Christoph Vitali - neuer Direktor der Fondation Beyeler

Dominik Heitz

Seit 1994 wirkt der Zürcher Christoph Vitali erfolgreich als Direktor am Haus der Kunst in München. Nun ist ihm der Vertrag nicht mehr verlängert worden. Ernst Beyeler reagierte schnell: Er holt ihn als Direktor nach Riehen in seine Fondation.

Man kann ohne Bescheidenheit von einem kleinen Coup sprechen, den da Ernst Beyeler mit der Wahl Christoph Vitalis zum neuen Direktor der Fondation Beyeler in Riehen gelandet hat. Denn der am 28. September 1940 in Zürich geborene Christoph Johannes Vitali gilt in Kunstkreisen als höchst respektierte Person. Seine grössten Meriten verdiente er sich in den letzten acht Jahren als Direktor des Hauses der Kunst in München. Geschickt und gekonnt hat es der phantasiereiche Vitali in seiner Münchner Zeit verstanden, den wissenschaftlichen Anspruch an eine Ausstellung mit einem guten Schuss Unterhaltung zu verknüpfen.

Dabei hatte er - was seine Ausbildung angeht - in jüngeren Jahren mit Kunst nicht allzu viel am Hut: Wohl ging er für ein Jahr nach Amerika, um dort das Liberal-ArtsStudium an der Universität Princeton in New Jersey aufzunehmen, das amerikanische und englische Literatur, Geschichte, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft umfasste. Danach aber studierte er an der Universität Zürich Jurisprudenz und legte nach dem Lizenziat noch das Anwaltsexamen ab. Doch dann nahm er als Quereinsteiger 1969 eine Stelle als Adjunkt im Zürcher Kulturreferat an, das er später von 1971 bis 1978 verantwortlich leitete.

Seine Tätigkeit als Direktor umfasste alle Gebiete der Kulturförderung und Kulturpolitik. Er leitete zwei Theater, zwei Museen und ein kommunales Kino.

1979 wechselte Vitali nach Frankfurt, wo er einige Jahre als Verwaltungsdirektor der Städtischen Bühnen fungierte, bis er 1985 zum Geschäftsführer der neuen Frankfurter Kulturgesellschaft berufen wurde. Nun war er Manager eines «Mischkonzerns», betreute ein Off-Theater und einen lebhaften Treffpunkt der alternativen Kultur und leitete zugleich die neu eröffnete Schirn-Kunsthalle. Befragt vom Kunstmagazin «art», was er in dem schwierigen Neubau zeigen wolle, antwortete er ehrgeizig: «Die schönsten und wichtigsten Ausstellungen, derer ich habhaft werden kann.» Der Durchbruch gelang ihm 1989 mit einer gross angelegten Wassily-Kandinsky-Retrospektive: Erstmals und exklusiv wurden Gemälde aus sowjetischen Beständen gezeigt. Ebenfalls grosse Resonanz fand die «Grosse Utopie», eine Ausstellung, die emphatisch das bildnerische Erbe der russischen Revolutionsjahre in Erinnerung rief. Einen weiteren Erfolg landete Vitali mit dem Frühwerk Marc Chagalls: Sieben spektakuläre Wandgemälde, die von Chagall 1920 für das jüdische Kammertheater in Moskau gemalt worden waren, konnte er aus dem Magazin der Tretjakow-Galerie für eine Ausstellung gewinnen und sie auf Frankfurter Rechnung restaurieren lassen.

«Götterliebling» und «Hätschelkind»

Dann, Anfang 1994, trat der Schweizer Ausstellungsmacher sein Amt als Direktor am Haus der Kunst in München an. Der von Hitler 1937 eingeweihte klassizistische Nazibau war seit Ende der Siebzigerjahre zusehends heruntergekommen. Vitalis Aufgabe war es nun, dem Haus, das gut drei Jahre lang für 50 Millionen Mark saniert worden war, neues Leben zu verleihen. Paukenschlagartig gab er seinen Einstand mit der Ausstellung «élan vital», einer verführerisch eingerichteten Eloge auf Kandinsky, Klee, Mirò, Arp und Calder, fünf Wegbereiter der klassischen Avantgarde. Es folgten Schauen wie «The Romantic Spirit in German Art», die Doppelausstellung «Die Farnese» oder die BarnesCollection.

Neben diesem Amt wurde Vitali 1996 vom Verein «Die Schweiz an der Frankfurter Buchmesse 1998» mit der Leitung des gleichnamigen Projekts beauftragt. Die Schweiz sollte als Gastland im Jahr 1998 Schwerpunktthema der Buchmesse werden. Unter dem Motto «Hoher Himmel — enges Tal» richtete das Basler Architekturbüro Diener Et Diener zusammen mit dem Künstler Peter Suter die vorgegebene Halle ein.

Daneben lief seine Arbeit im Haus der Kunst in München weiter; eine Ausstellung reihte er an die andere. Dabei schielten verschiedene Institutionen immer wieder nach Vitali und überlegten sich, ob der «erfolgreichste Ausstellungsunternehmer der letzten anderthalb Jahrzehnte in Deutschland» («Frankfurter Allgemeine Zeitung») nicht zu haben sei. So wurde Vitali gerüchteweise als Nachfolger der gescheiterten Frankfurter Kulturdezernentin Linda Reisch ins Spiel gebracht. Und als es galt, den Direktorenposten am Basler Kunstmuseum neu zu besetzen, fiel zwischendurch der Name Christoph Vitali.

Dass Vitali, der im Haus der Kunst inzwischen mehr als neunzig Ausstellungen vorgelegt hat, bald fallen gelassen würde, ahnte damals noch niemand: Es war im Januar 2002, als der bayerische Kunstminister Hans Zehetmair dem 61 Jahre alten Museumschef beschied, dass sein Vertrag nicht über den März 2003 verlängert werde. Vitali habe mit seinen Ausstellungen «rote Zahlen» geschrieben und den Etat überzogen, sagte der CSU-Politiker und rief mit dieser Entscheidung heftige Proteste hervor. Die «Frankfurter Allgemeine» schrieb in einem Artikel: «Vitali, Götterliebling und öffentliches Hätschelkind zuerst der Frankfurter, seit 1994 der Münchner Gesellschaft, ist zum Opfer seines eigenen, bisweilen schier abenteuerlichen Erfolgs geworden» - und schloss: «Ihn nun so abzuservieren, ist politisch geschmacklos.»

Neues Amt und «eigene» Sammlung

Einer, der schnell auf diesen Entscheid reagierte, war Ernst Beyeler. Er, der im vergangenen Jahr seinen 80. Geburtstag feiern konnte und für sich nach einem geeigneten Nachfolger in der Fondation Beyeler suchte, sondierte und liess zwei Monate später, Mitte März, in einem Communiqué verlauten, dass - obschon Angebote aus Köln und Berlin vorlägen - die Fondation Beyeler in Riehen «reelle Chancen» habe, Vitali als neuen Direktor zu gewinnen. Keinen Monat später war es definitiv: Vitali wird ab April 2003 sein neues Amt als Direktor der Fondation Beyeler antreten, ein Amt, das es in diesem Hause bislang nicht gab. Der Vertrag läuft für zunächst vier Jahre. Vitali wird nach eigenen Angaben alle Freiheiten haben, auch über Personalentscheidungen; er ist für die Sammlung und die Ausstellungen zuständig.

Damit wird dem jetzigen Kurator Markus Brüderlin ein Chef vorangestellt. «Brüderlin wird mein Mitarbeiter», sagte Vitali in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung». «Es gab ein wenig Missstimmungen, ja. Aber das Basler Haus hat, trotz oder wegen einer geradezu unglaublichen Aufwärtsbewegung, zuletzt sehr fraktal gearbeitet: Jeder eigenbrötelt vor sich hin. Niemand hat sich um das grosse Ganze gekümmert. Das wird nun anders.» Das heisst: Vitali will dem Museum wieder eine einheitliche Stossrichtung geben und etwas von der «überexpansiven Kraft der letzten Zeit zurücknehmen».

Mit diesem Amt übernimmt Vitali erstmals ein Museum mit einer eigenen Sammlung. Das ermöglicht einiges. Denn ohne Sammlung ist es - insbesondere seit nach dem «11. September» die Versicherungswerte für Leihgaben um rund ein Drittel gestiegen sind - schwierig, Werke aus anderen Museen ausleihen zu können.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2002

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