Der grosse Umbruch


Ralph Schindel


 

Nach einer langen Phase der Kontinuität im Gemeindepräsidium ist es bei den Wahlen in diesem Jahr zum grossen Wechsel gekommen. Die Ausgangslage vor den Wahlen war so spannend wie schon lange nicht mehr.


 

Gleich drei Gemeinderäte und der Gemeindepräsident gaben 2013 ihren Abschied aus der Exekutive bekannt. Damit war mehr als die Hälfte der sieben Sitze neu zu besetzen. 


 

Gemeindepräsident Willi Fischer (EVP) machte seine Absicht rund sieben Monate vor der Wahl öffentlich. Der Politiker war insgesamt acht Jahre Gemeindepräsident gewesen, davor acht Jahre Gemeinderat und 19 Jahre Einwohnerrat. Mit Fischer traten auch Maria Iselin-Löffler (LDP, nach 20 Jahren), Irène Fischer-Burri (SP, nach zwölf Jahren) und Thomas Meyer (FDP, nach vier Jahren) nicht mehr an. Iselin-Löffler war für Kultur und Bildung zuständig, Fischer-Burri leitete die Ressorts Freizeit und Sport sowie Umwelt, Thomas Meyer betreute die Ressorts Mobilität und Versorgung. 


 

Viele Kandidaturen


Die EVP hatte das Gemeindepräsidium insgesamt 44 Jahre inne und wollte es mit Christine Kaufmann verteidigen. Ebenso klar war, dass mindestens von bürgerlicher Seite ein Angriff kommen würde. Die präsidiale Kontinuität wurde von den Gegnern als EVP-Herrschaft kritisiert. Die Bürgerlichen schafften es in der Folge aber nicht, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Dies lag am Alleingang der LDP, die ihre bürgerlichen Partner vor vollendete Tatsachen stellte: Sie liess ohne Absprache Thomas Strahm gegen Kaufmann antreten. SVP, FDP und CVP einigten sich auf die Unterstützung von Hansjörg Wilde (parteilos). Er hatte Fischer bereits 2010 in den zweiten Wahlgang gezwungen, war dort aber unterlegen. Nun wollte er es noch einmal versuchen. Die Wahlchancen waren aus zwei Gründen besser als vier Jahre zuvor: Wilde musste nicht gegen einen Kandidaten antreten, der den Bisherigen-Bonus für sich nutzen konnten, und er konnte von seiner Bekanntheit aus der ersten Kandidatur zehren. 


 

Gegen einen Sieg Wildes sprach, dass mit Strahm ein zweiter bürgerlicher Kandidat antrat. Politbeobachter räumten Strahm jedoch wegen des Alleingangs keinerlei Chancen ein. Die Frage war deshalb nur, wie viele Stimmen Strahm Wilde wegnehmen und ob Wilde deshalb im ersten Wahlgang nicht gewählt werden würde. Da die SP Guido Vogel portierte und sich Mitte-links-grün damit auch nicht auf eine Kandidatur einigen konnte, war das Rennen sehr offen.


 

LDP büsst für Alleingang


Der erste Wahlgang am 26. Januar 2014 brachte wie erwartet noch keine Entscheidung für das Gemeindepräsidium und eine Ohrfeige für Strahm: Er erhielt nur 852 Stimmen. Obenaus schwang Wilde, der aber mit 2673 Stimmen das absolute Mehr (3296 Stimmen) ebenfalls ziemlich deutlich verpasste. Mit Strahms Stimmen wäre er jedoch bereits im ersten Wahlgang gewählt gewesen. Kaufmann (1599) und Vogel (1087) lagen abgeschlagen dazwischen.


 

Den Alleingang büsste die LDP ausserdem mit einem miserablen Resultat bei den Gemeinderatswahlen. Strahm, der hier ebenfalls kandidierte, erzielte lediglich 1991 Stimmen und war damit über 1100 Stimmen unter dem absoluten Mehr (3142). Aber nicht nur das: Der amtierende Gemeindevizepräsident Christoph Bürgenmeier wurde ebenfalls abgestraft und erzielte mit 2262 Stimmen das zweitschlechteste Resultat in den Gemeinderatswahlen.


 

Weitere Stimmen für den Gemeinderat (absolutes Mehr 3142 Stimmen), erster Wahlgang:


Daniel Albietz (CVP) 3510 Stimmen (gewählt)


Christine Kaufmann (EVP) 3050 Stimmen


Annemarie Pfeifer-Eggenberger (EVP) 2948 Stimmen


Silvia Schweizer (FDP) 2877 Stimmen


Guido Vogel (SP) 2669 Stimmen


Eduard Rutschmann (SVP) 2632 Stimmen


Franziska Roth-Bräm (SP) 2382 Stimmen


Andreas Tereh (Grüne) 2314 Stimmen


Vereinzelte 1365 Stimmen


 

Im Einwohnerrat kam es zu leichten Sitzverschiebungen nach rechts. Die SVP gewann einen Sitz auf Kosten der GLP, die SP nahm den Grünen einen Sitz ab. 


 

Sitzverteilung im Einwohnerrat in der Legislaturperiode 2014–2018:


SVP 9 (+ 1 Sitz)


FDP 6 (unverändert)


LDP 5 (unverändert)


CVP 3 (unverändert)


GLP 1 (– 1 Sitz)


EVP 6 (unverändert)


SP 8 (+ 1 Sitz)


Grüne 2 (– 1 Sitz)


 

Konzentration der Kräfte


Für den zweiten Wahlgang war allen Parteien klar, dass die Kräfte gebündelt werden mussten. Insbesondere für die LDP ging es auch darum, wieder Bündnispartner zu finden, um zumindest den Sitz von Christoph Bürgenmeier im Gemeinderat zu retten. Ein erneuter Alleingang hätte wohl das Ende der LDP in der Exekutive bedeutet.


 

Vor diesem Hintergrund wurden noch am Wahlsonntag Verhandlungen aufgenommen. Die SP entschied sich rasch, Guido Vogel aus dem Rennen um das Gemeindepräsidium zu nehmen und stattdessen Christine Kaufmann zu unterstützen. Ins Rennen um einen Gemeinderatssitz schickte die SP noch einmal Vogel und Franziska Roth-Bräm. Die Grünen setzten für das Präsidium ebenfalls auf Kaufmann und für den Gemeinderat erneut auf Andreas Tereh. Ziel von EVP, SP und Grünen war die Mehrheit im Gemeinderat.


 

Etwas komplizierter gestalteten sich die Verhandlungen auf bürgerlicher Seite. Einerseits nahm vor allem die SVP der LDP den Alleingang übel, andererseits schätzten die Parteistrategen die Lage so ein, dass es die Stimmen der LDP brauche, um die Mehrheit im Gemeinderat zu halten oder gar noch auszubauen. Deshalb biss die SVP in den sauren Apfel und stimmte der Zusammenarbeit zu. CVP, LDP, FDP und SVP unterstützten Wilde für das Gemeindepräsidium und traten mit Silvia Schweizer (FDP), Eduard Rutschmann (SVP) und Christoph Bürgenmeier (LDP) für den Gemeinderat an. Die Strategie, noch einmal mit vier Kandidierenden anzutreten, obwohl Daniel Albietz (CVP) bereits gewählt war, barg aber auch das hohe Risiko, dass eine Kandidatur aus dieser Allianz scheitern würde.


 

Wilde muss zittern


Hansjörg Wilde konnte zuversichtlich in den zweiten Wahlgang am 23. Februar 2014 gehen. Er hatte im ersten Durchgang einen grossen Vorsprung errungen und konnte dank der bürgerlichen Allianz mit den Stimmen Strahms rechnen. Auf der anderen Seite würde Christine Kaufmann mit den Wählern Vogels nur auf wenig mehr Stimmen kommen, als Wilde allein im ersten Wahlgang erreicht hatte. 


 

Diese Rechnung wurde aber ohne die Wählerinnen und Wähler gemacht: Aus dem vermeintlich komfortablen Vorsprung Wildes wurde eine Zitterpartie. Am Schluss konnte er lediglich 132 Stimmen mehr auf sich vereinen als Kaufmann.


 

Gemeindepräsidium, zweiter Wahlgang:


Hansjörg Wilde (parteilos) 3342 Stimmen (gewählt)


Christine Kaufmann (EVP) 3210 Stimmen


 

Wilde war nach seiner Wahl entsprechend erleichtert, Kaufmann dagegen enttäuscht. Im ersten Moment konnte sie nicht einmal ihre Wahl in den Gemeinderat trösten, wo sie das Spitzenresultat vor ihrer Parteikollegin und bisherigen Gemeinderätin Annemarie Pfeifer-Eggenberger erzielte. Dahinter folgten Guido Vogel, Silvia Schweizer und Christoph Bürgenmeier als Letztgewählter. Eduard Rutschmann, Andreas Tereh und Franziska Roth-Bräm scheiterten dagegen.


 

Gemeinderat, zweiter Wahlgang:


Christine Kaufmann (EVP) 3718 Stimmen (gewählt)


Annemarie Pfeifer-Eggenberger (EVP) 3549 Stimmen (gewählt)


Guido Vogel (SP) 3295 Stimmen (gewählt)


Silvia Schweizer (FDP) 3280 Stimmen (gewählt)


Christoph Bürgenmeier (LDP) 3175 Stimmen (gewählt)


Eduard Rutschmann (SVP) 2989 Stimmen


Andreas Tereh (Grüne) 2858 Stimmen


Franziska Roth-Bräm (SP) 2820 Stimmen


 

Damit zahlte sich das Risiko, das die Allianz der Bürgerlichen eingegangen war, nicht aus. Eduard Rutschmann hatte das Nachsehen. Er zeigte sich als schlechter Verlierer und kündete umgehend fundamentale Oppositionspolitik an, obwohl der SVP-nahe Wilde soeben neuer Gemeindepräsident geworden war. Bereits zweimal (2010 und 2014) hatte Rutschmann versucht, in den Gemeinderat gewählt zu werden, und beide Male scheiterte er dabei. Die Oppositionsankündigung trifft vor allem Wilde. Er wurde von der SVP portiert, die ihm nun das Leben schwer machen will. Kein Wunder, sprach er nach seiner Wahl davon, die SVP einbinden zu wollen.


 

Powerplay der Bürgerlichen


Bei der Verteilung der Geschäftskreise im Gemeinderat Ende April gab es keine Überraschungen. Die Bisherigen Daniel Albietz, Annemarie Pfeifer-Eggenberger und Christoph Bürgenmeier behielten ihre Aufgaben.


 

Ressortverantwortungen des Gemeinderats 2014–2018:


Hansjörg Wilde (parteilos): Publikums- und Behördendienste sowie Ressourcen


Daniel Albietz (CVP): Siedlungsentwicklung


Christoph Bürgenmeier (LDP): Finanzen und Steuern


Christine Kaufmann (EVP): Kultur, Freizeit und Sport sowie Umwelt


Annemarie Pfeifer-Eggenberger (EVP): Gesundheit und Soziales


Silvia Schweizer (FDP): Bildung und Familie


Guido Vogel (SP): Mobilität und Versorgung


 

Für eine Überraschung sorgte dagegen die Vergabe des Vizepräsidiums. In Riehen ist es Tradition, dass der Vizepräsident aus dem jeweils anderen Lager kommt als der Gemeindepräsident. So war Bürgenmeier der Vize von Fischer. Der neue Gemeinderat setzte sich über diese auf Ausgleich zielende Regel hinweg und installierte den CVP-Mann Daniel Albietz als Vizepräsidenten. Damit ist das Präsidium fest in konservativer Hand.


 

Das Powerplay der Bürgerlichen setzte sich im Einwohnerrat fort. Auch dort gibt es die ungeschriebene Regel, dass die Kommissionspräsidien jeweils vom anderen politischen Block besetzt werden als dem, welchem der zuständige Gemeinderat angehört. Die bürgerliche Mehrheit schanzte aber das Präsidium der Sachkommission Bildung und Familie (SBF) Claudia Schultheiss (LDP) zu, im Gemeinderat wird der Geschäftskreis von Silvia Schweizer (FDP) vertreten. In der letzten Legislatur hatte die SP das SBF-Präsidium inne.


 

Innert kürzester Zeit hatten die Bürgerlichen damit viel Geschirr zerschlagen. Die SP weigerte sich in der Folge, aus ihrer Sicht minderwertige Kommissionspräsidien zu übernehmen. Sie wollte das als Zeichen für eine Politik der Zusammenarbeit und gegen eine Politik des Machtanspruchs verstanden wissen. Die Bürgerlichen wiesen die Kritik als unzulässig zurück. Es bestehe kein Anspruch auf Kommissionspräsidien, weder für Personen noch für Parteien.


 

Der Start in die neue Legislatur war also von viel Parteiengezänk und wenig Sachpolitik geprägt. Riehen wird besser gedient sein, wenn die Sachpolitik wieder in den Vordergrund rückt.


 

 

Kollegialer Gemeinderat


Im Riehener Gemeinderat hat mit den Gesamterneuerungswahlen 2014 ein grosser personeller Umbruch stattgefunden. Dieser Umbruch stand mit den Rücktritten von Gemeindepräsident Willi Fischer (EVP), den Gemeinderätinnen Maria Iselin-Löffler (LDP) und Irène Fischer-Burri (SP) sowie Gemeinderat Thomas Meyer (FDP) bereits vor den Wahlen fest. Damit ging aber auch eine lange Phase der personellen Kontinuität zu Ende. 


 

Willi Fischer war 35 Jahre in der Riehener Politik aktiv gewesen: 19 Jahre im Einwohnerrat und 16 Jahre im Gemeinderat, davon acht Jahre als dessen Präsident. Schwierige Phasen waren die Auswechslung der Verwaltungsspitze, der Tod von Gemeindepräsident Michael Raith, die Spitalschliessung oder die Brandstiftungsserie. Positiv fielen der Kauf einer grossen Fläche im Moostal aus und die gute Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden und insbesondere mit Basel. 


 

Auf 20 Jahre im Gemeinderat kann Maria Iselin-Löffler zurückblicken. Im Verfassungsrat wirkte sie als Präsidentin der Kommission Gemeinden und Regionale Zusammenarbeit auf die Stärkung der Gemeindeautonomie hin. In ihre Amtszeit fiel denn auch als wichtigstes politisches Projekt die Kommunalisierung der Primarschulen und Kindergärten in Riehen im Rahmen der Neuordnung des Verhältnisses Kanton/Einwohnergemeinden (NOKE). Als Gemeinderätin setzte sie sich für ein vielseitiges Kulturangebot in Riehen ein, das in ihrer Amtszeit entscheidend erneuert und erweitert wurde.


 

Irène Fischer-Burri gehörte dem Gemeinderat zwölf Jahre an. Zuvor politisierte sie neun Jahre im Einwohnerrat und war von 2000 bis 2002 Parlamentspräsidentin. Sie konnte das Naturbad von der Planungsphase über die Referendumsabstimmung bis fast zur Eröffnung begleiten. Weitere Projekte waren die Spielplatzsanierungen oder die Erlangung des UNICEF-Labels als kinderfreundliche Gemeinde. 


 

Thomas Meyer gehörte dem Gemeinderat lediglich vier Jahre an. Er bearbeitete in dieser Zeit die Themen Kommunikationsnetz, Parkraumbewirtschaftung, Buskonzept und den Abbau bei der Postfiliale Rauracher.


 

Alle vier abtretenden Exekutivmitglieder beschreiben die Arbeit im Gemeinderat unabhängig voneinander, aber übereinstimmend, als sehr gut und kollegial. «Ich fand eindrücklich, wie man in der Exekutive miteinander umgeht, dass man in der Exekutive nicht Parteipolitik macht», sagte Irène Fischer-Burri.1 Für Thomas Meyer waren die Sitzungen des Gemeinderats sogar die Höhepunkte: «Es ist einzigartig, erleben zu dürfen, wie man nach kontroversen und teils sehr heftigen Diskussionen schliesslich zu einem Konsens findet und dann auch geeint auftritt.»2 Gleichzeitig sei die Arbeit mit dem Einwohnerrat schwieriger geworden, finden alle vier. «Früher duellierten sich die Leitfiguren der verschiedenen Fraktionen auf sprachlich und rhetorisch hohem Niveau», sagte Willi Fischer. «Während man damals die feine Klinge führte, packt man heute lieber den Zweihänder aus.»3 Auch Maria Iselin-Löffler findet, die Politik sei insgesamt aggressiver geworden. «Die politische Auseinandersetzung als solche, aus der politisches Kapital geschlagen werden soll, ist wichtiger geworden als das Suchen nach Lösungen.»4


 

1 Rolf Spriessler-Brander: Eine schöne Lebensphase als Gemeinderätin, in: Riehener Zeitung, 4.4.2014.


2 Rolf Spriessler-Brander: «Zwölf Jahre Gemeindepolitik sind genug», in: Riehener Zeitung, 11.4.2014.


3 Loris Vernarelli: «Der Präsident trägt Verantwortung für seine Gemeinde», in: Riehener Zeitung, 25.4.2014.


4 Michèle Faller: «Politische Arbeit ist eine Leidenschaft», in: Riehener Zeitung, 25.4.2014. 


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2014

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