Der Wenkenhof
Silvia Hofmann
Es ist erstaunlich, wie wenig bisher über den Wenkenhof publiziert worden ist. Dabei ist der Alte Wenken jene Siedlung, die Jahrhunderte vor Riehen urkundlich erwähnt wird, nämlich bereits im Jahre 751. Das Riehener Jahrbuch will diese Lücke schliessen und ein weitverbreitetes Aiiliegen erfüllen: das Wesentliche über den Wenken in überschaubarer Weise zugänglich machen.
Den historischen Besonderheiten ist die junge Kunsthistorikerin Silvia Hofmann mit Hingabe und Sachkenntnis nachgegangeil. Damit der Leser die zahlreichen Besitzer einordnen kann, hat Michael Raith eine umfassende Besitzerliste zusammengetragen. Und über die illustren Bewohner weiss Robert Sigi manch Amüsantes und Interessantes zu berichten. Das Bild wäre unvollständig ohne die alten Ansichten utid Pläne, vor allem aber ohne die hübschen und mit viel Geduld gemachten aküiellen Photos von Peter Bolliger. HP.E.
Die Geschichte des Wenkenhofes
«Wo am Hang des St. Chrischonaberges die Wiese des Tals und die Waldung der Höhe sich berühren, liegt in stolzer Ruhe der Wenkenhof. Wer vom Berge herniedergestiegen, glaubt hier in diesem wohlgedeihlichen Anblick schon das Behagen des fruchtbaren Talbodens zu spüren, - und wer des heraufführenden Wegs gekommen, der wird im Genüsse der herrlichen Fernsicht diesen Punkt den beglücktesten Berghöhen vergleichen. Dermassen in der Mitte zwischen Berg und Tal, und darum mit doppelter Anmut begabt, ist der Wenkenhof gelegen.
Er ruht auf einer natürlichen Erhöhung des Bodens, auf dem Rücken eines von dem Berge herab gegen die Niederung langgestreckten Zuges, bevor dieser in die Fläche sich verlieret. Zu beiden Seiten desselben breiten sich tieferliegend Wiesen und äcker, hinten bald begrenzt durch einen zweiten mächtigern Höhenzug, vornen sich weit und immer weiter ausdehnend bis hinab zur grossen Ebene des Rheinstroms. Hinten ruht das Auge in träumerischem Genuss auf dem Grunde des grünen Tals, das von Wald und Reben umschlossen, von einem Bache durchströmt, eine glückliche abgekehrte Einsamkeit zu versprechen scheint, - vornen schaut der entzückte Blick die reichbebaute lebenerfüllte Fläche, die umgrenzt ist von den Höhen des Jura, der Vogesen und des Schwarzwaldes, und durchströmt vom Rheine, die weitgedehnte Stadt umschliessend.»') Mit solch schönen, ja geradezu schwärmerischen Worten beginnt Rudolf Wackernagel, berühmter Historiker und Basler Staatsarchivar, seine «Geschichte des Wenkenhofs». Er schrieb sie 1881 als 26jähriger, zwei Jahre nachdem er Elisabeth Burckhardt, Tochter des Landarztes und Wenkenhofbesitzers Martin Burckhardt-His, geheiratet hatte. Der Aufsatz erschien zwar erst 1926 im Basler Jahrbuch, also nach Wackernagels Tod - er ist aber die erste und bisher einzige umfassendere Studie über den Wenken und seine Besitzer. Will man sich jedoch noch genauer informieren, muss man sich die Details zusammensuchen. Im Staatsarchiv Basel liegt eine Holzkiste, in der die ältesten handschriftlichen Dokumente aufbewahrt sind: Von Kaufverträgen aus dem 17. und 18. Jahrhundert über Korrespondenzen eines Besitzers des 19. Jahrhunderts mit dem Markgrafen von Baden (in französischer Sprache). In drei Kartonschachteln finden sich schliesslich zum grossen Teil Dokumente, die Rudolf Wackernagel in geordnetem Zustand hinterlassen hat. Sie betreffen vor allem die Zeit anfangs dieses Jahrhunderts, als er den Alten Wenken besass und bewohnte. Was die Baugeschichte betrifft, so ist sie für den Alten Wenken noch nicht geschrieben. Das dürfte wohl auch schwierig sein, denn die vielen Umbauten haben wohl den Charakter des landwirtschaftlichen Gutes bewahrt, doch ist die Datierung der einzelnen Teile und Gebäude unsicher. Im Planarchiv des Basler Staatsarchivs gibt es einige Pläne des Wenkenhofs, besonders erwäh nenswert derjenige von Achilles Huber aus dem Jahr 1805 (T8), der den Zustand des Gutes zu diesem Zeitpunkt sehr zuverlässig wiedergibt.
Die Quellen sind also vorhanden - eine vollständige Darstellung der Geschichte dieses in Basel und Umgebung wohl grossartigsten Landsitzes2) steht noch aus. Dieser Artikel ist ein Versuch, das bis heute erschlossene Wissen über den Wenken zusammenfassend darzustellen und über Bekanntes und vielleicht auch Unbekanntes zu berichten.
Über die Geschichte der einzelnen Besitzer hat Rudolf Wackernagel mit viel Witz in seiner Wenkenhof-Darstellung berichtet. Darauf stützt sich das entsprechende Kapitel. Das 1957 von Alexander und Fanny Clavel-Respinger herausgegebene «Buch vom Wenkenhof» schildert zwar in allen Einzelheiten die Renovation des Neuen Wenkens, ist aber wohl nur als Quelle für Sozialhistoriker interessant, die sich mit dem Lebensstil des Grossbürgertums zu Anfang unseres Jahrhunderts befassen.
Die Anfänge des Wenkenhofs
Der Wenkenhof ist in der ältesten Urkunde des Basler Urkundenbuchs als «Vahcinchova» (d.h. Hof der Wacho-Sippe) im Jahr 751 zum ersten Mal erwähnt. In dieser Urkunde schenkt ein gewisser Ebo zusammen mit seiner Frau Odalsinde neben anderen Besitzungen alles, was er in Vahcinchova hat, zu «uneingeschränktem bedingungslosem Eigentum der Kirche zu Rötteln».3) Der Priester von Rötteln fertigt die Urkunde aus und unterschreibt sie. Es mag Zufall sein, dass die erste Erwähnung des Wenkens in eine historisch bedeutsame Zeit fällt - jedenfalls kann man sich bei näherer Betrachtung der Zusammenhänge ein Bild über das Motiv der Schenkung Ebos machen, wenn man nicht einfach annehmen will, er und seine Frau wären besonders fromm gewesen. Vielmehr kann man vermuten, dass die Schenkung nicht so sehr aus religiösen denn aus politischen Gründen erfolgte. In diese Zeit fällt nämlich die endgültige Machtübernahme der Karolinger. Vielleicht gehörte Ebo, wie so viele Adlige und Grundherren zu denjenigen, die sich mit dem neuen Regime nicht arrangieren wollten und deshalb eine Enteignung fürchten mussten.
Die Ebo-Urkunde trägt das Datum vom 7. September 751, dem X. (zehnten) Regierungsjahr des letzten Merowingerkönigs Childerich III. Wahrscheinlich ist die Zahl zehn ein Fehler des Kopisten (die Urkunde existiert lediglich als Kopie)4), denn Childerich III. regierte nur von 743 bis 751. Er war ohnehin nur noch eine Art Schattenkönig, dessen Einsetzung die alemannischen und bayrischen Herzöge in ihrem Widerstand gegen die karolingischen Hausmeier durchgesetzt hatten. Nachdem Karlmann, der ältere Sohn Karl Martells, 744 und 746 die aufständischen Herzöge von Alemannien und Schwaben besiegt hatte, wurden grosse Teile des Herzogsguts und des Adelbesitzes in fränkisches Fiskalgut umgewandelt und unter karolingische Verwaltung gestellt. Von diesen Massnahmen waren auch Grundbesitzer in unserer Gegend betroffen. Karlmann zog sich kurz darauf in ein Kloster zurück und überliess das Feld seinem jüngeren Bruder Pippin, dem Vater des späteren Karls des Grossen. Pippin liess sich Ende 751 in Soissons zum König der Franken wählen, Childerich III., der letzte Merowinger, wurde ins Kloster verbannt.5) Aus den Urkunden geht hervor, dass das Kloster St. Gallen, unter seinem ersten Abt Othmar Mittelpunkt des Widerstandes gegen die Karolinger, im südlichen alemannischen Raum eine Vielzahl von Schenkungen erhielt, die seinen bedeutenden Grundbesitz bildeten. Die Kirche von Rötteln, der die Vergabung Ebos galt, gehörte zumindest seit dem 17. Juli 800 - dem Datum der zweiten Urkunde, worin der Wenken erwähnt ist - dem Kloster St. Gallen.6) Prunicho, der als centenarius bezeichnet wird (ein vom Volk gewählter Zeugenführer), übergibt darin der dem Kloster St. Gallen gehörenden Kirche von Rötteln seinen Besitz in Angin (nicht identifizierter Ort) gegen den Röttelner Besitz auf Wenken.
Um 800 ist der Widerstand gegen die Karolinger längst zusammengebrochen: Noch in den 750er Jahren wurde der widerspenstige Abt Othmar von St. Gallen durch karolingische Grafen auf der Insel Werd bei Stein am Rhein gefangengesetzt, wo er 759 starb. Sein Nachfolger war Johannes, ein den Karolingern genehmer Mann.7) Was mit Vahcinchova weiter passiert ist, weiss man mangels Urkunden nicht. Aus einer alemannischen Rodungssiedlung an einem topographisch günstigen Ort sicher vor den überschwemmungen der Wiese - wird wohl ein von Lehensmännern oder Meiern bewirtschafteter Hof geworden sein. Diese Meier müssen aufgrund ihrer Tätigkeit wohl einflussreiche Männer gewesen sein. Denn nicht selten sollen den Grundherren durch die ersessenen Ansprüche des Meiergeschlechts der Besitz verlorengegangen sein. Diesen Meiern gelang im frühen Mittelalter mitunter sogar ein Aufstieg in den niederen Adel. Im Falle derer von Riehein (Riehen) ist das der Fall.8) In einer Urkunde vom 7. April 1113 - in der Riehen zum erstenmal erwähnt wird - hören wir wieder von Wenken. Walcho, Edler von Waldeck, einer der grössten Grundbesitzer im südlichen Schwarzwald, schenkt zusammen mit seiner Frau Mechtild und seinem Sohn Gerung seinen gesamten Besitz dem Kloster von St. Blasien. Darunter auch «die guet und hoff, die ich han in den dörffern Riehen, Wahinkoffen...» (Wenken).9) Er tut dies ausdrücklich für sein Seelenheil. Wie er in den Besitz dieser umfangreichen Ländereien gekommen ist, weiss man nicht. Bekannt ist aber, dass die Edeln von Waldeck einen Teil des Schwarzwaldes durch Rodung erschlossen haben.
Das Kloster von St. Blasien, südlich des Schluchsees im Schwarzwald gelegen, ist im Hochmittelalter eines der bedeutendsten und führenden Klöster, besonders seit sich Abt Giselbert der strengen Klosterreform des norditalienischen Fruttuaria angeschlossen hat.10) Im Investiturstreit, der unter dem Reformpapst Gregor VII. und dem deutschen König Heinrich IV. 1075 eskalierte, ergriff St. Blasien Partei. Der Mönch Bernold verfocht zusammen mit anderen Bischöfen und Mönchen in Streitschriften den Grundsatz, alle weltliche Macht hänge unmittelbar von Gott ab, und der Papst als Nachfolger Petri allein hätte das Primat über die weltliche Herrschaft. Der Streit wurde erst gut fünfzig Jahre später unter Heinrich V. im sogenannten Wormser Konkordat gelöst (1122). Sowohl der Papst wie der Kaiser mussten Zugeständnisse machen, aber im Grunde hatte sich die Kirche von der Vormundschaft durch die deutschen Könige befreit.11) Ob dieser «Sieg» der Kirche für Walcho von Waldeck ein Zeichen war, dass weltlicher Besitz nur eitler Tand ist? Jedenfalls fühlte sich das sanblasianische Kloster durch seinen umfangreichen Grundbesitz in unserer Gegend veranlasst, in der Stadt Basel ein Verwaltungsgebäude zu erwerben, den sogenannten Bläsihof.
Von dort aus wurde auch der sanblasianische Dinghof im Riehener Oberdorf verwaltet, sowie die Mühle und viele andere verzettelte Güter in der Gegend, die vorwiegend bodenzinspflichtig waren. Das zu St. Blasien gehörende Frauenkloster Berau, eine Probstei, besass auf dem Wenken einen Fronhof, der von einem Meier bewirtschaftet wurde. Dieser Meier übte wahrscheinlich die Oberaufsicht über die zinspflichtigen Bauern der Wenken-Siedlung aus. Die besondere Stellung dieses Fronhofs beschreibt Wackernagel mit starker Einbildungskraft so:12) «Man mag sich gerne vorstellen, wie es in jenen Tagen auf dem Hof zuging; wie da der Meier hauste an des Abtes Statt, Aufsicht über alle die Güter und Leute, über Wald und Feld übte, die Zinsen einzog und die Säumigen bestrafte. Ein reges und festliches Leben war aber auf dem Wenken zumal an den Tagen, da der Abt von St. Blasien als Hofherr herkam, sei es, weil er durchreiste, sei es, weil er seine Güter besichtigen wollte. Da wurde den Hofleuten seine Ankunft acht Tage zuvor angesagt, und zugleich angegeben, wieviel Begleiter er mitbringen werde, damit man sich rüste und vorsehe. War der Tag da, so wartete man seiner; er kam angeritten mit seinen Knechten und anderen Begleitern, vielleicht einigen Freunden; den Falken und die Hunde zur Jagd hatte er bei sich, um das Wild zur Zehrung selbst zu beschaffen. Man ritt in den Hof, wo der Meier und der Bannwart den Herrn empfingen... Dann übernachtete der Abt auf dem Hofe; die Hofleute aber wachten im Harnisch die ganze Nacht über gegen feindlichen Uberfall.»
Wie der Alte Wenken im Mittelalter ausgesehen haben mag, kann man heute nicht mehr sagen. Möglicherweise hat sich am grundsätzlichen Charakter der Siedlung nicht viel geändert. Aus der alemannischen Rodung, die lange vor der ersten urkundlichen Erwähnung von 751 entstanden ist, wurde wahrscheinlich bald eine in sich abgeschlossene Ansammlung von Wohnhäusern und Oekonomiegebäuden. Noch heute stehen ja die einzelnen Gebäude alle gegen den Hof gerichtet da, von aussen wirken die Mauern befestigungsähnlich. Das Herrenhaus, ursprünglich ein quadratischer Wohnturm, bekam irgendwann einen Stufengiebel, eine architektonische Form, die im Spätmittelalter in Norddeutschland entwickelt wurde. Stufengiebel waren nur bei gemauerten Häusern üblich. In Riehen gibt es ausser dem alten Wenken-Herrenhaus noch drei weitere ähnlichen Typs: das Meieische, das Rüdinsche und das Becksche Landhaus.13) Die Südfassade des Meieischen Hauses, heute Baselstrasse 30, dürfte dem Herrenhaus auf dem Wenken in seiner ursprünglichen Form am nächsten kommen. Um 1600 wurde das Herrenhaus wahrscheinlich umgebaut, aus dieser Zeit stammen vielleicht die schönen Renaissancetüren im 1. Stock und der Antrittspfosten der Wendeltreppe.
Noch bis weit in die Neuzeit hinein muss man sich die Umgebung des Wenkens viel waldreicher vorstellen, als sie heute ist. Die Terrassen gegen Norden waren wahrscheinlich bebaut mit Weizen, Dinkel und Hafer. Immer wieder werden Reben erwähnt, so z.B. im Berauer Rodel von 1352: «dis sint die reban, die in den Hof zu Wänikon hörent.»14) Das ist im Mittelalter nichts Aussergewöhnliches, denn der Rebbau war damals sehr verbreitet, und Wein war ein Volksgetränk, wie dies auch im Beitrag «Rebbau in Riehen - einst und jetzt» (s. Seite 49) dargestellt wird.
Der Wenkenhof als Besitz von Basler Bürgern
Als Riehen 1522 an die Stadt Basel kam, muss es wohl etliche Schwierigkeiten bei der Bereinigung der komplizierten Besitzverhältnisse, der verschiedenen lehensrechtlichen Güter, Zinsen, Steuern und Gotteshausleute gegeben haben. Alles, was St. Blasien in Riehen besass, fiel ohnehin nicht unter die Oberhoheit des Basler Bischofs. Erst 1546 erklärte sich Abt Caspar von St. Blasien bereit, seine Eigenleute zu Riehen an die Stadt abzutreten. Und die badischen Markgrafen, die seit 1123 die Vogtei des Dinghofs in Riehen versahen, liessen sich für ihre Abtretung der Hörigen mit 400 Gulden bezahlen.15) 1548 kam es zwischen St. Blasien und Basel zu einem rechtsgültigen Vertrag. Der Alte Wenken scheint nicht unter diese Vereinbarung gefallen zu sein. Denn noch in den Kaufverträgen des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts werden verschiedene Bodenzinsen an kirchliche Institutionen erwähnt.
Obwohl schon Mitte des 16. Jahrhunderts die ersten Basler Stadtbürger Landgüter in Riehen erwerben - Heinrich Ryhiner, Jacob Rüdin und Balthasar Meyel sind die ersten - hören wir erst knappe hundert Jahre später von einem städtischen Besitzer des Wenkens: Es ist dies Hans Jakob Beck, ein Ratsherr und Gesandter. über die Motive, die ihn zum Kauf des Wenkens bewogen, kann man nur Vermutungen anstellen. Vielleicht hingen sie mit den berühmten Privilegien zusammen, die Städter in Riehen genossen: «Ano Domini 1537 auf Donstag den 15ten Tag Mertzens habend Unsere Gnädig Herren bed Räth erkandth, dass die Iren von Ryhen Unseren Bürgern der Stadt Basel, Ire Güter liegend und fahrend, die Sy in Zwing und Bahn Ryehen haben, lut der Stadt Freyheit, nit stüren noch mit einich Beschwerden beladen sollendt.»16) Die Vorteile der Steuerfreiheit hat man vor allem im Laufe des 18. Jahrhunderts zu schätzen gewusst, als in Basel die grossen Vermögen angehäuft wurden - für die anderen Privilegien musste hingegen gekämpft werden.
Hans Jakob Beck muss den Wenken vor 1626 erworben haben. Denn er hat noch vom Landvogt Beat Hagenbach gewisse Zusicherungen in bezug auf Brunnennutzungsrechte erhalten. Beat Hagenbach wurde aber 1626 gezwungen, alle seine Amter niederzulegen, weil er offenbar ein «schroffes, unverträgliches Mitglied des Geheimen Rates war.»17) Anfangs des 17. Jahrhunderts war es für reiche Basler längst üblich, während des Jahres eine Art komfortables Nomadenleben zu führen. Für die Repräsentation besass man ein Stadthaus - der zweite Wenken-Besitzer und Schwiegersohn Becks, Onophrion Merian, zum Beispiel den Ramsteinerhof -, dann eine Art Sommerhaus in den Villenquartieren, zu denen damals die Hebelstrasse gehörte, sowie ein Lusthaus vor den Toren der Stadt, in dem man Feste gab. «Da fiel an schönen Sonntagen die Freundund Verwandtschaft in hellen Haufen ein und in der Küche musste unausgesetzt gebraten und gesotten werden. Das Originelle dabei war aber, ...dass die Gäste nicht mit leeren Händen kamen, sondern ihre Vorräte gleich mit sich führten. Nur für die Zubereitung des Rohmaterials hatte der Gastgeber besorgt zu sein, sowie für das nötige Nass, das, nebenbei bemerkt, in jenen fernen, noch nicht unter dem Zeichen des blauen Kreuzes stehenden Tagen in ganz unwahrscheinlichen Mengen vertilgt wurde.»18) Wenn man die Reihe der Wenken-Besitzer Revue passieren lässt, fällt auf, dass alle bedeutende Persönlichkeiten in der Stadt waren (von einigen Ausnahmen abgesehen), die zum Teil hohe ämter bekleideten oder sich geschäftlich besonders hervortaten. Der Wenken wurde mehr und mehr zu einem Repräsentationsobjekt, das landwirtschaftliche Gut trat in den Hintergrund. Manche Besitzer liessen die Wiesen und äcker völlig verganden, andere interessierten sich doch für den Ertrag und taten einiges, um den Besitz an Boden zu vergrössern.
Was die Gebäude des Alten Wenkens betrifft, so sind an ihnen durch alle Zeiten hindurch Um- und Anbauten vorgenommen worden. Die noch heute bestehende Anordnung der verschiedenen Häuser zueinander dürfte dagegen einem sehr alten Muster entsprechen: Der Alte Wenken ist ein sogenannter Vierseitenhof, bei dem die Gebäude um die vier Seiten eines Innenhofs mit Brunnen stehen. Gegen den Neuen Wenken zu liegt das Herrenhaus, ein dreigeschossiger Giebelbau mit - gegen die Bettingerstrasse hin angebautem Empireflügel. Die Fassade gegenüber dem Lusthaus wurde wahrscheinlich im 18. Jahrhundert, zu Zäslins Zeiten, so gestaltet, dass sie von ihrer architektonischen Wirkung her zum Ehrenhof passte. Insbesondere zu erwähnen ist der doppelte Treppenaufgang mit dem prächtigen Régencegitter. Auf der Seite des Empireflügels befindet sich heute der von einem Schmiedeisentor verschlossene Zugang zum Hof, ein Hof, der der öffentlichkeit nicht zugänglich ist, da die Häuser des Alten Wenkens heute von Privatleuten bewohnt werden.
Das Herrenhaus war, wie der Name sagt, das Wohnhaus des jeweiligen Wenkenbesitzers, und zwar bis zur Teilung des Gutes in den Alten und Neuen Wenken im 19. Jahrhundert, da der Neue Wenken um ein Stockwerk erhöht und damit auch zum Wohnhaus umgestaltet wurde. In den Jahren 1767/1768 liess der Wenken-Besitzer im Herrenhaus durch den Ingenieur Johan Jakob Fechter um fangreiche Reparatur- und Wiederherstellungsarbeiten durchführen. Die Rechnungen und Voranschläge im Staatsarchiv führen den Bau diverser Brandmauern, neuer Fundamente, öfen und Gewölbe auf. Welche und an welchen Orten im Haus diese zu suchen sind, lässt sich leider nicht rekonstruieren. Vielleicht gehört dazu der offene Küchenofen an der Aussenfassade des Herrenhauses, der heute noch funktionstüchtig wäre. Aus einem Inventar des Wenkens aus dem Jahr 1842 geht hervor, dass das Herrenhaus über nicht weniger als 12 Zimmer verfügte, nicht eingeschlossen die diversen Mägdekammern, die sich unter dem Dach befanden. Heute sind es mehr, denn inzwischen ist das Herrenhaus in zwei Wohnungen aufgeteilt, indem wahrscheinlich Ende des letzten Jahrhunderts im Treppenhaus Mauern eingezogen wurden.
An den beiden Längsachsen des Vierseitenhofes schliessen sich das sogenannte Pächterhaus auf der einen und die Remise auf der anderen Seite an. Das Pächterhaus - heute ebenfalls in zwei Wohnungen aufgeteilt - wird in früheren Aufzeichnungen «Lehen- und Rebmannshaus» genannt, ein Hinweis darauf, dass neben dem Pächter der landwirtschaftlichen Güter auch der Kultivator der Wenkenschen Rebgüter das Haus bewohnte. Es ist also anzunehmen, dass das Pächterhaus schon in früheren Zeiten zwei Familien als Wohnung diente. An der Ostfassade ist ein schmaler Riegelbau angefügt, der früher wohl als Abtritthäuschen diente. Er stammt wahrscheinlich aus dem späten 18. Jahrhundert und wurde während der Renovation 1982 stehengelassen. Die Remise auf der anderen Seite ist heute ebenfalls als Wohnhaus umgebaut. Aus den Plänen von Achilles Huber von 1805 (der ersten genauen Vermessung und Bestandesaufnahme des Wenkens und seiner Gebäude) ist zu ersehen, dass die Remise zum Teil in zwei Stockwerke aufgeteilt war. Der Teil gegen das Herrenhaus zu diente damals auch noch als Pferdestall. Gegenüber dem Herrenhaus sind die ehemalige Scheune und der Stall gelegen, unterbrochen vom grossen schmiedeisernen Tor heute der eigentliche Eingang zum Alten Wenken vom Hellring her. Stall und Scheune sind insgesamt imposante Ökonomiegebäude. Die Ostfassade zeigt unregelmässig angeordnete Luftluken und eine grosse viereckige öffnung, wahrscheinlich die Ladeöffnung zum Hochtenn. Das riesige Giebeldach umschliesst einen ebenso gewalti gen Dachstuhl. Die Ställe waren - gemäss Achilles Hubers Plan - nicht so gross, so dass man annehmen darf, dass auf dem Wenken die Viehhaltung nicht eine so grosse Rolle spielte wie der Anbau von Ackerfrüchten. Im Inventar aus dem Jahre 1753 ist noch die Rede von «Scheunen und Stallungen» und sogar von einer Trotte. Diese ist aber im Huber-Plan von 1805 nicht mehr eingezeichnet. Das ökonomiegebäude wurde in den 1970er Jahren ebenfalls zu Wohnungen umgestaltet, allerdings verzichtete man auf Empfehlung der Denkmalpflege hin auf den Einbau zusätzlicher Fenster auf der Giebelseite der Scheune, so dass sie heute vom Park her in ihrer ursprünglichen Gestalt zu sehen ist.
Unbestritten gehören die Wohnungen im Alten Wenken zu den malerischsten Stätten in Riehen. Der Wohnwert ist durch den geschlossenen Hof und die zum Teil gegen den Wenkenpark gelegenen Gärten sehr hoch. Die Innenräume des Herrenhauses, die ich ausnahmsweise besichtigen konnte, haben ihr altes Cachet bewahrt, nicht zuletzt durch die erhalten gebliebenen Deckenstukkaturen, Täfer und Kachelöfen. An zwei Fenstern des Herrenhauses sind übrigens die Namen und Geburtsdaten der Burckhardtschen Kinder aus dem 19. Jahrhundert eingeritzt - ein hübsches Detail, offenbar einem Einfall des Vaters von Dr. Martin Burckhardt-His zu verdanken.
Onophrion Merian, der den Wenken 1639 nach dem Tod seines Schwiegervaters Beck übernahm und darob noch Arger mit seinen Miterben hatte, ist es zu verdanken, dass der Wenken eigenes fliessendes Wasser besitzt. In langer Auseinandersetzung mit Riehen und Bettingen vor dem Basler Rat erreichte Merian schliesslich sein Recht, allerdings unter einigen Bedingungen: «..., dass Herr Merian das Wasser von dem mitten in der obren Wenkenmatten stehenden Brunnstöcklin zwar wohl fassen und von dannen durch den Schruns bis in die Breitgassen durch einen daselbst aufzurichtenden Brunnstock in einen Kasten leiten, auch davon einen halben Pfennig gross Wasser zu seinem Gebrauch in den Hof Wenken richten und führen lassen möge, aber dass dieses alles in sein Herrn Merians Kosten geschehe und sowohl das untere als das obere Brunnstöcklin in sein und der jeweiligen Besitzer des Wenkenguts Kosten erhalten werde, - anbey aber mit dem heitern und ausgedruckten Vorbehalt, wofern über kurz oder lang Mangel an Wasser an diesem Ort erscheinen würde, dass alsdann Herr Merian oder ein jeweiliger Besitzer des Wenkenguts, so oft das geschieht, solchen neuen Brunnen allweg wieder abzuschaffen schuldig und verbunden sein soll.»19) Merian wurde 1650 Landvogt zu Riehen und zog in die Landvogtei. Er verkaufte den Wenken an die Witwe des Obersten Gustav Adolf Müller, Margaretha Reich von Reichenstein. Aus dem Kaufvertrag ist ersichtlich, wie gross das Gut etwa war, auch wenn die Masse nicht nach heutigen Maßstäben errechnet werden können: «Die Behausung Hof und Hofstatt Wencken, samt Scheuren, Stallungen, Garten, Brunngerechtigkeit, wie auch allen dazu gehörigen Gütern, als ungefähr 5-6 Jucharten Reben, 8-9 Tauwen Matten, und 10-11 Jucharten Ackers; desgleichen alle in dem Haus befindlichen Mobilien; ist ausser 100 Gld Bodenzins an das Augustinerkloster aller Zinsen und Beladenschaften frei.»20) Im Lauf der nächsten Jahrzehnte scheint sich die Grösse des Gutes nicht wesentlich verändert zu haben, wie aus den Kaufverträgen ersichtlich ist. Hingegen werden immer wieder Bodenzinsen erwähnt. Als nämlich 1667 der Wenken von der Witwe des nach Kreta verbannten Balthasar Graf - er war offenbar ein notorischer Schuldenmacher und Ehebrecher - an Franz Thierry verkauft wird, heisst es noch: «diese Güter zinsen in das St. Blasieramt, an die Stift auf Burg zu Basel, in das Wettingeramt.»21) Die Zinspflicht gegenüber diesen Klöstern und Stiften bestand bis zur napoleonischen Mediation und wurde 1802 von der Kirchen- und Schulverwaltung Basel übernommen. Am 23. Februar 1843 kaufte Dr. Martin Burckhardt-His, der damalige Besitzer des Wenkens, das Gut von diesen Verpflichtungen frei. Die Summe betrug 1565 und zweieinhalb Franken, wie aus der Quittung hervorgeht, die im Staatsarchiv aufbewahrt wird. übrigens sind auch alle Beraine für den Wenken noch vorhanden. Ihnen liesse sich bei genauerem Studium entnehmen, welche kirchlichen Einrichtungen was auf dem Wenken besassen. Im Kaufvertrag Graf an Franz Thierry von 1667 soll auch die Befreiung von allen Frondiensten den Gemeinden gegenüber erwähnt sein, denn darauf bezieht sich 1735 der damalige Besitzer Hans Rudolf Burckhardt in einem Streit mit Riehen. Das Dorf hatte den Rat um eine Entscheidung gebeten, weil sich die Besitzer der Landgüter weigerten, ihre Leute zu Frondiensten der Gemeinde zu schicken. Damit würden sie das Gemeinwohl schädigen und schwächen. Der Rat ging zunächst auf die Wünsche der Gemeinde ein, doch «14 Tage später meldete der Landvogt: Obige Erkantnis sei allen Lehensleuten der dortigen Burgerhöfe vorgewiesen und sie zur Leistung der Frohnen geboten worden. Nun hätten sich aber einige derselben geweigert, die Frohn zu versehen unter dem Vorwand, dass ihre Lehensherren solches nicht zugeben wollten. So sei namentlich der Martin Tschopp von Bretzwyl, Herrn Hans Burckhardts Lehensmann auf Wenken, willig gewesen, der Erkantnis nachzukommen, sein Herr aber halte dafür, dass er zu frohnen nicht schuldig sey, massen ihme vorher die Frohnung niemahlen zugemutet, sondern sein Gut jeweilen davon befreyet gewesen.»22) Es gab noch einiges Hin und Her, doch schliesslich siegte der städtisch-grossbürgerliche Herrenstand; er wurde von allen Verpflichtungen der Gemeinde (und dem Gemeinwohl) gegenüber befreit.
Prachtentfaltung: Der Neue Wenken
Mit dem Auftreten des Namens Burckhardt als Wenkenhofbesitzer beginnt eine neue ära in der Geschichte dieses Gutes. Nicht nur wird jetzt immer klarer, dass ein Landgut eine Kapitalanlage ist, vielmehr ist der Wenken von nun an jeweils eine der Besitzungen dieser Herren. In kurzer Zeit wird nicht nur Vermögen angehäuft, sondern riesige Ländereien werden in einigen wenigen Händen vereinigt. 1714 hatte Christoph Burckhardt den Wenken erworben, nachdem er zuvor Besitzer des nicht minder bedeutenden Bäumlihofs gewesen war. Diesen musste er 1709 zwar verkaufen, erstand sich aber von den Erben Onophrion Merians den Ramsteinerhof als Stadtpalais. Burckhardt, Theologe und Rechtsanwalt, Inhaber vieler ämter und Hofrat des Markgrafen von Baden hatte zwei Söhne: Samuel und Hans Rudolf, der, wie oben bereits geschildert, die Privilegien der Gutsbesitzer gegen die Ansprüche der Gemeinde verteidigte. Während der letztere ledig blieb, heiratete Samuel in eine nicht minder reiche Familie hinein: Seine Frau war Anna Maria Zäslin, die Schwester Johann Heinrich Zäslins, der den Wenkenhof 1735 von seinem Schwager Hans Rudolf Burckhardt kauf te. Die beiden Zeitgenossen und Verwandten Samuel Burckhardt und Johann Heinrich Zäslin waren sich in manchem ähnlich. Beide galten als Finanzgenies ihrer Zeit, als reichste Basler überhaupt, die mit ihrem Salzhandel und ihren Eisengiessereien ungeheure Gewinne machten. Das soll einigen Unmut erregt haben: «Die geschäftlichen Machinationen der Basler Salznegotianten, vorab Burckhardts, bieten ein unerfreuliches Bild der Gewinnsucht, das umso bedenklicher erscheint, als die Behörden bei den finanzmächtigen Kaufleuten über schwächliche Abwehrversuche nicht hinauszugehen wagten.»23) Burckhardt und Zäslin gefielen sich in der Rolle der grossen Herren und hielten viel auf standesgemässe Repräsentation. So Hessen sie ihre Stadtwohnungen - Burckhardt den Ramsteinerhof, Zäslin den Formonterhof - prächtig ausstatten. Und fast gleichzeitig, Mitte der 1730er Jahre, begannen sie, ihre Landsitze, Bäumlihof und Wenken, in beispiellos reiche Lusthäuser umzuwandeln. In jenen Jahren wurde der Grundstein zum Neuen Wenken gelegt. Beide liessen sie sich von ihrer Bewunderung für alles Französische leiten sie hatten sich ja auch vom offiziellen Porträtisten Ludwig XIV., Hyacint Rigaud, malen lassen.
Aus dem Inventar der «Häuser ze Wenken» aus dem Jahr 1750 ist zu entnehmen, dass die Ausstattung der festlichen Räumlichkeiten von beispielloser Eleganz gewesen sein müssen. Sofas, Kanapees und Betten waren mit «Indienne, Persienne und Damast»-Stoffen überzogen, die Kamine mit echten «Argenteuil-Kacheln» ausstaffiert. Die Kabinette links und rechts des grossen Festsaals enthielten Billard- und Kartenspieltische, waren aber offenbar auch zum übernachten eingerichtet. «Der Historiker kann es nur konstatieren, nicht immer psychologisch erklären, wie im Beginn des 18. Jahrhunderts die Prachtliebe gleich einer Geistes-Epidemie sich von Paris aus über das gesamte Europa verbreitete und alle Stände ansteckte, vom römischdeutschen Kaiser bis hinunter zum vermöglichen Handwerker.»24) Die wahrlich «königliche» Attitüde lässt sich schon daraus entnehmen, dass sich Zäslin als Vorbild für sein Gartenpalais auf dem Wenken, nicht unbescheiden, das Trianon de Porcelaine in Versailles wählte. Allerdings war das Trianon immer noch doppelt so gross wie der Neue Wenken, auch eingeschossig, aber neben dem Mittelrisalit von je vier Fensterachsen flankiert. Dieses Schlösschen, an dessen Stelle heute das Grosse Trianon steht, galt einzig und allein dem Feiern pompöser Feste - und genau zu diesem Zweck liess auch Zäslin sein Lusthaus bauen.
Der ursprüngliche Bau war eingeschossig, die Gartenfassade öffnete sich in einem dreiachsigen, giebelbekrönten Mittelrisalit, flankiert von je zweiachsigen Fensterfronten, hinter denen sich, neben dem eigentlichen grossen Festsaal, separate Kabinette befanden. Von der Terrasse blickt man auf den prachtvoll angelegten, leicht abfallenden französischen Garten: Vorne ein reich ornamentiertes Blumenparterre, in der Mitte ein Springbrunnen und schliesslich statuen- und obeliskengeschmückte Rasenbeete. Zu beiden Seiten erstrecken sich Lindenalleen, den Abschluss bilden Treillagen-Kabinette. überall stehen gusseiserne Vasen (aus den Zäslinschen Eisengiessereien), und das Programm für die Antiken ist eine exakte Kopie von Versailles inklusive der «Venus avec les belles Fesses», die Emanuel Büchel in seiner Zeichnung von 1751 separat dargestellt und angeschrieben hat. Sie stand übrigens im sogenannten Geheimgärtlein, einem von Kastanienbosketten gut abgeschirmten Ort seitlich des Palais, wo sich Gäste und Besitzer wohl ihren geheimen Wünschen hingaben oder die Schönheit der Venus bewunderten. Dass Zäslins Geschmack auch in anderer Hinsicht äusserst erlesen gewesen sein muss, geht aus dem Bericht der Basler Denkmalpflege von 1974 hervor: «Man darf annehmen, dass Zäslin den damals vorzüglichsten in der Basler Gegend tätigen Architekten mit dem Bau beauftragt hat, auch für die Innenausstattung sind, wie deren Erlesenheit bezeugt, erstrangige Kunsthandwerker beigezogen worden. Motivisch schwingt auch hier, im Wasserbecken, in den Blumen der Supraporten und den Pflanzen der Decke, ja im Grün der Boiserien das Gartenthema hinein. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Stukkaturen, die den style régence - lineares Bändelwerk, das von Gehängen umspielt wird und oft in sehr zarte Blätterzweige übergeht - in ausserordentlich feiner und eleganter Form verkörpern. Erstmals in Basel überspielt hier im Wenkenhof das Ornament frei den Deckenspiegel, übernimmt anstelle wulstiger Rahmungen dies zarte Blätterwerk die Führung. Solche Formgebung nähert sich sehr stark dem französischen Geschmacke an, ihre nächste Ent sprechung findet sie wiederum im Gartensaal des Bäumlihofs. Hier im Wenkenhof ist sie bereits fortgeschrittener, weist bereits auf die Stukkaturen des Holsteinerhofs an der Hebelstrasse hin (ab 1742 im Besitz von Zäslins Schwager Samuel Burckhardt. Anm. d. Verf.). Vielleicht dass im Wenkenhof wie im Bäumlihof lombardische Stukkateure, die bereits in Frankreich gearbeitet hatten, am Werk waren. Für die formvollendete Anlage des Gartens in französischem Stile wäre übrigens nicht auszuschliessen, dass Zäslin, wie dies an deutschen Fürstenhöfen des öftern geschehen ist, einen ehemaligen Gehilfen Le Nôtres (der Gartenarchitekt von Versailles. Anm. d. Verf.) engagiert habe.»25) Da Zäslin selber Junggeselle war, vermachte er den Wenkenhof den Enkeln seiner Schwester Anna Maria Burckhardt-Zäslin. In seinem Testament, das er «auf sein des Herrn testatoris eigenthümlichen, bei Riehen gelegenen Landgut, der Wenkenhof genannt, in der alten Wohnung auf deren oberem Stockwerk in der hintern grossen Eckstube linker Hand, deren Fenster teils gegen Basel, teils gegen den alten Hof zu Wenken zeigen, morgens zwischen 9 und 10 Uhr vor mehreren Zeugen», am 27. April 1751 verfasste26), schreibt er, «er hätte sein eigentliches Vermögen, darunter den Wenkenhof im Grunde am liebsten seiner einzigen Schwester Anna Maria Burckhardt-Zäslin vermacht, doch besitze diese selber schon sehr viel, auch sei sein lieber Schwager, Samuel Burckhardt, schon mit der Verwaltung des eigenen Vermögens auf das äusserste in Anspruch genommen, sodass es diesem, wie er wisse, wenn nun noch ein Mehreres dazu käme, keine Annehmlichkeit, sondern eine Last bedeuten würde. So glaube er, den beiden die grössere Freude zu bereiten, wenn er es ihren beiden Enkeln hinterlasse.»27) Die damals 13- und 11jährigen Buben «besassen» den Wenken gemeinsam bis 1768, dann übernahm ihn der jüngere der beiden, Johann Jakob Merian, und benutzte ihn als Sommerpalais. In der Stadt verfügte er über den Ritterhof und den Ramsteinerhof. Vom Bäumlihof, den er auch besass, heisst es, habe er nur das Spalierobst geschätzt. Er scheint sich auch sonst um den Herrenstand verdient gemacht zu haben, denn er beklagte sich beim Rat, seine Matten würden von anderen Bauern als Allmend benützt, ohne dass sein eigner Pächter das Recht hätte, sein Vieh ebenfalls weiden zu lassen. Die Riehener antworteten, das sei ihr gutes altes Recht. Doch der Rat erteilte den Dörflern folgende Lektion: Sie sollten doch endlich mal Ordnung schaffen mit ihren Weidgängen. «Denn wäre alles so ordentlich zugegangen, wie die von Riehen behaupten, so würde Herr Merian nicht in den Sinn gekommen sein, Klagen zu führen; vielmehr seien die kleinen Ubervorteilungen auf dem Lande gegen Herrengüter zur Genüge bekannt.»28) Wie die «kleinen übervorteilungen» der Herren gegenüber anderer Leute Eigentum waren, lässt sich nicht genau sagen. Immerhin weist der Wenken zu Merians Zeiten eine beträchtliche Ausdehnung aus: 80 Jucharten Matten, Ackerland, Wald und Reben. Merian liess auch ein Hirschgehege anlegen und begann, der damaligen Mode folgend, mit der Erweiterung zu einem englischen Garten.
Nach Merians Tod - er erschoss sich 1799 - wurde sein Besitz durch Los geteilt: Der Bäumlihof fiel an den Sohn Samuel, der Wenken an den Schwiegersohn Johann Jakob Bischoff, der 1785 Merians Tochter Anna Maria geheiratet hatte. Bischoff gehörte schon der Glöcklihof in Riehen, wo er 1783 den berühmten «Cagliostro-Pavillon» bauen liess. Bischoff war der letzte Wenkenhof-Besitzer, der auch noch andere Ländereien besass. In der nächsten Generation gelangte der Wenken wieder in Burckhardtschen Besitz durch Heirat von Anna Maria Bischoff mit dem Handelsmann Martin Burckhardt. Aus dieser Zeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, stammt der angebaute Empire-Flügel des alten Herrenhauses mit dem sehr schönen Blauen Saal im ersten Stock (bemerkenswert die Trumeauspiegel). Seine Nachkommen, darunter der Landarzt Martin Burckhardt, teilten das ganze Gut in den Alten und den Neuen Wenken, und nach dem Umbau 1860, als der Zäslinsche Gartenpalast ein Stockwerk aufgesetzt bekam, bezogen die beiden Burckhardtschen Familien je einen Wenkenhofteil.
Rudolf Wackernagel, der eine Tochter von Martin Burckhardt-His geheiratet hatte, gelangte 1903 in den Be sitz des Alten Wenkens und bewohnte ihn bis zu seinem Tod 1925. Wie aus seinem Wenkenhof-Nachlass im Staatsarchiv zu ersehen ist, verkaufte er im Jahr 1909 das Pächterhaus und die ökonomiegebäude (ausser der Remise) mit einem beträchtlichen Stück Land (69 000 m2) an den Riehener Bauern Jakob Gysin-Sütterlin zu einem Preis von 48 000 Franken. Dass Wackernagel diesen Verkauf irgendwann bereut haben mag, geht aus diversen Briefen hervor, in denen er sich über das Betragen Gysins beklagt. Es wurden auch Vereinbarungen getroffen, die zum Teil einer gewissen Komik nicht entbehren. Gysin musste sich beispielsweise verpflichten, vor Sonn- und Feiertagen den Hof zu wischen und keine Unordnung vor der Scheune zu hinterlassen. Auch durfte er zum Wirtschaften das Land gegenüber dem Herrenhaus und der Remise nur benützen, wenn die Familie Suppengrün, Salat und Rhabarber unent geltlich bei ihm beziehen durfte, wenn Platz für eine Bank und das Pflanzen von Erdbeeren und Johannisbeeren bestünde und keine Gysinschen Bohnenstecken die Wackernagelsche Aussicht behinderten. Es war dann Alexander Clavel, der das Land und die Gebäude direkt von Gysin kaufte, und nicht - wie bisher angenommen - von der Witwe Wackernagels.
Der Wenkenhof heute
Wie Clavel in seinem «Buch vom Wenkenhof» schreibt, hatten sich er und seine Frau schon 1915 in diesen Landsitz verliebt: «Sieh doch den schönen Dachstock des alten Wenkenhofs; man fühlt geradezu die Kraft des schweren, gotischen Gebälks!» meinte meine Amazone (gemeint ist Fanny Clavel. Anm. d. Verf.), während ihre Stute ein Büschel grünen Klees, zum Zeichen ihrer Ungeduld, aus dem schmalen Wiesenstreifen rupfte...» Und nach weiteren lebhaften Phantasien, welch schöne Möglichkeiten ein solcher Besitz bieten würde, meinte Clavel: «Jetzt im Krieg solche Pläne, liebe Frau? Du glaubst wohl, ich hätte die Gulden des seligen Zäslin, der im alten Wenkenhof gewohnt und dann dieses prächtige neue Lusthaus für seine heiteren Feste gebaut hat? Reiten wir besser weiter; solche Träume könnten sich dank unserem Optimismus womöglich gar noch verwirklichen, ein gefährliches Unternehmen in der Zeit eines Weltenbrandes!»29) Wenn Clavel auch nicht die «Gulden des seligen Zäslin» hatte, so doch genügend Geld aus seiner Seidenfärberei, dass er Elisabeth Burckhardt 1917 zum Verkauf überreden konnte. Dass seine Geschäfte durch den Weltkrieg nicht beeinträchtigt - im Gegenteil noch profitabler wurden, schildert Clavel selber: Durch seine Freundschaft mit dem damaligen General Wille und anderen hohen Offizieren des Generalstabs bekam er den Auftrag für die neuen feldgrauen Armee-Uniformen.30) Das Ehepaar Clavel-Respinger sah in der Wiederherstellung und Erhaltung des Wenkens eine Lebensaufgabe. Sie haben ihren Landsitz nicht nur «als einen Ort festlichster Lebensgestaltung in ihrem Innersten erfasst»31), wie es so schön heisst, sie fühlten sich als echte Schlossbesitzer und in punkto Pracht- und Repräsentationsliebe waren sie mit Zäslin geradezu geistesverwandt. Sie erweiterten den englischen Park, erstellten Reithalle, Stallgebäude und Reitbahn, Hessen die Bettingerstrasse gegen Westen verlegen und öffneten mit der Anlage des Belvederes jenseits dieser Strasse eine neue Achse. Clavel beschreibt diese Arbeiten - mit Hilfe des Berner Architekten Henry B. de Fischer - ebenso detailliert wie das rege gesellschaftliche Leben auf dem Wenkenhof. Doch auch Clavels Mittel scheinen nicht unbeschränkt gewesen zu sein. Schon 1954 errichtete er die Clavel-Stiftung, die den Neuen Wenken und den französischen Garten der öffentlichkeit erhalten hat. Die Clavel-Stiftung ist eine von drei Besitzerinnen des ganzen Wenkenhofareals; die Einwohnergemeinde Basel besitzt den Alten Wenken, der 1982 renoviert wurde, das Belvedere, sowie die Gebiete südöstlich davon; die Gemeinde Riehen den englischen Park mit Reithalle, Stallgebäude und die Parzellen nordwestlich des Belvederes, die sie durch Kauf vor der überbauung rettete.
Was früheren Generationen Repräsentationszwecken diente und nur einzelnen Privilegierten zugute kam, ist heute Erholungsraum für die Bevölkerung, die fürstliche Kulisse Umgebung für verschiedenste kulturelle Veranstaltungen. Heute kann sich jeder, der durch den Park spaziert, als Wenkenhof-Herr oder -Herrin fühlen und sich, wie vor 150 Jahren jemand sagte, vorkommen wie in einem Paradies: «Der Wenkenhof ist ein wahres Elysium, wo man alle Mühseligkeiten dieses Erdenlebens vergessen und seines Daseins froh werden lernt.»
Literatur Basler Denkmalpflege: Der Wenkenhof als Baudenkmal, Basel 1974 Burckhardt-Werthemann, Daniel: Das Baslerische Landgut vergangener Zeit, in: Jahrbücher des Basler Kunstvereins, 1911 Büttner, Heinz: Christentum und fränkischer Staat in Alemannien und Rätien während des 8. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Schweiz. Kirchengeschichte, Band 43, 1949 Clavel-Respinger, Alexander u. Fanny: Das Buch vom Wenkenhof, Riehen 1957 Das Bürgerhaus der Schweiz, Band 22, Basel-Stadt Europäisches Jahr für Denkmalpflege und Heimatschutz 1975 : Der Wenkenhof Heyer, Hans-Rudolf: Historische Gärten der Schweiz, Bern 1980 Iselin, Emil: Geschichte des Dorfes Riehen, Basel 1923 Jordan, Karl: Investiturstreit und frühe Stauferzeit, in: Gebhardt, HB der deutschen Geschichte, Band 4, München 1973 Koelner, Paul: Bäumlihof, Klein-Riehen, Basel 1953 Lehmann, Fritz u. Frey, Lucas: Die Sarasinschen Güter in Riehen, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Band 66,1966 Löwe, Heinz: Deutschland im fränkischen Reich, in: Gebhardt, HB der deutschen Geschichte, Band 2, München 1973 Raith, Michael: Die Geschichte des Wenkenhofs, Ausstellung Grün 80, Riehen 1980 Raith, Michael: Gemeindekunde Riehen, Riehen 1980 Reinhardt, Ursula: Riehen, Schweiz. Kunstführer, Basel 1980 Riehen in Vergangenheit und Gegenwart, Schweiz. Bankverein, 1972 Riehen, Geschichte eines Dorfes, Riehen 1972 Sprandel, Rolf: Das Kloster St. Gallen in der Verfassung des karolingischen Reiches, in: Forschungen zur Oberrheinischen Landesgeschichte, Band VII, Freiburg i.Br. 1958 Schär, Werner: Höfe und Landgüter in Riehen, Riehen 1966 Schmid, Hanspeter: Generalstreik 1919, Krieg der Bürger, Zürich 1980 Schwab, Hans: Riehen seit 1825, Basel 1935 Wackernagel, Rudolf: Geschichte des Wenkenhofs, Basler Jahrbuch 1926 Wirz, Eduard: Unser Riehen, Riehen 1956 Die (ungeordneten) Quellen zum Wenkenhof seit dem 17. Jahrhundert sind im Staatsarchiv Basel unter den Bezeichnungen «Hausurkunden», Nr. 611,1, 611,2 und 907 zu finden.
Literaturverweise 1) Wackernagel, S. 83 2) Reinhardt, S. 17 3) Riehen, Geschichte, S. 84 4) Riehen, Geschichte, S. 151 5) Löwe, S. 116-117 6) Riehen, Geschichte, S. 153 7) Sprandel, S. 27 8) Riehen, Geschichte, S. 85 9) Riehen, Geschichte, S. 87 10) Jordan, S. 52 11) Jordan, S. 77 12) Wackernagel, S. 86 13) Riehen, Geschichte, S. 223 14) Riehen, Geschichte, S. 153 15) Riehen, Geschichte, S. 275 16) Riehen, Geschichte, S. 277 17) Riehen, Geschichte, S. 277 18) Burckhardt-Werthemann, S. 26 19) Wackernagel, S. 93 20) Wackernagel, S. 94 21) Wackernagel, S. 99 22) Wackernagel, S. 104 23) Koelner, S. 35 24) Burckhardt-Werthemann, S. 32 25) Denkmalpflege, S. 5 26) Wackernagel, S. 106-107 27) Denkmalpflege, S. 5-6 28) Wackernagel, S. 109 29) Wenkenhof, S. 24-25 30) Wenkenhof, S. 50 31) Denkmalpflege, S. 6