Bewegung als Grundlage fürs Leben

Rolf Spriessler

Die Jugendriege des Turnvereins Riehen gewann an den Eidgenössischen Turnfesten 2013 in Biel / Magglingen und 2019 in Aarau jeweils den Dreiteiligen Vereinswettkampf – nicht der einzige Grund, weshalb sie mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2019 ausgezeichnet wurde.

Seit Jahrzehnten ist der Turnverein Riehen (TVR) für seine erfolgreiche Jugendarbeit bekannt. Die jungen Sportlerinnen und Sportler beteiligen sich jeweils in grosser Zahl an Schüler-Mehrkämpfen draussen und in der Halle, an kantonalen Leichtathletikmeisterschaften, Sport- und Spieltagen des Kantonalturnverbands, am Staffellauf ‹Quer durch Basel› und vielem mehr. Dabei steht jeweils nicht nur der sportliche Erfolg im Zentrum, sondern auch die Beteiligung – alle, die regelmässig am Trainingsbetrieb teilnehmen, sollen unabhängig von ihrem Leistungsvermögen die verschiedenen Startmöglichkeiten wahrnehmen dürfen. Der Teamgedanke wird hochgehalten, und das zeigt sich auch im Umgang der Kinder und Jugendlichen miteinander. Nicht umsonst betonten sowohl Alex Stricker als auch Samia Brodmann die gute Kameradschaft als Hauptgrund, weshalb sie gerade in der Jugendriege des Turnvereins Riehen ihrem Hobby nachgehen, als sie im Rahmen der Laudatio zur Verleihung des Riehener Sportpreises dem Laudator auf der Bühne ein kurzes Interview gaben. Diese Bühne stand diesmal an einem ungewöhnlichen Ort. Aufgrund der Corona-Krise fand die Übergabefeier für den Sportpreis der Gemeinde Riehen erst am 2. September 2020 statt, und dies ausserdem erstmals unter freiem Himmel, nämlich auf dem Sportplatz Grendelmatte.

TURNFESTSIEGE IN BIEL / MAGGLINGEN UND AARAU
Der Hauptanlass, weshalb die siebenköpfige Jury die Jugendriege des TV Riehen (kurz ‹Jugi› genannt) als Sportpreisträgerin gerade zu diesem Zeitpunkt vorschlug, war deren Sieg am Eidgenössischen Turnfest 2019 in Aarau im Dreiteiligen Vereinswettkampf. Schon 2013 in Biel / Magglingen hatte die TVR-Jugendriege den Turnfestsieg in der höchsten Stärkeklasse geholt. ‹Höchste Stärkeklasse› bedeutet, dass in allen drei Wettkampfteilen zusammen 105 Starts erfolgen müssen, also im Durchschnitt 35 pro Wettkampfteil. Der TV Riehen setzte in zwei Teams insgesamt 90 Kinder und Jugendliche (bis U18) ein und erreichte mit dem ersten Team sagenhafte 29,97 von 30 möglichen Punkten, während das zweite Team unter 141 Riegen ausserdem den guten 41. Platz belegte. Innerhalb der Delegation wurde aber nicht nach Teams unterschieden – als Turnfestsiegerinnen und -sieger durften sich also alle fühlen, die am Fest in Aarau teilgenommen hatten. «Unsere Erfolge an den Turnfesten sind auch deshalb so wertvoll, weil sie nur möglich waren dank einer grossen Breite», freute sich der aktuelle Jugendriege-Chefleiter Fabian Benkler, der in Aarau auf die grosse Unterstützung seines Vorgängers Matthias Müller hatte zählen dürfen, der die Jugi 2013 zum Erfolg geführt hatte. Solche Anlässe stärkten ausserdem den Zusammenhalt unter den Jugendlichen ungemein, stellte Benkler zudem fest. Mit ihrem Entscheid für die TVR-Jugendriege wollte die Sportpreis-Jury nicht nur die siegreichen Jugendlichen auszeichnen: Der Preis sei auch als Anerkennung aller Helferinnen und Helfer, Leiterinnen und Leiter gedacht, die den Betrieb einer solch grossen Jugendabteilung überhaupt erst möglich machten, und würdige den Verein insgesamt für seine Jugendarbeit. Und mitgemeint seien explizit auch jene Jugendlichen der Altersklassen U16 und U18, die streng genommen nicht mehr zur Jugendriege gehörten. Diese umfasst eigentlich nur die klassischen Schülerinnen- und Schülerkategorien bis U14. Beim Jugendwettkampf an einem Turnfest sind aber die Altersklassen bis und mit U18 startberechtigt, und die waren beim TV Riehen in Aarau auch kräftig und prominent vertreten. Etliche Jugendwettkampfteilnehmende waren am zweiten Festwochenende auch mit der TVR-Delegation am Dreiteiligen Vereinswettkampf der Erwachsenen im Einsatz. Die Jugi-Turnfestsiegerinnen Alexia Groh, Annik Kähli und Norina Sankieme holten sich zusammen mit Céline Niederberger als Viererteam Bronze im Leichtathletik- Mannschaftsmehrkampf.

STEINIGER WEG BIS ZUM DAUERHAFTEN ERFOLG
In seinen Anfangsjahren hatte sich der TV Riehen etwas schwergetan mit der Jugendförderung im Sinne einer eigentlichen Jugendriege. Zwar setzte sich Hans Gasser, der kurz nach der Jahrhundertwende eine Zeitlang als Oberturner amtete, schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts an einer Vereinsversammlung für die Gründung einer Jugendriege ein – allerdings vergeblich, wie er als Autor der Festschrift zum 50-Jahr-Vereinsjubiläum 1932 schreibt. Am 5. Juli 1913 fand dann die «erste Turnstunde» einer Jugendriege statt, die von 17 Knaben besucht war, und diese Jugendriege trug in der Folge auch einige Darbietungen bei am «Konzert», wie der Familienabend damals genannt wurde. Doch bereits Mitte 1914 wurde dieser Jugendriege-Betrieb mangels Beteiligung wieder eingestellt. Auch eine versuchsweise Einführung eines Jugendriegen- Trainings 1920 dauerte nur ein paar Wochen. Der Durchbruch gelang, nachdem an der Vereinsversammlung vom 20. Juli 1920 rege über eine Jugendriege- Gründung diskutiert worden war. Dies mündete am 20. August 1921 schliesslich in der definitiven Gründung einer Jugendriege, die bis heute Bestand hat. Das entsprechende Reglement wurde von den Vereinsmitgliedern am 22. September 1922 genehmigt – da war bereits ein zweiter Leiter zu wählen, da die Zahl der Knaben inzwischen auf rund 30 angestiegen war, wie die Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum 1982 von Peter Degen festhält. Karl Prack und Fritz Maier sind aus Hans Gassers Sicht hauptverantwortlich für das Gedeihen der TVR-Jugendriege in den ersten Jahren. An einer Jahresfeier des TV Riehen trat die Jugendriege mit einem Stabwinden erstmals öffentlich auf, wie aus der Jubiläumsschrift aus dem Jahr 1932 hervorgeht. An der Jubiläumsfeier «400 Jahre Riehen bei Basel», die 1923 mit einjähriger Verspätung in Riehen stattfand, führte die TVR-Jugendriege mit 24 Jünglingen in historischen Kostümen einen Reigen mit Fahnenschwingen vor. Im Spätjahr 1931 erhielt die TVR-Jugendriege ihr erstes eigenes Banner und im Jahr 1932 zählte sie 32 Mitglieder – alles Knaben.

TURNEN ALS ALTERNATIVE ZUM LEISTUNGSSPORT
Als der Turnverein Riehen 1882 gegründet worden war, geschah dies als Gegenentwurf zum reinen Sportverein. In einer persönlichen Bemerkung zum Unterschied von Turnen und Sport schrieb Hans Gasser dazu 1932: «Dass der eigentliche Sport, obgleich ihm (weil’s nun einmal Mode ist) ungleich mehr gehuldigt und geopfert wird als der turnerischen Ausbildung, niemals den Gesundheitswert für den Organismus haben kann wie planmässiges Turnen, ergibt sich ganz einfach aus seiner mehr oder weniger offenkundigen Einseitigkeit. Ja, diese letztere bringt es sogar mit sich, dass bei Übertreibungen (und sie sind nicht selten) schon im mittleren Alter schwere Störungen wichtiger Funktionen im Organismus auftreten, die oft ein sieches Alter bedingen. Dem gegenüber darf natürlich nicht vergessen werden, dass ein vernünftig betriebener Sport (man denke an Schwimmen, Ski- und Eislauf, Tennis usw.) unsrer Gesundheit sehr dienlich sein kann; ja, der heutige Turnbetrieb hat nicht unterlassen, alle wertvollen sportlichen Betätigungen (speziell leichtathletische Übungen) in den Kreis seiner Arbeit einzubeziehen und ist dadurch ein wesentlich Stück zweckdienlicher und auch volkstümlicher geworden.» Dieses Zitat macht deutlich, dass beim Turnverein – und damit auch bei der Jugendriege – grundsätzlich nicht spezialisierte Spitzenleistung, sondern Volksgesundheit, Vielseitigkeit und auch Kameradschaft im Zentrum stehen sollten.

SCHNELLER ERFOLG UND DYNAMISCHE ENTWICKLUNG
Nachdem die Jugendriege in ihren Anfangsjahren in erster Linie das Geräteturnen sowie Freiübungen gepflegt hatte, integrierte Otto Steiger, der die Leitung der Jugendriege 1937 übernahm, Leichtathletik und Handball ins Programm. Unter der Leitung von Kurt Billing, der auch langjähriger Platzwart auf dem Sportplatz Grendelmatte war, zählte die Jugendriege erstmals mehr als 50 Knaben. Unter Heini Nebiker wurde mit Gruppenarbeit und Disziplin viel erreicht. Danach brachten Hansruedi Gross und Heinz Basler mehr Lockerheit in den Jugi-Betrieb und führten das Turnen mit Musik ein. Auch Handball und Orientierungslauf wurden gepflegt. Das Training wurde insgesamt freier und polysportiver. In den späten 1960er- Jahren begann Robi Gassmann, das Mädchenturnen zu fördern, was 1972 zur Gründung einer Mädchenjugendriege führte. Heute sind Mädchen und Knaben gleichberechtigt in einer gemischten Jugendriege. Im Jubiläumsjahr 1982 – 100 Jahre TV Riehen – lag die Leitung der Jugendriege in den Händen von Karl Giger. Ihm folgten Christian Scherer, Andreas Hadorn (ad interim), Regula Schüle, Matthias Müller und schliesslich Fabian Benkler. Sie alle entwickelten die Jugendriege entsprechend den gesellschaftlichen Veränderungen sowie der Vorgaben und Möglichkeiten, die Sportverbände und Bund eröffneten. Ein grosser Schritt war es beispielsweise, als die TVR-Jugendriege ab 1972 ihre Trainings ins ‹Jugend + Sport›-Programm des Bundes integrieren konnte: Seither ist eine solide Leiterausbildung gewährleistet und der Verein erhält regelmässig Geld, das er in die Nachwuchstrainings investieren kann. Heute ist der Turnverein Riehen vor allem als erfolgreicher Leichtathletikverein bekannt. Vergessen geht dabei oft, dass er in verschiedenen Abteilungen und Sektionen auch das Männerturnen, Faustball, Frauenvolleyball, Jogging, Fitness, Walking, Wandern und – in der inzwischen als eigener Verein organisierten Gesangssektion – auch das Männerchorsingen pflegt. In der Jugendriege folgte der TV Riehen dem Trend, Kinder immer früher in ihrer Bewegung zu fördern. Vor allem Elsbeth Sokoll (heute Elsbeth Gehrig) war es, die das Mutter- und-Kind-Turnen (MuKi) einführte und entwickelte. Im MuKi (beziehungsweise heute ElKi für «Eltern-und-Kind- Turnen») lernen Kinder schon im Vorschulalter, sich zu bewegen, und zwar durch die spielerische Schulung von Gleichgewicht, Geschicklichkeit und Körpergefühl. Auch im daran anschliessenden Kinderturnen, das die Kinder selbstständig besuchen, steht keine bestimmte Sportart im Mittelpunkt. Hier geht es darum, die allgemeinen Grundlagen sportlicher Bewegung zu legen. Und so ist es vermutlich kein Zufall, dass etliche ehemalige Mitglieder der TVR-Jugendriege in verschiedenen Sportarten erfolgreich geworden sind, zum Beispiel Alex Ebi als Handballer, Katrin Leumann mit dem Mountainbike, Ines Brodmann als Orientierungsläuferin oder Mathias Lampart im Ruderboot. Sicher ganz im Sinne der Turnverein-Gründergeneration ist das heutige Vereinsleben der TVR-Jugendriege. Ihre Mitglieder trainieren nicht nur zusammen und besuchen externe Wettkämpfe, sie nehmen auch in grosser Zahl an den jährlich stattfindenden vereinsinternen Anlässen teil wie der Schwimmmeisterschaft mit anschliessendem ‹Niggi-Näggi›, dem Waldlauf mit gemeinsamem Bräteln am Feuer im Frühling, dem Geländelauf mit Ballzielwurf im Herbst oder dem Jugendriege-Trainingslager.

QUELLEN
Peter Degen: Geschichte des Turnvereins Riehen. Festschrift
zum 100jährigen Jubiläum 1882–1982, Basel 1982
Paul Schäublin: 75 Jahre Turnverein Riehen. Festschrift
über die Jahre 1932–1957, Riehen 1957
Hans Gasser: Festschrift Turnverein Riehen 1882–1932, Basel 1932

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2020

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