Alte Brunnen in Riehen

Paul Hulliger

Im Jahrbuch 1963 wies der Schreibende in seinem Aufsatz: «Riehens Brunnen und ihre Quellen» darauf hin, daß bei der großen Zahl von alten und neuen Brunnen, die es in Riehen gibt, sich eine Zweiteilung ihrer Beschreibung aufdränge. Weil die öffentlichen Brunnen jedermann ohne weiteres zugänglich sind, wurden diese vorweggenommen. Jetzt folgen ihnen die weniger bekannten privaten Brunnen nach; sie sollen so weit als möglich den Lesern des Riehener Jahrbuches anhand von Abbildungen in mehreren Folgen unterbreitet werden. Sie verdienen es. Es sind zum großen Teil alte Brunnen, die seit 150, 200 und 300 Jahren fließen.

Das Bestehen dieser Brunnen hängt damit zusammen, daß Riehen bis vor 150 Jahren nicht nur ein Dorf mit 50 Bauernbetrieben und mit acht Rebgebieten war, sondern sein Gesicht recht eigentlich erhielt durch die 14 Landsitze vornehmer Basler Familien, der Bischoff, Burckhardt, Heusler, Zaeslin, La Roche, Sarasin, Vischer, Le Grand usf. Viele von ihnen weisen, soweit sie noch bestehen, zwei, manchmal sogar drei Brunnen auf. Im ganzen sind noch über zwei Dutzend erhalten. Die Brunnenanlage nimmt häufig einen bevorzugten Platz ein; einzelne Brunnen stehen zu Beginn oder am Ende einer schattenspendenden Baumallee. Alle befinden sich in der unmittelbaren Nähe des Wohnhauses, entweder in einem von den verschiedensten Bauten (Herrschafts- und Dienstenwohnung, Tenne, Kuh- und Pferdestallung, Remisen für die Kutschen) umstellten oder von Mauern umschlossenen Hof. Sie dienten Mensch und Tier. Das blieb so Jahrhunderte hindurch, bis der Mensch im 19. Jahrhundert die Holzdeuchel mit ihrem starken Wasserverlust durch eiserne Röhren zu ersetzen verstand, die im Zusammenhang mit der neuen Trinkwasserversorgung dem Druck von Pumpwerk und hochgelegenen Sammel- und Speicherbecken standzuhalten vermochten. Damit wurde die Zuleitung des Wassers ins Innere des Hauses, in Küche, Waschküche und Badzimmer möglich. Um die Hofbrunnen wurde es ein erstes Mal stiller; die Wasserträger und -trägerinnen mit ihren Zubern und Kupferkesseln verschwanden ganz; die Wäscherinnen fanden in den Waschküchen nicht nur das unentbehrliche Wasser vor, sondern auch Schutz vor den Unbilden der Witterung. Noch vermehrte Stille legte sich über die Höfe der Herrschaftshäuser und ihre Brunnen, als Kuh- und Pferdestallung sich mehr und mehr zu leeren begannen. Die Herrschaft erhielt von der Molkerei einwandfreie Milch; das Pferd gar wurde mit dem Aufkommen des Autos völlig überflüssig, mit ihm Chaise, Kutsche und Droschke ! Wagenschopf und Stallungen verwandelten sich in Garagen.

Der alte Hofbrunnen ist bloß noch Zeuge einer vergangenen Zeit. Vorerst fließt er noch, aber wie lange? Die Gefahr ist groß, daß man ihn zerfallen läßt und eines Tages ganz beseitigt. Das bedeutete einen Verlust für Riehen und seine Bevölkerung. Das Wasser, das in Küche und Badzimmer den Hahnen entspringt, beeindruckt unser Gemüt nicht. Wieviel stärker wirkt der Brunnen mit dem gleichmäßigen Lauf des glitzernden Wasserstrahls und dem zur Besinnlichkeit mahnenden ruhenden Element mit dem klaren Wasserpiegel! Der heutige Mensch gewöhnt sich von jung an so sehr an das Auf- und Zudrehen des Wasserhahns, daß er dabei weder etwas denkt, noch fühlt. Er empfindet daher auch keine Dankbarkeit für die Gottesgabe und wird erst recht nicht zur Lobpreisung angeregt.

Wahrhaftig, die alten Brunnen Riehens sind es wert, als Zeugen einer vergangenen Kultur für die heutigen und zukünftigen Bewohner erhalten zu werden. In ein Museum kann man einen Brunnen nicht gut versetzen; denn ohne Wasser gleicht er einem Leichnam. Das erfuhr Riehens Bevölkerung, als vergangenes Frühjahr zahlreiche Brunnen wochenlang ohne Wasser dastanden. Instandgestellt und unterhalten beleben die alten Brunnen — Kunstwerke von Bildhauern — jeden Hof und jeden Garten.

Anhand von Photos soll die Schönheit der alten Riehener Brunnen aufgezeigt werden. Es geschieht mit dem Ziel, eine so starke Zuneigung zu ihnen wachzurufen, daß jeder neue Anblick eines alten Brunnens das gleiche Gefühl der Freude erweckt wie die Begegnung mit einem lieben Mitmenschen.

Der Brunnen des Wettsteinhofes (Siehe Abbildung Seite 80)

Die Brunnenanlage im Hof des Wettsteinhauses ist wohl die am meisten durchgebildete des alten Riehen. Das gilt für die bei ihr zutagetretende strenge über- und Unterordnung, für die ausgeglichenen Verhältnisse zwischen ruhenden Waagrechten und aufsteigenden Senkrechten und zwischen runden und geradlinigen Formen. Die beiden schwärzlichgrünen Bronzeröhren mit ihren Silberstrahlen bleiben, bei allem vorhandenen Reichtum an Formen, bestimmende Mitte. Die Anlage umfaßt zwei waagrechte Glieder: Bodenplatte und Trog und drei senkrechte: den Röhrenstock mit Aufsatz und krönender Urne. Der Röhrenstock bildet als Mittelstück zwischen den beiden ruhenden und den zwei aufsteigenden Gliedern das Hauptstück des Brunnens. Das Heuslersche Wappen in der Mitte der Vorderwand des Troges ist bestimmt erst 1892, als der über 100 Jahre ältere, ursprüngliche Brunnen wegen Baufälligkeit ersetzt werden mußte, hinzugekommen. Es ist gut eingefügt, lenkt aber seines Formreichtums wegen (zwei Wappen, Helm, Aufsatz mit Häuschen und zwei Hörnern, viel Blattwerk) leicht vom Brunnenzentrum ab und beeinträchtigt die Einheit. Ohne es wäre die Anlage noch eindrücklicher in ihrer Ruhe und Geschlossenheit.

Die dem Trog auf drei Seiten vorgesetzten, 80 cm breiten, 12 cm hohen sieben Bodenplatten aus hellem Kalkstein setzen ihn zum Boden in Beziehung, ohne die Zugehörigkeit zum Brunnen zu verleugnen: Die beiden vorderen Eckplatten weisen die gleiche zurückgesetzte Rundung wie die Trogecken auf. Die Ausmaße dieser steinernen Vorlage des Brunnenbeckens (4,40x3,70 m) sind ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Brunnen früher im 10 Meter breiteren hinteren Teil des Hofes stand. Am heutigen Standort, dem Treppenhaus gegenüber, engt er den Hof ein und liegt zu nahe bei der Eingangspforte.

Und nun das Hauptstück des Brunnens, der Röhrenstock, zwischen Trog und abschließender Hofmauer, ein Quader von 50 cm Seite, 136 cm hoch, 60 cm in gleichbleibender Breite über den Trog hinaufragend. Er berührt die hintere Trogwand, in deren Gesims er einschneidet. Sowohl der Sockel des Troges wie sein Gesims umfassen als 3 cm dicke Brettform auch den 75 cm hohen Sockel des Röhrenstockes. Zwischen beiden steigt die gleiche bretterförmige Ausladung empor, die auf den drei Trogwänden die Waagrechte betont. Beim überragenden, eigentlichen Röhrenstock sind sowohl die Vorderwand wie die beiden Seitenwände durch je fünf Kannelüren von 49 cm Höhe ausgezeichnet, die breiter sind als jene der Trogrundungen, aber nur oben ausgerundet, unten schräg-gerade auslaufend. Allen drei Wänden — die Rückwand ist völlig kahl ist je eine 5 cm dicke runde Platte von 18 cm 0 vorgelagert und über sie im strengen Stil des Brunnens ein 9 cm dicker Lorbeerkranz mit sechs Blätterfolgen samt Früchten und Diagonalkreuzband oben so gelegt, daß die beiden Enden über die Platte hinunterhängen. Die drei Kränze weisen abwärts und stimmen ernst wie die den Stock krönende Urne. Der Steinplatte der Vorderseite ist eine dunkle, nach vorn sich leicht verjüngende Bronzeplatte vorgesetzt; auf ihr sitzen wie Augen die zwei schräg nach außen gerichteten Röhrenfassungen. In ihnen stecken die beiden 35 cm langen, ganz einfachen, nach vorn sich verjüngenden Bronzeröhren — die Größe des Brunnens erforderte zwei —, nur mit dünnen Metallbändern gegliedert. Beide Wasserstrahlen von s/t cm Dicke springen 40 cm nach vorn, wo sie, nicht ganz so weit voneinander entfernt, auf dem Wasserspiegel aufschlagen; ihre Silberblasen und Bläschen streben den beiden äußern Brunnecken zu.

Der gleichfalls vierkantige, 96 cm hohe, gegenüber dem Röhrenstock schmäler und schlanker gewordene, mit ihm jedoch einen Monolith bildende Aufsatz, praktisch ebenfalls unnötig, um so notwendiger in ästhetischer Hinsicht, bringt gegenüber der Wucht des Troges die Senkrechte genügend zur Geltung. Auf allen vier Seiten blieben, wie bei den Trogwandungen, vorstehende Platten bestehen; ihre Ecken jedoch, seitlich leicht einwärts zurückgenommen, sind nach außen gerundet, was wesentlich beiträgt zur aufstrebenden Wirkung des Aufsatzes hin zur Urne. Unten mit einem wohl proportionierten Sockel beginnend, erfolgt sein Abschluß oben bloß mit eingezogener Platte. Auf ihr ruht, nochmals schmäler als Röhrenstock und Aufsatz, ein stimmungsvolles, urnenähnliches, an die Vergänglichkeit des Lebens erinnerndes Gebilde. Sein Fuß ist der gleiche wie jener des ovalen Brunnens hinter dem Sarasinhof an der Rößligasse. Dann folgt das Karnies, ein uraltes wellenförmiges Profil mit dem 12 cm hohen Gürtel darüber und den abschließenden Deckelformen. Stellen die die Urne beherrschenden Waagrechten, Ausdruck des ruhenden Seins, die Beziehung zum Brunnentrog mit dem ruhenden Lebenselement wieder her, tritt der unermüdlich fließende, blinkende Wasserstrahl mit dem gleichbleibenden Tonrhythmus als Sinnbild des tätigen Lebens um so stärker ins Bewußtsein. Die Brunnenanlage des Wettsteinhofes ist gleich schön und ergreifend in ihren Maßen wie in ihrem Gehalt.

Der Zaeslinbrunnen (Siehe Abbildung Seite 81) Er erhebt sich heute auf dem Vorplatz des neuen Gemeindehauses, das sich an der Stelle der früheren Taubstummenanstalt und des noch früheren Zaeslinschen Landgutes befindet. Dem Herrenhaus des Landsitzes, in dem 1955 beim Abbruch die großartigen, 300 Jahre alten Deckenmalereien zum Vorschein kamen, stand das Dienstenhaus gegenüber. Zwischen beiden Gebäudefronten hindurch erblickte man von der Schmiedgasse her unsern heutigen Gemeindehausbrunnen am Eingang einer Baumallee.

Der aus einem einzigen Stück gehauene Trog liegt breit und bodenverbunden da (2,5 m lang, 1,8 m breit und 63 cm hoch). Der an ihn sich lehnende schlanke, drei Meter hohe Röhrenstock — auch ein Monolith — weist dagegen mit seinem Aufbau, einem 1,5 m hohen Obelisk von ungewöhnlich edler Form, uns Menschen hinauf zum Himmel, woher das dem Stock unter ihm entspringende Lebenselement kommt.

Bei zwei öffentlichen Brunnen aus rotem Sandstein, der eine mit der Jahrzahl 1847 bei der Kirche, der andere mit der Zahl 1867 am Eingang der Oberdorfstraße gelegen, sitzt auf dem Röhrenstock gleichfalls ein Obelisk. Beiden kommt nicht entfernt die emporstrebende Kraft des Zaeslinschen Brunnenstockes zu, der aus einer Zeit stammt (zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts), da die Architektur wieder «nach Klarheit und Zartheit» strebte. Die eindringliche Wirkung beruht auf dem schmalen «Hals» zwischen Röhrenstock und Aufbau, gebildet durch das Gesims des ersteren und den Sockel des letzteren, ein spannungsvoller Wechsel von Rundstab, Plättchen und Kehle. Dieser Einschnitt verleiht dem Obelisk, dem unten auf der Vorderseite ein fünfteiliges Blatt mit runder Frucht vorgesetzt ist — seine Dreieckform weist nach oben —, erst so recht die Kraft zum gelösten, mitreißenden Aufstieg in den freien Raum hinauf. Der abschließenden, niedrigen Pyramide zuoberst am Obelisk fällt die Aufgabe zu, die Bewegung aufzufangen und zurückzuführen zum Blatt und dem der Röhre entspringenden Silberstrahl.

Der Künstler, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Brunnen für das Zaeslinsche Landgut geschaffen hat, verstand es auch, die polaren Formen, die Wucht des daliegenden Troges und die schlanke Gestalt des Stockes zu einer Einheit zu verbinden. An Stelle eines Sockels weist der Trog unten einen um 3 cm zurückgesetzten, 8 cm hohen Fuß auf, der ihm die Schwere nimmt und ihn in Beziehung setzt zu den Waagrechten des «Halses» zwischen Röhrenstock und Obelisk. Am kühnen Aufstieg des Obelisk nach oben sind beim Trog die senkrechten Dreischlitze der vier Eckrundungen seiner Wände, Kannelüren von 40 cm Höhe, beteiligt.

Die einzige Einwendung bei diesem hervorragend durchgebildeten Brunnenwerk gilt der dem Troginnern zugesetzten blauen Côte-d'Azur-Farbe, die, weil zu stark, sich vordrängt, herausfällt und stört. Die natürliche Farbe von Stein und kristallklarem Wasser ist viel reicher und schöner.

Trotz der seitlichen Lage beherrscht und belebt der Zaeslinsche Brunnen kraft seiner Form und seiner hellen Steinfarbe den ganzen Vorplatz des Gemeindehauses, dessen räumliche Wirkung er steigern hilft.

Der kleine Brunnen des La-Roche-Gutes am Bachtelenweg (Siehe Abbildung Seite 81) Dieser kleine, aber tiefe Hofbrunnen, mit dem noch kleineren Waschtröglein zu einer Einheit zusammengefaßt, nimmt sich neben seinem mächtigen Bruder bescheiden aus. Dennoch besitzt er Größe. Das liegt daran, daß sich in ihm kantige und runde Form wie in einer glücklichen Ehe männliche und weibliche Tugenden zu einer vorbildlichen Einheit zusammenschließen. Neben der kantig aufgegliederten Blockform des Troges springt die Heiterkeit und Gelöstheit des Röhrenstockes mit Rundplatte, Säule und zur Besinnlichkeit mahnenden Aschenurne als krönendem Abschluß sofort in die Augen. Welch Gegensatz: Die auf den ersten Blick als solche erkennbare Aschenurne über dem unablässig fließenden Wasserstrahl!

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1965

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