Das Wettsteinhaus

Lucas Frey

Im Sommer 1959 erhielt ich von der Gemeinde Riehen den Auftrag, das Wettsteinhaus, das die Gemeinde von den Erben von Fräulein Katharina Heusler kurz zuvor gekauft hatte, zu vermessen, den bestehenden Zustand aufzunehmen und in Plänen darzustellen. Bei dieser Gelegenheit hatte ich die Erlaubnis und die Pflicht, jeden Winkel anzusehen und zu durchsuchen. Manche Eigentümlichkeiten fielen mir auf und regten mich zum Nachdenken an. So ist z. B. das große Wohnhaus im Erdgeschoß durch eine starke Tragmauer zweigeteilt. Diese Mauer trägt aber im ersten Stock keine Last. Bei der Konstruktion des Daches wurden merkwürdigerweise unregelmäßige, lange und ungleich geneigte Sparren und Schifter verwendet. Die Kellertreppe des Hinterhauses ist nicht fachgemäß auf das Gebälk abgestützt. Bald wurde mir klar, daß hier einst ein großer Umbau stattgefunden hatte, und daß dieser Umbau in spätem Jahren durch weitere An- und Einbauten ergänzt worden war. Ich ging deshalb auf die Universitätsbibliothek und das Staatsarchiv und begann meine Wahrnehmungen mit den Quellen zu vergleichen.

Das Landgut

Das «alte» Wettsteinhaus (Heusler-Haus) ist gegen die Baselstraße durch das Wohnhaus, das Hoftor und das Kabinettli abgeschlossen. Gegen das Kilchgäßli stehen das Hinterhaus, der Holzschopf, die darüberliegende Laube und das Wohnhaus. Das Hinterhaus trennt den Garten vom Hof, und die hohe Giebelfassade des Nachbarhauses, des «neuen» Wettsteinhauses (Lüscher-Haus) begrenzt den Hof auf der Westseite. Beim Eintritt in das Grundstück empfängt uns ein in sich geschlossener Hof, der uns sofort das Gefühl einer durch die Jahrhunderte gewachsenen Einheit vermittelt. Viele Details wirken zugleich auf uns: der Brunnen, die beiden Treppentürme, die Kletterpflanzen, um nur einige zu nennen. Doch leider fehlen heute die Prellsteine, die durch Eisenstangen verbunden waren und jahrhundertelang die Wagen auf der Baselstraße vom Haus abwiesen und auch als Grenzsteine des Gutes dastanden. Es fehlen auch die Pflanzen an der straßenseitigen Hausfront sowie die für das Wettsteinhaus charakteristischen altertümlichen Holzroste am Türmli des Wohnhauses und an der Westfront, die den Gespinstpflanzen als Träger dienten.

Von den ersten Besitzern des Hofes bis zu Bürgermeister Wettstein

Die Edeln von Usenberg Im Jahre 1238 vermachten die Edeln Burcard und Rudolf von Usenberg dem 11 Jahre vorher gegründeten Kloster Wettingen die Hälfte des Kirchensatzes zu Riehen (die andere besaß das Kloster St. Blasien), die Kirchen von Inzlingen und Höllstein mit allen Leuten und Rechten. Unter diesen Kirchengütern befanden sich in Riehen alle Häuser um die Kirche, ein Herrenhof mit seinen äckern und Matten sowie das große Mattland unter der Kirche: die große Brühlmatte. Die Herren von Usenberg (Uesinberg und Sußenberg genannt) hatten ihre Burg am Ende des heutigen Außerberges beim Horngraben. Nach unserm Dorfchronisten Pfarrer Iselin stand der Herrschaftshof der Edeln von Usenberg dort, wo sich heute das Lüschersche Wettsteinhaus befindet. Es ist sicher, daß das danebenliegende Land (Heusler) auch zu Wettingen gehörte.

Das Kloster Wettingen

Wer die im Hause stehenden vier schönen Kachelöfen, von denen drei mit dem kleinen «Sitztrepplein» versehen sind, erstellte und das Renaissancetäfer in der untern Stube anbringen ließ, kann nicht gesagt werden, da die Besitzer des Wettsteinhauses zwischen 1548 und 1636 unbekannt sind. Im Jahre 1548 verkaufte der Abt von Wettingen bei Baden im Aargau seinen Riehener Besitz an die Stadt Basel. Der Wettinger Geschichtschreiber schrieb dazu unwillig: «Abt Johann VII., Nöthlich von Freiburg i. Br. (1540—1550): sein Andenken ist kein gesegnetes, denn er ließ sich durch die Gesandten der Schirmorte verleiten, 1548 die ausgezeichneten Klosterbesitzungen in Riehen ohne Erlaubnis des Konvents und des Ordens zu verkaufen. Von der Kaufsumme erhielt aber das Kloster keinen Heller, wohl aber als Ersatz von den sieben alten Orten ein Stück ungerechtes Gut, nämlich das Priorat Pion.»

Nachdem Basel 1522 vom Bischof dessen Rechte und Güter in Riehen gekauft hatte, begann die Stadt systematisch die andern Riehener Grundherren auszukaufen. Schon 1540 erwarb Basel den Meierhof von Wettingen. Auch das heutige Lüschersche Haus, damals «Wettingerhof» genannt, muß schon 1540 an die Stadt gekommen sein. Der «Wettingerhof» war der Herrenhof des Klosters in Riehen. Hier stiegen die Gesandten der äbte oder diese selber ab, wenn sie ins Dorf kamen oder durchreisten. Im Wettingerhof endete ein unterirdischer Fluchtgang, der aus der mit Mauern befestigten Dorfkirche hierher führte.

Die Klöster Wettingen und St. Blasien besaßen in Basel, Riehen und den umliegenden Orten viel Land und Rechte. St. Blasien verwaltete diesen Besitz von Basel aus (Bläsihof), Wettingen aber von Riehen. Der «alte» Wettsteinhof diente vielleicht dem Verwalter des großen Nachbarhauses als Wohnung; er ließ wohl auch die Kachelöfen und das Renaissancetäfer einrichten.

Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein

Bekanntlich war Wettstein von 1626 bis 1635 Landvogt in Riehen. Schon während dieser Zeit reiste er oft als Gesandter an die Tagsatzung in Baden. 1635 wurde er Oberstzunftmeister. Als solcher mußte er die Landvogtei aufgeben. Doch Riehen und dessen Landschaft und Landluft hatten ihm gefallen. Nach der anstrengenden und entbehrungsreichen Fahrt zum Friedenskongreß in Westfalen 1646/47 und der kostspieligen Gesandtschaft 1650/51 nach Wien zu Kaiser Friedrich III. baute der erfolgreiche Bürgermeister sein Riehener Gut um. Zwei Jahreszahlen bestätigen uns dies. 1651 steht im Schlußstein des Torbogens über dem Eingang zum Weinkeller, 1652 im 1. Stock über der Verbindungstüre des Hinterhauses zur Laube. Das Hinterhaus wurde demnach 1651/52 erbaut. Dieser Bau erzählt uns auch eindeutig, wozu Wettstein sein Landgut brauchte. Der ungewöhnliche, fast 5 m hohe und sehr große Weinkeller weist uns den Weg.

Wir wissen, daß Wettsteins Vater aus einem Weinbauerndorf, dem zürcherischen Russikon, stammt, zuerst Kellermeister am Spital und in der Rebleutenzunft zünftig war, ja, daß auch der junge Johann Rudolf dort zünftig war. Viele Briefe, die Wettstein als Tagsatzungsherr aus Baden seiner Frau und seinem ältesten Sohn schrieb, handeln vom Wein. Wie oft gibt er Anweisungen, die Fässer zu reinigen, den Küfer zu bestellen, den Wein nach Basel zu fergen, diesen Wein in jenes Faß umzuschütten. Als es darum geht, dem Bürgermeister für seine großen, von ihm selbst getragenen Auslagen an den Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück in Westfalen zu entschädigen, verweist er ausdrücklich darauf, daß ihm 1647 an die 200 Saum (273 Hektoliter) Wein liegengeblieben seien. Riehen galt dazumal als Weinbauernland; nicht nur im Schlipf, sondern auch an den Hängen zwischen Kirche und Niederholz, und wo es viel Sonne hatte, vom Maienbühl bis zum Hörnli, standen die Reben. Der Wettsteinhof war kein Bauernhof, sondern der Hof eines Rebgutbesitzers und Weinhändlers. Noch heute finden wir ähnliche Höfe in den Elsässer Winzerdörfern. über dem riesigen Keller stand die Trotte. Zu Wettsteins Zeiten bestand der Gartensaal noch nicht. Doch viele Zimmertüren im Wohnhaus und im Hinterhaus (alle mit der gleichen Verkleidung verziert), und auch das Giggishanszimmer mit seinen breiten Tannendielentäfer und dem oberen Fries und der Leistendecke stammen von Wettstein. Von wem und wann entstand wohl das prächtig hingeworfene Bild des Giggishans? Auf dem Bild steht: «O wie bin ich ein übelzeitiger Mann, Hanns Jäckhlin von Basel, genannt Giggis Hanß, 1654.» Unser Dorfpoet Edi Wirz hat uns den Dargestellten so nahe gebracht, daß ich vom lustigen Spaßmacher und ständigen Begleiter Wettsteins nichts mehr Neues erzählen könnte.

Im Wohnhaus im grünen Zimmer im ersten Stock finden wir das gleiche Täfer, denselben Fries und die gleiche Leistendecke wie im Giggishanszimmer. Im Eßzimmer befindet sich ein altes eingebautes Büffet, das die Jahreszahl 1652 und die Buchstaben I. R. W. und A. M. F. trägt. (Johann Rudolf Wettstein und seine Ehefrau Anna Maria Falkner.) Wettsteins Frau starb zwar schon am 8. August 1647. Ist dieses Büffet wirklich aus der Zeit Wettsteins? Die Art der Verzierungen spricht dafür; die tragenden Holzpartien des Schrankes wurden wohl 1892, als das gesamte Täfer des Zimmers erstellt wurde, auch erneuert. Ich betrachte daher das Panneau mit der Jahreszahl 1647 und den erwähnten Buchstaben als eine Nachahmung. Im Erdgeschoß, im sogenannten Schlafzimmer Wettsteins, befindet sich das einfache Renaissancetäfer aus der Zeit um 1530. Daß Wettstein je in diesem Zimmer geschlafen hat, glaube ich nicht. Er hatte die Gicht und klagte in seinen Briefen oft darüber. Als Hausherr wird er deshalb kaum in einem nicht unterkellerten Raum seines Hauses genächtigt haben. Die beiden an der Decke angebrachten Bretter, die uns die Illusion eines Alkovens geben, sind zudem so ungeschickt und unhandwerklich in das Renaissancetäfer eingeschnitten, daß wir daraus sehen können, daß dieses den älteren Bestandteil des Raumes bildet. Die Bemalung dieser Bretter deutet des weiteren auf die Erstellung um 1892 hin.

Bei der Aufnahme des Hauses fiel mir auf, daß im Dachstock das Gebälk nicht überall die gleiche Neigung hat, auch gab es mir zu denken, daß noch heute zu diesem Hause zwei Eingänge führen, einer über das Türmli, der andere von der Straße her. Der Straßeneingang führt aber nur in die Wohnung des Hausdieners. Eine starke, feste Mauer trennt diese Räume von den zwei großen Zimmern im Hofteil. Alle diese Unregelmäßigkeiten deuten auf einen großen baulichen Eingriff, einen Umbau hin. Nur Wettstein, von dem wir ja aus schriftlichen Quellen wissen, daß er an seinem Riehener Landhaus baute, kann dies getan haben.

Wenn wir den ältesten Dorfplan, der 1620 von Hans Bock gezeichnet wurde, betrachten (vgl. z'Rieche I 1961, S. 16), so finden wir gegenüber der Dorflinde ein Haus mit einem Stall, das jetzige Heuslerische Wettsteinhaus. Der First liegt parallel zur Landstraße, das heutige Hinterhaus ist nicht vorhanden, auch fehlt noch der Treppenturm. Der Bürgermeister muß diesen mit seinem großen Umbau aufgeführt haben. Damals wurden wohl auch die großen Fenster im 1. Stock eingebaut, die vielleicht mit dem folgenden Unglück im Zusammenhang stehen. «Im Jahre 1650, am 14. Februar», meldet uns die Chronik des Pfarrers Brombach von Riehen, «als Herr Deputat und Obervogt Melchior Gugger in Herrn Johann Rudolf Wettsteins, Bürgermeisters Behausung zu Riehen sich mit andern guten Freunden mit Essen und Trinken, doch gebührlich und mäßiglichen, erlustiget und jetz den Abschied genommen, fallt er uff der Stägen rückerlingen hinder sich, daß er gleich todt blieben. Ist in Riehen begraben.» Pfarrer Iselin berichtet uns in seiner Geschichte Riehens, daß im «alten» Wettsteinhaus zwei Brunnenstöcke gewesen seien, die die Jahreszahlen 1645 und 1647 trugen. Wettstein hat also auch die Wasserzufuhr zu seinem Haus neu geordnet.

In Riehen besaß der Bürgermeister außer dem «alten» und «neuen» Wettsteinhaus und deren Baumgarten 3 Jucharten Land im Kilchgrund, eine Juchart enet der Wiesen, das «Klösterli», einen Fischweiher im Moos, Reben im Schlipf, eine Juchart Hanfbündten und eine Fischpacht in der Wiese, die seit jener Zeit bis 1957, also 300 Jahre, im Besitze der Hauseigentümer des Heuslerischen Wettsteinhauses verblieb.

Auf dem Plan von 1620 steht neben dem Heuslerhaus, von einer hohen Mauer umgeben, ein Haus mit zwei Treppengiebeln, unzweifelhaft das «neue» Wettsteinhaus. Diese große Hofstatt wurde 1541 von Balthasar Meijel-Krug, Schaffner des Domstiftes, erworben. Nach zeitgenössischen Berichten baute er dieses Haus um. Deshalb sehen wir es schon auf dem Plan von 1620 in einer uns sehr bekannten Gestalt dargestellt. Ich kann nicht sagen, ob Balt. Meijel die Treppengiebel erstellte. Sie deuten eher in ältere Zeiten zurück. Das abgebrochene Zeughaus in Basel (heute steht dort das Kollegiengebäude der Universität) ging in seinen ältesten Teilen, eben den Zinnengiebeln, auf das Konziljahr 1438 zurück. So ist heute die Unterscheidung der Wettsteinhäuser in «alt» (Heusler) und «neu» (Lüscher) eigentlich falsch.

Das Meijelsche Haus kaufte Bürgermeister Wettstein im Juni 1662. Er ließ 1663 darin einen Ofen errichten und ein Bild eines lustigen Trinkers auf eine Kellertüre malen. Vier Jahre nach dem Kauf, an Ostern 1666, starb er. Die Mär, Wettstein habe das heutige Lüscherhaus gebaut, ist also später erfunden worden.

Vom den spätem Besitzern des « alten» Wettsteinhauses Maria Magdalena Wettstein und Hieronymus Heerwagen

Vom 11. Februar 1667 existiert ein Teilungsvertrag des Besitzes von Bürgermeister Joh. Rud. Wettstein. In diesem einigen sich die Erben, Bürgermeister Johann Ludwig Krug, seine Frau Judith Wettstein, deren Schwager Hieronymus Heerwagen und dessen Frau, Frau Magdalena Wettstein. Krug übernahm das «neue» Wettsteinhaus, Heerwagen das «alte» Wettsteinhaus.

Daniel Mitz und Agnes Frey

Daniel Mitz wurde 1680 geboren. Sechs Jahre später verlor er seinen Vater. Am 15. April 1700 heiratete er als Zwanzigjähriger die sechzehnjährige Agnes Frey (1684—1758). Daniel Mitz war Gerichtsherr in Kleinbasel. Er starb 1751.

Am 21. Juli 1700 wurde folgender Kauf abgeschlossen: «Die Herren Erben von Frau Magdalena Müllerin, der verstorbenen Gattin des Obristen Zunftmeisters Christoph Burckhardt sel. verkaufen das von Ihrer Frau Mutter, resp. Schwiegermutter vererbte Landgut in Riehen, das Heerwagische Gut genannt, welches eine Reihe von Gütern und Gerechtigkeiten, in erster Linie eine Behausung und Hofstatt mit zwei laufenden Brunnen von gutem Wasser, samt einem dahinter liegenden Baumgarten in sich begreift, für 6500 Reichstaler an Herrn Daniel Mitz den Jüngeren, Bürger und Handelsmann von Basel.»

1751 übernahmen es Bürgermeister Daniel Mitz und Anna Catharina Merian.

Daniel Mitz (1724-1789) vermählte sich 1751 mit Anna Catharina Merian (1735—1805), der Tochter des Peter und der Maria Merian-Wettstein. Maria Wettstein war die Ururgroßtochter des großen Bürgermeisters Wettstein. Die Mitz und die Heusler konnten deshalb später mit einigem Recht behaupten, daß das Wettsteinhaus immer im Besitze der Nachkommen Wettsteins geblieben sei. Bürgermeister Mitz war Doktor der beiden Rechte und vermittelte als solcher bei allerlei Streitigkeiten zwischen den Eidgenossen. Er genoß hohe Achtung auf der Tagsatzung. Sein kultiviertes Wesen wird besonders gerühmt.

Zu seinen Zeiten wurde das 1892 zerstörte Original des heutigen Hofbrunnens erstellt. Der schöne Nischenbrunnen stammt aus dieser Zeit. Auch sind auf seine Veranlassung hin das Kabinettli, der Toreingang sowie das prachtvolle Gitter erstellt worden. Im Kabinettli sehen wir noch heute über dem falschen Cheminée einen Spiegel mit Louis-XVVerzierung.

Der schöne Turmofen im Giggishanszimmer mit seiner reizenden Vase stammt wohl von Bürgermeister Mitz. Im heutigen «Stadthaus», dem alten Posthause, steht im Sitzungszimmer ein ähnlicher Ofen, doch ist dessen Tambour in seiner ganzen Höhe mit Kanneluren verziert, während der unsrige nur an der untersten Partie solche aufweist. Beide öfen sind in feinem übergangsstil zwischen Louis XV und Louis XVI erstellt. Der Giggishansofen ist rundlich, schmiegsam, weich und in der Vermischung zwischen dem freudigen, lebensvollen Louis XV und dem strengeren, herberen Louis XVI ist er in seiner Art einzigartig.

Leonhard Heusler und Agnes Heusler-Mitz

Leonhard Heusler (1754—1807) war in erster Ehe mit Susanna Heusler, in zweiter Ehe mit Agnes Mitz verheiratet. Er war ein erfolgreicher Kaufmann, der nach dem Verkauf der väterlichen Strumpffabrik als «Spezierer en gros und Bankier» zu großem Wohlstand kam. Er war 1802 Mitglied der «Consulta», die Napoleon nach Paris einberufen hatte, um die Meditationsakte, die Verfassung des eidgenössischen Staates, entgegenzunehmen. Seit 1803 war er Finanzexperte des eidgenössischen Landammanns. 1804 wurde er Staatsrat (9 Mitglieder) des Kantons Basel. Oft war er Gesandter auf den Tagsatzungen, wo er besonders als Experte in Zoll- und Finanzfragen geschätzt wurde. Als Präsident der Basler Postkammer organisierte er das Postwesen neu.

Schon am 5. Juni 1793 kaufte Leonhard Heusler-Mitz von seiner Schwiegermutter «von den zwei Brunnen das Wässer desjenigen Brunnens, welcher aus der Quelle kommt.» über das Recht, Wasser vom Nollenbrunnen zu gebrauchen, stritten sich Gemeinde, Staat und Gutsherr während 150 Jahren. Ca. 1795 wurden wohl die Zimmer neben dem Giggishanszimmer im Hinterhaus erstellt. Die Türen und die Türverkleidungen sind sehr einfach gehalten. Sie haben keine ähnlichkeit mit den Türen aus Wettsteins Zeiten.

1808 kaufte die verwitwete Agnes Heusler-Mitz das «neue» Wettsteinhaus von den Brüdern Winkelblech. Während den nächsten 20 Jahren waren «altes» und «neues» Wettsteinhaus in Heuslerschem Besitz vereinigt.

Im Garten des «alten» Wettsteinhauses steht, hinter Gebüsch und Sträuchern versteckt und an die Lüschersche Gartenmauer gedrückt, ein moosbedecktes, efeuübersponnenes Denkmal. Es lohnt sich, es näher anzuschauen. Es ist in Kalkstein ausgeführt und nur ganz wenig beschädigt. Eine trauernde Witwe mit Kopftuch und typischem, satt unter dem Busen gegürteten Directoirekleid sitzt auf einem umgestürzten, kannelierten Säulenstück. Daneben steht auf einem Postament eine Urne. Auf der Urne steht: DEM ANDENKEN DES BESTEN GATTEN GEWIDMET.

Auf dem Postament steht: DORT WO DER LETZTE FEIND DER DOD AUFGEHOBEN SEIN WIRD WIRD GOTT ABWISCHEN ALLE TRAENEN VON MEINEN AUGEN Name und Jahreszahl fehlen, und der Bildhauer ist unbekannt; verschiedene Hinweise deuten jedoch darauf hin, daß es sich um den in jener Zeit in Basel tätigen und sehr bekannten Unterwaldner Künstler Anton Maria Christen handelt. Dieses Denkmal ist sicher das wertvollste künstlerische Einzelstück, das im «alten» Wettsteinhof steht. Mit dem Gatten ist wohl Leonhard Heusler-Mitz gemeint. Er starb am 11. September 1807, am Ende der Directoire-Epoche. Er war Vater von drei Söhnen und drei Töchtern, von denen das älteste Mädchen erst elfjährig war.

Daniel Heusler und Helena Heusler-Iselin

Nach dem Tode von Agnes Heusler-Mitz, 1815, gelangte das Gut an ihren Sohn Daniel und dessen Gattin, Helena Heusler-Iselin. Daniel Heusler (geb. 31. Dezember 1800, gest. 1881) war Bandfabrikant und Stadtratspräsident. Wir wissen nicht, ob Daniel Heusler-Iselin oder sein Sohn den Gartensaal und dessen Fenster sowie die Gartenfenster in der danebenliegenden Remise erstellt hat. Das Cheminée könnte aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammen.

Im Jahre 1892 wurden im Haus und Hof große Umbauten ausgeführt. Daniel (1830—1910) und Caroline Heusler-Christ haben mit ihrem Architekten, Rudolf Linder, viele Veränderungen vorgenommen. Die große Laube, die an das Lüschersche Haus anlehnt, wurde 1892 gebaut. Den Hausherrn störte es, daß er in seinem Hofe von seinen lieben Nachbarn gesehen werden konnte. Doch da, wo die Laube zu stehen kommen sollte, stand schon seit langem der große Brunnen; dieser mußte versetzt werden und erhielt seinen heutigen Standort neben dem Kabinettli. Aber diese Dislokation deckte die Baufälligkeit des alten Empirebrunnens auf. Der Brunnen mußte neu erstellt werden. Die alten Formen und Verzierungen wurden so gut wie möglich nachgeahmt, und Daniel Heusler-Christ ließ sein und seiner Frau Anfangsbuchstaben nebst Datum an der Rückseite des Brunnenstockes eingravieren. (D. H. + C. C. 1892). Auch finden wir das Allianzwappen HeuslerChrist auf der Vorderfront des Brunnenbeckens. Die heutige Gartenmauer gegen das Immenbachwegli wurde im selben Jahre erstellt, ebenso zwei Zisternen mit je 9 m Tiefe, die eine neben der Gartenmauer, die andere in der Nähe der Laube und des Hinterhaustürmchens. Auch die Deckenmalereien in der Halle im ersten Stock, im Eßzimmer und in der Laube, stammen aus dieser Umbauperiode. Damals wurden wohl die alten Malereien aus der Zeit Joh. Rud. Wettsteins zerstört.

Der Garten in seiner heutigen Gestalt mit dem weiten, frei gestalteten «englischen» Teil, der Felsgrotte und dem Weiher und mit dem kleinen, straffen, zentral axialen «französischen» Teil scheint in jener Zeit angelegt worden zu sein. Die ältesten Bäume sind heute kaum über 80 Jahre alt. Doch Bäume wachsen langsam, und es wäre schade, die Grundform des heutigen Gartens zu fest zu verschönern, auszuebnen, zu begradigen; denn gerade an den wechselnden, ungewohnten Durchblicken und vor allem an der Ruhe ausstrahlenden Verträumtheit liegt der große Reiz für uns.

Noch jetzt hängen im Gartensaal die Bildnisse der Ehegatten Daniel und Caroline Heusler-Christ. Ernst Stückelberg, der bekannte Maler der Tellskapelle und Porträtist, malte sie. Zwei Photos, die im Hause hängen, bezeugen die Ähnlichkeit der Dargestellten.

Julie und Anna Katharina Heusler

Nach dem Tode ihrer Eltern, ca. 1912, verkauften die letzten Besitzerinnen des Wettsteinhauses ihr Stadthaus, den «großen Colmar», und bewohnten seither Sommer und Winter das Landhaus.

Vor fünf Jahren starb Fräulein Katharina Heusler, ihre Schwester, Fräulein Julie, schon 1940. Welcher Alt-Riehener erinnert sich nicht an den Verkauf des Hausarbeitsvereins, der jedes Jahr an einem schönen, sonnigen Sommertag im Hof des «alten» Wettsteinhauses eine große kauflustige Menge herbeilockte? Der Hausarbeitsverein wurde im Ersten Weltkriege von den Fräulein Heusler und ihren Riehener Bekannten gegründet. Damals war die Unterstützung der Soldatenfamilien noch mangelhaft. Dank dieser privaten Initiative wurde es mancher Riehener Frau möglich, ihre Familie durch selbsterarbeiteten Verdienst über das ärgste hinwegzuhelfen. Dieser Verein wurde 1957 in eine Stiftung umgewandelt.

Die beiden Schwestern lebten sehr einfach. Noch heute ist keine Zentralheizung im Hause. Bis 1942 gab es nur ein Bad im Hinterhaus, das im Winter sehr schlecht heizbar war. Zwei der zahlreichen Aborte führen noch heute direkt ohne Syphon in die Grube. Zögernd ließen die Besitzerinnen am Hause Umänderungen ausführen, immer darauf bedacht, dessen Charakter nicht zu zerstören. An Licht und Luft fehlte es am meisten. Deshalb wurde 1921 unter kundiger Leitung der Architekten Von der Mühll und Oberrauch das Fenster neben dem Ofen im Eßzimmer herausgebrochen. So kam doch Nachmittagslicht in diese Stube. Da die Bäume im Garten immer höher wurden und mehr Schatten gaben, wurde 1937 von den gleichen Architekten der Balkon am Hinterhaus gegen den Garten erstellt.

Nach dem Tode ihrer Schwester führte Fräulein Katharina Heusler die letzten baulichen Veränderungen durch. Erst damals erlaubte sie sich ein Badezimmer im Wohnhaus. In die alte, sehr große Küche wurde unter der Leitung ihrer Architekten ein Raum gebaut für Wanne, Waschbecken und WC. Um der verkleinerten Küche Licht zu geben, mußte das bestehende Küchenfenster verschoben werden. Das Badezimmer erhielt ein kleines Fenster. Diese Ausbrucharbeiten zerstörten den Fassadenverputz. Unter Mitwirkung des damaligen Denkmalpflegers, Dr. Rudolf Riggenbach, und den Mitteln des Arbeitsrappens wurden die Wohnhausfassaden gegen die Baselstraße und das Kilchgäßli neu verputzt. Die Renovation erstreckte sich auch auf das Riegelwerk und den Fassadenverputz an Laube und Hinterhaus gegen das Kilchgäßli. Im Dachstock der Südfassade des Wohnhauses ist noch ein Riegelwerk versteckt.

* Die Geschichte des Wettsteinhauses können wir 750 Jahre zurückverfolgen. Oft spielten seine Besitzer eine wichtige Rolle im Dorf oder in der Stadt. Das Wettsteinhaus bildete noch vor zehn Jahren mit seinen aus den verschiedensten Jahrhunderten stammenden Bauteilen keine Seltenheit unter den ältern Häusern in der Stadt und auf der Landschaft. Durch die große Bautätigkeit unserer Zeit sind aber viele ähnliche Höfe abgerissen worden. Das Wettsteinhaus ist zwar kein Kunstwerk. Die ganze Gebäudegruppe strahlt jedoch den Besucher mit einer unaussprechlichen Wärme an, mit einer Intimität, die wir in unserer Zeit immer mehr vermissen, und die die kommende Generation nicht mehr kennen wird. Ich freue mich deshalb, daß die Gemeinde Riehen im Wettsteinhaus, das so eng mit der Geschichte des Dorfes verbunden ist, ein Museum einrichten wird und damit diese heute einzigartige Gebäudegruppe der kommenden Generation erhalten will.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1962

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