Die Alte Kanzlei

Hanspeter Eisenhut

Am 10./11. September 1983 wurde die Alte Kanzlei nach eingehender Vorbereitung und sorgfältiger Ausführung der Um- und Enueiterungsbauten ihrer neuen Bestimmung als «Haus der Riehener Vereine» übergeben und feierlich eingeweiht. Diesen Anlass will das Riehener Jahrbuch mit drei Beiträgen würdigen: Zunächst soll in kjiappen Zügen die Geschichte der Alten Kanzlei nachgezeichnet werden, von den Ursprüngen bis zu den Bauten am Ende des Ersten Weltkrieges. Dem Berri-Bau aus den Jahren 1834/37, dem kunsthistorisch wertvollsten Teil, der das Dorf bild nachhaltig geprägt hat, wird ein separater, ausführlicher Artikel gewidmet.

Der dritte Beitrag befasst sich mit der relativ langen Zeitspanne, seit die Alte Kanzlei ihrer Funktion als Gemeindehaus enthoben wurde, bis hin zum jetzigen «Haus der Vereine». Dass dabei eine glückliche Synthese erreicht wurde zwischen dem wiederhergestellten, ursprünglichen Zustand des Berri-Baus und den sich ihm anschliessenden Umund Erweiterungsbauten, darf als besonders erfreulich hervorgehoben werden.

 

Zur Geschichte der Alten Kanzlei

Die historischen Anfänge der Alten Kanzlei werden erstmals zu Beginn des 17. Jahrhunderts greifbar: 1609 richteten Untervogt und Geschworene ein Gesuch an den Rat von Basel «umb Auferbauung eines Gemein Haus oder Stuben». Begründet wurde das Vorhaben damit, dass es im Hause des Ochsenwirtes, wo das Niedere Gericht tagte, oft an Platz fehle. Man schlug vor, das «alte Heussleren Haus» zu erwerben mit drei Stuben, elf Kammern und einem grossen Stall nebst zwei Kellern. Der Rat willigte ein und Riehen kaufte das Gebäude. Jahrzehnte später steuerte dann die Obrigkeit 85 Pfund ans Wachthaus bei. Dieses stand an der Ecke Baselstrasse/Ochsengasse (seit 1935 Erlensträsschen), also etwa an derselben Stelle wie die heutige Alte Kanzlei.

Der gewählte Standort war nicht zufällig; denn das Haus diente ja nicht nur dem Gericht, sondern auch dem Ortspolizisten und der Dorfwache, in Kriegszeiten auch dem Militär. Von diesem "Wachthaus aus konnten grosse Teile des damaligen Dorfes überblickt werden, und auch der Verkehr über die Brücke zur Kirche konnte so kontrolliert werden. Unmittelbar hinter dem Wachthaus befand sich ja noch der Graben, der den innern Speicherkranz der Kirchenburg umgab. In diesen Speichern lagerten Getreide und Wein, aber auch Munition und in Kriegszeiten sogar Geld und weitere Wertgegenstände.

Als indirekte Folge der Kirchenerweiterung von 1694 wurde das Wachthaus «von nuwen aussgebauwen». Die Kosten des unter Philipp Wenk, Untervogt, neu errichteten Gebäudes betrugen 450 Pfund, welche die Gemeinde selber aufbrachte, unter anderem durch den Verkauf eines «Zweiteis Matten von dem gemeinen Gut». Das Gerichts-, Wacht- und Gemeindehaus enthielt auch ein kleines Gefängnis. Unmittelbar davor stand die «Trülle», ein drehbarer Käfig, in dem Lästermäuler an den Pranger gestellt wurden.

DerBerri-Bau von 1834/37

Der Berri-Bau von 1834/37 wird im nachfolgenden Beitrag sehr detailliert beschrieben. Er darf deshalb hier vernachlässigt werden. Nur soviel: Damit das neue Bezirks- und Gemeindehaus, das von seinen Dimensionen her ja nicht als Repräsentativbau angesehen werden kann, dennoch einen gebührenden Platz erhielt, wurden die vor der Kirche stehenden Speicher entfernt. So konnte ein freier Platz geschaffen werden, der fast den Charakter eines Dorfplatzes hatte. Mit den Besitzern der zur Kirchenburg gehörenden Speicher musste intensiv um die Abtretung verhandelt werden. Wo kein Konsens möglich war, wurde enteignet. Die Kosten für alle Speicher beliefen sich auf 1 787 Franken, hinzu kamen 400 Franken für den Ankauf des ebenfalls benötigten Göttyschen Hauses und weiter 1000 für die Wegräumung der Speicher und für die Versetzung des Gemeindeschopfes. Der eigentliche Bau des Gerichts- und Gemeindehauses nebst den Räumlichkeiten für die Polizei kam auf runde 9 000 Franken zu stehen. An die Gesamtkosten von 12 187 Franken steuerte Basel 6 000 bei. über 2 000 Franken flössen der Gemeinde durch freiwillige Beiträge zu. Die Subscribentenliste enthält 18 Namen, vor allem von Stadtbürgern, die in Riehen ihren Landsitz hatten.

Der Anbau Ochsengasse von 1898

Der Berri-Bau erfuhr während nahezu 60 Jahren keine baulichen Veränderungen. Im Gemeindehaus tagte bis in die Mitte der 1870er Jahre auch immer noch das Bezirksgericht. Und bis zur Aufhebung der Bezirksschreiberei im Jahre 1885 befand sich auch das Grundbuch und derNachlass im selben Gebäude. Alle diese Amtsstellen wurden dann von der Stadt bzw. vom Kanton übernommen. Zu gewissen Zeiten wurden einzelne Räume des Gemeindehauses auch zu Schulstuben umfunktioniert.

In den frühen 1890er Jahren wurden ein feuersicheres Gelass zur Unterbringung des Archivs erstellt und die Wächterwohnung restauriert.

Dem Berri-Bau schloss sich gegen die Ochsengasse hin ein eingeschossiger Anbau, die Ochsenmetzgerei, an. Diese musste dem Erweiterungsbau von 1898 weichen. Entworfen und realisiert wurde er von Johannes Hess-Stump (1840-1907), seit 1897 Ochsenwirt. Der Anbau veränderte ganz entscheidend den Sinn des Berri-Baus, welcher auf einen eingeschossigen Schopf ausgerichtet war. Zwar wird später, bei der Integrierung dieses 1898er Anbaus in jenen von 1918 die Fassade verändert, doch fielen die überproportionierte Höhe, die korrespondierende Fassadenflucht und die Abwalmung zum Berri-Bau unangenehm auf.

Um- und Erweiterungsbau von 1916/18

Durch eine massive Zuwanderung - hauptsächlich aus Basel - steigt die Bevölkerung Riehens etwa seit der Jahrhundertwende stetig an. Der Strassenbahnanschluss 1908 trägt das Seine dazu bei, dass 1916 etwa dreieinhalbtausend Einwohner in Riehen gezählt werden.

Im «Bericht und Antrag des Gemeinderates betreffend Gemeindehaus-Umbau» vom 14. 7. 1916 wurde denn auch darauf hingewiesen, dass die bestehenden Räumlichkeiten nicht mehr genügen. Vor allem mangelte es an einem genügend grossen Lokal für die Gemeindeversammlungen. Zwar konnte durch kleinere Umbauten im Innern zu Beginn unseres Jahrhunderts das Vorhandene besser ausgenützt werden, aber inzwischen fehlte es immer mehr am nötigen Platz für die Verwaltung. Die Frage, ob ein Neubau oder bloss ein Um- und Erweiterungsbau zweckmässiger wäre, war bald beantwortet: Für einen Neubau fehlte das Geld. Aber auch vom «allgemeinen Standpunkte» aus schien es nicht gerechtfertigt, den bestehenden Berri-Bau niederzulegen.

Die von Architekt und Gemeindepräsident Otto Wenk (1872-1935) ausgearbeiteten Pläne sahen einen markanten Flügel zum Kirchhof hin und einen etwas kleineren zur Ochsengasse hin vor. Der erste Kostenvoranschlag rechnete mit Ausgaben von 80 000 bis 90 000 Franken. Der Regierungsrat von Basel beteiligte sich mit 35 000 Franken «unter der Bedingung, dass die für die Zwecke der Polizeiwache bestimmten Räumlichkeiten des Gemeindehauses auch fernerhin der öffentlichen Verwaltung von der Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.»

Die eingesetzte Baukommission bestand aus den Herren A. Strub (Präsident), E. Stehlin, E. Wenk, J. Mory und F. Schelling. Sie achtete peinlich darauf, nur die günstigsten Offerten der Unternehmer und Handwerker zu berücksichtigen, und sie akzeptierte später sozusagen keine Preiserhöhungen. Dennoch lag die Endabrechnung mit 174 393.95 Franken doppelt so hoch wie der Voranschlag. Der Kantonsbeitrag hatte sich trotz Interventionen der Gemeinde nicht erhöhen lassen, und er deckte somit nicht einmal die Bauaufwendungen für die Räumlichkeiten, die der Polizei zur Verfügung gestellt wurden.

Wie präsentierte sich der von Burckhardt, Wenk & Co. ausgeführte Bau? Im Erdgeschoss wurde der dominante Gemeindesaal für etwa 300 Personen erstellt. Dass Innenräume des Berri-Baus dadurch teilweise zerstört wurden, hat offenbar niemanden gestört. Auch im Obergeschoss wurden Veränderungen vorgenommen. über dem Gemeindesaal lagen die Sitzungszimmer für den Gemeinderat und den Präsidenten. Die eigentlichen Verwaltungsräume für den Gemeindeschreiber und den Kanzlisten sowie die Schalterhalle mit der Kasse schlössen sich ostwärts an und befanden sich teilweise im Berri-Bau. Ein Sitzungszimmer für Kommissionen wurde im selben Stock im turmartigen Bau im Südwesten erstellt. Dieser überhöhte Bauteil hatte als einziger drei vollwertige Geschosse: zuoberst wurde eine Bibliothek eingerichtet. Ebenerdig stand der Bevölkerung ein sogenanntes Vereinslokal zur Benützung offen, ergänzt durch ein im Untergeschoss liegendes öffentliches WC, das durch eine Aussentreppe erreicht wurde.

Der nördliche Teil des Berri-Baus und die Anbauten an der Ochsengasse standen der Polizei zur Verfügung, die darin auch die Arresträume hatte.

Besonders erwähnt wird in den Bauakten, dass sämtliche Räume mit elektrischem Licht versorgt wurden, was offenbar noch längst nicht selbstverständlich war. Sowenig wie der Einbau einer Zentralheizung, die in allen Arbeits- und Sitzungsräumen installiert wurde.

1961 hat die Alte Kanzlei ausgedient, zumindest als Sitz der Gemeindeverwaltung, die damals das neue Gebäude an der Wettsteinstrasse 1 bezog, wo früher die Taubstummenanstalt gestanden hatte. Die Polizei ihrerseits hat bereits 1957 Räumlichkeiten im gegenüberliegenden neuen Ochsengebäude, am Erlensträsschen 2, bezogen.

Quellen, Literatur StAB, Bau E 8.4 Bruckner Albert, Riehen, Geschichte eines Dorfes, Riehen, 1972. Raith Michael, Gemeindekunde Riehen, Riehen, 1980. Wirz Eduard, RJ1961.

Vorlage Nr. 369 des Gemeinderates Riehen, Juni 1980.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1983

zum Jahrbuch 1983