Der Filmer Bernhard Raith

Dorothea Christ

Am 28. April 1988 fand die feierliche Übergabe des Kulturpreises Riehen an den Filmer Bernhard Raith statt: sie wurde ausnahmsweise nicht in Riehen selber, sondern im Kino Rex in Basel abgehalten - der Preis fiel Raith ja in erster Linie auf Grund seines Ende 1987 abgeschlossenen Filmes über Arnold Böcklin zu, und die Teilnehmer der übergabefeier sollten auch eine Werkprobe so vorgeführt erhalten, wie Raith sich seinen Film seit je dachte: auf grosser Leinwand in einem den technischen Anforderungen entsprechenden Raum.

Den Beschluss, Bernhard Raith für seinen über 90 Minuten dauernden Film über Böcklin auszuzeichnen, hatte die Jury schon im Januar 1988 nach der Uraufführung im Kino Scala in Basel gefasst: damals lief der eben vollendete Film vor geladenen Gästen im zum Bersten gefüllten Kinoraum. Eine Vorschau während der Böcklin-Ausstellung 1987 in Tokio ging noch ohne Ton im Vortragssaal des «Museum of Western Art» über die kleine Leinwand und begeisterte dennoch das japanische Publikum - auch wenn es sich nur um ein auf 16 mm-Band übertragenes Fragment handelte. Nach der Basler Uraufführung des vollendeten 35 mm-Filmes zeichnete sich nun rasch ein grosser Erfolg ab: in München stand während der «Deutschrömer-Ausstellung» das Publikum Schlange vor Matinée-Auffûhrungen im Kulturkino «Arri», in Basel nahm das Kino Rex den Film ins Abendprogramm, wo er während zehn Wochen lief. Am 25. April wurde Bernhard Raith ein NITOBA-Anerkennungspreis übergeben, wie er in dieser Art erstmals 19 8 8 als «Auszeichnung für besondere Leistungen aus dem Raum Basel» zugesprochen wurde. In Rom fand im Goethe-Institut eine Vorführung in Zusammenarbeit mit dem «Istituto Svizzero» und der «Pro Helvetia» statt; im Juni sprach das Eidgenössische Departement des Innern Bernhard Raith eine Qualitätsprämie für den Film «Arnold Böcklin» zu, verbunden mit einer Beitragsleistung an die Herstellungskosten, wie sie bisher das Bundesamt für Kulturpflege nicht ausrichten konnte. Die ganze Herstellungsarbeit, die sich vom Urprojekt eines bescheidenen Dokumentarfilmes anlässlich der Böcklin-Ausstellung im Basler Kunstmuseum 1977 im Zeitraum von über zehn Jahren zum grossangelegten Künstlerfilm entwickelte, wäre nicht möglich gewesen ohne finanzielle Hilfe verschiedener öffentlicher Stiftungen und namentlich privater Gönner, die Vertrauen hatten in Berhard Raiths Arbeit. Riehen darf stolz darauf sein, den Beschluss zur Auszeichnung der vollendeten Arbeit als erste Instanz gefasst zu haben.

Die Frage um den Vorrang von «Förderpreis» oder «Anerkennungspreis» stellt sich immer wieder. Beide sind berechtigt und notwendig, beide stützen den Künstler in seiner Arbeit, anerkennen seinen ideellen und materiellen Einsatz. Gerade im Falle einer sich über Jahre erstreckenden Arbeit, wie Raith sie in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko übernommen hat, erweist sich nun auch die Berechtigung eines «Anerkennungspreises» - alle Werkbeiträge und gutgefüllten Kinosäle gleichen noch für lange Zeit die Herstellungskosten nicht aus, geschweige denn Konzentration und Spannung, die den Künstler über Jahre belasteten.

Wer ist Bernhard Raith, was hat er mit Riehen zu tun? In Riehen ist der 1937 geborene Bernhard Raith mit seinem jüngeren Bruder Michael und zwei Schwestern an der Ecke Rudolf Wackernagel-Strasse/Grenzacherweg aufgewachsen, hat er seine Jugend verlebt, Primär- und Realschule besucht. Sehr früh zeichnete sich Raiths Ausrichtung auf musische Fächer ab. Er war als Bub ein engagierter Amateurphotograph, man erlaubte ihm zu Hause, einen ungenutzten Raum zur Dunkelkammer umzufunktionieren. Und Musik fesselte ihn - glücklicherweise war im Haus ein altes Harmonium vorhanden, bei Frau Pfarrer Clara Nidecker-Roos hatte er Unterricht, soweit die vielbeschäftigte Pfarrfrau Zeit erübrigen konnte. Heute spielt Raith nicht mehr Harmonium, sondern Klavier. Dann erwachte die Begeisterung für Tanz - aber hier konnte sich Raith erst ernsthaft engagieren, als seine bürgerliche Berufslaufbahn auf gutem Weg war: er trat nach Schulabschluss bei der Firma Schwitter AG in Basel eine vierjährige Photographenlehre an, arbeitete auch anschliessend noch einige Jahre in diesem Betrieb. Daneben aber, schon während der Lehrzeit, nahm er Ballett-Unterricht bei Walter Kleiber, erreich te es auch, schliesslich als reguläres Mitglied des Basler Corps de Ballet mitwirken zu können. Wazlaw Orlikowsky war ihm als Meister von grosser Bedeutung; während der fünfjährigen Tätigkeit im Ballett entwickelte sich beim Photographen der Sinn für Bewegungsabläufe, Dramaturgie und musikalisch-gestischen Ausdruck.

Auf dem Berufsgebiet Photographie bildete sich Raith beim Schweizer Fernsehen als Kameramann aus. Betont legt Raith auch heute immer wieder Wert auf die Feststellung, dass Andreas Demmer für ihn der entscheidende «Filmlehrer» gewesen sei. Vor 22 Jahren durfte er mitarbeiten am Film «Chopin auf Mallorca» mit Andreas Demmer als Chefkameramann und Leo Nadelmann als Regisseur. Zwei parallel verlaufende Berufsausbildungen durchzuhalten, bedeutet allerhand an Zähigkeit und Einsatz: die Fähigkeit zu solchem Engagement ist es auch, die schliesslich während der letzten zehn Jahre Raith dazu befähigten, seinen «Böcklin-Plan» durchzuführen. Es brauchte dazu auch die fachliche und ideelle Hilfe, die namentlich Raiths Gattin, Meister Andreas Demmer und der Freund und Kollege Aldo Gardini boten: sie glaubten an die Realisierung des risikoreichen Projektes in eigener Verantwortung.

Was Bernhard Raith als Photograph, Kameramann und Tänzer gelernt hat, was sich während der Bubenzeit in der Neigung zum Photographieren und Harmoniumspielen abzeichnete, kam zum Tragen, als sich Raith 1966 als freischaffender Kameramann mit eigenem Studio etablierte. Es prägte auch die Auftragsfilme, die ihm nun zunehmend von Firmen übertragen wurden: zur spezifischen Begabung für optische Situationen und Phänomene tritt ein ausgesprochenes Naturempfinden, vereinigt mit musikalischen Vorstellungen.

1968 entstand im Auftrag der Firma Hoffmann-La Roche unter der Leitung von Dr. Erich Signer der medizinische Film «Inspiratorische/expiratorische Dyspnoe beim Kleinkind»; 1971 für Ciba-Geigy der 30 Minuten-Streifen «Die Verantwortung der Agrarchemie» mit Text von Hans Tschumi, der in 22 Sprachen rund um die Welt lief; 1985 für Ricola (Laufen) zwei Filme über Produkteherstellung; 1985/86 für Sandoz ein Film über Immunglobuline unter der Redaktion von Heinz Dieter Schubert und der wissenschaftlichen Leitung der Professoren Silvio Barandun und Andreas Morell (beide Tiefenauspital, Bern).

Daneben entstanden Auftragsfilme für das Schweizer Fernsehen und Werbefilme - manchmal ganz knappe Spots, die speziellen filmischen Einfallsreichtum verlangen. Bei all diesen wissenschaftlichen Filmen und Werbefilmen stehen Exaktheit und präzise optische Disposition, Meisterung schwieriger Aufnahme-Situationen im Vordergrund. «Feldarbeit» in der freien Landschaft, im Labor, im Spital, in Fabrikationsräumen erfordert ein Sicheinstellen auf spezifische Bedingungen und Gegebenheiten. Frei war Raith immer im Bestimmen der musikalischen Untermalung: die Wahl der Begleitmusik ist sozusagen zum Markenzeichen der Raith-Filme geworden. Sie zeichnet auch den Böcklin-Film aus: hier wählte Raith Musik von zwölf Komponisten aus von Gluck bis Debussy. Das haben ihm manche Kritiker angekreidet, denen das jeweils auf die Situation bezogene Mischen verschiedenster Epochen und Stile zu viel war. Aber ist Raith hier nicht dem Wesen von Böcklin selber gefolgt, der sich naiv und spontan für jede Musik begeisterte, die ihm zusagte, sein ausgeleiertes Harmonium lebenslänglich von Atelier zu Atelier mit sich führte und darauf spielte und phantasierte? Man kann da geteilter Meinung sein - ebenso über die innige Vermischung von Naturaufnahmen und optischer Bilderforschung. Jedenfalls erwies der Erfolg des Films, dass Raith aus seinem Böcklin-Erlebnis heraus, durch seine optische und musikalische Interpretation der Malerei Böcklins vielen eine Tür zum Verständnis des Künstlers geöffnet hat. Es handelt sich ja nicht um einen «Dokumentarfilm» im historischen Sinn - es handelt sich um persönliche Interpretation, um Rezeption, die schöpferisch ausgewertet zum persönlichen Werk wird.

So wäre «Arnold Böcklin» der erste, in eigener Regie geschaffene Künstlerfilm von Bernhard Raith? Keineswegs: 1968 debütierte er mit «Irène Zurkinden - Porträt einer Malerin», einem 32 Minuten-Film auf 16 mm, in dem sich der Sinn für spezifische Bewegungsabläufe als Charakteristikum einer bestimmten Persönlichkeit deutlich ausspricht. Auch kein «Dokumentarfilm» - aber ein Filmdokument zu einer Künstlerin, das immer wieder gezeigt wird. 1982 brachte das Schweizer Fernsehen Raiths kurzen Film über die Zürcher Bildhauerin Hildi Hess, der leider in der Versenkung ruht und der die Persönlichkeit dieser Künstlerin glänzend erfasste. Der Böcklin-Film aber ist Raiths erste Unternehmung eines abendfüllenden Streifens für grosse Leinwand. Sein Ziel ist es, weitere Filme dieser Art zu erarbeiten.

Nachtrag: Während der Drucklegung erreicht uns die Nachricht, dass die Filmkommission des Bundesamtes für Kulturpflege beschlossen hat, Bernhard Raiths Böcklin-Film für die Oscar-Nominierung 1989, Kategorie «Best Documentary Feature Award», nach Amerika zu schicken. Das Resultat der Jury wird auf Dezember 1988 erwartet. Die Auswahl zur Bewerbung bedeutet jedenfalls bereits eine Auszeichnung.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1988

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