Alfred Soder - ein Spätromantiker

Hans Krattiger

Als im Mai/Juni 1978 im Gemeindehaus Riehen mit einer Gedächtnis-Ausstellung das Schaffen der mit Riehen verbunden gewesenen Künstler Paul Kammüller-Lüscher (1885-1946) und Adolf Glattacker (1878-1971) gewürdigt wurde, hätte eigentlich in diese Ausstellung das Werk des von 1921 bis 1956 in Riehen an der Garbenstrasse 14 wohnhaft gewesenen Zeit- und Altersgenossen Alfred Soder (1880-1957) miteinbezogen werden müssen. Mit beiden hatte er vieles gemeinsam: mit dem Markgräfler und «ängelimooler» Glattacker das Verwurzeltsein in der Spätromantik, mit dem Schwager von Jean Jaques Lüscher die Tätigkeit an der Allgemeinen Gewerbeschule (AGS), an der sich Paul Kammüller als Begründer der Graphikklasse einen Namen machte, mehr aber noch die Gemeinsamkeit der beiden Künstler auf dem Gebiet der Graphik, bei Alfred Soder speziell der Radierung. Es blieb leider bei der Doppelausstellung Kammüller/Glattacker. Die zweite Möglichkeit, Soders Werk in Erinnerung zu rufen, hätte sich 1980 mit einer Gedenkausstellung zum 100. Geburtstag gegeben. Dass auch diese nicht zustande kam, hatte seine Ursache nicht zuletzt im Wesen von Alfred Soder, dessen Bescheidenheit so weit ging, dass er sich als Maler nicht mit den gleichzeitig in Riehen niedergelassenen Künstlern wie Paul Basilius Barth, Numa Donzé, Jean Jaques Lüscher und Nikiaus Stoecklin messen wollte und mit seinen Bildern selten an die öffentlichkeit trat. Es verwundert deshalb auch nicht, dass sich im Kunstbesitz der Gemeinde Riehen keine einzige Arbeit von Alfred Soder findet. Ein Blick in den Nachlass, vermittelt durch Soders Enkel, den Photographen Hansruedi Clerc, macht jedoch deutlich, dass es berechtigt ist, Alfred Soder und sein Werk der Vergessenheit zu entreissen; mit einer Würdigung im Riehener Jahrbuch 1992 sei deshalb ein Stück weit auch für eine Unterlassungssünde Abbusse geleistet.

Als Sohn des Gerichts-Amtmanns August Soder-Buser (1 832-1906) und Spross eines alten Möhliner Geschlechts am 19. Juli 1880 in Basel geboren, wuchs Alfred Soder in einem Altstadthaus am Nadelberg 19 auf und schloss die Schulzeit mit der Maturität ab. Der Ausbildungsweg führte ihn jedoch nicht an die Universität, sondern an die Gewerbeschule; denn schon im Knabenalter machte sich das angeborene künstlerische Talent bemerkbar, wie unter anderem eine aquarellierte Landschaftsstudie des Sechzehnjährigen als Geschenk für seine Mutter beweist. Nach zwei Jahren Gewerbeschule (1898-1900), wo vor allem Fritz Schider sein wegleitender Lehrer war, begab sich Alfred Soder nach München und erhielt während des vierjährigen Aufenthalts bei den Kunstakademie-Professoren Ludwig Herterich und Heinrich Zügel eine solide Ausbildung, hauptsächlich auf dem Gebiet der Graphik, dem Kunstzweig, für den sich Soder besonders interessierte und in dem er als talentierter Zeichner zu reüssieren hoffte. Mit Recht, wie sich bald einmal zeigte. Von München aus bewarb sich Soder um eine Lehrstelle an der Gewerbeschule seiner Vaterstadt, wurde als kaum Fünfundzwanzigjähriger gewählt und unterrichtete während 36 Jahren bis zu seinem Rücktritt anno 1940 in den Fächern Zeichnen und Radieren. Erst jetzt, der Schulpflichten ledig, griff er vermehrt zu Pinsel und Palette, wobei er vor allem das Aquarellieren pflegte, daneben aber auch Bilder in öl (Stilleben) und Pastell entstehen liess. Als er - einundsiebzigjährig einen Schlaganfall erlitt, musste er auch das Malen aufgeben. Sechs Jahre später, am 26. Januar 1957, starb Alfred Soder.

Berühmt als Gestalter von Exlibris

Als hervorragender Zeichner und die Technik des Radierens meisterhaft beherrschender Graphiker wurde Alfred Soder schon um die Jahrhundertwende weit über Basel hinaus bekannt und mit seinen Exlibris, die damals neben dem eigentlichen Zweck, der Besitzeranzeige eines Buches, auch als Sammelobjekte gesucht waren, ein bereits so geschätzter Künstler, dass Jules Coulin im Schweizerischen Künstlerlexikon (Band 4, Seite 622) um 1915 schreiben konnte: «Zu seinen interessantesten Exlibris zählen die mehrfarbigen Radierungen, die an Zartheit die Blätter Vogelers (Heinrich Vogeler, 1 872-1942, bekannter Jugendstilmaler, der Verf.) nicht selten übertreffen.» Erwähnt wird, dass AI fred Soder an der «Bugra», einer Buchgraphik-Ausstellung in Leipzig, 1914 der Grosse Preis für angewandte Graphik zuerkannt wurde. Und Richard Braungart schreibt in seinem Artikel «Alfred Soders neuere Exlibris» (Zeitschrift unbekannt) anno 1920: «Man spürt den Träumer, Dichter und Phantasten», und weiter: «Soder ist eben das, was er ist, ganz: Lyriker, Idylliker und Romantiker.» In den «Basler Nachrichten» vom 25. Oktober 1970 lobt Othmar Birkner in seiner Abhandlung über «Basler Exlibris des Jugendstils» Alfred Soder als «Exlibris-Künstler par excellence», dessen mehrfarbige Radierungen «in ihrer verfeinerten Technik kaum übertroffen» werden. Bezüglich der Motive war Soder, in den Fussstapfen Ludwig Richters schreitend, mit seinen Engeln und Putten, Lieren und Menschen in idyllischer Landschaft ein ausgesprochener Spätromantiker - und das in einer Zeit, als im Kunstbetrieb der Jugendstil tonangebend wurde. Auch Hansruedi Clerc sieht seines Grossvaters geistige Heimat in der Romantik, wenn er von dem auch musikalisch Begabten und vor allem für Modest Mussorgskijs Oper «Boris Godunow» Schwärmenden betont: «Ich glaube, die Musik der Romantik hatte ihm Inspirationen geliefert.» Bis anfangs der zwanziger Jahre, als - im Zusammenhang mit Inflation und Wirtschaftskrise - das Bestellen und Sammeln von Exlibris aus der Mode kam, entstanden weit über hundert Exlibris, die unverkennbar Soders Stil und seine Eigenständigkeit als Graphiker bezeugen.

Als Lehrer streng und genau

So fabulierfreudig und romantisch Alfred Soder als Mensch und Künstler war, so streng war er sich selber und seinen Schülern gegenüber als Lehrer, von dem Friedrich Reinhardt in einer Gratulation zum 70. Geburtstag in den «Basler Nachrichten» vom 18. Juli 1950 schrieb: «Die Schüler Alfred Soders haben noch wirklich zeichnen gelernt. Wohl liess er jedem seine Eigenart, aber alles <Ungefähr> und <Alsob> war ihm verhasst. Er verlangte genaues Beobachten und Erkennen des Wesentlichen, auf das es ankommt, und dann dessen klare und unzweideutige Wiedergabe in sauberer und materialgerechter Ausführung.» Eine Pädagogik, die zwar bei gewissen Schülern und Schülerinnen dem Lehrer den Ruf eines «Tüpflischyssers» eintrug, die aber auch heute noch ihre Berechtigung haben dürfte. Oft ging Soder mit seinen Schülern zum Zeichnen «nach Natur» auch in den Basler Zolli, wobei er dann und wann selber zum Zeichenstift griff.

Alfred Soder als Maler

Es ist bezeichnend, dass Alfred Soder in all den oft sehr ausführlichen Publikationen als Radierer zwar über alle Massen gelobt wird, als Maler jedoch kaum Erwähnung findet. Er teilt diesbezüglich das Schicksal seines etwas älteren, ebenfalls in Riehen wohnhaft gewesenen Kollegen Hans Frei (1868-1947), der als Medailleur schon in jungen Jahren weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt, als Maler hingegen kaum beachtet wurde. Die Gedächtnis-Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag im Riehener Gemeindehaus (1968), wo neben dem Medailleur auch der Maler Hans Frei zur Geltung kam, machte deutlich, dass er primär ein Künstler und sekundär ein perfekt arbeitender Medailleur war. Das gilt auch für Alfred Soder, und eine Ausstellung seines malerischen Werks, vor allem seiner auf Bergwanderungen und Reisen in den Süden entstandenen Aquarelle, die einen Vergleich mit denjenigen von Hans Sandreuter nicht zu scheuen brauchen, würde aufzeigen, dass Soder auch als Maler Beachtung verdient. Wie auf dem Gebiet der Graphik beherrschte er handwerklich ebenso auf dem der Malerei die verschiedenen Techniken, war beim Malen ein untrüglicher Beobachter, doch seinem romantischen Wesen entsprechend bestrebt, in seinen Bildern die atmosphärische Stimmung einzufangen. Sein Enkel erlebte ihn noch als Maler; denn Alfred Soder, verheiratet gewesen mit Emilie Frieda, geborene Merzenich, weilte oft und gern bei seiner mit dem Arzt Paul Alfred Clerc verheirateten Tochter Eva im glarnerischen Niederurnen, während der Sohn Paul als Elektroingenieur sich in Erlenbach ZH niederliess. In seinen «Erinnerungen» schreibt Hansruedi Clerc: «Er aquarellierte dort (oberhalb Braunwald) die sogenannte <Tüfelschilche>. Er war beim Malen immer installiert mit seiner Staffelei und seinem Klappstühlchen, um sich herum auf Steinen die unzähligen Töpfchen und Farbtuben und Pinsel... Er erklärte immer, wenn er eine Unordnung um sich habe, wären seine Bilder entsprechend unordentlich.»

Abgerundet wird das künstlerische Schaffen von Alfred Soder, der Mitglied der Basler Künstlergesellschaft war, durch kraftvolle Holzschnitte, Buchtitel-Illustrationen und Gebrauchsgraphik für Firmen.

Alfred Soder verbrachte seine letzten Lebenstage im Felix Platter-Spital, wo ihn der Enkel einen Tag vor seinem Tod zum letzten Mal sah. «Er realisierte noch, wer ich bin», schreibt Hansruedi Clerc, «und fragte mich immer wieder: «<Hörst du die Musik - so höre sie doch - sie kommt von weit her und ist wunderschön - hörst du sie?>» - Ich bedaure, diesen liebenswerten Menschen, der nicht mehr scheinen wollte als er war, persönlich nicht gekannt zu haben.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1992

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