Der Giggishans in alter Schönheit

Fritz Lehmann

Nach Angaben von Hans Behret zusammengestellt von Fritz Lehmann

 

Der Restaurator ist in seinem Beruf einiges gewohnt an halb zerstörten oder verwahrlosten Kunstwerken. So war er nicht besonders überrascht, als man ihm im Sommer 1970 ein weiteres Exemplar dieser Gattung anvertraute. Der bekannte «Giggishans» im Sommerhaus des Wettsteinhofes zu Riehen befand sich in wenig schönem Zustand. Im Obergeschoss des alten Gebäudes hatte man noch zu des grossen Bürgermeisters Zeiten — vor mehr als dreihundert Jahren — eine Ofenecke mit unserem Gemälde geschmückt. Ausgerechnet die östliche Aussenwand war für die wichtigste Partie ausersehen, das Konterfei von Wettsteins schmausendem Diener. Als Untergrund der ölmalerei diente eine Gipsschicht, die man unmittelbar auf den Kalkverputz des Riegelmauerwerkes gelegt hatte. Wie schlecht sich der Platz eignete, war dem Maler offensichtlich nicht bewusst geworden. Holz, das einerseits klimatischen Einflüssen, andererseits wechselnden Innentemperaturen ausgesetzt ist, verändert sich ständig und überträgt seine Bewegungen auf die Umgebung. In unserem Falle war das leider der Bildträger. Er muss schon in vorangegangenen Jahrhunderten stark gelitten haben. Das Gemälde trug vielfache Spuren mehr oder minder unglücklicher Ausbesserungen. Als es der Restaurator zu Gesicht bekam, zog sich ein grosser Riss diagonal über die Fläche; daneben zeigten sich zahlreiche kleinere Schäden. Auch der nahe Ofen war dem Kunstwerk nicht gerade gut bekommen. Von der bereits angedeuteten Wirkung der Wärme auf den Untergrund einmal abgesehen, dürfte ein beträchtlicher Teil des Schmutzes auf der Bildoberfläche ihm zuzuschreiben sein. Unter allem Schmutz war der bekannte Bildinhalt gerade noch erkennbar. Der ursprüngliche Zustand des Gemäldes liess sich indessen kaum erahnen, kurioserweise als Folge früherer Massnahmen zu seiner Rettung und Sicherung. Da waren zunächst die übermalungen — wie sich später herausstellen sollte, recht grosszügiger Natur; da war die bräunliche Lasur, mit der man farblich schlecht gelungene Ausbesserungen dem Rest des Bildes anzugleichen versucht hatte; da war schliesslich noch die eigentliche Schutzschicht, ein Firnis aus Leinöl, mit seiner verhängnisvollen Eigenschaft, im Laufe der Jahre nachzudunkeln. Schmutz- und Schutzschichten hatten so die Farbigkeit völlig zurückgedrängt. Das alte Bild präsentierte sich als dunkler «Schinken», der die Hand des Restaurators dringend benötigte.

Bei dem damaligen Stand der Bauarbeiten — man ging gerade an eine vollständige Erneuerung des Mauerwerkes — war an sofortige Restaurierung nicht zu denken. Es hiess vielmehr, das Ganze gegen neue Beschädigungen zu sichern. Wandmalereien überzieht man bei solchen Gelegenheiten mit einer Schicht, die den farbigen Grund schützen und zusammenhalten soll. Natürlich muss zunächst der grobe Schmutz entfernt werden, eine diffizile Arbeit, die bereits viel Fingerspitzengefühl verlangt in der Wahl und Anwendung des Reinigungsmittels. Vom normalen Wasser bis zur Chemikalie kann immer nur der Versuch entscheiden, was das einzelne Objekt verträgt. Unseren «Giggishans» putzte man zu beiderseitiger Zufriedenheit mit einer schwachen Lösung und Watte. Allerdings durfte er sich nicht lange seiner neuen Schönheit erfreuen; auf die gereinigte Oberfläche kamen sogleich zwei Deckschichten, eine Lage zähen Japanpapiers und darauf ein kräftiges Baumwollgewebe, beide mit wasserlöslichem Leim aufgeklebt. So dunkel war die Welt dem Giggishans in dreihundert Jahren nicht vorgekommen! Dazu tat sich nun noch allerlei hinter seinem Rücken. Der Restaurator entfernte persönlich Stein um Stein des Riegelmauerwerkes, um eine Beschädigung des Bildträgers, der nur wenige Zentimeter dicken Gipsschicht von aussen her zu verhindern. Die geglättete Rückseite war dann dem Maurer für das Einpassen der neuen Isolierfüllung überlassen.

Als man wenige Wochen später an die eigentliche Restaurierung gehen konnte, zeigte sich, dass Wettsteins trinkfester Diener doch nicht ganz so geduldig all das hingenommen hatte, was um ihn herum geschehen war. Im Gegenteil, er musste in seiner Verdunkelung recht wütend geworden sein, vielleicht sich auch wieder ein Glas zuviel genehmigt haben. Jedenfalls hing nun das Wandgemälde — zum Glück durch die Sicherungsmassnahmen zusammengehalten — in seiner oberen Hälfte nach unten. Der Gipsuntergrund hatte sich zum Teil von der Wand gelöst. Eine Wiederherstellung des Bildes an Ort und Stelle war damit unmöglich geworden. Was folgte, war für den Restaurator ein mühseligen Geschäft. Bildträger und Farbe mussten auf mechanischem Wege voneinander getrennt werden. Dort wo die Unterlage noch fest mit der Mauer verbunden war, konnte der Schutzmantel aus Japanpapier und Baumwollgewebe zusammen mit der Farbschicht vorsichtig vom Gips abgezogen werden. Wo sich dagegen der Untergrund von der Wand gelöst hatte, blieb nichts anderes übrig, als den Gips mit einem feinen Meisel Schicht um Schicht abzutragen, bis auf etwa zwei Millimeter über der Farbe — eine Arbeit, um die einen sicher niemand beneiden wird. Das Bett, auf dem der arme Giggishans während dieser Prozedur ruhte — immer noch des freien Ausblickes beraubt, zudem mit dem Gesicht nach unten, diente auch als Bahre für den Transport ins Krankenhaus, das Atelier des Restaurators. Wer die Türen und Treppen unseres Riehener Museums kennt, kann sich vorstellen, dass dieser Transport seine Tücken hatte.

In der Werkstatt musste der Entführte eine weitere Bearbeitung seiner Rückseite hinnehmen. Die verbliebene Gipsschicht wurde auf etwa einen Millimeter reduziert, die gesamte Fläche mit Schwamm und Wasser sorgfältig gesäubert. Ein Anstrich mit heller ölfarbe verbesserte und ersetzte die alte Grundierung. Als neuer Bildträger wurde eine ziemlich dünne Leinwand vorbereitet; auf einen Rahmen gespannt, der die Ausmasse des alten Bildes übertraf, erhielt sie die gleiche Grundierung wie die Rückseite unseres Gemäldes. Dann wurden beide mit wasserunlöslichem Leim überzogen und aufeinandergepasst — die Leinwand kam oben zu liegen —, mit einem Brett beschwert und sich selbst überlassen. Nach 24 Stunden hatte sich der «Giggishans» schon so gut an diese Verbindung gewöhnt, dass man daran gehen konnte, ihn aus seiner langen Dunkelhaft zu erlösen. Freilich durfte er nicht sofort dem hellen Licht ausgesetzt werden. Die beiden Schichten, die seine Vorderseite bedeckten und ihn vor schlimmerem Schaden bewahrt hatten, fielen nacheinander. Der Vorteil der Methode liegt auf der Hand. Der Patient konnte sich allmählich mit der ungewohnten Umgebung unseres Ateliers vertraut machen, der Arzt sich von Fall zu Fall vom Erfolg seiner Arbeit überzeugen. Während die äussere Schutzschicht, das Baumwollgewebe, mit warmem Wasser vorgeweicht Streifen um Streifen vorsichtig abgezogen wurde, blieb das Bild immer noch von der Lage Japanpapier geschützt; dabei war sein Zustand durch das feuchte Papier hindurch deutlich erkennbar; eventuelle Blasen in der Farbschicht hätten verhältnismässig leicht entfernt werden können. Anders gesagt, das Verfahren erlaubte Diagnose und Behandlung ohne neue Gefährdung des Patienten.

Nachdem sich die letzten Schleier vor Giggishans' Augen gehoben hatten, lag er nun so vor dem Restaurator, wie er ihm zu Anfang seiner Arbeit im Hinterbau des Wettsteinhauses anvertraut worden war. Im grossen und ganzen hatte das Bild die mühevolle Ablösung vom alten Untergrund, den Transport und die Verbindung mit einem neuen Träger gut überstanden. Noch konnte aber die eigentliche Behandlung nicht beginnen. Wie das Bild ursprünglich ausgesehen hatte, war unbekannt. Um dieses Geheimnis zu lüften, musste ihm mit Skalpell und Watte sowie mit verschiedenen Lösungsmitteln zu Leibe gerückt werden. Unter dunkel gewordenem Firnis, unzulänglichen übermalungen und zahlreichen Retuschen kam dann ein bedeutend lebendigeres und ausdrucksvolleres Gemälde zum Vorschein, das selbst im Bildinhalt kleinere Unterschiede aufwies — etwa in der Form der Vorhangstange und im Faltenwurf. Vor 300 Jahren musste kein schlechter Maler gewirkt haben.

Die Tätigkeit des Restaurators im engeren Sinne setzte an dieser Stelle ein. Sie begann mit einer Auffrischung der alten ausgelaugten Farben durch einen verdünnten Firnis. Anschliessend mussten die zahlreichen defekten Stellen ausgebessert werden. Wo die Farbe völlig verschwunden, war der Untergrund entsprechend zu bearbeiten : Einebnen, Grundieren mit hellem Farbton, dann farbliche Einstimmung mit alten Farbstoffen. Dabei durfte nie vergessen werden, dass ölfarbe nachdunkelt, die Farbe also etwas heller gewählt werden musste als im Original. Zum Glück waren überall genügend Farbreste vorhanden; eine eigentliche Neumalung erübrigte sich. Mit dem Schlussfirnis fand auch dieser Teil unserer Arbeit nach einigen Wochen sein Ende. Das abgetrocknete Bild, genauer gesagt die Leinwand wurde aus dem Rahmen gelöst und auf eine verzugsfreie Holzplatte gespannt. So gerüstet trat unser «Giggishans» die Rückreise ins Wettsteinhaus an, wo inzwischen der alte Standort geglättet und für die Aufnahme des Bildträgers vorbereitet worden war. Nun thront er wieder hinter seinem reich gedeckten Tische, am alten Platz, zu seinem und unserem Vergnügen.

Als der Restaurator seinen Rapport abschloss, notierte er unter Arbeitszeit 450 Stunden.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1972

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