeinde Riehen ein Wohn- und Nutzungsrecht bis zu ihrem Ableben oder ihrem Wegzug ausbedungen. 


1967 starb Fanny Clavel. 1968 heiratete Alexander Clavel Elisabeth Dyga, die Mutter seines Sohns Clifford, und zog 1969 in den Tessin. Damit sahen sich sowohl die Stiftung als auch die Gemeinde Riehen plötzlich vor die Aufgabe gestellt, auf dem Wenken operativ tätig zu werden und ihre Besitzrechte auszuüben. Die Stiftung unterzog die Villa Wenkenhof einer schon längst fälligen Renovation, die Gemeinde Riehen tat sich anfänglich etwas schwer mit der ihr zugefallenen Reithalle. 


Es war bald einmal klar, dass vom Pferdesport Abschied genommen werden musste. Im Gespräch waren anfänglich ein Probe- und Aufnahmestudio für das von Zürich nach Basel dislozierte Radio-Symphonieorchester oder die Unterbringung einer historisch bedeutenden Porzellansammlung, die heute im Museum zum Kirschgarten ihre Bleibe gefunden hat. Schliesslich entschied der Gemeinderat, die eigentliche Reithalle für gesellschaftliche und kulturelle Anlässe herzurichten, wobei auch die Ausübung von Saalsportarten möglich sein sollte. Im nordwestlichen Seitenflügel entstand das Café Reithalle. Seit 1980 ist die Reithalle öffentlich zugänglich.


Auf der Seite der Gewinner


Am Beispiel von Alexander Clavel lässt sich eindrücklich aufzeigen, wie eng Weltgeschichte mit Wirtschafts- und Sozialgeschichte verbunden ist. Das war bereits Staatsarchivar Andreas Staehelin aufgefallen: Clavels geschäftliche Tätigkeit müsse als Ganzes gesehen werden, schrieb er 1985 in einem Brief an den Stiftungsrat der Alexander-Clavel-Stiftung. Clavel selbst habe in seinem ‹Buch zum Wenkenhof› diese Zusammenhänge zwar deutlich aufgezeigt – verschwiegen habe er aber die, milde ausgedrückt, fragwürdige Lohn- und Sozialpolitik seiner Firma.5 


Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 hatte einschneidende Folgen für die Wirtschaft. Alles, was dem heiteren Lebensgenuss diente – wie reich verzierte Kleider –, war nicht mehr gefragt. Für farbenfrohe Stoffe und Bänder bestand innert kürzester Zeit keine Nachfrage mehr. Das hätte das Ende der Clavelschen Fabriken bedeuten können, doch so weit kam es nicht: Jede Krise hat ihre Verlierer, aber auch ihre Gewinner; und Alexander Clavel stand eigentlich immer auf der Seite der Gewinner.


Alexander Clavel erfüllte seine militärische Dienstpflicht als Adjutant von Oberstkorpskommandant Audéoud im Stab des 1. Armeekorps. Das brachte ihn in die Nähe von General Wille. Im August 1914 rückten die Schweizer Wehrmänner noch in blauen Uniformen und mit dem Tschacko auf dem Tornister zu ihren Einheiten ein. Im Lauf der Kriegsjahre erfolgte dann die Umrüstung auf Stahlhelm und feldgraue Uniformen. Clavel & Lindenmeier verdienten beim Färben der Stoffe für 400 000 Uniformen kräftig mit. Das ganz grosse Geld floss den Clavels aber von anderer Seite zu.


1912 hatte Alexander Clavel zusammen mit Partnern die Celanit-Gesellschaft gegründet für die Fabrikation von Acetylcellulose, die als Grundlage für die Herstellung von nicht entflammbarem Celluloid und später von Kunstseide diente. Als Nebenprodukt des Fabrikationsvorgangs entstand ein Lack, der sich hervorragend für die Imprägnierung der mit Baumwolltüchern bespannten Doppeldecker-Flugzeuge eignete. Anfänglich wurde dieses Produkt nach Deutschland geliefert, um Zeppeline damit zu imprägnieren. Das änderte sich bei Kriegsausbruch jedoch schlagartig. Der franco- und anglophile Alexander Clavel belieferte fortan exklusiv die alliierte Seite. Der Bedarf an diesen Flugzeuglacken scheint enorm gewesen zu sein, er konnte jedenfalls von Basel aus nicht gedeckt werden. Alexander Clavel expandierte nach England. Der Erste Weltkrieg wandelte schwere Verluste in grosse Gewinne um. Unterstützt von einer grossen Finanzgruppe, baute Clavel für die englische Regierung eine Fabrik in Spondon bei Derby in Mittelengland auf. Bereits nach acht Monaten nahm die British Chemical Company, später British Celanese Limited, den Betrieb mit 12 000 Arbeitern auf und stellte Aeroplan-Lacke für die Alliierten her.6


Der Zusammenhang zwischen der in Rekordzeit erstellten Fabrik mit den 12 000 Arbeiterinnen und Arbeitern und den Geldströmen, die in den Wenkenhof flossen, ist unverkennbar. Die Bezeichnung ‹Kriegsgewinnler› gehört zu dieser Erfolgsgeschichte: Wie sonst wäre zu erklären, dass Alexander Clavel, der bei seiner Verehelichung bescheidene 100 000 Franken besass, den Wenkenhof erwerben, glanzvoll umbauen und einrichten konnte sowie 26 Hek-taren Land (heutiger Wert: 300 Millionen Franken) kaufen, eine Reithalle bauen und einen prächtigen englischen Landschaftspark errichten konnte, ganz zu schweigen von einem erstklassigen Reitstall. Das Ehepaar huldigte einem Lebensstil, der eines deutschen Kleinfürsten würdig gewesen wäre. Fanny Clavel ging bei Fredy Spillmann ein und aus, dem damals führenden (und teuersten) Basler Couturier, und ihre Schmuckschatulle war mit erlesenen Werken der Juwelierkunst gefüllt.


Die Situation hätte grotesker nicht sein können: Zur selben Zeit, als der Zar vom Thron gestürzt wurde und in Russland die Schlösser brannten, erbauten sich die Clavels im friedlichen Riehen 1917 ihren opulenten, aufs Prächtigste ausgestatteten Landsitz. In der zurückhaltend auftretenden Basler Oberschicht kam dies nicht immer gut an. Missbilligend äusserte sich etwa Jakob Frey-Clavel, der Ehemann von Clavels Nichte: «Unter Xandi wurde auf dem Wenkenhof geschletzt.»7


Mitverantwortlicher am Basler Generalstreik 


Nach dem Kriegsende am 11. November 1918 sistierten die Kriegsministerien sämtliche Aufträge. Alexander Clavel stand einmal mehr vor einer völlig neuen Situation. Die Erfindung der Kunstseide ‹Peau d’Ange› trug dazu bei, ihn wieder auf Erfolgskurs zu bringen.8 Diesen bedrohten nun aber gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen.


Weitaus tragischere Folgen als der Landesstreik im November 1918 hatte der auf Basel beschränkte Generalstreik für Clavels Geschäfte, der am 31. Juli 1919 ausbrach. Eine Aussperrung in der Färberei Clavel & Lindenmeier war sogar dessen äusserer Anlass: Nach spannungsgeladenen Verhandlungen und gegenseitigen Provokationen, die sich über Tage hingezogen hatten, solidarisierten sich die Staatsangestellten mit ihren Kollegen aus der Privatwirtschaft und legten ebenfalls die Arbeit nieder.


In den Jahren des Ersten Weltkriegs waren die Lebenshaltungskosten um 200 Prozent gestiegen, die Löhne hingegen lediglich um 145 Prozent für Frauen und um 160 Prozent für Männer angehoben worden. Die niedrigsten Löhne weit und breit zahlten Clavel & Lindenmeier. Zudem war die wöchentliche Arbeitszeit von 57,75 Stunden erst im Frühjahr 1919 auf 48 Stunden gesenkt worden. Das Basler Fabrikarbeiterproletariat hungerte und lebte in überbelegten Wohnungen. Die Tuberkuloseerkrankungen waren sprunghaft angestiegen, Grippeepidemien forderten Tausende von Toten. So bedurfte es nur noch eines an und für sich nichtigen Anlasses, um diesen Streik auszulösen. Aufgeschreckt durch die seit dem Sommer 1917 periodisch aufflackernden Demonstrationen und Gewaltakte, war auch in Basel von rechtsbürgerlichen Kreisen eine Bürgerwehr gebildet worden. Ihre Aufgabe war es, Hab und Gut der Besitzenden, namentlich die Villen im Gellert, aber auch Banken, Telefonzentralen und andere Infrastruktureinrichtungen zu schützen und der Polizei in ihrem Kampf gegen die demonstrierende Arbeiterschaft und die Jungburschen zur Seite zu stehen. Alexander Clavel war als Kompaniechef Kreis II Kommandant eines dieser verfassungsrechtlich illegalen Bürgerwehr-Detachemente. Somit begegnete er seiner Arbeiterschaft lieber bewaffnet und hoch zu Ross statt entgegenkommend, obwohl die Lohnpolitik seiner Firma den Generalstreik provoziert hatte.9


Würdigung einer Person und ihres Lebenswerks


Alexander Clavel und seine Frau Fanny Clavel-Respinger erfreuten sich ihres Besitzes und liessen andere daran teilhaben, indem sie ein offenes, gastliches Haus führten. Neben bekannten Schriftstellern und Künstlern gehörten auch Politiker zu den Freunden des Hauses. Mitunter stellten die Clavels ihre Räumlichkeiten auch für Empfänge der Regierung oder internationaler Organisationen zur Verfügung.10 Noch mehr Gäste strömten in den 1950er-Jahren jeweils zu den Empfängen der Mustermesse in der Reithalle, die kurzfristig zu einem Bankettsaal umgestaltet wurde.


Die Ehe Clavel-Respinger war kinderlos geblieben. Die Nachricht von der Errichtung der Alexander-Clavel-Stiftung wurde deshalb in Riehen und Basel mit Erleichterung aufgenommen. Die Stiftungsurkunde trägt das Datum 11. Dezember 1954. Das Stifterpaar bekundete darin die Absicht, seinen gesamten Besitz und somit auch das Juwel ‹Neuer Wenken› der Nachwelt ungeschmälert zu erhalten. Alexander war damals 73, Fanny 71 Jahre alt. 


Es ist nicht leicht, Alexander Clavel als Person gerecht zu werden. Er war keinesfalls ein kaltschnäuziger Manager, für den die Gewinnmaximierung das einzige Lebensziel darstellte. Als Industriepionier war er zukunftsorientiert und extrem risikofreudig. Seine breit angelegten künstlerischen Interessen galten eher Ausdrucksformen der Vergangenheit. Seine soziale Rolle dominierte die Repräsentationsfreude, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg in den oberen Gesellschaftsschichten gepflegt wurde – mitunter mit reaktionären Zügen. Bei aller Weltoffenheit und Weltläufigkeit war Alexander Clavel geprägt von seiner Herkunft und Umgebung. Er verkehrte unter Seinesgleichen: in einer Gesellschaftsschicht, die es als gottgegeben hinnahm, dass es Reiche und Arme gab, unter Menschen, denen das Geld aus Erbschaften, Industriebeteiligungen, Lizenzen und gewagten Spekulationen zufloss. Mit seinen Angestellten, die sich ihren bescheidenen Lohn in einem harten 10-Stunden-Tag erarbeiten mussten, hatte er nur indirekt zu tun.


Die Alexander Clavels Lebenslauf bestimmende Exzentrik schmälert seine Verdienste um den Wenkenhof nicht. Dass dieser in seiner ganzen Pracht der Nachwelt erhalten blieb und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte, ist aber nicht allein das Verdienst seines kunstsinnigen Schöpfers. Dazu beigetragen haben auch – obwohl ungefragt und unfreiwillig – die vielen Hundert Kleinbasler Färbereiangestellten mit ihrem kärglichen Lohn sowie Tausende von englischen Rüstungsarbeitern – es werden vorwiegend Arbeiterinnen gewesen sein – während des Ersten Weltkriegs. 


Alexander Clavel starb am 22. November 1973 mittellos im Tessin; seine zweite Frau hatte sein restliches Vermögen durchgebracht. 


1 Antonia Schmidlin: Clavel, Alexander, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), online-Version, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D29866.php, Zugriff: 23.08.2017.


2 Alexander und Fanny Clavel-Respinger: Das Buch vom Wenkenhof, Basel 1957, S. 32.


3 Ebd., S. 134f.


4 Ebd., S. 144.


5 Brief von Staatsarchivar Andreas Staehelin an den Stiftungsrat der Alexander-Clavel-Stiftung von 1985, Privatsammlung Gerhard Kaufmann, Stiftungsrat der Alexander-Clavel-Stiftung 1974–2005.


6 Vgl. Clavel-Respinger, S. 128; Autobiografie von Alexander Clavel, Typoskript, September 1970, Privatsammlung Gerhard Kaufmann; Personalien von Alexander Clavel, Typoskript, undatiert, S. 5, Privatsammlung Gerhard Kaufmann..


7 Brief von Jakob Frey-Clavel an Michael Raith vom 04.01.1985, Privatsammlung Gerhard Kaufmann.


8 Clavel-Respinger, S. 135–138.


9 Vgl. Hanspeter Schmid: Krieg der Bürger. Das Bürgertum im Kampf gegen den Generalstreik 1919 in Basel, Zürich: Rotpunkt 1980. 


10 Clavel-Respinger, S. 72–98. 


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2017

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