Das romanische Haus von Riehen

Helmi Gasser

1. Lage und heutiger Baubestand

Der Riehener Dorfplatz, mit der südlichen Längsfront der Kirche, die an der westlichen Eingangsseite eingefasst wird vom Klösterli und am Chorhaupt vom alten Gemeindehaus und den anschliessenden Schopfbauten, in welchen noch die einstige wehrhafte Speicherumwallung ablesbar bleibt, bildet recht eigentlich das Zentrum der Siedlung. Aber wie eine kostbare Medaille hat dieses eine ebenso malerische «Kehrseite» hinter der nördlichen Längsseite der Kirche, den Meierhof. Während der heutige Dorfplatz doch stark geprägt ist von den Veränderungen, die 1835 vorgenommen wurden — er ist durch den Abbruch eines grossen Teils der die Kirche umgebenden Speicherumwallung zustande gekommen — so zeigt die Rückseite mit dem Meierhof noch weitgehend die mittelalterlichen Dispositionen. Bestimmend ist hier das hochragende Wohnhaus des Meierhofs, das, wie ummantelt von den niedrigeren Bedachungen seiner Zubauten, der Scheune, Stallung und Remise, herauswächst und mit dem Kirchturm gleichsam in einen Wettstreit tritt.

Es scheinen, auch in der mittelalterlichen Anlage, im vorderen und rückwärtigen Teil dieser kirchlichen Kernzone zwei verschiedene Konzeptionen aneinanderzustossen: der Speicherkranz, der ausschliesslich auf die in ihrer Mitte befindliche Kirche bezogen ist, sie in weicher Linienführung umschliesst, bricht an der Grenze zum Meierhof ab. Im Areal des Meierhofs entwickelt sich dagegen eine baulich lockerere Anlage, die nicht so sehr auf die Kirche ausgerichtet ist denn auf das eigene Hauptgebäude, das Wohnhaus. Die Abgrenzung des Meierhofbezirkes gegen Klösterli und Kirchhof vollzieht sich in auffallenden Brechungen und Abwinklungen des Mauerverlaufs, wie wenn in seiner Führung bereits bestehende Bauten und Rechte zu berücksichtigen gewesen wären. Dass die Trennung von Kirche und Meierhof freilich schon vor langem stattgefunden hat, erweist ein romanisches Tor in dieser hohen Mauer, das zugleich die Verbindung von Meierhof und Kirche herstellte. Dass dieses Tor seine Aussenseite im Kirchhof hatte, sich vom Meierhof her schliessen und öffnen liess, mag wiederum auf die gewisse Eigenständigkeit des Meierhofbereiches hinweisen.

Das Wohnhaus steht mit seiner kirchwärtigen Schmalseite am nächsten Punkt rund 21m von der nördlichen Seitenfront der Kirche entfernt. Dabei verläuft diese Meierhoffront nicht parallel zur Kirche, sondern winkelt um 15 ° wiesewärts aus, was im übrigen zum spannungsvollen Gegenüber von Kirche und Meierhof wesentlich beiträgt. Das Wohnhaus hat im Mittel 12,50 m Länge und 10 m Breite. Bei einer Mauerstärke, die im Erdgeschoss durchschnittlich über 90 cm hat und in den oberen Geschossen ca. 10—15 cm abnimmt, beträgt die Innenraumfläche 10,50 m x 8 m. Das Bauwerk hat drei Vollgeschosse und steigt bis zum Giebelansatz rund 10 m empor. Die beiden breiteren Seiten des Baukörpers sind als Giebel (40% Steigung) ausgebildet. Die Eingangsseite stellt die gegen das Erlensträsschen blickende Giebelfront dar, während an den gegenüberliegenden Giebel die Scheune stösst, deren grundrissliche Dimensionen fünfeckig bis an die Grenzen von Klösterli und Kirchhofmauer sich ausdehnen und jene des Wohnhauses beträchtlich übertreffen. Von dieser Scheune zieht an die Kirchstrasse noch ein schmalerer Schopf; an die hohe Mauer gegen die Kirche fügen sich die Stallungen an.

Das Haupthaus enthält an seinen drei freistehenden Seiten durchschnittlich pro Stockwerk zwei Fenster, deren nicht regelhafte Anordnung auf spätere Veränderungen hinweist. Die bloss mit einem Falz versehenen Fenstereinfassungen gehören Veränderungen des 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts an. Ein gekehltes Fenster mit Mittelpfosten im 1. Stock giebelseits deutet auf spätgotischen Ursprung, die mit Karnies und Falz versehenen Fenster der Eckstube im Parterre (Eingangsseite/wiesenwärtige Seite) entstammen Spätrenaissance oder Barock. Auf der gegen die Kirche blickenden Traufseite zog schon seit längerer Zeit ein romanisches Rundbogenfenster im 1. Stock die Aufmerksamkeit auf sich, liess es doch vermuten, dass im Riehener Meierhof das älteste Wohngebäude des Dorfes Riehen und wohl auch des Kantons Basel-Stadt vorliege.

Jene für ländliche, ja auch speziell für ältere Riehener Verhältnisse höchst ungewöhnliche Dreigeschossigkeit des Baukörpers steht freilich gerade hier im Kirchenbereich nicht vereinzelt: es fällt auf, dass sowohl das anschliessende Klösterli, als auch das jenseits des Erlensträsschens, geradezu in der verlängerten Flucht des Meierhofs stehende, ehemals Rüdinsche Landhaus gleichfalls über drei Geschosse verfügen, was in allen Fällen gewiss auf einen nicht bäuerlichen Ursprung dieser Gebäulichkeiten schliessen lässt. Hinter der Kirche befindet sich sozusagen die alte herrschaftliche Zone des Dorfes.

2. Aus der Geschichte des Meierhofes

Die siedlungsmässig eigenartige Stellung des Meierhofs, einerseits an der Kirche und mit dieser das engste Zentrum bildend, andererseits aber bereits auch das Ende des bebauten Dorfes bedeutend, hängt engstens mit der Stellung dieses Bauwerkes selbst zusammen: es bildete das häusliche Zentrum eines grossen, noch 1522 über 150 Jucharten umfassenden Hofgutes, dessen Matten und Felder zum Teil unmittelbar anschlössen und eine Ausdehnung des Bauerndorfes nach dieser Richtung hin verunmöglichten.

Wie aus den schriftlichen Quellen hervorgeht, war der Meierhof im hohen Mittelalter «curia» — Herrensitz und landwirtschaftliches Verwaltungszentrum — der Freiherren von Uesenberg. Aus jener Urkunde von 1113, in welcher Riehen erstmals genannt wird, und einer anderen gleichzeitigen, Schönau betreffend, kann zudem gefolgert werden, dass dieses Hochadelsgeschlecht, dessen Stammsitz in der Nähe Breisachs lag, bereits im späten 11. Jahrhundert hier im vordem Wiesental über ausgedehnten Landbesitz verfügte. Auch das öftere Auftreten der Uesenberger in bischöflichen Urkunden im Zeiträume des spätesten 11. und des 12. Jahrhunderts, auffallenderweise insbesondere auch in den Verbriefungen der Rechte des St. Albanklosters, welches rechtsrheinisch, auch in der Nähe Riehens begütert war, dürfte einen Hinweis auf die Anwesenheit dieses Geschlechts im Räume Basels darstellen.

1238 verkauften die Brüder Rudolf und Burchard von Uesenberg ihren Grundbesitz in Riehen und Umgebung an das Kloster Wettingen. Die Wettinger, die sich durch weitere Landkäufe und Schenkungen zum geschlossensten und mächtigsten Grundbesitzer im vordem Wiesental entwickelten, mussten infolge einer grossen Geldverlegenheit diese Besitztümer 1267 verpfänden. Erstmals wird erwähnt, dass sich darunter die «curia» der Herren von Uesenberg in Riehen befinde. 1270 löste der Bischof von Basel diese Pfandschaft ein und übernahm damit die Grundherrschaft. Von diesem Zeitpunkt an ist der Meierhof Wettingen und dem Bischof zinspflichtig. Spätestens seit diesem Jahr ist er nicht mehr Verwaltungssitz der Wettinger Mönche, sondern Behausung des Meiers, welcher dem Hofgut vorstand und es als erbliches Lehen bewirtschaftete. Sein Ansehen dürfte darin zum Ausdruck kommen, dass er zumeist auch als wettingischer Vogt waltete (erwähnt bereits 1287). Ausdrücklich als «Hus» wird der Meierhof 1317 genannt. 1540 ging das Besitztum an Basel über.

überliefert sind umfängliche Reparaturen und Neuerbauung der Stallung für 1579; 1655 wurde das Hofgut an Riehener Bauern verkauft; das Kernstück mit dem Haus erwarb der Hufschmied und Kirchenpfleger Hans Wenk, in dessen Familie es gegen 200 Jahre verblieb (freundliche Mitteilung von Fritz Lehmann).

Dieses altehrwürdige Gebäude, das mit der mittelalterlichen Siedlungsgeschichte von Riehen so eng verbunden ist und an deren Anfängen stehen könnte, zeigte in den letzten Jahrzehnten alarmierende Zeichen zunehmenden Verfalls. Der düstere Verputz — ein Besenwurf — war in grossen Fetzen abgebrochen, am Hause, insbesondere an der Giebelseite, klafften lange, bedrohliche Mauerrisse auf, welche durch das Anbringen von Gipsmarken kontrolliert werden mussten. Sandsteingewände befanden sich in einem fortgeschrittenen Pulverisierungsprozess. Das Gebälk der Scheune hatte einen solchen verfaulten Zustand erreicht, dass ihr Betreten untersagt werden musste. Um einer Abbruchverfügung für die Scheune zuvorzukommen, bemühte sich die Denkmalpflege mit Hilfe eines Fonds, die dringendsten Gebälksanierungen vorzunehmen. Der beauftragte Zimmermeister aber wurde in die Flucht geschlagen und musste mitsamt seinen bereits zugerichteten Balken eiligst wieder abziehen. Der Besitzer konnte es nicht verstehen, dass dies verlotterte, auch im Inneren aufs schwerste abgenutzte Haus aus Denkmalschutzgründen nicht abgebrochen werden durfte.

Das Haus bot in der Tat einen jämmerlichen Anblick und trieb offensichtlich rasch dem Ruin zu. Die Situation musste den Betrachter mit grosser Sorge um die Oberlebenschancen dieses uralten Bauwerks erfüllen. 1968 trat eine glückliche Wendung ein, als der ganze Gebäudekomplex, der seinerzeit eng mit der Kirche zusammengehangen hatte, von der Evangelisch-reformierten Kirche erworben wurde, zu dem Zweck, hier ein kirchliches Gemeindezentrum für Riehen und Bettingen einzurichten.

3. Die Restaurierung

Mit dieser übernahme und der damit verbundenen Sanierung, Instandstellung und neuen Aufgabenüberbindung war die Gebäulichkeit gerettet. Auf Antrag des Basler Denkmalpflegers, Fritz Lauber, der das Bauwerk als Vizepräsident der Eidg. Kommission für Denkmalpflege begutachtete und als «von nationaler Bedeutung» einstufte, wurde eine hohe Bundessubvention zugesprochen, der sich auch die Gemeinde Riehen und der Kanton Basel-Stadt mit einem Beitrag anschlössen. Die Planungsarbeiten wie die Ausführung wurden dem mit dem Meierhof und seiner Umgebung bestens vertrauten Architekten V. Jaquet übertragen; die für das brüchige alte Gemäuer besonders bedeutsame Funktion des Ingenieurs übte Th. Spengler aus. Die Restaurierung des MeierhofWohnhauses wurde in enger Zusammenarbeit mit Denkmalpfleger F. Lauber entwickelt, der auch als Experte der Eidg. Kommission für Denkmalpflege bezeichnet worden war.

3.1 Bauuntersuchungen

Eine erste überraschung brachte die Untersuchung des Kellergeschosses. Man musste feststellen, dass der Meierhof keine ins Erdreich greifende Grundmauern besitzt, also ursprünglich keinen Keller aufwies. Was üblicherweise bei einem Hausbau zuerst kommt, wurde hier erst im 17. Jahrhundert nachgeholt. Das Datum des Kellereinbaus ist an zwei Stellen ablesbar: einmal in der Inschrift «H(ans) W(enk) 1663» am Kellerportal, dessen Abarbeitungen und dessen Fuge im Bogenscheitel eine Zweitverwendung dieser Toreinfassung vermuten lassen, und ferner an der scheunenwärtigen Kellerwand, wo Initialen und Datum noch ein Hufeisen — ein Hinweis auf den Beruf des damaligen Meierhofbesitzers — beigegeben ist. Auch die für den Meierhof so charakteristischen Stützpfeiler sind Folgeerscheinungen jenes Kellereinbaus (der giebelseitige datiert: 1691) und gehören somit zu den jüngsten Elementen des Meierhofs.

Da das romanische Fenster in der kirchwärtigen Fassadenwand auf ein hohes Alter hinwies, liess der Denkmalpfleger Verputz- und Mauerwerkssondierungen durchführen, an denen die Restauratoren Paul Hefel und Paul Denfeld beteiligt waren. Die interessanten Befunde veranlassten die Denkmalpflege, steingerechte zeichnerische Aufnahmen, verbunden mit genauen Mauerwerks- und Mörteluntersuchungen vorzunehmen; sie wurden Christine Greder, die bis dahin in der Ausgrabungsequipe von Prof. H. R. Sennhauser tätig war, übertragen. Ihre detaillierten, jeden einzelnen Stein berücksichtigenden Untersuchungen und ihre präzise zeichnerische Darstellung führten zu höchst interessanten Einblicken in die bauliche Formung, das Mauerwerk und seine einzelnen Schichten. Die Denkmalpflege wird sie in einer ausführlichen wissenschaftlichen Publikation über den Meierhof vorlegen. Hier geht es nur darum, eine kürzere Zusammenfassung zu vermitteln. Es darf aber doch festgehalten werden, dass unseres Wissens noch an keinem romanischen Wohnhaus Europas solch eingehenden Bauuntersuchungen durchgeführt und aufgezeichnet wurden.

Schon die Verputzuntersuchungen brachten erstaunliche Ergebnisse: unter dem groben Besenbewurf wurden sieben ältere Verputzschichten festgestellt, die — eine grosse Seltenheit — bis in die Entstehungszeit zurückreichten. An keinem anderen Objekt der Stadt hat man unseres Wissens eine nur annähernd vergleichbare Chronologie der Verputze gefunden. Es zeigte sich, dass der Meierhof seine farbliche Erscheinung im wesentlichen beibehalten hat: heller, weisslicher Verputz, die Sandsteinwände seit der spätgotischen Zeit weinfarben getönt. Jüngeren Datums, vermutlich dem 18. Jahrhundert angehörend, dürfte der grobe Kalkmörtel sein, der sechs bis sieben Kalkanstriche aufwies; der Putz der spätgotischen Phase (kurz nach 1470) trug zwei dieser Anstriche.

Die interessantesten Beobachtungen betrafen jedoch die zwei ältesten Verputzschichten, beide ungestrichen, die obere hart und geglättet, die untere hell und direkt dem Mauerwerk eingebunden. Dieser älteste Verputz musste gleichzeitig mit dem Bau des romanischen Meierhofes entstanden sein. Mit Kelle oder Holz hatte man in ihn die Umrisse der verdeckten Steine eingeritzt. Die Fugenstriche machten die Gliederung der Mauer sichtbar und fügten der Funktion des Putzes, den Mauerverband zu stärken, ein dekoratives Element bei. Die Sache an sich ist bei romanischen, ja sogar gotischen Bauwerken eher selten. Der Hauptturm des Schlosses zu Sargans und das Graue Haus im Winkel bei Wiesbaden mögen hier als Beispiele genügen. Aussergewöhnlich am Meierhof sind indessen Ausmass und Erhaltungszustand dieser Verputzweise. Im Inneren des Gebäudes kam sie an verschiedenen Stellen von Erdgeschoss und erstem Stock zum Vorschein, im Parterre bedeckte sie sogar lückenlos die gesamte scheunenwärtige Wand. Auch an den Aussenwänden liess sich der älteste Verputz mehrfach freilegen, etwa über den Fenstern des ersten Stockes auf den drei freistehenden Seiten. Nehmen wir hinzu, dass seine Reste in beträchtlicher Höhe festgestellt werden konnten, so erlaubt das die Schlussfolgerung, dass der Meierhof von Anfang an innen und aussen verputzt war und in seinem Baukörper ein im wesentlichen romanischer Bau erhalten ist.

Obwohl unsere Ausführungen in erster Linie diesem noch bestehenden romanischen Wohnhaus, dem heutigen Meierhof gelten, sei am Rande auf die Spuren älterer Bauten hingewiesen. Den sorgfältigen Maueruntersuchungen C. Greders entging nicht, dass einzelne Teile der Scheune, vor allem die Mauer mit der Einfahrt von der Kirchstrasse her, ein hohes Alter aufweisen, dass in ihrer Verlängerung die beiden ältesten Mauerschichten auf der äusseren Traufseite des Meierhofes, die bis auf Bodenhöhe des zweiten Stockwerkes reichen, dem romanischen Bau vorangehen und dass schliesslich dessen Eingangsgiebelseite die Giebelwand eines kleinen Hauses enthält, das einmal auf dem heute freien Hofbereich gestanden hatte. Dieses Haus ist vermutlich abgebrannt. Seine inkorporierten Fragmente blieben erhalten. Die äussere Ecke — mächtige, kaum bearbeitete Sandsteinbrocken — wurde im Erdgeschoss des Meierhofes freigelegt, wo sie die Eingangstür auf einer Seite begrenzt. über dem ersten Stock zeichnete sich sein Giebel ab mit einer Schräge von 27 mit Löchern seiner Lattung und der Kontur einer Giebeltüre mit hölzernem Sturze. Vor allem aber hob sich sein kleinsteiniges Sandsteinmauerwerk deutlich von den langrechteckigen Bruchsandsteinen des romanischen Baues ab.

Beim Abschlagen des Verputzes kamen nicht nur Reste älterer Bauten zum Vorschein, viel mehr Aufschlüsse erhielt man über das ursprüngliche Aussehen des romanischen Wohnhauses. Besonders spektakulär war die Entdeckung der alten Befensterung an der kirchwärtigen Traufwand. In der Erdgeschossmitte, ungefähr am Platze der heutigen Küchentür, befand sich ein ansehnliches, gegen zwei Meter breites Eingangstor; je eine Schlitzöffnung flankiert es (ungefähr 68 cm auf 14 cm). Gewände und Sturz bilden gekantete Sandsteinquader; sie sind mit Flacheisen in gleichmässig schräg gesetzten Schlägen flüchtig abgearbeitet worden. Als Bank dient ein Stein des unbearbeiteten Mauerwerks.

Im ersten Stock konnte man die ganze Folge der romanischen Fenster hervorholen: es stellte sich heraus, dass das bereits bekannte romanische Rundbogenfenster Teil einer Zwillingsöffnung war (Sturzplatte der Leibung an Ort und Stelle erhalten), deren anderen Hälfte beim Ausbrechen einer Laubentür im späten 19. Jahrhundert beseitigt wurde. In der Fassadenmitte wurde ein intakt erhaltenes romanisches Rundbogenfenster aufgedeckt und im scheunenwärtigen Fassadenabschnitt wurden Fragmente eines weiteren romanischen Zwillingsfensters festgestellt, die eine problemlose Rekonstruktion erlaubten. Die gekanteten öffnungen fügen sich zusammen aus Bankplatten, Gewändepfosten und einer aus einem Werkstück gearbeiteten Rundbogensturzplatte. Bei den Zwillingsfenstern sind die beiden Bogenstürze aus je einer gesonderten Platte gefertigt. Die Fensteröffnungen sind 86 cm (60 cm bis zum Bogenansatz) hoch und 52 cm breit, bei den Zwillingsfenstern ist der Mittelpfosten 17 cm breit. Die Bearbeitung der Steine ist sorgfältiger als bei den öffnungsschlitzen. Es zeigen sich bei mittelbreitem Randschlag regelmässig gesetzte, stärker abgeflächte, schräge Hiebrillen.

Ein interessanter Befund ergab sich sodann im 2. Stock. Hier konnte C. Greder eruieren, dass etwa in Fassadenmitte (ungefähr auf halber Höhe der bestehenden Fenster) zwei schlanke hohe Balken, beträchtlich weniger stark als Geschossbalken, die in einem Abstand von ca. 1 m gesetzt waren, durch die ganze Mauerstärke hindurchgeführt waren. Sie hatten also am Fassadenäusseren eine Tragfunktion. Da es sich an dieser Stelle kaum um ein Vordach gehandelt haben kann, im romanischen Mauerwerk darüber ein Türausbruch nicht unmittelbar anschliesst, möchte man die beiden als Strebenauflagen einer höher gelegenen auskragenden kleinen Plattform (vor einer Aufzugtür), allenfalls eines Erkers deuten.

Die ausgeprägte Öffnungsgliederung dieser der Kirche zugekehrten Schmalseite zeigt an, dass diese eine Hauptfront des romanischen Hauses verkörpert hat. Darauf weisen auch die mächtigen Sandsteinquader, welche das freistehende Eck einfassen (in ihrer Oberflächenbehandlung noch weniger intensiv bearbeitet als jene Schlitzfenster) — es ist die einzige Hauskante, die durch eine solche Einfassung ausgezeichnet wird, die andern besitzen bloss unbearbeitete Ecksteine.

An der Eingangsfront kam im Erdgeschoss wiederum ein Schlitzfenster wie oben beschrieben zum Vorschein. Im ersten Stock entpuppte sich das Fenster über dem heutigen Eingang als romanische Tür mit gekanteten Sandsteineinfassungen. Die Gewände setzen sich zusammen aus zwei hochrechteckigen, pfostenhaften Werkstücken, über denen je ein schmales, quergestelltes ins Mauerwerk einbindet. Sie tragen einen mächtigen, 52 cm hohen Balkensturz. Es handelt sich offensichtlich um den Hocheinstieg für das Wohngeschoss im 1. Stock. Dass diese Tür dreifach verrammelt werden konnte, erweisen je drei Verschlusslöcher in den Leibungen. Den kräftigen Hauptbalken konnte man tagsüber in eine tief ins Mauerwerk hineinführende öffnung versorgen. Die beiden schwächeren Latten liessen sich mittels in das Gewände eingehauener «Gleitschienen» anbringen. Auch an den anderen romanischen öffnungen waren solche Verschlusslöcher feststellbar.

An der gegen die Kirchstrasse gerichteten Traufseite zeichnete sich im ersten Stock eine romanische öffnung ab (mit Verputzkante) ; auch wiederverwendete romanische Gewände belegen das Vorhandensein solcher Fenster. Aus dem Mauerwerksaufbau, der sich im 1. Stock aus dem ursprünglichen Verband und späteren Flickpartien zusammensetzt, muss gefolgert werden, dass hier nur ein, in der Mitte befindliches, Zwillingsfenster war, flankiert von zwei Einzelfenstern. Die Mauer gegen die Scheune enthielt in den unteren Geschossen keine öffnungen, einzig im zweiten Obergeschoss drei hochgelegene schmale Hochrechteckfenster, die ein wenig breiter sind als die Schlitzöffnungen des Erdgeschosses. Das lässt darauf schliessen, dass sich an dieser Seite schon immer ein anderer Bau angeschlossen hat.

Gegen das Hausinnere zeigen die öffnungen folgenden Aufbau: ihre Leibungen sind überdeckt mit sandsteinernen Sturzplatten. Während die Leibungen jener unteren Fensterschlitze sich trichterförmig ausweiten, wobei ihre Schrägung bereits bei der öffnungskante anhebt, verlaufen alle grösseren öffnungen, Türen wie Fenster, rechtwinklig zur Fassadenflucht.

Wie aus den genauen Mauerwerksuntersuchungen und zeichnerischen Aufnahmen von C. Greder hervorgeht, hat sich auf den beiden Traufseiten das romanische Mauerwerk etwa bis zur Oberkante der Fenster des zweiten Stockes erhalten. An der scheunenwärtigen Seite steigt es höher, setzt sich in einer Partie 3,7 m über den heutigen Estrichböden bis über den Kehlboden fort.

An dieser Wand konnte die Zeichnerin auch die Abdrücke der mächtigen romanischen Geschossbalken aufspüren; sie lagen etwas höher als die heutigen Bodenbalken und waren in etwas lockereren Abständen gesetzt als die bestehenden. Die Raumhöhe betrug rund 3 Meter.

über den romanischen Mauerkörper und über seine Fenster und Türen besteht also recht anschauliche Klarheit: im Erdgeschoss bloss schlitzförmige öffnungen und ein Tor auf der kirchwärtigen Seite, das erste Stockwerk als Wohngeschoss mit Befensterung an den beiden Schmalseiten, an den längsseitigen keine oder sekundäre Befensterung, hier jedoch der Hocheinstieg. Es ist dies eine übliche Anordnung, welche auch an anderen romanischen Wohnhäusern (z. B. Rosheim) zu beobachten ist.

Ein ungewöhnlicher Baubefund zeigte sich hingegen in der Partie oberhalb der Decke des ersten Stockes und im oberen Abschluss des Gebäudes. Da die heutige Giebelmauer gegen die Scheune sich in diesen oberen Bereichen am ausgedehntesten erhalten hat, ist sie geeignet, Aufschluss über die früheren Zustände zu vermitteln. Es kommt zum Ausdruck, dass hier im Gegensatz zum Beharrungsvermögen des unteren Mauerkörpers geradezu dynamische Veränderungen sich vollzogen haben: 4 verschiedene Baugrenzen konnten Mauerwerk- und Mörteluntersuchungen von C. Greder feststellen. Der noch erhaltene ursprüngliche Bestand steigt wie erwähnt im kirchwärtigen Teil dieser Wand bis über den ersten Dachboden, während er im strassewärtigen Bereich bis über den Kehlboden hinaufzieht (alle seine Begrenzungen zeigen jedoch Anzeichen eines Ausbruchs beziehungsweise Abbruchs).

In besagter romanischer Partie des Mauerwerkes zeichnet sich nun folgende ungewöhnliche bauliche Situation ab: auf einer Höhe von bloss 1 m 30 über den Balken der romanischen Decke des ersten Stockes hebt eine weitere Balkenkonstruktion an, deren erster Balken unmittelbar hinter der kirchwärtigen Fassadenmauer liegt. Dieser Balken, wie auch die nächstfolgenden, sind horizontal wie Deckenbalken gelegt. Ihre Abstände (rund 90 cm), auch ihre Ausmasse sind ungefähr die gleichen wie jene der Deckenbalken des 1. Stockes. Eigenartigerweise sind nun diese Balken leicht ansteigend gesetzt (Steigung von 14 °), so dass ihre Reihung eine rampenhaft aufsteigende Schräge ergibt. Auch die Balken selber passen sich in ihrer Situierung dieser leichten Schräglage an, folgen ihr mit ihren oberen und unteren Kanten, bloss die beiden mittelsten stehen völlig senkrecht. Eine weitere auffallende Eigentümlichkeit besteht darin, dass dieser Schräge der Balkenanordnung etwas höher, in einem Abstand von durchschnittlich 60 cm parallel eine Reihe von Sandsteinplatten folgt; abgetreppt schiebt sich die obere jeweils ein Stückchen über die nächstfolgende, tiefere. Diese Sandsteinplatten hatten keine Abschlussfunktion, das Mauerwerk setzt sich über ihnen bündig fort. Sie reichen nur etwa 45 cm ins Mauerwerk hinein, haben gegen das Hausinnere wohl ca. 12 cm vorgestanden, an der Aussenseite dieser Fassadenfront hingegen zeigt sich ein völlig regelmässiger kontinuierlicher Mauerwerksverbund.

Aus diesen Anhaltspunkten, insbesondere der Balkenanordnung, geht eindeutig hervor, dass in der romanischen Zeit hier kein Giebel bestanden hat. Man ist zunächst versucht, diese Schräge als Pultdach zu interpretieren, das in romanischer Zeit den Meierhof überdeckt habe. Es müsste sich dann allerdings, da ja die Fassadenmauer diese Decke allseits übersteigt, um ein Innendach gehandelt haben, wovon es ein früheres Beispiel in Metz gibt (Hôtel St. Livier). Auch im süddeutschen Räume kennt man solche, im Mauerkörper versenkten Dächer; die Entwässerung erfolgt dann durch ein Ausgussloch in der Fassade.

Nun spricht allerdings einiges gegen eine Deutung als abschliessendes Pultdach. — Pultdächer haben zwar im allgemeinen eine flache Neigung, eine solche von bloss 14 Grad muss jedoch als ungewöhnlich extrem bezeichnet werden. Nur in Alpengebieten finden sich sehr flache Neigungen, die jedoch 15 Grad nicht unterschreiten. Solche Dächer sind jedoch (sofern ihnen wie hier keine Gewölbe unterlegt sind) weitausladend, um den langsamen Wasserabfluss möglichst von der Fassade abzuhalten. Sofern Dächer ins Mauerinnere gelegt werden, haben sie stets ein ordentliches Gefälle; das als flach angesprochene Innendach des Hôtel St. Livier in Metz hat beispielsweise eine Neigung von 30 Grad, auch an den frühen Beispielen von Regensburg dürfte dies ähnlich sein. Bei solch ungewohnt schwachem Gefälle wie hier im Meierhof müsste angenommen werden, dass das Regenwasser, anstatt das Ausflussloch in der Fassadenmauer zu erreichen, teilweise ins Dach eingesickert wäre. Gegen die Dachfunktion spricht auch, dass dieser Schrägboden das erste romanische Fenster durchschneidet, sein oberer Teil würde dann etwas sinnlos im Leeren stehen. Zudem käme die Aufzugsplattform, die wir an der kirchenwärtigen Front vermuten, etwas oberhalb dieser Balkenschräge zu liegen: Sie würde aufs Dach führen, was für das Aufziehen von Lagergütern weder als gebräuchlich noch als sinnvoll bezeichnet werden kann. Es ist weiter zu beachten, dass das romanische Mauerwerk in jener Partie, in der es am wenigstens ausgebrochen ist, 2,30 m über die Balken hochragt, was einen ungewöhnlich hohen Mauerüberstand darstellen würde.

Eigentümlich erscheint auch die Holzkonstruktion als solche: die Balken haben — eine Seltenheit bei frühen Dachstühlen — dieselben Ausmasse wie das untere Geschossgebälk. Und da sämtliche, vergleichsweise eng gesetzten Balken horizontal gelegt sind, handelt es sich um eine reine Pfettenkonstruktion. üblicherweise haben nun aber Pultdächer eher eine Sparrenkonstruktion, bei grösserer Spannweite 3—4 Pfetten, welche dünnere Hölzer, sog. Rafen tragen. Einen solchen Aufbau zeigt beispielsweise der im frühen 15. Jh. entstandene, mit Pultdach versehene Pulverturm der Kleinbasler Stadtmauer (35 ° Steigung) oder die Frauenburg in Steiermark, eine der wenigen noch in romanische Zeit zurückreichenden Pultüberdachungen, desgleichen auch die Pultdächer der Burgen unserer Region u. a. Alt-Falkenstein.

Die Balkenkonstruktion des Meierhofs ist mit den Aussenmauern des Steinkörpers engstens verzahnt. Auch dieses intensive Ineinandergreifen von Mauer und Dach stellt in Berücksichtigung der bekannten romanischen Dachkonstruktionen eine ungewöhnliche Ausbildung dar. üblicherweise herrscht eine klare Trennung zwischen Mauer und Dachkonstruktion. Solche reine Pfettendächer, welche sich vom Blockbau herleiten, sind sonst nur im Alpengebiet und in südlicheren Regionen (cf. M. Gschwend, Schweizer Bauernhäuser) nachweisbar. Dabei ist festzustellen, dass der romanische Meierhof bereits in einer gewissen Tradition des Steinbaus steht: an dem in seinen Mauern übernommenen früheren Steinhause wird ein Dachschräge mit einzelnen Latten und Bälkchen ablesbar, aus der hervorgeht, dass dort eine Sparrenkonstruktion Anwendung gefunden hat (Dachschräge 27 °). Von diesen Gesichtspunkten her möchten wir die besagte Konstruktion daher eher als rampenhaft verlaufenden schrägen Dachboden, sozusagen als begehbares «Unterdach« interpretieren.

In keinem Fall leicht zu deuten dürfte die dem Boden in einem Abstand von 60 cm folgende Reihe von abgetreppt ins Mauerwerk gelegten Sandsteinplatten sein; für ein Abdeckgesims über dem Dachbelag liegen sie zu hoch. Man möchte ihr vor allem konstruktive Bedeutung beimessen, dass sie die Belastungen jener Schräglage abfangen sollte: jedenfalls sind solch kettenhaft übereinandergeschobenen Elemente in Holz und Eisen an alten Bauwerken als Mauerverstärkung bekannt.

Der Abschluss der Mauerkrone hat um einiges über ihnen gelegen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hat der Mauerkörper allseits horizontal abgeschlossen. Einer der Anhaltspunkte hiefür liegt u. a. in der nächstfolgenden Bauetappe vor: nach einem offensichtlichen teilweisen Einsturz wurde an den konstruktiven Elementen nichts geändert, die zum Teil ausgebrochene Plattenkette sogar wiederhergestellt, was ein Hinweis dafür sein könnte, dass es sich bei diesem Wiederaufbau am ehesten um die Wiederherstellung eines alten Zustands gehandelt habe. Man schuf einen wohl geraden Abschluss, dessen obere Begrenzung mindestens 50 cm über dem heutigen Kehlboden des Meierhofs gelegen haben dürfte. Diese Mauer setzt sich Richtung Kirche auch ausserhalb des heutigen Meierhof-Giebels sichtbar fort. Ihre Ecksteinbegrenzung verläuft bündig mit dem Eck des Mauerkubus. In Richtung der Traufwand des Gebäudes (mit den romanischen Fenstern) sind diese Ecksteine deutlich ausgebrochen, die Mauer hat sich also auch auf dieser Seite bis zu der erwähnten Höhe hinauf erstreckt. Da das reine Sandsteinmauerwerk dieser Wiederherstellung (das dem ursprünglichen nicht unähnlich ist) noch nicht jene leichte Materialdurchmischung zeigt (Ziegel- und Kieseleinschüsse), welche das Basler Mauerwerk nach dem Erdbeben von 1356 kennzeichnet, möchte man dieses mit besagtem Ereignis nicht in Zusammenhang bringen, sondern früher ansetzen.

Der Mauerkubus muss zum damaligen Zeitpunkt und wie gesagt wahrscheinlich auch im ursprünglichen Zustand die turmartige Höhe von etwa 13,60 m erreicht haben. Man darf wohl annehmen, dass er in dieser Höhe nochmals eine leichte überdachung aufgewiesen hat.

Zu einem späteren Zeitpunkt — um 1420 — (datiert im Physikal. Institut der Universität Bern durch Untersuchung eines Holzstückes mit der C-14-Methode) bekam das Bauwerk nochmals einen neuen oberen Abschluss, zudem wurde jene Schrägrampe, die uns so viel zu denken gibt, entfernt und ein bodenparallel verlaufendes Gebälk eingefügt, wohl um hiemit zwei normalhohe Vollgeschosse zu gewinnen.

Als letzte nochmalige Dachumgestaltung schliesslich wurden — nach Entfernung sämtlicher romanischer Balken im Hausinnern — die heutigen Giebel mitsamt den bestehenden Dachstuhl-, Decken- und Wandkonstruktionen errichtet. Auch diese jüngste Dach-Etappe lässt sich, aufgrund der im Physikalischen Institut der Universität Bern (Prof. Dr. H. Oeschger/T. Riesen) vorgenommenen Altersbestimmung des Holzes, zeitlich festlegen: Baumfällung: 1470 (korrigiert.) Da es sich um Tannenholz handelt, dürfte die Verwendung als Baumaterial unmittelbar angeschlossen haben.

3.2 Bedeutung und Datierung

In seiner Grundstruktur ist der Meierhof mit seinen Eckquadern, den Schlitz- und Rundbogenfenstern und der Aufzugstür ein romanisches Haus geblieben. Es dürfte nun vor allem auf Interesse stossen, das Alter dieses Hauses und seinen Bautypus noch etwas näher einzugrenzen — ein Unterfangen, das sich schwierig gestaltet, weil direkte und vor allem gut datierbare Vergleichsbeispiele fehlen. In der Schweiz gibt es keine ähnlichen Objekte. Selbst Burgen lassen sich nur relativ selten in romanische Zeit zurückdatieren. In Basel selber haben sich — sieht man vom romanischen St. Albankreuzgang ab — nur wenige romanische Wohnhausfragmente erhalten: das Bruchstück eines Kellers mit Bogentor am Nadelberg 24 (cf. R. Moosbrugger-Leu in: Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung 1969) und zwei spätromanische, gekehlte Rundbogenfenster im Kellergeschoss des Spalenhofes (Sparnberg 12), ein romanisches Fenster (verputzt) im Untergeschoss der Augustinergasse 13 und schliesslich im Stadt- und Münstermuseum zwei spätromanische Zierfensterchen von der 1826 abgebrochenen Dompropstei.

Auf dem europäischen Festland, jedenfalls in seiner nördlichen Hälfte, gibt es nur spärliche Beispiele von romanischen Wohnbauten. Sie haben sich — neben Regensburg — auffallenderweise vor allem in den Rheinlanden erhalten. Hier scheint die römische Steinbautradition lebendig geblieben zu sein; zudem lagen die Schwerpunkte des politischen Geschehens jener Jahrhunderte in diesem Gebiet; solche Steinbauten stehen oft in der Nähe von Königspfalzen. Das Basel nächste Beispiel stellt das romanische Haus von Rosheim oberhalb Strassburg dar, ein ausserhalb der Stadtmauer liegender zweigeschossiger Bau mit gegiebeltem Satteldach, der sich auf Grund bauplastischer Ausstattungsteile in die Nähe der Rosenheimer Kirche (2. Hälfte 12. Jahrhundert) datieren lässt. Zeitlich in seine Nähe gehört auch das Fragment eines romanischen Wohnhauses an der Kälberstrasse in Strassburg (abgebrochen). In der einstigen Königspfalz Wimpfen hat sich neben dem Palas ein grosses Steinhaus sowie ein kleineres romanisches Wohngebäude erhalten, wie auch zwei Wohnhäuser in der Stadt Wimpfen, welche durch die eingehenden Untersuchungen von Fritz Arens ins beginnende 13. Jahrhundert datiert wurden. Ein bedeutender romanischer Wohnbau, das Haus in Winkel am Rhein bei Wiesbaden, konnte durch dendrochronologische Altersbestimmung ihrer Holzstürze unlängst sehr genau datiert werden (Baumfällung 1078, mündliche Mitteilung von E. Hollstein, Rheinisches Landesmuseum, Abteilung für Dendrochronologie, Trier). Weiter sind in Mainz wenige romanische Wohnhäuser (eines neu entdeckt, andere im Krieg zerstört) aufgefunden worden, eines in Köln an der Rheingasse (zerstört), in Trier vorab der Frankenturm (auf 1100 datiert), dann das heutige Gemeindehaus in Gelnhausen (12. Jahrhundert), in Aschaffenburg das Stäblerhaus (zerstört) sowie die Giebelwand eines romanischen Herrenhauses auf der Reichenau.

Aus diesem geringen Gesamtbestand mag die Bedeutung hervorgehen, die dem Riehener Meierhof beigemessen werden darf. Vergleicht man diese Bauten typenmässig, wird deutlich, dass der Meierhof durch die ausgesprochene Schlichtheit seiner Fenster- und Türöffnungen gekennzeichnet wird. Formen, die ihn bauplastisch hervorheben würden, fehlen. Bei Stadthäusern, aber auch bei Burgen sind die Arkadenöffnungen meist mit Blendbögen überwölbt und besitzen reich verzierte Kapitelle. Aber selbst Kuppelfenster der bescheideneren Art, wie hier am Meierhof, sind bei Stadtbauten gerne durch ein Kapitell ausgezeichnet (Gelnhausen). Der schmucklose Fenstertypus des Meierhofs kommt auch an Palasbauten oder reicher ausgestatteten Wohnbauten vor, sowohl in Rosheim wie an den Palasbauten von Wimpfen und der Wartburg, aber auch am Steinhaus von Wimpfen. In dieser Fensterform verkörpert sich weniger eine Stilstufe; ihre ausschliessliche Verwendung zeigt vielmehr, dass bei diesen Gebäuden Repräsentation nicht an erster Stelle stand. Die Colmarer Annalen vermelden, dass noch am Anfang des 13. Jahrhunderts in unserer Gegend die Häuser kleine Fenster gehabt und unkomfortabel gewesen seien.

Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass der profane Steinbau in romanischer Zeit noch ausserordentlich selten war und vorab geistlichen Würdenträgern und Dynastenfamilien vorbehalten blieb. Noch im 13. Jahrhundert wurde in Basel für den Wohnbau mehrheitlich Holz verwendet. Das älteste, intakte Basler Steinhaus, das Schöne Haus am Nadelberg 6 (2. Hälfte 13. Jahrhundert), galt seinerzeit geradezu als ein Wunderwerk. In benachbarten Städten der Schweiz und des Auslandes setzte die Entwicklung zum Steinhaus sogar noch später ein.

Mit den städtischen spätromanischen Wohnbauten (etwa in Köln oder Mainz), mit ihren oft schon im Erdgeschoss vorhandenen Fenster arkaden, hat dieses Riehemer Steinhaus kaum Gemeinsamkeiten. Dem geschossmässigen Aufbau dürfte es sowohl den steinernen Häusern von Rosheim und Wimpfen, wie auch dem Trierer Frankenturm entsprechen. Alle diese Bauten wie auch die Palastbauten der Burgen sind gleichfalls nicht unterkellert, haben im Erdgeschoss bloss Lichtschlitze, im 1. Obergeschoss einen seitlichen Hocheinstieg sowie Fenster an den Schmalseiten dieses Geschosses. In bezug auf ihre starke Tiefenentwicklung unterscheiden sich jene grossen Steinbauten (Frankenturm, Wimpfen) jedoch deutlich vom Meierhof. In der grundrisslichen Proportion ist dieser dem freilich beträchtlich kleineren Steinhaus von Rosheim verwandt. In ähnlichen Ausmassen, 10 x 12 m, sind im Burgenbau interessanterweise schon verschiedentlich Vorgänger von Palasbauten des 13. Jahrhunderts festgestellt worden. In diesen Proportionen nähert sich der Meierhof dem Quadrat und damit dem Turm, es bleibt jedoch bei der Annäherung. Für einen eigentlichen Wehrturm wäre die Mauerstärke von ca. 95 bis 80 cm zu gering, auch die Befensterung im 1. Stock der Aussenseite spricht gegen eine solche Deutung. Bezugspunkte lassen sich eher zu jenen Meiertürmen herstellen, welche von der Zürcher Denkmalpflege in den letzten Jahren verschiedentlich ausgegraben, beziehungsweise festgestellt worden sind. (Ein Hauptbeispiel dürfte Schlatt darstellen, cf. Zürcher Denkmalpflege, 1. Bericht 1958 u. ff). Vor allem in ihrer Abwinkelung gegenüber der Kirche besteht eine unverkennbare ähnlichkeit. Jene Meiertürme haben jedoch durchwegs quadratisches Ausmass. Man möchte im romanischen Meierhof auch weniger die Behausung eines Meiers sehen, sondern einen von Nebengebäuden umgebenen Herrschaftssitz, das Haupthaus einer herrschaftlichen curia, die selbstverständlich von Mauern umgeben war. Weniger als Wohnturm denn als Turmhaus hat es in seiner beträchtlichen Höhe längere Zeit nicht nur das Dorf, sondern auch die Kirche als beherrschender Akzent, als Symbol der Herrschaft, überragt. In diesem imposanten Steinbau dürfte sich der Eigentümer, zumindest in früherer Zeit, ab und zu aufgehalten haben. Dies scheint umso wahrscheinlicher, als die Uesenberg das Ehrenamt eines bischöflichen Mundschenken innehatten, sich in unserer Gegend aufhielten und wohl auch einen Stadtsitz hatten, wie man aus der sehr alten Basler Gebäudebezeichnung «Herrn Hessen hus» schliessen möchte.

Der europäische Bestand an romanischen Wohnhäusern erschwert die Datierung. Der Meierhof bietet zudem durch die ausgesprochen schlichte Ausformung seiner bearbeiteten Einfassungsteile und durch das Fehlen bauplastischer Zierformen nur sehr geringe Anhaltspunkte. Bei der Eingrenzung nach unten kann man freilich das Fragment eines anderen Riehener Bauwerkes beiziehen. In der Nordwand der Kirche ist die Mauer eines Vorgängerbaus enthalten, der von der jüngeren Forschung ins früheste 11. Jh. datiert wird (cf. F. Maurer: Die Kirchenburg Riehen, Z'Rieche 1970). Die bearbeiteten Werksteine sind nicht wie beim Meierhof aus pfostenhaft stehenden Teilen, sondern aus gleichmässigen kleineren Werkstücken zusammengefügt. Sie zeigen auch eine altertümlichere Bearbeitung als die Fenster des Meierhofs und scheinen mit dem Spitzeisen abgespitzt worden zu sein. Auch das Bruchsteinmaterial ist wesentlich kleiner; die Formate nähern sich — gegenüber den langgestreckten Stücken beim Meierhof — eher dem Quadrate. Diese Divergenzen scheinen doch einen deutlichen zeitlichen Abstand zwischen die frühromanische Kirche und den Meierhof zu setzen.

Für die Datierung ist weiter zu beachten, dass der romanische Meierhof aus Buntsandstein aufgebaut ist. Dieses Material als verputzten Bruchstein zu verwenden war in Basel in den früheren Jahrhunderten unüblich. In den ältesten bekannten Hausfassaden benützte man zunächst Kiesel im Fischgratverbund, später Kalkstein. Bezeichnenderweise sind die ältesten beiden Schichten des Meierhofs ebenfalls aus Kalkstein gefügt. In Riehen dürfte die Verwendung von Sandstein damit zusammenhängen, dass sich in der Nähe Steinbrüche befanden. Sie setzt allerdings voraus, dass hier ein lebhafter Betrieb herrschte. Sandstein in grösserem Umfang dürfte aus dem Wiesental vor allem für das Münster bezogen worden sein, wohl frühestens für den Georgsturm, dessen Entstehung durch die Grabungsergebnisse in die 2. Hälfte des 11. Jh. verwiesen worden ist (cf. H. R. Sennhauser: zum Abschluss der archäologischen Untersuchungen im Münster, Basler Stadtbuch 1974.) Dabei müsste erst noch berücksichtigt werden, dass der bestehende romanische Meierhof bereits in eine 2. Phase des Sandsteinbaus gehört, da schon für das noch erhaltene Fragment seines Vorgängers Sandsteinmaterial verwendet wurde.

Schliesslich ist auch darauf zu verweisen, dass im Kirchenbau für Fenster, die nicht ausgesprochen als Zierfenster dienen, werkmässig bearbeitete Einfassungen in unserer Gegend erst seit dem letzten Drittel des 11. Jh. gebräuchlich werden. Da der Burgen- und Wohnbau sich dem Kirchenbau gegenüber etwas retardierend verhält, dürfte ein früheres Vorkommen an einem Profanhaus sich ausschliessen.

Das in die Zeit gegen 1100 sicher datierbare Graue Haus in Winkel (das älteste Wohngebäude im nördlichen Europa) erscheint in vergleichbaren Fensterumrahmungen altertümlicher. Es fällt auch auf, dass an jenem Hause die Leibungen nicht von Sandsteinplatten überdeckt sind, sondern von Eichenbohlen, wie dies auch am Vorgänger des romanischen Meierhofs feststellbar war. Die untere Grenze für die Entstehungszeit des Meierhofs liegt also — aller Wahrscheinlichkeit nach — im frühen 12. Jh..

Eine klare Abgrenzung nach oben ergibt der Vergleich mit den urkundlich ins beginnende 13. Jh. datierten Steinhäusern von Wimpfen im Tal, dem Hospital und dem Wormserhof (cf. Fritz Arens, Die Königspfalz Wimpfen, Berlin 1967.) Der letztere weist konstruktiv völlig gleich aufgebaute Zwillingsfenster auf. Trotz dieser übereinstimmenden Aufbaustruktur zeigen sich zwei Unterschiede: 1. Die Proportionen sind anders, die Wimpfener wesentlich gestelzter (2:1), jene des Meierhofs gedrungener (etwa 3:2). Freilich sagen solche Proportionsvergleiche nicht allzu viel aus. 2. Die Gewände sind nicht mehr gekantet, sondern zeigen eine Fasung, wie dies bei zahlreichen Fenstern der späten Romanik und der frühen Gotik festgestellt werden kann. Die auf 1200 datierten Zierfenster der Basler Dompropstei weisen sie gleichfalls auf.

Auch die Steinbearbeitung erscheint für das 13. und späteste 12. Jh. allzu altertümlich. Die Bearbeitung der Fenstereinfassung (mit Glattfläche, in schrägen, parallel verlaufenden Hiebrillen, einem Randschlag von bis zu 3 cm) war jedenfalls im 12. Jh. in dieser Weise üblich. Da im übrigen gerade die steinhauerische Behandlung im Kirchenbau stärker entwickelt ist als im Profanbau sind Vergleiche zwecks präziser Datierung etwas problematisch.

Da auch ein anderes bearbeitetes Element, die mächtige Sandsteinsturzplatte über dem Hocheinstieg keine nähere zeitliche Bestimmung erlaubt (sie ist im Burgenbau durchs ganze 12. Jh. verfolgbar) und da auch für den Mauerverband keine gut datierten Entsprechungen gefunden werden konnten, dürfte eine nähere Eingrenzung vorderhand nicht möglich sein. Auf Grund der oben erwähnten Anhaltspunkte möchte man die Entstehung auf das zweite oder dritte Viertel des 12. Jh. datieren. Der Meierhof würde somit zur älteren Gruppe jener wenigen im nördlicheren Europa erhaltenen romanischen Wohnbauten gehören.

3.3 Die Instandstellung

Ein solch uralter und zudem durch Erdbeben und Kellereinbau angegriffener Baubestand stellte an die Restaurierung grosse und komplexe Anforderungen. Dank gemeinsamer Bemühungen konnten Gemäuer, Gebälk und Dachstuhl erhalten werden. Die Bauherrschaft, vertreten durch eine Baukommission, Architekt, Ingenieur und Baupolizei zeigten für das Bauwerk und somit auch für die Wünsche der Denkmalpflege sehr viel Verständnis.

Das Gebäude, das bis dahin nur von einer Familie bewohnt wurde, musste in ein Zweifamilienhaus umgebaut werden. Die auf je zwei Geschossen angeordneten Wohnungen haben separate Eingänge. Der Einbau erfolgte unter bestmöglicher Schonung der alten Raumeinteilung. Der Umbau des Meierhofs dürfte den Beweis dafür liefern, dass man alte Bauten sehr wohl auch in Wohneinheiten unterteilen kann, die sich über mehr als ein Geschoss erstrecken.

Wieder sorgsam instandgestellt und ausgestattet mit gediegenen Möbelstücken sind diese uralten Räume mit ihren Balkendecken erfüllt von Wohnlichkeit und Geborgenheit. Das ganz Besondere am Meierhof: er ist in Mitteleuropa das älteste Wohnhaus, in dem heute noch gewohnt wird, das auch abends von warmem Lichterschein erhellt ist. Mit dem romanischen Meierhof besitzt Riehen ein Bauwerk von höchstem Seltenheitswert. Durch die in ihm enthaltenen Etappen noch älteren Mauerbaus wird Riehen als Stätte besonders frühen Steinbaus ausgewiesen, womit auch die Quadersteine seines Wappens eine augenfällige Bedeutung gewinnen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1975

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