Bauboom und multikulturelle Bevölkerung
Stefan Suter
Die Entwicklung der Lörracherstrasse um die Jahrhundertwende Verkehrslärm, Autostau vor der Zollabfertigung, Tankstellen suchende Fahrzeuge: Das alles gab es vor hundert Jahren an der Lörracherstrasse noch nicht. Der Verkehrslärm hätte damals allerdings auch nicht besonders viele Leute gestört, war die Lörracherstrasse beidseitig doch noch fast vollkommen unbebaut. Lediglich in relativer Dorfnähe säumten vier einzelne Liegenschaften den Strassenverlauf. An der Ecke zur Inzlingerstrasse befand sich unter der Nummer Lörracherstrasse 2 seit 1849 eine Liegenschaft, welche 1882 zum Zollamt Riehen umgebaut wurde. Dieser Posten war zentral für die Grenzübergänge Inzlingerstrasse, Weilstrasse und Lörracherstrasse zuständig. Bereits ausserhalb des Zollamtes lag die heute noch stehende Liegenschaft Lörracherstrasse 30, welche im Jahre 1882 errichtet wurde und Karl Weber-Unholz gehörte. Zwischen diesen beiden Häusern befand sich unter der Hausnummer 24 seit 1840 ein Gartenpavillon des Felix Sarasin, welcher Teil des Landgutes Weilstrasse 6 war (siehe auch Seiten 47 bis 57), und etwas weiter draussen, unter der Nummer 42 seit 1854 ein Bauernhof. Ansonsten lag die Lörracherstrasse vor hundert Jahren noch völlig eingebettet in Landwirtschaftsgebiet, und beim Passieren der Grenze war weit und breit kein befestigter Zollposten auszumachen. Anfang des 19. Jahrhunderts befand sich im übrigen im Gebiet der heutigen Einfahrt zum Friedhofweg ein Steinbruch.
Die Linienführung der Strasse war im 19. Jahrhundert ungefähr die gleiche wie heute. Einige unmassgebliche Begradigungen änderten nichts an der Strassenführung auf dem Weg nach Lörrach und ins Wiesental in sicherem Abstand vor den überschwemmungen der Wiese. Davon zu unterscheiden ist der Weg ins Nachbardorf Stetten, welcher dem Stettenweg entlang direkt ins Dorfzentrum der Nachbargemeinde führte. Bis zur Eingemeindung Stettens zu Lörrach im Jahre 1908 führte die Lörracherstrasse im Grunde nach der Grenze über das dort noch nahezu unbebaute Gebiet Stettens direkt nach Lörrach. Angeblich bis 1591 soll die Lörracherstrasse bis auf die Höhe des Haselrains gemeinsam mit dem Stettenweg geführt worden und dort abgezweigt sein.
Die Lörracherstrasse erhielt diesen Namen trotz der jahrhundertealten Bedeutung erst im Jahre 1899, vorher wurde dieser Strassenzug ganz einfach die «Landstrasse» oder die »Landstrasse von Basel nach Lörrach» genannt.
Die Bebauung beginnt
Etwa gleichzeitig mit der Namensbezeichnung wurde die Bebauung der Lörracherstrasse eingeleitet. Obwohl das nun zur Bebauung offene Wohnquartier, damals noch ruhig am Fusse des Tüllingerhügels gelegen, einen idyllischen Eindruck machte, war von allem Anfang an klar, dass dort dem Strassenzug entlang Wohnsiedlungen mit einfachen Wohnungen entstehen sollten. In der Folge brach ein regelrechter Bauboom an der Lörracherstrasse aus. Verschiedene in der Stadt Basel domizilierte Baugeschäfte zogen etliche Mietshäuser hoch. Eingeläutet wurde diese Entwicklung durch die Firma Palatini und Sohn, welche schon 1890 die Liegenschaft Nummer 148 und im Jahr 1898 die Nummern 150 und 152 baute. Im Verlaufe der Jahre 1899 bis 1900 gelang es der Firma SchlichtholzSchwartz sechs Häuser hinzustellen (Nummer 76 bis 86). Dieser Rekord wurde durch die Baufirma Sophie BoosHuber noch übertroffen. Diese Firma erstellte in den Jahren 1910 bis 1912 sage und schreibe elf Häuser. Diese Grossinvestoren wurden begleitet durch weitere Baufirmen, welche eine oder zwei Liegenschaften erstellten, wie die Firma Hans Nielsen-Bohny (Nummer 108 und 124) oder die Firma Böhmler-Windlin, welche bereits 1901 die Häuser Nummer 88 und 90 erstellte. Innerhalb von nur etwa fünfzehn Jahren fanden sich so beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges an der Lörracherstrasse bereits vierzig Häuser: 33 von ihnen standen von Riehen-Dorf aus gesehen auf der rechten Seite und lediglich sieben auf der linken. Zuhinterst unter der Nummer 165 befand sich seit 1901 das unmittelbar an die Grenze vorgerückte, heute noch stehende Zollgebäude. Somit hatte sich innert kürzester Zeit das Bild der Landstrasse nach Lörrach total verändert. Immer noch gab es aber viele Gärten, welche an die Strasse grenzten, und die Wohnlage war trotz der äusserst städtischen Bebauung ländlich.
Das Schicksal der Investoren
An der rasanten überbauung der Lörracherstrasse beteiligten sich insgesamt dreizehn Baufirmen. Sie waren in Basel domiziliert und hofften allesamt auf spekulativen Gewinn, indem sie die Häuser sofort loszuwerden versuchten. Die grösste Investorin und Bebauerin, die Firma Sophie Boos-Huber, wechselte in Basel ständig ihren Wohnsitz. Einmal befand sich dieser an der Clarastrasse, später an der Alemannengasse, dann an der Freiburgerstrasse. Der Beweggrund für diesen häufigen Domizilwechsel bleibt unklar. Die Inhaberin der Einzelfirma Sophie Boos-Huber war eine aus dem Grossherzogtum Baden stammende, in der Stadt niedergelassene Kauffrau. Alle diese Firmen hatten gemeinsam, dass sie etwa um die Jahrhundertwende gegründet wurden und am Schluss des Ersten Weltkrieges im Jahre 1918 nicht mehr existierten. Die Kollektivgesellschaft Amadeo Palatini wurde bereits im Juli 1907 im Handelsregister gelöscht. Der zweitgrösste Investor, die Firma Friedrich SchlichtholzSchwartz, folgte ihr am 20. Juli 1910 nach. Die Firma der Sophie Boos-Huber konnte sich bis 1916 retten, wurde dann aber per 12. Februar endgültig gelöscht. Von einigen Firmen weiss man, dass sie Konkurs gingen, andere ga ben die Geschäftstätigkeit vorher auf. Finanziell entscheidend war, dass man die Mietshäuser vor dem Ersten Weltkrieg verkaufen konnte. Während des Ersten Weltkrieges kam die Bautätigkeit gesamtschweizerisch fast völlig zum Stillstand, und bereits am 26. August 1914 griff der Bundesrat erstmals im Sinn eines Notrechtes in das Mietrecht ein. Danach konnten Ausweisungen eines mietzinssäumi gen Mieters nur noch schwerlich durchgeführt werden. Und am 18. Juli 1917 verfügte der Bundesrat via Notrechtserlass die Einschränkung von Mietzinserhöhungen und Kündigungen. Besitzer von Mehrfamilienhäusern an der Lörracherstrasse hatten somit in der Zeit des Ersten Weltkrieges wenig Profitmöglichkeiten. Ihr Schicksal war besiegelt. Interessant erscheint, dass es gesamthaft, mit einer Ausnahme, keine Riehener Firmen waren, sondern fast ausschliesslich Basler Baugeschäfte, welche hier investierten und, je nach Zeitpunkt ihrer Verkäufe, einen mehr oder weniger grossen Spekulationsgewinn verbuchen konnten.
Eine multikulturelle Bevölkerung
Die in raschem Tempo erstellten Mietshäuser wurden bald von Menschen unterschiedlicher Herkunft bewohnt. Personen, welche seit längerer Zeit in Riehen sesshaft waren, zog es kaum in die Häuser an der Lörracherstrasse.
Bei einer Bestandesaufnahme der Wohnbevölkerung der Lörracherstrasse im Jahre 1911 fanden sich nur gerade vier Riehener (Bürgerrecht durch Abstammung), welche in das neue Quartier dislozierten. Die grosse Mehrheit der Wohnbevölkerung stammte im Jahre 1911 aus dem Grossherzogtum Baden. Einundzwanzig Haushaltvorstände (in der Regel also die Männer) kamen ursprünglich aus dem Badischen. Davon stammten zwei aus Weil und je
Die Wohnbevölkerung der Lörracherstrasse im Jahre 1911 Herkunft der Haushaltvorstände | ||
Schweiz | 25 | davon 4 Riehen 3 Basel 6 Kanton Aargau 12 Verschiedene Kantone (SG, SH, BL, BE, SZ, LU) |
Deutschland | 33 | davon 21 Baden 4 Württemberg 3 Preussen 1 Hessen 1 Bayern 3 Elsass (damals Deutschland) |
Italien 8 | ||
Frankreich | 3 | |
Ungarn | 1 |
einer aus Lörrach, Tüllingen, Grenzach und Inzlingen. Drei Haushaltvorstände kamen aus Preussen und je einer aus Hessen und Bayern. Den 30 deutschen Haushaltungen standen lediglich 25 schweizerische gegenüber. Darunter fanden sich sechs Aargauer, zwei Berner, zwei Jurassier und etwa auch Schaffhauser und St. Galler. Hinzu kamen bereits damals acht italienische Haushaltungen, drei französische und drei aus dem elsässischen Raum, welche damals eigentlich zur deutschen Herkunft zu zählen waren. Ferner wohnte dort eine ungarische Familie. Die Lörracherstrasse wies bei dieser Bestandesaufnahme im Jahre 1911 demnach eine starke überfremdung auf. Festzuhalten ist jedoch, dass sich viele dieser hier niedergelassenen Ausländer hauptsächlich in den zwanziger Jahren in Riehen eingebürgert haben. Dies trifft in ähnlichem Masse für die aus anderen Kantonen zugezogenen Schweizer zu.
Diese Durchmischung des neuen Quartiers zeigte sich auch auf der konfessionellen Seite, zumindest was den aktenmässigen Niederschlag des Bekenntnisses betrifft. 1911
Die konfessionellen Verhältnisse | |
an der Lörracherstrasse im Jahre 1911 | |
Konfession der Haushaltvorstände | |
evangelisch (reformiert und lutherisch) | 33 |
römisch-katholisch | 27 |
christkatholisch | 2 |
ohne Konfession (bzw. ohne Angaben) | 5 |
lebten 33 Haushaltvorstände an der Lörracherstrasse, welche dem protestantischen Glauben (evangelisch-reformiert und -lutherisch), und immerhin 27 Haushaltvorstände, die der römisch-katholischen Kirche angehörten. Hinzu kamen zwei Christkatholiken aus dem Fricktal und einige wenige Konfessionslose. Die konfessionellen Verhältnisse entsprachen somit nicht den Verhältnissen in der restlichen Gemeinde, wo 1910 neben 2634 Protestanten nur 482 Katholiken gezählt wurden.
Familien mit Kindern
Viele Bewohner haben nicht ihr ganzes Leben an der Lörracherstrasse verbracht, sondern sind nach einigen Jahren wieder weggezogen. Immerhin aber kann festgestellt werden, dass nicht etwa nur Junggesellen hierher kamen, um in nicht so luxuriösen Verhältnissen zu wohnen und in der Stadt zu arbeiten. Es waren hauptsächlich Familien mit Kindern, welche sich hier ansiedelten. Interessanterweise war die durchschnittliche Kinderzahl im Jahre 1911 nicht allzu gross. Zehn Familien hatten beispielsweise zwei Kinder, neun Familien vier, und immerhin sieben lediglich ein Kind. An der Spitze lagen indessen eine Familie mit elf und zwei mit je zehn Kindern. Viele Familien und Einzelpersonen wohnten bereits in den ersten Jahren nur kurze Zeit an der Lörracherstrasse. Die Grenzwächter wurden oft versetzt, Arbeiter fanden in der Stadt Wohnungen, die näher beim Arbeitsplatz lagen, und einige Bewohner wanderten gar aus. Der aus dem badischen Feuerbach stammende Wilhelm Meyer (geb. 1885) verliess nach einigen Jahren an der Lörracherstrasse den Kontinent und wanderte 1913 nach Amerika aus.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte dazu, dass manche Ausländer in ihre Heimatstaaten zum Militär ein rückten. Viele deutsche, aber auch italienische Immigranten zogen weg. Einige liessen ihre Familien hier und kehrten nach Kriegsende zurück. Andere verliessen die Wohnungen an der Lörracherstrasse für immer. Der aus Hertingen (Baden) stammende Fritz Schlenker (18751923) floh im Juni 1918 als Deserteur aus dem deutschen Kriegsdienst und wartete hier bei seiner Familie die restlichen Monate bis zum Kriegsende ab.
Ein Arbeiterquartier?
An der Lörracherstrasse hatten sich viele Familien unterschiedlicher Herkunft und Konfession niedergelassen. Da dieses neue Quartier jedoch nicht als Betriebssiedlung eines Industriebetriebs errichtet wurde, fanden sich dort auch mannigfache Berufsgattungen. Traditionell stark vertreten waren stets die Grenzwächter und das Zollpersonal. Bereits 1911 wohnten zwölf Zöllner an der Lörracherstrasse, 1921 dreizehn, 1931 zwanzig und 1941 31. Dies hängt nicht nur mit der Grenzlage dieses Quartiers zusammen, sondern auch mit der sich dort befindlichen Wohnsituation. An der Inzlingerstrasse und an der Weil strasse befanden sich keine Mietwohnungen, obwohl auch diese Strassenzlige mit Zollämtern besetzt waren. An zweiter Stelle hinter den Zöllnern figurierten bereits 1911 die Handwerker, welche ab 1921 mit über 50 stets die grösste Berufsgruppe stellten. Die eigentlichen Fabrikarbeiter waren hingegen von Anfang an nicht in der Mehrheit. Hinzu kam in den hier untersuchten Stichproben von 1911, 1921, 1931 und 1941 auch immer eine gewisse Zahl Taglöhner und Handlanger. Interessant ist, dass 1911 immerhin sechs Posamenter mit eigenen Webstühlen an der Lörracherstrasse heimisch waren. 1921 waren es noch vier, davon zwei Frauen. Dann verschwand dieser Gewerbezweig - nicht nur an der Lörracherstrasse. Ab 1921 fanden sich auch immer einige Büroangestellte und Beamte. Akademiker hat es in den hier durchgeführten Stichproben mit Ausnahme eines einzelnen Architekten an der Lörracherstrasse keine gegeben. Auch Landwirte und Angestellte von Bauernbetrieben gab es praktisch keine. Eine Ausnahme stellte der einzige Landwirtschaftsbetrieb mit seinen Bewohnern an der Lörracherstrasse 42 dar. Es handelte sich um den später Vogelbachgut genannten Betrieb des Bauern Alfred Vogelbach (1851-1924). Dieser stamm te aus Grenzach und kaufte das 1854 errichtete Gehöft im Jahre 1880.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Lörracherstrasse in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht ein klassisches Arbeiterquartier war. Nicht die eigentlichen Fabrikarbeiter stellten die Mehrheit dar, sondern die Handwerker. Vermutlich standen auch diese direkt oder indirekt in Diensten der Industrie, zumal nur sehr wenige an der Lörracherstrasse selbständig gewerbetreibend waren.
Sanitarische Anstände
Die zum Teil nachlässige Bauweise und sich nicht seriös um die Liegenschaften kümmernde Vermieter führten in einzelnen Häusern der Lörracherstrasse bereits wenige Jahre nach der Erstellung zu grossen Problemen. Dazu trug auch die lange fehlende Kanalisation bei. Im Jahre 1919 beklagten sich sämtliche Mieter der Liegenschaft. Nummer 68 (erstellt von der Baufirma Sophie Boos-Huber), dass der jetzige Eigentümer sich nicht ordnungsgemäss um die Entwässerung der Zisterne kümmere. Im August 1919 war schliesslich der ganze Keller 10 bis 20 Zentimeter hoch mit Abwässern gefüllt. Der von den Mietern angeführte «üble Geruch» ist vermutlich eine geradezu zurückhaltende Bezeichnung für die Missstände. Die Benützung der Waschküche war seit langem unmöglich, und die Einsprecher rügten beim Sanitätsdepartement, dass die Frauen gezwungen seien, in der Küche zu waschen oder in eine Waschanstalt in die Stadt zu gehen. Der Besitzer tat die Klagen ab mit der Begründung, man solle den Bau der Kanalisation abwarten. Das Gesundheitsamt schritt jedoch ein und wies den Eigentümer an, umgehend die Zisterne in gebrauchsfähigen Zustand zu bringen.
1913 beklagten sich die Mieter der Liegenschaft Lörracherstrasse Nummer 98 über die nicht gewartete Abortgrube. Die Mieter führten aus, rund ums Haus sei der ganze Garten mit Jauche getränkt und der Geruch dringe überall ein. Auch war der Hauseigentümer Konkurs gegangen. Das Problem mit den überfüllten Abortgruben begegnet uns in den Akten noch bei weiteren Häusern, zum Teil liefen die vollen Gruben über und bedeckten in einem Fall das ganze Gartengrundstück des Nachbarn.
Das Baugeschäft
Sophie Boos-Huber begegnet uns dann wieder in einer Beanstandung aus dem Jahre 1912. Der Neubau Lörracherstrasse 172 war offenbar nicht im besten Zustand. Ein Mieter beschwerte sich beim Gesundheitsamt über massive Feuchtigkeit in den Zimmern, so dass die Kleider in den Schränken verderben würden. Die Wände seien total nass. Die Eigentümerfirma weigere sich jedoch für Abhilfe zu sorgen. Das Gesundheitsamt stellte fest, dass infolge Fehlens eines Rohres das Dachabwasser direkt über die Fassadenmauer hinunterlaufe und innert kürzester Zeit in die Zimmer dringe. Die Eigentümerfir ma wurde aufgefordert, innert 14 Tagen für Abhilfe zu sorgen.
Einen interessanten Einblick in die damaligen zum Teil problematischen Wohnverhältnisse gibt uns eine Anzeige eines Hausbesitzers: Der Vermieter der Liegenschaft Nummer 66 zeigte dem Amt anno 1913 an, dass in der vermieteten Zweizimmer-Wohnung zuviel Personen wohnten und überdies «Unreinlichkeit» herrsche. Die Beamten stellten bei einem Augenschein fest, dass es sich um die Wohnung aus zwei Zimmern und einer Küche im Erdgeschoss handelte. Diese Wohnung sei etwas unreinlich gehalten. Im Zimmer gegen die Strasse würden der Ehemann und die Ehefrau schlafen, im Zimmer gegen den Hof drei Kinder und die Grossmutter. Somit sei das letztere Zimmer überfüllt. Das Gesundheitsamt wies die Familie an, «ihre Schlafverhältnisse so einzurichten, dass keines der beiden Zimmer als Schlafraum für mehr wie drei Personen benützt und in Zukunft reinlich gehalten wird».
Gewerbe- und Gastbetriebe
Durch das kürzlich an der Lörracherstrasse entstandene Gewerbehaus ist dieses Quartier zu einem eigentlichen Gewerbezentrum Riehens geworden. Diese Funktion nahm die Lörracherstrasse jedoch gerade in den ersten Jahrzehnten trotz der zahlreichen Handwerker nicht wahr. Diese arbeiteten hauptsächlich auswärts, insbesondere in der Stadt. Einer der ersten Gewerbebetriebe war die Nagelschmiede Schwald-Benz (Fabrikation geschmiedeter Nägel, Haken und Klammern), welche später jedoch an die Baselstrasse dislozierte. An der Lörracherstrasse 105 war ferner bereits seit Beginn der zwanziger Jahre die Grosshandlung für Import und Export in Tabakfabrikaten, Kolonialwaren und Metallartikel der Gebrüder Weiss angesiedelt. Später entstanden auch Bäckereien und mehrere Lebensmittelgeschäfte und ein Coiffeursalon. Eine besondere Bedeutung nimmt die heute noch florierende und bereits 1911 eröffnete Wirtschaft «Stab» an der Lörracherstrasse 105 ein. Ferner wurde auch die Gaststätte «Grenze» bereits 1927 an der Lörracherstrasse 162 eröffnet. Das Quartier verfügt somit über traditionelle Restaurants, welche sich auch heute noch reger Nachfrage erfreuen.
Neue Zeiten
Seit der rasanten überbauung in den 15 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hat sich an der Lörracherstrasse manches verändert. Es sind nur noch wenige Häuser, die aus der Gründerzeit stammen und an die ursprünglichen Handwerker- und Arbeiter-Mietwohnungen erinnern. Die gesamten Wohnbedingungen haben sich durch die Kanalisation und die bessere Bausubstanz erheblich verbessert. Zugenommen hat hingegen die Verkehrsbelastung, welche für einige Anlieger gewiss an der Grenze des Erträglichen liegt. Gleichwohl - die Lörracherstrasse ist kein städtisches Quartier. Die Häuserzeilen sind beidseitig von einem grünen Gürtel umschlossen, und von mancher Wohnung aus lässt sich ein herrlicher Blick auf den Tüllingerhügel oder das Stettenfeld geniessen. Ein Quartier also, das durchaus seine reizvollen und auch historischen Seiten hat.
Ich danke Herrn Albin Kaspar und Herrn Michael Raith für die wertvolle Mithilfe.
Quellen - StABS Sanität Pia; StABS Brandversicherung 072; StABS Bau Acten P58; StABS Handel und Gewerbe (K6 1882-1924)
- Basler Adressbuch, 1911,1921,1931,1941
- Historisches Grundbuch Riehen (Personenkartei)
- GKR