Celestino Piatti, ein weltbekannter Riehener Künstler

Ursula Huber

Celestino Piatti, der 1922 in der Nähe von Zürich geborene und schon seit bald zwei Jahrzehnten in Riehen wohnhafte Tessiner Künstler, braucht eigentlich dem Riehener Publikum nicht mehr speziell vorgestellt zu werden: alle kennen ihn und seine im Laufe der Jahre unzähligen und ungezählten für die Basler Industrie und das Basler Gewerbe ausgeführten Arbeiten. Was Basels Plakatwände ziert — z. B. der keck dreinblickende rote Hamster — ist zugegebenermaßen reines «Lokalkolorit». Die wenigsten aber wissen vielleicht, daß sich Piattis Tätigkeit hauptsächlich aus Aufträgen aus dem Ausland zusammensetzt.


Längst schon hat sich Piatti einen internationalen Ruf auf dem Gebiet der Graphik erworben und ist als eigenwilliger Künstler weit über unsere Landesgrenzen hinaus bekannt geworden. In den letzten Jahren aber ist er eindeutig in die Spitzenklasse der europäischen Graphiker aufgestiegen, was auch durch die von den Staatlichen Museen in der Kunstbibliothek Berlin im Sommer 1964 durchgeführte große Ausstellung seines bisherigen Gesamtoeuvres bestätigt worden ist.


Prof. Stephan Waetzoldt, der Generaldirektor der Berliner Museen, umriß damals im dazugehörigen Ausstellungskatalog Piattis Persönlichkeit und sein Werk folgendermaßen: «Wie kaum ein anderer beherrscht Piatti die Kunst moderner Hieroglyphik. Was nach zahllosen Studien, mit seinem Imprimatur versehen, das Atelier verläßt, ist unvergleichlich einfach und prägnant. Er bevorzugt glasfensterhaft leuchtende Farben von schwarzem Umriß wie mit Blei gefaßt. Linien und Flächen, Farben und Formen sind immer von starker Aussagekraft: das Nachtblau und der geschlossene Kontur seiner berühmten lesenden Eule mit den riesigen Augen, die Buntheit und der zackige Kontur des aufgeregten Federviehs in den Illustrationen zum Eulenglück oder die rote spitzige Hellebarde mit dem Menschenprofil als Schneide, die für den Beobachter wirbt, sind Meisterwerke künstlerischer Gestaltimg und schlagende Bildmetaphern zugleich. Die geistreiche Naivität von Piattis Bildersprache verharrt nie im Vordergrün

digen. Er hat die so seltene Fähigkeit, komplexe Gedankengänge, vielschichtige geistige Vorgänge zu raffen und in der Hieroglyphe seiner Bilder sichtbar zu machen. Piatti ist deshalb prädestiniert zum Buchillustrator. In Deutschland ist er vor allem durch seine Arbeiten für den Deutschen Taschenbuch-Verlag (dtv) bekannt geworden, der ihn mit der graphischen Gestaltung des gesamten Verlagsprogramms und aller Werbedrucksachen betraut hat. Auch sie zeugen von dem schier unerschöpflichen Reichtum seiner Bildphantasie, der Sicherheit seines Gefühls für Farbe, Fläche und Schrift und dem klugen Einfühlungsvermögen in Geist und Inhalt der von ihm illustrierten Werke. Immer wieder hat er seinen Mut zum künstlerischen Wagnis bewiesen, z. B. bei der Verwendung des anfänglich heftig kritisierten weißen Grundes für die Umschläge des Taschenbuch-Verlages.


Piatti liebt die einfachen Dinge: die reine, leuchtende Lokalfarbe, das Weiß und das Schwarz, das Tier und die Landschaft, den schlagkräftigen Humor. Es gehört zum Geheimnis der Wirkung seiner Arbeiten, daß sie immer unmittelbar und spontan bildlich, nie konstruiert und gedanklich sind, ohne daß sie dadurch an geistiger Tiefe verlören. Deshalb ist Piatti ein besonders guter Illustrator von Kinderbüchern. Da ist alles klar und eindeutig, mit festen Formen und reinen Farben wie mit großen Blockbuchstaben für Kinderaugen hingeschrieben. Nirgends gibt es Konzessionen an das Kind im Künstlerischen, nur gesteigerte Vereinfachung und Formenstrenge».


Nach dem schlagenden Erfolg der Berliner und einer vorausgegangenen Ausstellung in Hamburg sind nun auch eine Ausstellung in Bremen, die noch dieses Jahr, und eine weitere in New York, die im Frühling 1966 stattfinden soll, geplant.


Wie schon oben erwähnt, ist Piatti 1961 mit der Gestaltung sämtlicher Buchumschläge für den Deutschen Taschenbuch-Verlag betraut worden. Er gestaltet die verschiedenartigen dtv-Reihen — die Sonderreihe, die normale der Romane und Sachbücher, die der Dokumente und diejenige der Klassiker — so, daß sie das prägnante, unverwechselbare Gesicht des Verlags tragen und sich trotzdem in ihrer Sonderart voneinander unterscheiden. Im Rahmen der eher strengen einheitlichen Gesamtgestaltung bleibt noch genügend Spielraum für die graphische Ausdrucksskala der Umschlagzeichnungen. Daß diese eine dienende Funktion haben, indem sie den Inhalt des einzelnen Bandes treffend charakterisieren müssen, ist für Piatti eine Selbstverständlichkeit. So liest er jeden Text, für den er den Einband zu gestalten hat, um dann das entsprechende «Signet» zu finden. Die Vielfalt der Aufgaben, die sich ihm bei der Durchführung dieses Programmes gestellt hat — in den ersten drei Jahren waren es 300 Bände, und heute ist die Produktion so angewachsen, daß Piatti jeden dritten Tag einen neuen Umschlag entwerfen muß — hat ihm selber gut getan. Sie gibt ihm größere Freiheiten im Illustrationsstil und erweitert die Welt seiner Bildvorstellungen auch vom Thematischen her.


Dr. Maria Netter charakterisierte diese Tatsache in einem kürzlich in Graphis — der dreisprachigen, auf der ganzen Welt herauskommenden Zeitschrift — über Piatti erschienenen Artikel wie folgt: «Man spürt diese größere Beweglichkeit auch in jenen Arbeiten, die er in den letzten Jahren für die chemische Industrie ausgeführt hat. Auch hier blieb er in guter werbegraphischer Disziplin dem Gegenstand und seiner Funktion hart auf den Fersen.»


Nebst den Arbeiten für den dtv in München, gestaltet Piatti auch eine politische Buchreihe — einen Titel pro Monat — für den portugiesischen Verlag Meridiano Lisboa.


Damit ist seine Tätigkeit auf diesem Gebiet jedoch noch lange nicht erschöpft. Eine schöne Freundschaft verbindet ihn mit dem Schriftsteller Edzard Schaper, für den er die Weihnachtslegende «Der vierte König» illustrierte. Dazwischen entstanden über 60 Illustrationen für den dtv-Band 260 «Laßt nur die Sorge sein. Ein fröhliches Handbuch mit Versen von gestern». Im weitern erschien kürzlich im PiperVerlag ein Aphorismen-Bändchen, betitelt «Lakonische Zeilen», von Heinrich Wiesner mit ebenso lakonischen Zeichnungen von Piatti.


Das von Prof. Waetzoldt erwähnte «Eulenglück» war — nach der Lesefibel für Erstkläßler und dem Büchlein «Wir lernen lesen» — Piattis erstes richtiges Kinder-Bilderbuch. Es kam 1963 im ArtemisVerlag heraus. In der Zwischenzeit wurden unter dem Titel «The happy Owls» auch in Amerika bereits über 20 000 Exemplare verkauft.


Eulen scheinen Piatti aber auch tatsächlich Glück zu bringen. Seit Jahren hält der Erfolg an; der Stil, die typische schwarze Kontur (übrigens von vielen kopiert, aber von keinem so erreicht, daß sie mit Piatti verwechselt werden könnte) bewährte sich, ohne zu ermüden. Und das ist vielleicht doch weniger auf die glückbringenden Eulen, als auf Piattis eigenes Verdienst zurückzuführen: offensichtlich hat Piatti die beiden großen Gefahren, denen jeder begabte Graphiker ausgesetzt ist, gebannt: erstens die Gefahr, die eigene Handschrift so zu hätscheln, zu perfektionieren und zu sterilisieren, daß schließlich mit dieser Handschrift nicht mehr für die Sache, eine Ware oder eine Idee geworben wird, sondern nur noch für sich selbst. Und zweitens die Gefahr, aus der Werbegraphik, die nun einmal eine dienende oder «angewandte» Kunst ist, eine freie, unverpflichtete, vagabundierende Kunst zu machen.


Trotz seines Welterfolgs hat Piatti sein Atelier nicht zu einem Großbetrieb aufgebläht. Nach der Absolvierung der Kunstgewerbeschule, einer vierjährigen Graphikerlehre in einer Zürcher Druckerei und einem weiteren vierjährigen Gastspiel bei Fritz Bühler in Basel gründete er zusammen mit seiner Frau Marianne Piatti-Stricker das eigene Atelier: nach wie vor ist es ein Einmann-Betrieb; nur gelegentlich gibt er gewisse Arbeiten an frei arbeitende Texter und Graphiker aus. Vielleicht ist auch dies eines seiner Erfolgsgeheimnisse.


Nachdem Piatü sich schon als anspruchsvolles, zwei Mäuse pro Tag vertilgendes Haustier einen Waldkauz hält, fand er es nur recht und billig, seine seltsamen gefiederten Freunde nicht nur mit Pinsel und Farbe aufs Papier zu bannen, sondern ihnen auch mit der Filmkamera ein Denkmal zu setzen. Der Film «Piatü-Eulen», von Hansbeat Stricker, zu dem Jacques Wildberger die Musik komponierte (beides ebenfalls Riehener Bürger), entstand 1964. Unterdessen ist bereits eine Filmrolle vom «Museum of Modern Art» in New York angefordert worden. Ferner wurden die «Piatti-Eulen» vom Bayerischen Rundfunk als Fernsehfilm übernommen. Aus Athen allerdings haben sich bis jetzt noch keine Interessenten gemeldet.


Piatüs große Liebe gehört — das müßte hier nun wahrscheinlich wirklich nicht mehr speziell hervorgehoben werden — den Tieren. Kätzchen und Kater schnurren sich in mancherlei Gestalt durch seine Arbeiten. Daß er aber auch beispielsweise mit Fischen aller Spielarten auf «guter Flosse» steht, beweisen seine für den Paul-Parey-Verlag für Bücher und eine Zeitschrift über den Fischfang ausgeführten Arbeiten. Im Herbst dieses Jahres ist übrigens im Artemis-Verlag Zürich und Stuttgart, im Atheneum-Verlag New York und im Ernest-Benn-Verlag London Piatüas zweites Kinder-Bilderbuch, ein «ABC der Tiere» herausgekommen.


Seit 1949 waren Arbeiten von Piatti fast jedes Jahr unter den besten Schweizer Plakaten und auf Ausstellungen in aller Welt. Was Piatti als kompetenter und versierter Fachmann zum Thema «Plakat» zu sagen hat, sei hier auszugsweise aus einem von ihm für das Internationale Plakat-Jahrbuch 1965 verfaßten Artikel wiedergegeben: «Jedes

Plakat hat die Aufgabe, eine Botschaft zu vermitteln und diese Botschaft auf möglichst klarem und direktem Weg zugänglich zu machen. Obwohl das Plakat, besonders bei den Gestaltern, eine Vorzugsstellung einnimmt, und deshalb gehätschelt und gepflegt wird, hat es noch absolut keinen Anspruch auf besonders rücksichtsvolle Behandlung. An Säulen, an Plakat- und Bauwänden, wo immer es angeschlagen wird, werben neben dem einen Plakat, für das wir uns auch besonders Mühe gegeben haben, das in unserem Atelier und im Büro des Auftraggebers so glanzvoll gewirkt hat, gleichzeitig fünf, zehn oder mehr Plakate in verschiedenen Größen, in zarten, in grellen, in lockenden Farben und Formen um die Gunst des Menschen, der im günstigsten Falle zu Fuß, meist aber motorisiert — mechanisiert an dieser bunten Ausstellung vorbeieilt.


Die Gestaltungsgesetze tragen allen diesen Umständen Rechnung. Aber zum eigenen Schaden werden diese klaren, selbstverständlichen Gesetze dauernd mehr oder weniger übertreten. Würden die Gestaltungsgesetze, die zu einem Plakat führen, eingehalten, gäbe es keine schlechten und wirkungslosen Plakate. Es überrascht immer wieder, wieviel Geld für schlechte Plakate ausgegeben wird, das in keinem Fall wieder eingebracht werden kann, weil die Werbekraft, die in einem guten Plakat liegt, gar nicht voll ausgenützt wurde. Die Kosten für gute oder schlechte Plakate punkto Druck und Aushang sind gleich. Also bleibt noch das Gestaltungshonorar. Ganz hervorragende Werbeplakate können selbstverständlich auch durch das Gestaltungshonorar verteuert werden, weil es eine selten beherrschte Kunst ist, komplizierte Themen und Werbegedanken auf eine so einfache Formel zu bringen, daß die Gesetze der Gestaltung erfüllt und das Plakat dementsprechend wirksam werden kann. Die Gestaltungsmittel sind vollkommen frei, sofern sie sich im Dienste der Sache unterordnen können. Es geht bei der Schöpfung wirksamer Plakate nicht um Stilfragen, jedoch sehr um das Können, die Mittel richtig einzusetzen.»


In einem vor rund acht Jahren über Piatti erschienenen Artikel stand: «Es mag die gerade und natürliche Art von Piattis Wesen sein, die ihm immer wieder ermöglicht, ohne Umwege über Witz und Intellekt, mit seinem Formulieren eine ursprüngliche menschliche Beziehung zu schaffen und allgemeingültige Gefühlswerte beim Pubikum anzurühren.»


Dies scheint in der Tat des Pudels Ali (dtv-Band 301) Kern zu sein.


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1965

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