Der Wetterhahn der Dorfkirche zu Riehen

Walter Pannike

Neukonzeption für den alten Wetterhahn von 1612

Zu den sehr umfangreichen Renovationsarbeiten an der Dorfkirche St. Martin zu Riehen, die im Jahre 1992 begannen, gehörte zum krönenden Abschluss auch die Erneuerung des Wetterhahnes. Für eine überarbeitung und Neuvergoldung musste man ihn daher von der Turmspitze abnehmen. Bei näherer Betrachtung liessen sich starke Verwitterungserscheinungen feststellen. Mitarbeiter der Denkmalpflege und des Historischen Museums Basel stimmten darin überein, den Turmhahn keiner erneuten Vergoldung zu unterziehen, dafür sollte dieser nach intensiver Konservierung als ein kostbares regionales Kleinod einen würdigen Platz im Dorf- und Rebbaumuseum erhalten und durch eine Kopie ersetzt werden.

Allgemeines über Wetterfahnen

Die Vorläufer unserer heutigen Wetterfahnen waren sicherlich die vielen vom Wind bewegten Angriffsflächen, vor allem aber die textilen Wimpel. Die uns aus den letzten Jahrhunderten erhalten gebliebenen scherenschnittartigen Darstellungen waren vielerorts künstlerisch liebevoll aus Kupferblech gestaltet worden und bildeten damit eine vertraute Silhouette für mehrere Generationen. Der Turmhahn der Dorfkirche zu Riehen ist ein solcher Vertreter der vielen Wetterfahnen, die auf herausragenden Bauwerken noch häufig zu sehen sind. Unter anderem wurden die verschiedensten Motive dämonischer Fabelwesen geschaffen, um böse Geister von Stadt und Land fernzuhalten. Immerhin ist die Wetterfahne als höchster Punkt des Turmes die Kontaktstelle zwischen Himmel und Erde. Drachendarstellungen und Heiligenfiguren bis hin zu dem alles überwachenden Wetterhahn sind Beispiele solcher Unheil abwendender Blechgebilde.

Ursprünglich zierte jedoch nicht ein Güggel, sondern ein Kreuz den Riehener Kirchturm zu St. Martin. Nach der Reformation wurden in Stadt und Landschaft Basel solche Kreuze gelegentlich durch Hähne ersetzt. Dahinter steckt eine alte und konfessionsübergreifende - ja sogar vorchristliche - Tradition. Der Hahn ist das Symboltier der Sonne, im speziellen der Morgenröte als Künderin des Tages und des Lichtes, er weist damit auf Christus und die Auferstehung hin. Die Geschichte von der Verleugnung Jesu durch Petrus vor dem zweiten Hahnenkrähen in der Morgenfrühe (Markus 14) gehört in diesen Zusammenhang, wenn auch der Akzent eher auf der Mahnung zur Wachsamkeit liegt: der Güggel ist Wächter und Wecker, seine Position an der höchsten Stelle des Turms und in Nähe zur Turmuhr ergibt ebenfalls eine zeitsymbolische Verbindung. Zusätzlich ist er auch ein Zeichen der Kühnheit, des Mutes und des Kampfes. Jedenfalls wurde seine Darstellung gern - und nicht allein im evangelischen Bereich - verwendet: er kommt schon in der frühen christlichen Kunst vor und erscheint seit dem 9. Jahrhundert in Deutschland, England und Italien als Turmhahn.

Die Konstruktionsmerkmale des Riehener Güggels

Zu den Konstruktionsmerkmalen aller Wetterfahnen, die sich am windreichsten Punkt eines Bauwerkes befinden, gehört die drehbare Vertikalachse mit dem aufmontierten Kupferblechbildnis. In der Regel wurde die Achse von zwei Eisenschellen mit eingesetztem Bronzering gehalten, die zusammen mit einer schalenförmigen Bronzescheibe (Pfanne) - auf der das angespitzte Achsende aufsass - den Dreh- und Angelpunkt bildeten. Sicherlich hatte man den Riehener Turmhahn mit eben dieser drehbaren Befestigungsart versehen, die jedoch aus Verschleiss- und Altersgründen 1938 gegen eine seitlich angeschweisste Kugellagerhalterung ersetzt wurde. Dafür haben sich die zwei Bleihälften mit den drei durchgehenden Eisennieten am Kopf des Hahnes bis heute erhalten. Sie sind für den Ausgleich der vertikalen Achsiallast und damit für den Drehmoment bedeutungsvoll. Ausserdem gehört noch ein kugelförmiger Kinnlappen aus Blei und ein aufgefächerter Hahnenkamm mit vier eingesetzten Kupferblechen dazu. Weitere Konstruktionsmerkmale sind die sechs miteinander vernieteten Kupferblechsegmente, bestehend aus dem Halsteil, der Rumpfpartie und den vier Schwanzteilen. Daraus ergab sich eine Gesamtfläche von zirka 90 mal 80 Zentimetern und eine Dicke von 1,5 Millimetern. Diese mehrfach vernieteten Segmente sind vorwiegend an reparierten Wetterfahnen auffällig, nur der Riehener Turmhahn ist vermutlich aus Sparsamkeit original so zusammengesetzt worden. Dies ist auch an den beidseitig aufgesetzten Flacheisenverstrebungen zu erkennen, die über den einzelnen Segmenten liegen und der allgemeinen Stabilisierung dienen.

Datierungen und Renovationszeitpunkte

Viele der uns bis heute erhaltenen Wetterfahnen sind zusätzlich mit den Initialen des Herstellers versehen. Für die wenigsten von ihnen lässt sich nach zwei oder drei Jahrhunderten noch der vollständige Name dazu ermitteln. Um so erfreulicher ist die Tatsache, dass die eingearbeiteten Initialien C H von 1612, die sich am Hals des Güggels befinden, mit den uns bekannten Lebensdaten des einzigen damals in Riehen ansässigen Dorfschmiedes C-laus H-auswirt (bezeugt von 1574 bis 1624) in Verbindung zu bringen sind. Die Jahreszahl von 1612 ist somit ein Beleg der Entstehungszeit des Kirchturmhahnes und damit ein Zeugnis für seine bald vierhundertjährige Geschichte. Für die auf der Gegenseite sichtbaren Initialen H V F mit der Jahreszahl 1746 im Mittelfeld des Blechkörpers waren bisher noch keine Anhaltspunkte zu finden. Sehr wahrscheinlich stehen auch diese Initialen - wie die Jahresangabe von 1938 - mit einer Reparatur oder Turmerneuerung in Zusammenhang. Insgesamt liessen sich die Zeitpunkte für sechs Renovationen des Hahnes ermitteln, denen man jeweils eine mögliche Neuvergoldung zuordnen kann. Dabei ist der Zyklus von zirka 50 Jahren auffällig, mit lediglich zwei längeren Zeitabständen.

Es können durchaus acht Renovationen gewesen sein und damit auch acht Neuvergoldungen, wenn man die beiden längeren Zeiträume nochmals halbiert. Allerdings ist das nur eine Vermutung, denn die nötigen Anhaltspunkte fehlen. Bei zwei voneinander unabhängigen Oberflächenanalysen, wovon eine mikroskopisch erfolgte, liessen sich partiell wenigstens zwei Vergoldungsschichten und ihre Grundierungen nachweisen. Eine dritte liess sich wegen des relativ hohen Verwitterungsgrades nur noch in Spuren vermuten. Sicherlich handelt es sich hier um Schichten der letzten drei nachweisbaren Renovationen, die den oben aufgeführten Zeitabschnitten zu entnehmen sind.

Die Konservierung des alten Wetterhahns

Die Konservierung und Festigung wurde mit einer fünfprozentigen Paraloidlösung (Polymethacrylsäureester) vorgenommen und konzentrierte sich vor allem auf die Grundierungsschichten und Reste von Vergoldungen. Sie hatten unterschiedlich dicke Oberflächenstrukturen, waren ausgewaschen und standen grell zueinander im Farbkontrast. Nach der Festigung liessen sich aufstehende und durch Craquelés hervorgerufene Schollenbildungen thermisch wieder in eine weniger abbröselnde Oberfläche zurückformen. Die zum Teil sehr dick aufliegenden Grundierungsreste, vorwiegend an den Blechüberlappungen, mit ihren partiell tiefer liegenden Fehlstellen erforderten eine besondere Festigung der Randzonen durch Anböschen einer Kittmasse, um einem weiteren Substanzverlust vorzubeugen. Freiliegende Kupferblechbereiche waren durch die bereits entstandene Patina relativ unkompliziert zu behandeln und mussten in einfacher Weise mit Paraloid nur gefestigt werden. Die aufgenieteten Flacheisenverstrebungen mit ihren stark entwickelten Rostnarben und den noch aufliegenden Farbresten bedurften jedoch einer mehrfachen Behandlung, um damit die noch aktiven Korrosionen zu stoppen. Den Abschluss der zeitaufwendigen Konservierung bildete die Befestigung des in Kupferblech gefassten Kinnlappens aus Blei. Er soll vor etwa fünfzig Jahren durch einen gezielten Gewehrschuss abgefallen sein und war nunmehr unter erschwerten Umständen mit Kupferstiften erneut zu befestigen. Es ist sicherlich nicht übertrieben, den Riehener Kirchturmhahn als ein bemerkenswertes Objekt einzuordnen, sind es doch vier verschiedene Metalle, die im direkten Kontakt zerstörenden Korrosionen ausgesetzt waren (elektrochemisches Potential) und diesen nahezu vierhundert Jahre lang unter extremsten Umweltbedingungen widerstanden haben.

Zur Kopie des Riehener Güggels

Nach der komplexen Konservierung ging es darum, eine Kopie zu schaffen, die mit dem Original nahezu identisch ist. Die Basler Denkmalpflege schuf hierzu eine detaillierte übersichtszeichnung im Maßstab 1:1, die eine originalgetreue Nachbildung ermöglichte, welche von der Riehener Schlosserei Gebrüder Müller angefertigt wurde. Für den neuen Kirchturmhahn kamen gleichermassen die fest miteinander verbundenen und jeweils verschiedenen Metallarten zur Verarbeitung, wie es bereits bei dem Vorgänger der Fall war. Dabei wurde für die Grundform - die sich ursprünglich aus mehreren Segmenten zusammensetzte - nur eine grosse Kupferblechtafel verwendet. Wieder in traditioneller Weise hat man die Eisenverstrebungen schmiedetechnisch angepasst und beidseitig vernietet. Ebenso verhielt es sich bei den aus Blei gefertigten zwei Kopfhälften mit Kinnlappen. Eine besondere Konstruktion wurde für das neue Drehlager gefunden, das sich jetzt auch unter extremen Bedingungen relativ wartungsfrei bewegen lässt. Mehrfache Korrosionsvorbeugende Massnahmen, insbesondere an den Eisenteilen, sowie eine flächendeckende Blattvergoldung im alten Stil - ausgeführt von der Firma Weber + Imbach AG - bilden die Voraussetzung für einen jahrzehntelangen Fortbestand der Kopie.

Literatur:

GKR, S. 136-137

Clemens Hellmut Pötz: «Wetterfahnen», München 1988

Siegfried Börtitz: «Alte Wetterfahnen», Leipzig 1991

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1993

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