Campus zur Hoffnung

Dominik Heitz

Es wird nicht nur privat gewohnt, sondern auch in Heimen. Als fortschrittliches Schulheimmodell gilt die von den Architekten Stump und Schibli geschaffene grosszügige Anlage des Sonderschulheims «Zur Hoffnung».

In Basels stadtplanerischen Kreisen ist ein Begriff zurzeit hoch im Kurs: der Campus. Die Novartis baut im Sankt Johann einen «Campus des Wissens»; die heute auf die halbe Stadt verstreute Universität soll über die Umgestaltung des Schällemätteli-Areals als Herzstück zu einem Campus zusammenwachsen, bei St. Jakob ist von einem geplanten Sportcampus die Rede und auf dem Dreispitz hat man die Vision eines «Campus des Bildes» vor Augen.

In Riehen funktioniert bereits eine Anlage, die vom Campusgedanken getragen ist: das neue Sonderschulheim «Zur Hoffnung» auf der Gerhalde.

Der Campusbegriff für diese Neubau-«Siedlung» stammt von den beiden Architekten Yves Stump und Hans Schibli, die den Projektwettbewerb für eine Neuanlage des Heims gewannen. Auch wenn es sich um eine - im Vergleich zu Universitätsstädten - winzige Campusvariante handelt, so ist hier der Begriff doch nicht abwegig. Wohnhäuser, Verwaltungs- und Betriebsgebäude, Gärtnereigebäude mit Gewächshaus, Tierstall, Sportplatz, Schulhaus, Therapiegebäude mit Hallenbad - all diese Bauten stehen über Wege miteinander vernetzt auf einem zusammenhängenden «Feld», wie der lateinische Name «campus» besagt, und bilden so eine Art «Dorf» im Kleinen, das alles an heilpädagogisch orientierter Erziehung und Serviceleistungen offeriert, was heutzutage verhaltensgestörte und geistig behinderte Internatsschüler für ihre Ausbildung und Wiedereingliederung in das Familienleben benötigen.

Vom Unzulänglichen zum Grosszügigen

Die neue Gesamtanlage des Schulheims «Zur Hoffnung» wirkt nicht nur sehr grosszügig, sie ist es auch. Den Kindern ist dies zu gönnen. Denn wenn man sich besinnt, was die Vorgängerin, die «Anstalt zur Hoffnung», bieten oder eben nicht bieten konnte, dann möchte man den Schülerinnen und Schülern nichts mehr anderes als diesen «Campus zur Hoffnung» wünschen.

Damit soll nicht Kritik an den früheren Heimleitern und schon gar nicht am Gründer dieser Institution geübt werden. Medizinprofessor Carl Gustav Jung (1794-1864) hatte 1857 das Heim für schwachsinnige Kinder in Basel ins Leben gerufen und übersiedelte es 1905 in die neu gebaute Liegenschaft Wenkenstrasse 33. In den 1960er-Jahren erkannte man, dass das Haus, welches Wohnheim, Schule, Büro, Küche und Aula in einem war, den Ansprüchen nicht mehr vollumfänglich genügte, und hegte Verlegungspläne, die sich aber alle wieder zerschlugen. Erst mit dem Antritt von Peter Kappeler im Jahr 1991 als neuem Heimleiter, dessen Auftrag es unter anderem war, eine Neukonzeption des Heimes auszuarbeiten, kam neuer Schwung in die Planung. Das war nötig, denn schwer behinderte Kinder konnten damals keine aufgenommen werden, da das alte Gebäude nicht rollstuhlgängig war.

Aber auch anderweitig barg es Unzulängliches: Die einzelnen Zimmer entsprachen Massenlagern und im ganzen Haus befand sich nur eine Badewanne. Trotz solchen unzeitgemässen, ja teils unzumutbaren Zuständen ist es den Mitarbeitenden und Kindern im letzten Jahr schwer gefallen, das ihnen vertraute, fast hundertjährige Haus zu verlassen und niedergerissen zu sehen.

Wie gediegene Villen

Die Lebensqualitäten, welche die Neubauten nun bieten, Hessen aber das alte Gebäude schnell vergessen. Stump und Schibli haben auf dem zur Wenkenstrasse hin abfallenden Hang der Gerhalde mehrere Gebäudekomplexe in einer Weise aus- und zueinander gestellt, dass sie sich in ihrer Verteilung der Umgebung mit ihren breit gestreuten Einfamilienhäusern anpassen. Von aussen wirken das Betriebs- und die beiden zweigeschossigen Wohngebäude wie gediegene Villen: dezent-elegant erscheinende Kuben mit begrünten Flachdächern, deren mit dunklen Klinkersteinen versehene Fassaden von hohen Fenstern und Terrassen durchbrochen werden und je nach Lichtverhältnissen in unterschiedlichen warmen Braun- und Rottönen schimmern.

Die zwei doppelstöckigen, insgesamt 32 Internatszöglingen Unterkunft bietenden Wohngebäude wurden quer zum Hang gestellt, sodass beide Etagen mit ihren je vier Einzelund zwei Doppelzimmern erdgeschossig zugänglich sind; das obere Geschoss von oben hinten, das untere seitlich vorne. Dank diesen unterschiedlich angelegten Eingängen sind alle Fassaden als eine Art Hauptfassaden ausgearbeitet. Ferner konnten dadurch die Kosten für einen Speziallift in den Wohnhäusern eingespart werden.

Raumhohe Fenster, grosse Terrassen

Die auf jedem Stockwerk sich befindenden Einzel- und Doppelzimmer, das Wohnzimmer, das Spiel- und Bastelzimmer, der Essraum mit Küche und das Büro mit Pikettraum sind im Kreis entlang der Aussenwand angeordnet, wobei der Zugang zu den einzelnen Räumen über Gänge erfolgt, die durch Nischen und kleine Plätze aufgelockert werden. In der Mitte jedes Geschosses befinden sich die von allen Zimmern leicht erreichbaren Toiletten, Duschen und Badewannen.

Um die Individualisierung der Kinder zu fördern, sind die jeweils übereinander Hegenden Stockwerke mit ihren grosszügigen Aussenterrassen unterschiedlich angeordnet. Kleines, kaum wahrnehmbares Detail, das den Architekten wie auch der Heimleitung sehr wichtig ist: Die einzelnen Zimmer verfügen je über ein raumhohes, zweigeteiltes Fenster. Der eine, breitere Teil ist bündig mit der Fassade und ermöglicht es den Kindern, Spielzeug ans Fenster zu stellen und dadurch ihr eigenes Zimmer von aussen erkennbar zu machen. Der andere, schmale Fensterteil ist etwas zurückversetzt, lässt sich öffnen und verfügt aussen über ein Geländer, sodass die Wirkung eines kleinen schmalen Balkons entsteht, den die Kinder offensichtlich nutzen und sich von hier gegenseitig zuwinken.

Fast nordisch anmutendes Erlebnis

Die beiden Wohnhäuser - möglicherweise kommt in naher Zukunft noch ein drittes hinzu - sind in die Mitte des Hanges und damit ins Zentrum der Anlage gesetzt worden. Von hier aus sind alle anderen Gebäude halbkreisförmig über relativ kurze Zugangswege erreichbar: Nimmt man den Weg nach unten Richtung Wenkenstrasse, gelangt man zum Tierstall mit Pferden, Geissen, Hängebauchschweinen und Hühnern. Auf der gleichen Höhe wie die Wohnhäuser befindet sich das zweigeschossige Betriebsgebäude mit «Dorfplatz». Hier ist zur Hauptsache die Küche, die Cafeteria, ein vielseitig nutzbarer Saal, ein Sitzungszimmer und die Wäscherei untergebracht. Hier werden für das ganze Heim die Mahlzeiten zubereitet, die die Schüler holen und zu ihren Wohngruppen tragen.

Auf den Scheitel der Gerhaldekuppe führt der Weg von den Wohnhäusern - an der Schulheimverwaltung, die in der alten Villa Herlan residiert, und am ehemaligen Gärtnerhaus vorbei - zum Sportplatz und zu den beiden noch im Bau befindlichen Gebäudekomplexen Schulhaus und Therapiegebäude, deren Stockwerke ebenfalls fast allesamt ebenerdig zugänglich sein werden. Im U-förmigen Schulhaus, das 32 Internats- und 18 Tagesschüler aufnehmen soll, sind acht Klassenräume, ein Kindergarten, ein Tagesschulraum, Räume für die Fachlehrkräfte sowie eine Turnhalle vorgesehen.

Das Therapiegebäude zeichnet sich durch ein grosszügig verglastes Therapiebad aus, das - wie es die Architekten formulieren - «vom dichten Baumbestand eng umschlungen, zum räumlichen, fast nordisch anmutenden Erlebnis wird». Im Obergeschoss sind die verschiedenen Therapieräume (Ergo-, Physio-, Musiktherapie usw.) untergebracht.

Verweilen auf dem «Dorfplatz»

Im unteren Geländestreifen, entlang der Wenkenstrasse, befinden sich die Gärtnerei, das Tiergehege und das alte «Preiswerkhaus», das als Lehrlingswohnheim dient. Während in der Gärtnerei, die für den Eigenbedarf des Heims arbeitet, Leichtbehinderte angelernt werden, dient das Tiergehege der Freizeitgestaltung, aber auch für Therapiezwecke. Einerseits kann der Kontakt zu Tieren durch Streicheln und Berühren beim Kind neurotische ängste abbauen helfen. Zum anderen ist das heilpädagogische Reiten ein Bestandteil der Gesamtförderung geistig behinderter Kinder. Dieser Teil des Sonderschulheims «Zur Hoffnung» ist aber auch als übergang zwischen öffentlichem Raum und Wohnheim gedacht. Denn die gesamte Anlage will nicht ein abgeschotteter Bezirk sein, sondern versteht sich als ein Campus, der durchaus von Aussenstehenden besucht werden kann. «Hauptverkehrsader» ist ein leicht ansteigender Weg, der das Gelände von der Wenkenstrasse aus bis hinauf zum Schulhaus durchzieht und die einzelnen Campusgebäude miteinander vernetzt.

Die Passanten sind willkommen, die Internatssiedlung über diesen Weg zu besuchen, das Tiergehege zu besichtigen, auf dem «Dorfplatz» oder in der Cafeteria zu verweilen und bis hinauf zum Sportplatz zu gehen. Denn dieser Platz wird als Nahtstelle zwischen dem Heim und den Wohnsiedlungen auf der anderen Seite der Gerhalde angesehen; laut den Architekten schafft der Sportplatz einerseits «die nötige Freifläche und Distanz (Lärm), andererseits wird hier ein möglicher Begegnungsort vorbereitet».

 

Anregendes Spannungsverhältnis

Was die neue Anlage im Weiteren auszeichnet, ist die Rücksichtnahme auf das Gelände mit seinen weiten Grünflächen, Baumgruppen und Parkanlagen, die für vielfältige Stimmungen sorgen. Die Architekten haben Recht, wenn sie sagen, dass die überblickbarkeit des gesamten Hanges, seiner Topografie und Tiefe dem Anwesen eine «unerwartete Würde und Grosszügigkeit» verleihen.

 

Dies alles wurde bei der Campusidee berücksichtigt. Das Gelände wirkt durch die neuen Bauten nicht zerschnitten oder zugebaut, sondern erscheint in einer Weise subtil gegliedert, dass das vorher Typische auch jetzt noch seine Wirkung entfalten kann. Im Gegenteil: Es entsteht zwischen den gleichwertig auftretenden alten und neuen Gebäuden, der Parkanlage und den Baumgruppen ein für das Auge anregendes Spannungsverhältnis.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2003

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