Autoren in Riehen Zwanzig Jahre Literatur in der ARENA

Valentin Herzog

Unter dem Titel «Autoren in Riehen» wird jedes Jahr ein Autor oder eine Autorin vorgestellt. In diesem Jahr nehmen wir den Titel wörtlich und präsentieren ALitoren aus 20 Jahren Arena.

 

Es begann an einem schwülen Spätsommerabend des Jahres 1978. In einem Nebenzimmer des Landgasthofs gruppierten sich drei Leute um einen Tisch und fassten nach kurzer Beratung einen Beschluss, über dessen Tragweite sich in diesem Moment wohl keiner ganz im klaren war: Die bis anhin auf die Konzerte der Kunst in Riehen (und damals noch das Riehener Jahrbuch) beschränkte Kulturaktivität des ehrwürdigen Verkehrsvereins (WR) sollte durch eine Literaturkommission ergänzt werden.

Zwei der drei Anwesenden bekleideten bereits wichtige Funktionen im VVR: Paul Müller war Präsident, Beatrice Coerper Sekretärin. Somit gab es über den Vorsitz der neuen Kommission keine lange Debatte: Der Dritte im Bunde musste dran glauben: Der Verfasser dieser Zeilen, Lehrer am Gymnasium Bäumlihof und Literaturkritiker der Basler Zeitung, war gewählt, ehe er sich dessen recht versah. Man schrieb übrigens den 19. September.

Sondierungsgespräche waren dem formlosen Gründungsakt vorausgegangen, stürmische Sitzungen sollten folgen. Denn es ging, wie im 1. Jahresbericht nachzulesen ist, darum, «fast gleichzeitig folgende Aufgaben zu bewältigen: Entwicklung eines Konzepts für literarische Aktivitäten, Entwurf eines Programms, Strukturierung der Arbeitsgruppe zu einem verantwortungsvollen Team, Namengebung».

Das Programm war dank meinen vielfältigen Kontakten mit der damals gut überschaubaren Basler Literaturszene kein allzugrosses Problem. Die Gruppendynamik dagegen drohte bald aus dem Ruder zu laufen - Kompetenzstreitigkeiten führten zum ersten und einzigen Krach in der nun zwanzigjährigen Geschichte der Arena und zum Abgang zweier zornbebender Mitglieder. Seither verständigen sich die Kommissionsmitglieder freundschaftlich über neue Projekte und teilen die Aufgaben kollegial untereinander auf. Besondere Statuten existieren nicht.

Schwierigkeiten bereitete die Suche nach einem passenden Namen: Auf Arena verfiel schliesslich der Nationalökonom Paul Meyer, der während seiner vier Kommissionsjahre manch unkonventionellen Vorschlag einbrachte, beispielsweise ein Podiumsgespräch mit Erika Fuchs, der deutschen Mrs. Mickey Mouse, oder eine Le sung von Eric Ambler, dem Grand Old Man des englischen Thrillers. Dieser kam übrigens nur unter der Bedingung in die Arena, dass er im Hotel Drei Könige untergebracht und dortselbst mit einem «distinguierten Dinner» bewirtet werde.

Unter den Veranstaltungen des ersten ARENA-Winters ist vor allem das Hochhuth-Wochenende unvergesslich: An einem Freitag (23. Februar 1979) diskutierten Rolf Hochhuth und Hans Saner mit einer riesigen Zuhörerschaft hitzig über die gesellschaftliche Verantwortung des Schriftstellers. Tags darauf gab es ein Strassentheater mit Hochhuth-Motiven, einen öffentlichen Apéritif mit dem umstrittenen Autor und abends eine szenische Lesung grosser Dialogpartien aus «Eine Liebe in Deutschland».

Zu den denkwürdigen Publikumserfolgen der ersten Jahre gehört auch jener Abend mit Luise Rinser im Oktober 1983: Als ich mit der von der Reise erschöpften Autorin wenige Minuten vor Veranstaltungsbeginn am Meierhof eintraf, gerieten wir in eine brodelnde Menschenmasse. Erst nach einer Weile begriffen wir: Der Ansturm auf das Gemeindezentrum war so ungeheuer gewesen, dass sich ein rasch entschlossenes Kommissionsmitglied auf die Suche nach dem Schlüssel zur Dorfkirche gemacht hatte, die man uns dann freundlicherweise auch überliess. Bis das tausendköpfige Publikum allerdings seine Plätze gefunden hatte, bis die Mikrophone installiert, die Lautsprecher angeschlossen waren, wurde es beinahe neun Uhr. Dennoch dürfte in dem spätgoti schen Kirchenraum selten so heftiger Applaus erklungen sein, wie er der zierlichen Schriftstellerin aus Rocca di Papa für ihre «Mirjam» gespendet wurde.

Von Anfang an war es das Ziel der Arena gewesen, nicht nur konventionelle Autorenlesungen anzubieten. So experimentierten wir mit verschiedenen Veranstaltungsformen. Manche erwiesen sich als umständlich - etwa der «Autorenstammtisch mit Gästen» -, andere hielten sich erfolgreich über Jahre hinweg. Dazu gehörten die Präsentationen des Riehener Jahrbuchs, die wir von 1979 bis 1985 zusammen mit der Herausgeberin Lukrezia Seiler und den verschiedenen Autoren organisierten - es waren fröhliche Abende mit Musik und Umtrunk, fast kleine Volksfeste. Ausserdem haben wir immer wieder Theatergastspiele, kabarettistische Produktionen, Probenbesuche, Verleger- und Kritikergespräche, thematische Abende und Vorträge wissenschaftlicher Koryphäen wie Edgar Bonjour oder Jeanne Hersch veranstaltet.

Zwei Dinge lagen uns besonders am Herzen: die direkte Literaturförderung und das musikalisch-literarische Projekt. 1984 bis 1988 konnten wir Jahr für Jahr an vier oder fünf Autoren - renommierte wie Urs Widmer oder Silvio Blatter und (damals) noch fast unbekannte wie Martin R. Dean oder Hanna Johansen - einen Werkauftrag erteilen, der darin bestand, exklusiv für die Arena eine Erzählung zu einem bestimmten Thema zu schreiben und diese dann persönlich dem Riehener Publikum vorzustellen. Zum zehnjährigen Bestehen der Literatur-Initiative erschienen diese Texte in einer Anthologie («Texte in der Arena», GS Verlag), die bis heute nichts von ihrer Frische eingebüsst hat. Auch später war es noch möglich, einzelne Werkaufträge zu vergeben. Zu einer - bescheideneren - ARENA-Publikation kam es wieder im Herbst 1998, als die besten Texte des ARENA-Kurzgeschichtenwettbewerbs in der Reihe «logophag» erschienen.

Zu einer Spezialität der Arena hat sich die literarischmusikalische Soiree (oder Matinee) entwickelt. Das Zusammenfügen von Texten, Hintergrundinformationen und Musikstücken zu einem suggestiven Gesamtkunstwerk ist eine reizvolle Aufgabe, die freilich nur gelingen kann, wenn drei Spezialisten ohne Profilneurose kooperieren. Den ersten Versuch in diese Richtung unternahm ich schon 1980 mit der Schauspielerin Eva Hilbck (alias Eva Nussbaumer Regenass) und drei Musikern. Wir schufen ein Programm, das einige der schönsten Barockgedichte mit kurzen Musikstücken aus der Zeit so dicht zusammenführte, dass tatsächlich das «musikalisch-literarische Porträt einer Epoche» (BaZ) entstand. Schon damals legten wir Wert darauf, dass Musik und Text nicht einfach abwechselten, sondern sich an einzelnen Höhepunkten auch überlagerten, was einen starken Effekt macht. (Das Programm existiert übrigens auch als TP: «Der Augenblick ist mein».)

 

Zwar sind gelegentlich auch bekannte Rezitatoren einmal sogar der unvergessliche Gert Westphal - mit musikalischen Begleitern eingeladen worden, doch in der Regel haben wir unsere literarisch-musikalischen Projekte selber erarbeitet. Dabei hat sich mit der Zeit ein eigener Stil entwickelt und ein verschworenes Kernteam, das aus Eva Hilbck, meiner Frau und Musikerin Sylvia HerzogCherbuin und mir besteht, alle zwei oder drei Jahre mit einem neuen Programm an die öffentlichkeit tritt und mehrfach von auswärtigen Veranstaltern eingeladen worden ist. Die letzten Projekte waren George Sand, Fanny Mendelssohn, Voltaire und Wolfgang Borchert gewidmet.

Wie war all das möglich? Woher kamen und kommen die Mittel? Nun, die ARENA-Literatur-Initiative ist (wie Kunst in Riehen und Kaleidoskop) eine vom Vorstand des VVR eingesetzte und diesem zur Rechenschaft verpflichtete Kommission. Sie erhält einen bestimmten Teil jener Summe, womit die Gemeinde Riehen die Kulturarbeit des VVR subventioniert. Mit diesem Betrag - gegenwärtig rund 27 000 Franken im Jahr - und den freiwilligen Spen den der Besucher soll die Arena jährlich acht bis zehn Veranstaltungen anbieten und diese im Interesse der Riehener Imagepflege grosszügig mit Tramplakaten und dergleichen bewerben. Gewisse administrative Aufgaben wie den Versand der Einladungen übernimmt das Sekretariat des Verkehrsvereins. Im übrigen aber wacht die Arena eifersüchtig über ihre Unabhängigkeit. Sie gestaltet ihr Programm, ohne auf Einflüsterungen von aussen zu hören, und ergänzt sich selber durch Kooptation.

Dies ist nicht immer ganz einfach: Im Lauf der Jahre haben 28 Personen der arena-Kommission angehört - oder gehören ihr noch an. Unmöglich, alle zu erwähnen, doch sei wenigstens festgehalten: Es sind (oder waren) 15 Damen und 13 Herren - zwölf mit literaturwissenschaftli chem Studium, sieben mit Buchhandelspraxis, neun aus anderen Berufen.

Ein Mitglied der ersten Stunde war Beatrice Coerper, die während siebzehn Jahren Kraft und Nerven in die Arena investierte, ewig undankbare Administrationsarbeit leistete, aber auch erfolgreiche Programmideen einbrachte und als Buchhändlerin wertvolle Verbindungen herstellte - und das alles, ohne ihren Humor jemals für mehr als eine halbe Stunde zu verlieren. Ebenfalls vom Buchhandel kam Barbara Suter zu uns, die während elf Jahren über Einnahmen und Ausgaben wachte. Zwölf Jahre lang (zusammengerechnet) haben Margaretha und Albert Debrunner - Altphilologin und Germanist - Ideen beigesteuert und umgesetzt, bis sie, wie für junge Menschen nur natürlich, ihre Mitarbeit aus Laufbahngründen einstellen mussten.

Heute setzt sich das ARENA-Team folgendermassen zusammen: Neben mir dienstältestes (derzeit korrespondierendes) Mitglied ist Thomas Wilhelmi, der früher vor allem Theaterbesuche und Gastspiele organisiert hat. Wenn unsere Gäste jeweils zum vereinbarten Termin einen reservierten Saal, ein Zimmer für die Nacht und einen gedeckten Tisch vorfinden, so ist das seit 1983 das Verdienst von Marianne Wiederkehr. Seit zwölf Jahren betreut Renate Löffler viele Veranstaltungen und trägt als bedächtige Kritikerin mit unbestechlichem Sinn für Qualität ein gutes Stück der Verantwortung für das Niveau der Arena; 1996 hat sie die Literatur-Initiative mit grosser Umsicht interimistisch geleitet. 1993 ist Rosmarie Schürch zu uns gestossen, eine enthusiastische Leserin mit zahllo sen Ideen, die ständig neue Kontakte zu Verlagen und Autoren knüpft. 1994 beschloss Iren Nussberger, ihr eben begonnenes Germanistikstudium in der Praxis zu verankern, der Arena beizutreten und zahlreiche Lesungen zu betreuen; glücklicherweise liess sie sich nicht durch ihren ersten Einsatz abschrecken - dieser bestand nämlich darin, während einer Busfahrt nach Bern mit mir zusammen die ersten Kapitel des Oliver Twist von Charles Dickens vorzulesen, was insofern besonders angenehm gewesen sein muss, als ich wegen einer Erkältung meine Stimme völlig verloren hatte und nur noch im Flüsterton einer beleidigten Diva ins Mikrophon hauchte. Ebenfalls 1994 stiess Elisabeth Teuwen zu uns, führt seither Statistik und Kasse und sammelt - eine nicht immer angenehme Aufgabe - am Schluss jeder Veranstaltung die freiwilligen Un kostenbeiträge ein. 1995 wechselte Peter Teuwen vom Vorstand des Verkehrsvereins zu uns, um uns in einer Reihe schwieriger Verhandlungen den Rücken zu stärken und bei der Saalorganisation mitzuwirken. Jüngstes Mitglied des Teams ist Oliver Bader, vor gut einem Jahr noch mein Schüler, jetzt schon durchs Feuer seiner ersten Autorenpräsentation gegangen.

Worin besteht nun aber die Arbeit einer literarischen Kommission wie der Arena? Man telefoniert mit einem berühmten Schriftsteller, macht einen Termin ab, trifft ihn zu einem opulenten Abendessen und geniesst dann seine Lesung von der ersten Reihe aus. So ungefähr stellen Aussenseiter sich das manchmal vor. Die Realität ist ein bisschen anders.

Wenn ein ARENA-Mitglied durch Leseerfahrungen, Rezensionen oder Gespräche zur überzeugung gekommen ist, dass es richtig und wichtig wäre, eine bestimmte Autorin, einen bestimmten Autor einzuladen, gilt es zunächst, die ganze Kommission von dieser Idee zu überzeugen. Dann muss abgeklärt werden, wann besagter Autor sein nächstes Buch publiziert, denn literarische Erfolge von gestern sind gegessenes Brot. Nun ist die Bereitschaft des Autors zu einer möglichst exklusiven Lesung in Riehen zu erkunden (es hat wenig Reiz, jemanden einzuladen, der kurz zuvor schon in Basel gelesen hat). Manchmal genügt dazu ein Anruf, meist bedarf es langwieriger Verhandlungen mit dem Verlag, öfters auch seitenlanger Briefe. Schliesslich geht es um den definitiven Termin, wobei zu prüfen ist, ob ein geeigneter Saal zur Verfügung steht und ob es keine überschneidung mit anderen Riehener Veranstaltungen gibt.

Ist all dies geklärt, nimmt die Betreuerin oder der Betreuer die eigentliche Arbeit auf, liest die neuesten Bücher des ausgewählten Autors, beschafft sich biographisches Material und Rezensionen aus grossen Zeitungen, entwirft das Plakat, verfasst eine möglichst appetitanregende Einladungskarte und einen ebensolchen Pressetext für die Medien der Regio, verhandelt mit der Druckerei und stellt den Aushang der Plakate sowie den Versand der Einladungen und des Pressedienstes (durch das Sekretariat des VVR) sicher. Zuletzt gilt es, die Begrüssung des Publikums und die Präsentation des Autors minuziös vorzubereiten. Andere Kommissionsmitglieder kümmern sich derweil darum, wer am Abend die benötigten Stühle und das Podium aufstellt, Mikrophon und Beleuchtung einrichtet, wo der Gast bewirtet, allenfalls untergebracht wird. Ausserdem muss der Büchertisch besprochen werden, den Edith Lohner in den letzten Jahren stets sorgfältig vorbereitet hat. Schliesslich wünschen manche Autoren, am Bahnhof oder Flugplatz abgeholt zu werden. Wenn eine Lesung mit einem Aufwand von dreissig ehrenamtlichen Arbeitsstunden über die Bühne geht, ist sie schlank gelaufen; es können einschliesslich Bereitstellung des Honorars, Abrechnung usw. leicht auch vierzig oder fünfzig sein.

Eine vermutlich nicht ganz vollständige Liste der Autoren, Referenten, Sprecher und Musiker, die in der Arena zu Gast waren, umfasst von Ambler bis Zopfi knapp 180 Namen. International bekannte sind darunter wie Rainer Brambach, Marion Dönhoff, Wolfgang Hildesheimer, Rolf Hochhuth, Hermann Kant, Pavel Kohout, Reiner Kunze, Adolf Muschg, Cees Nooteboom und Luise Rinser. Daneben gab es aufgehende Sterne und verblassende Stars und viele, viele junge Autorinnen und Autoren, wobei «jung» sich weniger auf das kalendarische Alter als auf die Präsenz auf dem Jahrmarkt der literarischen Eitelkeiten bezieht.

Manche Autorinnen und Autoren haben sich nur zu einmaligem Gastspiel in der Arena herabgelassen, andere wären vielleicht ganz gerne wiedergekommen; mit verschiedenen stehen wir in lockerer Beziehung, einige wenige sind so etwas wie feste Freunde geworden und erscheinen alle paar Jahre wieder auf dem blauen Plakat mit der stilisierten Feder und dem darin eingeschriebenen Riehener Wappen, fch denke da beispielsweise an Ingeborg Kaiser, Lukas Hartmann und René Regenass, der vorübergehend auch der Kommission angehörte und sie im Jahr 1989 als Stellvertreter leitete.

Hier folgt ein grosses Kompliment: In den zwanzig ARENA-Jahren hat uns keine einzige Autorin, kein einziger Autor jemals versetzt. An allerhand Aufregungen freilich hat es trotzdem nicht gefehlt: Eines Abends klingelte das Telefon: «Hallo, hier R., bin gerade in Bremen, und mir ist eingefallen, dass ich nächstens mal bei euch lesen sollte, aber ich habe meinen Terminkalender vergessen.»

Ich zuckte so zusammen, dass es bis Bremen spürbar war: «Deine Lesung ist morgen.»

«Um Himmels willen - ich komme.»

R. kam eine Stunde vor Lesungsbeginn, vertilgte ein riesiges Filetsteak, verlangte und bekam ein zweites - und hielt eine der erfolgreichsten Lesungen in der Geschichte der Arena.

Eine sehr prominente Autorin, die einen Vortrag über männliche und weibliche Rollenklischees halten sollte, war pünktlich zum Abendessen erschienen; man hatte über gemeinsame Bekannte und alte Zeiten geplaudert; zehn Minuten vor acht stand sie plötzlich auf und erklärte: «Ich ziehe mich jetzt für ein Viertelstündchen zurück schliesslich muss ich noch mein Referat vorbereiten.»

Dem Erscheinen eines bestbekannten Autors aus der damals noch real existierenden DDR zitterten wir bang entgegen: Um halb sieben kein H. - um sieben kein H. um viertel nach sieben ... da erschien er mit zufriedenem Lächeln. Er war längst angekommen, hatte sich aber noch auf eine Shoppingtour nach Basel begeben.

Viele Autoren trinken vor einer Lesung «grundsätzlich nur...» - beispielsweise Kamillentee oder kohlensäurefreies Mineralwasser, koffeinfreien Kaffee oder Orangensaft; andere verlangen gebieterisch nach einer Flasche Champagner, kräftigem Médoc oder ein paar Whiskys. Manche vertragen das, andere stolpern schon über den Titel ihres eigenen Romans.

Ja, die Technik des Vorlesens! Es gibt Autoren, die ihre Texte mit hinreissendem Schauspielertalent gestalten, und solche, die sie vortragen wie ein legasthenischer Schuljunge, der eine Hymne von Hölderlin rezitieren soll. Manche behaupten selbstbewusst, ihre Stimme habe noch jeden Raum gefüllt, und dann versteht man sie kaum in der ersten Reihe. Gelegentlich spricht man sorgfältig ein bestimmtes Programm ab, und der Meister liest dann etwas völlig anderes. Einige Autoren schwören auf die Würze der Kürze und klappen ihr Manuskript nach dreissig Minuten zu; andere sind fast nicht zu bremsen.

Warum aber besucht man überhaupt eine Schriftstellerlesung? Eigentlich gibt es nur zwei sehr gegensätzliche Motive dafür: Entweder man kennt und bewundert eine Autorin, einen Autor so, dass man begierig nach der Möglichkeit greift, sie oder ihn endlich einmal von Angesicht zu Angesicht zu erleben. Oder man kennt einen Autor überhaupt nicht, denkt sich aber, dass es sich, wenn er schon von der Arena eingeladen wird, lohnen könnte, ihm zu begegnen.

Dem grossen NN auf der Terrasse seines Tessiner Hauses gegenüberzusitzen, ihn beim Rundgang durch den Garten ein paar kluge Sätze äussern zu hören, ihm beim Schreiben einen Moment über die Schulter zu gucken das ist ein faszinierendes Erlebnis, nur findet es in der Regel am Bildschirm statt. Was die Arena bietet, ist weniger spektakulär. In der Arena erlebt man Autorinnen oder Autoren, die sich den Schweiss von der Stime wischen, nervös in ihren Texten blättern, geduldig auf unvorhersehbare Fragen antworten und einem zum Abschluss die Hand schütteln und ihren Namen ins Buch schreiben. Das ist nicht viel. Dafür ist es echt.

Die Aufmerksamkeit des ARENA-Publikums jedenfalls hat über die Jahre hinweg nicht nachgelassen; mag sein, dass sie sich verändert hat, wählerischer geworden ist. Dass immer wieder neue, junge Gesichter in den Reihen der Zuhörerinnen und Zuhörer auftauchen, macht uns Mut. Der Wettbewerb, den wir zu unserem 20-Jahr-Jubiläum ausgeschrieben haben, hat ein überwältigendes Echo gefunden: über 120 fast durchwegs interessante, manchmal höchst spannende Texte sind eingegangen, was wieder einmal bestätigt, dass das geschriebene Wort auch im Zeitalter der Datenautobahnen, der elektronisch virtuellen Welterfahrung und der interkontinentalen Vernetzung nach wie vor zu den Grundbedürfnissen des Menschen gehört.

Dass das öffentliche Wettlesen ausgerechnet am 19. September 1998 stattfand, also präzis am 20. Geburtstag der Arena, war Zufall, aber sicher kein schlechtes Vorzeichen. Der Wettbewerb war streng anonym, so dass auch die Jury vorher nur die Namen der acht bis zehn aussichtsreichsten Kandidatinnen und Kandidaten erfahren hat und auch dies erst kurz vor der öffentlichen Schlussrunde. In der Schlussrunde befanden sich schliesslich mit Ingeborg Kaiser und Walter Schüpbach eine Autorin und ein Autor, die bereits Gast in der Arena gewesen waren. Walter Schüpbach erhielt für seine «Spiegelgeschichte» sowohl den ersten Jury- wie auch den Publikumspreis, Ingeborg Kaiser für «Knistern» den zweiten Jurypreis. Drittplazierter wurde Kurt Schwöb mit seiner Geschichte «Nebelschwaden».

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1998

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