Das Riehener Info-Blatt ist 100 Jahre alt

Fabian Schwarzenbach

Ein ganzes Jahrhundert gibt es ‹’s Blettli› bereits. Die Riehener Zeitung trotzt dem allgemeinen Zeitungssterben und ist im Dorf fest verankert.

Überall werden Zeitungen eingestellt, ausgedünnt, in ein Tabloid-Format gezwängt oder gleich ganz ins Internet gestellt, wo sie dann ebenfalls ums Überleben kämpfen. Die ‹Riehener Zeitung› (RZ) erscheint immer noch jeden Freitag im gewohnten Zeitungsformat. Den Einstieg in die digitale Welt scheint sie verpasst zu haben, allerdings hat dies einen grossen Vorteil. Im Netz ist die Leserschaft immer wieder gezwungen, die Adresse im digitalen Gerät anzuwählen. Die Zeitung liegt dagegen unaufgefordert im Briefkasten bereit. Trotzdem kennt auch die digital-affine Jugend das Blatt. Warum, fragen sich manche? Nur einen Grund dürfte es nicht haben, sondern gleich mehrere. 

Einer ist die Nähe der Zeitung zur Leserschaft. Was nach einer Floskel tönt, bewahrheitet sich geografisch und zwischenmenschlich. Einem Dorf und für das Dorfleben hilft ein eigenes Mitteilungsblatt sehr. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist einfacher zu generieren. Davon profitiert umgekehrt auch die Zeitung. Riehener Vereine haben die Möglichkeit, via Berichte, die sie mitunter auch selber schreiben, ins Schaufenster des Dorfes zu treten und sich zu präsentieren. Etwas, das im Internet nicht oder nur mit grossem Aufwand möglich ist. In den grossen Zeitungen Gleiches zu erreichen, ist schwieriger. 

GEWERBE UND POLITIK
Auch Gewerbebetriebe werden regelmässig vorgestellt und treten so in Erscheinung. Sie haben eine geografisch klar begrenzte Möglichkeit, Inserate zu schalten. Eine kostspielige Publireportage zu bezahlen ist ein Weg, in den grossen Blättern zu erscheinen, aber für kleine KMUs zu teuer. Trotzdem darf sich die RZ als Monopolistin nicht zu sicher fühlen: Angriffe durch den ‹Vogel Gryff›, der vom Kleinbasel Richtung Riehen expandierte und es schaffte, der RZ Werbebeilagen abzuluchsen, und durch die ‹Kleinbasler Zeitung› (KBZ) konnten abgewehrt werden. Den ‹Vogel Gryff› gibt es nicht mehr, und die KBZ kämpft nach dem Tod ihres Förderers Roland Vögtli ums Überleben. Diese ‹Gefahr› besteht somit nicht mehr. 

Die lokale Politik dürfte ebenfalls ein grosses Interesse am regelmässigen Erscheinen der Riehener Zeitung haben. Nirgends können Dorf-Debatten einfacher und medien-wirksamer ans Volk gebracht werden. Politikerinnen und Politiker haben so eine exakt auf die Wählerschaft zugeschnittene Profilierungsebene. Gäbe es die RZ nicht, die lokale Polit-Prominenz würde in den beiden anderen grossen Blättern im Einzugsgebiet nur am Rand stattfinden oder ganz untergehen. Der Vergleich mit der Basler Bürgergemeinde sei erlaubt: Die grösste Bürgergemeinde der Schweiz findet faktisch in den Lokalmedien nicht statt. Nur mit Mühe gelingt Bürgergemeinderat und Bürgerrat der Weg in die Medien. Aber auch viele Grossrätinnen und Grossräte beneiden die Riehener und Bettinger Kolleginnen und Kollegen, die so direkt zum Wahlvolk sprechen können. Selbstverständlich gilt das auch für sachliche Diskussionen über aktuelle Probleme, bei denen es auch für die Leserschaft einfacher möglich ist, beispielsweise über Leserbriefe oder gar Kolumnen zu reagieren.

EINE ZEITUNG LEBT UND ÜBERLEBT
Zum 75-Jahr-Jubiläum sah der damalige Chronist Christian Schmid-Cadalbert im Riehener Jahrbuch 1997 drei Gründe für das Überleben der Riehener Zeitung: die Loyalität der Druckerei Schudel, ortskundige, kompetente und verantwortungsbewusste Chefredaktoren sowie das Bestreben der Gemeinden Riehen und Bettingen, ein Eigenleben neben dem übermächtigen Basel zu führen. Mit Grund Nummer eins lag Schmid-Cadalbert zwar nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig: Der Verlag hat gewechselt, und auch unter dem Reinhardt-Verlag ist die Zeitung erfolgreich. Denn der Verlag garantiert die Unabhängigkeit des Lokalblattes. Reinhardt hat als Herausgeber anderer Blätter, wie des ‹Birsigtal-Boten› oder des Allschwiler oder Muttenzer ‹Anzeigers›, auch die entsprechend notwendige Erfahrung. 

Die Redaktorinnen und Redaktoren – nicht nur die Chefredaktion, wie Schmid-Cadalbert meint – haben auch in den jüngst vergangenen Jahren und Jahrzehnten bewiesen, dass sie das Erbe geschickt weiterführen können. Es ist und bleibt enorm wichtig für die Redaktion, sich im Riehener und Bettinger Bann auszukennen, zu wissen, was wo los ist. Ohne ‹Locals› ein Lokalblatt zu machen, wird sehr schwierig. Gleichzeitig ist aber der direkte Draht der Redaktion zu den Gemeindebehörden wie auch zu Politik und Gesellschaft enorm wichtig. Gerade in einem kleineren Gebiet, wo sich die einzelnen Personen noch persönlich kennen können, muss diese Möglichkeit ausreichend genutzt werden. 

Der letzte Punkt von Schmid-Cadalberts Aufzählung darf, ja muss den beiden Gemeinden zugeschrieben werden. Sie verstehen es, sich als selbstständige Kommunen neben der grossen vereinnahmenden Stadt zu behaupten. Machen müssen dies Politikerinnen, Gewerbetreibende, Dorfbewohnende und so weiter alle zusammen. Sicher hilft da das Blettli kräftig mit, aber profitiert natürlich auch davon.

FINANZIERUNG
Inserateeinnahmen sind für die Zeitungsmacher nach wie vor eine wichtige Finanzierungsquelle, auch wenn diese in den vergangenen Jahren nachgelassen hat. Nicht minder wichtig sind die zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten, die ebenfalls eine wesentliche Stütze sind und so etwas an ihre wöchentliche Information bezahlen. In einem Vertrag sind Leistungen und Entgelt der Gemeinden geregelt. So werden offizielle Amtsmitteilungen, die Grossauflage an alle Haushalte oder das Neuzuzüger-Abonnement abgegolten. Die RZ wird von Riehen also nicht einfach subventioniert oder gar finanziert.

Inhaltlich kann es für die RZ nie darum gehen, das Weltgeschehen zu erklären. Auch wenn das in den Anfangsjahren als ‹traditionelle Umschau› im Stile alter Volkskalender versucht wurde. Ist eine nationale Abstimmung auch für das Dorf nordöstlich von Basel relevant, dann muss sie aber schon aufgegriffen werden. Entscheidender ist es jedoch, das Dorfgeschehen abzubilden: mitzuteilen, was auf den Riehener Kilometern passiert. Hielt die RZ in den ersten Erscheinungsjahren die Verbindung zwischen den Dorfteilen aufrecht, so macht sie heute eher den Spagat zwischen einzelnen Wünschen und Interessen sowie neutraler und sachlicher Information über das Dorfgeschehen. Trotzdem sind in erster Linie die kleinen Dinge, die sich im Dorf ereignen, zentral. Ein Unfall mag nicht wichtig sein für die überregionale Bevölkerung, aber für diejenigen, die die Sanität um die Ecke fahren hörten, schon. Darin begründet sich auch die Zukunft einer lokalen Zeitung. Die Leute wollen wissen, was neben ihnen und um sie herum geschieht.

EIN MUTIGER ENTSCHLUSS
Eine erfolgreiche Gegenwart und eine rosige Zukunft nähren sich meist auch aus richtigen Entscheidungen aus der Vergangenheit. Dazu gehört der Mut von Albert Schudel-Bleiker (1877–1941), im November 1913 einen «Anzeiger für Riehen und Umgebung» «jeden Freitag in allen Geschäften und Haushaltungen gratis» abzugeben. Grundlage dafür war eine Schnellpresse, die er in seinem kleinen Druckereibetrieb aufstellte. Allerdings hatte er mit Schwierigkeiten zu kämpfen; er liess sich aber nicht beirren und versuchte 1922 einen Neubeginn mit dem ‹Anzeige- und Verkehrsblatt für Riehen und Bettingen›, das im Grundsatz die heutige Riehener Zeitung begründete. «Es wird sie über alles Wichtige, das hier vorgeht, informieren und ihnen eine enge Fühlungnahme mit dem eigentlichen Dorfe sichern», garantierte er vor allem den Aussenquartieren. 1925 wurde erstmals ein Abonnementspreis von vier Franken eingezogen, was zu Diskussionen führte, aber mit der Zeit akzeptiert wurde. 1933 wurde das Blettli in ‹Riehener Zeitung› umgetauft. Dabei wurde auch das Wort ‹amtlich› im Untertitel verboten. Nicht, weil keine Gemeindemitteilungen mehr erschienen wären, sondern weil sich der Sohn des Gründers, Albert Schudel-Feybli (1910–2003), kritisch über die nationalsozialistische Diktatur geäussert hatte. Es folgten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts technische wie redaktionelle Entscheidungen, die zwar klein scheinen, aber grosse Auswirkungen auf das Leseverhalten hatten. Beispielsweise wuchs der Umfang immer mehr an von anfangs lediglich vier Seiten auf noch heute übliche zwölf bis zwanzig Seiten. Dazu wurden immer mehr Fotos eingefügt, die heute natürlich – wie übrigens die ganze Zeitung – durchgehend farbig sind. Der Anteil an Illustrationen ging entsprechend zurück. Anfang 1977 folgte dann das klare Bekenntnis zum Lokalen: «Deshalb erscheint der lokale Teil schon auf der ersten Seite», schreibt Schudel junior. Seit 1982 ist die RZ fünfspaltig, bereits seit 1948 wurde sie vierspaltig dargestellt. Die fünfspaltige Darstellungsweise ermöglicht viele Gestaltungsversionen. So können Hauptartikel mit Bild gross über vier oder nur drei Spalten gezogen werden und gleichzeitig in zwei Spalten oder einer Spalte nebenan kleine Mitteilungen eingefügt werden. 

Im Jahr 2001 erfolgte dann eine der grössten Änderungen: Die Basler Friedrich Reinhardt AG übernahm Druckerei und Verlag der Riehener Zeitung, die A. Schudel & Co. AG. Obwohl das eine der grössten Veränderungen im Hintergrund in der bisherigen Zeitungsherstellung war, ist sie vordergründig für die Leserschaft im Blatt ohne konkrete Auswirkungen geblieben. Jede Leserin und jeder Leser hat immer noch die ‹Riehener Zeitung› vor den Augen. Das heisst, dass die Grundlage der Unternehmensstrategie nicht oder nur wenig geändert wurde. Die ‹Riehener Zeitung› blieb eine abonnierte Publikation, die zehnmal im Jahr als Grossauflage in alle Briefkästen von Riehen und Bettingen eingeworfen wird.

Auch wenn die Digitalisierung die Gesellschaft verändert und an den Gewohnheiten der Menschen rüttelt, sorgt ein Mitteilungsblatt auf Papier für eine Konstanz und eine Gewohnheit, die über Generationen weitergegeben wird. Klar wird die RZ ihre Präsenz im Netz oder in den Sozialen Medien ausbauen. Einen ersten Schritt hat sie bei Instagram gemacht. Dort werden immer wieder kleine Informationen geteilt oder auf Veranstaltungen aufmerksam gemacht. Die RZ hat auch im Netz ihre Daseinsberechtigung und kann wertvolle Informationsdienste für die Gemeinden Riehen und Bettingen leisten. Allerdings wird sie ihren Anteil am Dorfleben bis zu einer totalen Digitalisierung des Lebens (wird es das je geben?) in Papierform erbringen – zur Freude aller Leserinnen und Leser. Oder wie es der verstorbene St. Galler Medienprofessor Peter Glotz einst ungefähr formuliert hat: «Zeitungen werden erst verschwinden, wenn man mit dem Laptop Fliegen erschlagen kann.»

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2022

zum Jahrbuch 2022