Der letzte Zehnten

Kaspar Richner

Die Landvogtei war, wahrscheinlich seit 1540, bis 1798 Amtssitz der Basler Obervögte in Riehen (siehe Anmerkung 4, Seite 20). Neben andern Aufgaben hatten die Vögte im Herbst jeden Jahres über das Einbringen der Grundsteuer, des «Zehnten», zu wachen. Diese Abgabe bestand hauptsächlich aus Feldfrüchten - Getreide und Trauben - und hat zur alternativen Bezeichnung der Landvogtei als «Zehntenhaus» oder «Zehntentrotte» geführt1).

Bei archäologischen Untersuchungen2) im Zusammenhang mit dem jüngsten Umbau sind unter anderem die überreste einer landwirtschaftlichen Anlage aus dem frühen 17. Jahrhundert freigelegt worden 3) (Planzeichnung siehe Seite 22). Eine gepflästerte Einfahrt zieht vom Vorplatz an der Kirchstrasse ins Innere des Gebäudes. Das zugehörige Scheunentor ist auf der ältesten detaillierten Ansicht der Landvogtei, einem Stich von Christian von Mechel aus dem Jahr 1795, noch dargestellt (siehe Seite 47) und zeigt, dass die Anlage bis zu diesem Zeitpunkt in Gebrauch stand4). östlich der Einfahrt führt eine breite Treppe aus Eichenbalken drei Stufen tiefer auf einen Bretterboden, der seinerseits an einen massiven, im Durchschnitt 40 Zentimeter dicken, gemauerten Boden aus Kalksteinen und Ziegelstücken anschliesst. Südlich dieses Steinbodens findet sich eine gemauerte, offene Kellergrube, die von der Einfahrt aus durch einen schmalen Kellerhals zugänglich war.

Es liegt nahe, in dem massiven Steinboden das Fundament der Trotte zu sehen, die sich nach den schriftlichen Quellen im Haus befunden haben muss; die offene Kellergrube könnte ein Gewicht am Trottbaum aufnehmen. Die hölzerne Trotte selbst wurde 1801 verkauft und im folgenden Jahr an einen unbekannten Ort gebracht.

Mit den Resten des zerfallenen Bretterbodens vermischt fanden wir viele guterhaltene Kerne, die sich bei der botanischen Untersuchung als Trester entpuppten: Kerne, Häutchen und Stiele von Weintrauben, teils auch ganze Rosinen 5). Dies müssen wohl Reste des allerletzten Zehnten sein, der im Herbst 1798 eingebracht wurde, als der helvetische Einheitsstaat die Institution der Landvogtei bereits abgeschafft hatte. Man wollte den Zehnten aber noch einmal am alten Ort sammeln, um ihn entsprechend einer künftigen Gesetzgebung verwenden zu können6).

Der Wein, der in der Landvogtei gekeltert wurde, war nicht nur für den Basler Staatskeller bestimmt, sondern wurde auch als Naturallohn, zum Beispiel an den Pfarrer, den Schulmeister, nicht zuletzt an den Obervogt selbst, abgegeben. Die Rebsorte lässt sich anhand der erhaltenen Kerne nicht genauer bestimmen; die wesentlich grösseren Anbauflächen des 17. und 18. Jahrhunderts waren auch bis zu einem Drittel mit roten Trauben bepflanzt.

Die Traubenreste aus der Landvogtei sind ein spätester, anschaulicher Beleg für das Steuersystem der Feudallasten, das vom Mittelalter bis zum Ende des Ancien Régime in Geltung war und das im Lauf des 19. Jahrhunderts durch die moderne Gesetzgebung, welche die Einkommenssteuer zur Hauptsteuer erhob, ersetzt wurde.

Anmerkungen:

1)Die daneben liegende Scheune, 1910 abgebrannt, wurde «Zehnten scheune» genannt.

2) Die Untersuchungen sind zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Berichtes noch nicht abgeschlossen. Dokumentation: Christian Stegmüller und Reto Jagher, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt

3) Dendrochronologische Datierungen im Auftrag der Basler Denkmalpflege durch das Dendrolabor Egger, in Boll BE

4) Die Einfahrt wurde anfangs des 19. Jahrhunderts zugemauert und durch ein Fenster ersetzt.

5) Bestimmung von Marco Iseli, Labor für Archäobotanik, Universität Basel

6) Vom Frühling 1799 bis 1800 waren französische Truppen in der Landvogtei untergebracht, anschliessend stellte eine offizielle Schätzkommission fest, dass durch die Einquartierungen sehr viel ruiniert worden war. Man möchte daher annehmen, dass die Trotte bereits vom Herbst 1799 an nicht mehr in Gebrauch stand; 1802 wurde sie weggeräumt.

 

 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1990

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