Die Bürgergemeinde im Aufwind

Rolf Spriessler

Dank modernerem Auftritt und einer gelungenen Jubiläumsaktion mit reduzierter Einbürgerungsgebühr für Schweizer Staatsangehörige ist es der Bürgergemeinde Riehen gelungen, ihr Image aufzupeppen und die Zahl der Einbürgerungen zu erhöhen.

In der Schweiz wird zwischen Einwohnergemeinden und Bürgergemeinden unterschieden. Die Einwohnergemeinden sind für sämtliche auf dem jeweiligen Gemeinde-gebiet Niedergelassenen zuständig, zu den Bürgergemeinden gehören all jene, die das Bürgerrecht der jeweiligen Gemeinde besitzen, in welcher sie wohnen. Während die Einwohnergemeinden für alle Belange in einer politischen Gemeinde zuständig sind, die nicht durch höheres Recht – also kantonal oder eidgenössisch – geregelt sind, besteht die Hauptaufgabe der Bürgergemeinde heute darin, Einbürgerungen vorzunehmen. Denn wer Schweizer Staatsbürgerin, Schweizer Staatsbürger werden will und die entsprechenden Vorgaben erfüllt, beantragt dies in der jeweiligen Wohngemeinde, erwirbt in erster Linie das Gemeindebürgerrecht, dann das Kantonsbürgerrecht und damit die Schweizer Staatsbürgerschaft. Die formellen Einbürgerungsvoraussetzungen wie Aufenthaltsdauer, finanzielle Verhältnisse oder Leumund werden vom Migrationsamt geprüft. Der Bürgerrat prüft im Rahmen der Einbürgerungsgespräche die Vertrautheit mit den schweizerischen und lokalen Lebensverhältnissen wie genügend Grundkenntnisse der geografischen, historischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Bund, Kanton und Gemeinde sowie die aktive Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben der hiesigen Gesellschaft, erläutert Bürgerratsschreiber Christian Heim. Erwerben Personen das Gemeindebürgerrecht, die bereits das Kantonsbürgerrecht besitzen, entscheidet die Bürgergemeinde in eigener Kompetenz.

BÜRGERRECHT, LANDPFRUNDHAUS UND WALD
Der ‹Mehrwert› eines Riehener Bürgerrechts ist sehr bescheiden. Man wird zur jährlich stattfindenden Bürgerversammlung eingeladen, ist dort stimm- und wahlberechtigt und kann sich für die Wahl in den derzeit fünfköpfigen Bürgerrat zur Verfügung stellen. Der Bürgerrat Riehen verfügt neben der Einbürgerungskompetenz, die den grössten Aufwand ausmacht, über einen Waldbesitz von rund einem Quadratkilometer Fläche und betreibt gemeinsam mit der Bürgergemeinde Bettingen und der Einwohnergemeinde Riehen das Landpfrundhaus, das drei Alterssiedlungen mit günstigen Wohnungen besitzt. Ausserdem verfügt die Bürgergemeinde Riehen über ein beträchtliches Vermögen. Früher war sie auch für die Sozialhilfe zuständig, die aber 2005 an die Einwohnergemeinde Riehen übergegangen ist. Der Wegfall der Sozialhilfe führte in der Folge auch zu Diskussionen über die weitere Daseinsberechtigung einer Bürgergemeinde in Riehen.

Schweizweit für Aufsehen sorgte die Bürgergemeinde Riehen im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung. Bereits 1958 wurde an der damaligen Bürgerversammlung in Riehen mit grosser Mehrheit beschlossen, den Frauen das Stimm- und Wahlrecht zuzugestehen, und gleichzeitig wurde Gertrud Späth-Schweizer zur Bürgerrätin gewählt. Sie war damit die erste gewählte Frau in einer politischen Behörde in der Schweiz.

Das System einer Einwohnergemeinde und einer Bürgergemeinde Riehen beruht auf dem 1876 verabschiedeten Gemeindegesetz des Kantons Basel-Stadt im Zuge der Umsetzung der Kantonsverfassung von 1875. Eine Unterscheidung zwischen Einwohnergemeinde und Bürgergemeinde ist letztlich eine Folge davon, dass in den Gemeinden nicht mehr nur Alteingesessene, sondern zunehmend auch Zugezogene lebten. Und da stellte sich irgendwann die Frage, ob die Zugezogenen einfach so von Errungenschaften und Vermögen der Alteingesessenen profitieren durften oder ob das Vermögen der Bürger den Bürgern vorbehalten bleiben sollte. Das Modell der Bürgergemeinde ermöglichte es, alle in einer Gemeinde Niedergelassenen – inklusive jener mit dem Gemeindebürgerrecht – in der Einwohnergemeinde zusammenzufassen und die langjährigen Bürger ausserdem exklusiv in der Bürgergemeinde.

Ein exklusives Recht für Riehener Bürgerinnen und Bürger ist es heute auch, Mitglied der Bürgerkorporation beziehungsweise der Bürgerinnenkorporation zu werden. Die Bürgerkorporation wurde 1946 ins Leben gerufen, weil man Riehen als eigenständige Gemeinde mit eigenem Charakter erhalten wollte. So sollte einer Eingemeindung Riehens in die Stadt Basel vorgebeugt werden. Heute haben die Bürgerkorporation Riehen und ihr 1977 gegründetes Pendant der Bürgerinnenkorporation Riehen vor allem eine gesellschaftliche Funktion, halten Traditionen hoch – und führen jeweils am ersten Maisonntag den Bannumgang durch.

EINBÜRGERUNGSSCHUB DANK JUBILÄUMSAKTION
«In der Gemeinde Riehen lässt es sich gut leben, auch ohne das Gemeindebürgerrecht», räumt Bürgerratspräsident Andreas Künzi ein, und doch hat die Bürgergemeinde Riehen im vergangenen Jahr einen bemerkenswerten Schub an Einbürgerungen erlebt. Auslöserin dafür war eine Jubiläumsaktion. Aus Anlass der 500-jährigen Zugehörigkeit Riehens zu Basel, die auch mit einem grossen Volksfest Anfang September 2022 gefeiert worden war, hatte der Bürgerrat beschlossen, die Einbürgerungsgebühr für Personen mit Schweizer Bürgerrecht für alle im Jahr 2022 gestellten Gesuche von 950 auf 500 Franken zu senken.

Die Aktion hat einen regelrechten Einbürgerungsboom ausgelöst. Es waren insgesamt 201 Personen, die in 100 Gesuchen vom Jubiläums-Bonus profitierten. 51 dieser ‹Schweizer› Gesuche konnten bis Ende 2022 mit dem Einbürgerungsgespräch abgeschlossen werden. Das Resultat: Waren es im Jahr 2021 noch 137 eingebürgerte Personen gewesen, davon 8 mit Schweizer Pass, verzeichnete die Bürgergemeinde Riehen im Jahr 2022 nicht weniger als 265 Personen, die das Riehener Gemeindebürgerrecht erlangten, davon 105 mit Schweizer Pass. Im Jahr 2023 werden die restlichen ‹Jubiläums-Einbürgerungen› in der Statistik erscheinen, da die entsprechenden Gespräche erst im Frühjahr 2023 geführt werden konnten. Weil zuletzt die Effizienz gesteigert wurde, indem mehr Einbürgerungsgespräche in einer Sitzung durchgeführt werden konnten, wurde die Einbürgerungsgebühr ab 2023 auf 750 Franken festgesetzt und ist damit tiefer als vor der Jubiläumsaktion.

Per Ende 2022 lebten, inklusive Kinder, 3801 Personen mit Riehener Gemeindebürgerrecht in Riehen. Ausserdem waren per Ende 2019 insgesamt 11 990 Personen mit Riehener Bürgerrecht in der Schweiz wohnhaft. Kinder übernahmen das Bürgerrecht bei verheirateten Eltern lange Zeit grundsätzlich vom Vater, sonst von der Mutter. Heute erhält das Kind den Heimatort des Elternteils, dessen Namen es trägt. Bei Heirat wird das Bürgerrecht an die Ehegattin, bei Erlangung des Staatsbürgerrechts durch erleichterte Einbürgerung auch an den Ehegatten übertragen. Man muss also nicht in der betreffenden Gemeinde wohnen, um das Bürgerrecht zu erhalten – eine weitere Besonderheit des weltweit wohl einzigartigen dreigliedrigen Schweizer Bürgerrechts. 

Wer einen Schweizer Pass besitzt und genügend lange in der Gemeinde wohnt, hat im Prinzip das Recht darauf, auch in seiner aktuellen Wohngemeinde eingebürgert zu werden, ohne weitere Bedingungen erfüllen zu müssen. «Im Prinzip hätten wir das auf schriftlichem Weg machen können», erzählt Andreas Künzi, «aber es war uns sehr wichtig, gerade auch diese Gespräche persönlich zu führen». Um das überhaupt leisten zu können, teilte sich der Bürgerrat einige Male in zwei Gruppen auf und führte an zahlreichen Sitzungstagen parallel und über den ganzen Tag verteilt hunderte Gespräche. «Alle diese Gespräche gehörten zu den tollsten, die wir führen durften, weil uns Menschen gegenüber sassen, die sich keine persönlichen Vorteile versprochen hatten. Es ging nicht darum, in der Schweiz bleiben zu dürfen, bessere Karrierechancen zu haben oder sonst etwas. Das Riehener Bürgerrecht war diesen Menschen eine Herzensangelegenheit. Und es war uns ein Anliegen, gerade auch diese Menschen persönlich zu begrüssen.» Wer sich so einbürgern lasse, wolle damit wohl vor allem seine Identifikation mit seiner Wohngemeinde dokumentieren.

In den Gesprächen habe sich in der Tat gezeigt, dass das Riehener Bürgerrecht für viele mit starken Emotionen verbunden sei, erzählt Andreas Künzi. Von den 201 Personen der Jubiläumsaktion hätten 29 Prozent bereits das Basler Bürgerrecht besessen, darunter natürlich auch solche, die Zeit ihres Lebens immer in Riehen gelebt hätten und sich deshalb mehr als Riehener denn als Basler fühlten.

In den letzten paar Jahren hat der Bürgerrat, dem aktuell neben Präsident Andreas Künzi auch Vizepräsidentin Elisabeth Näf (Ressort Stiftungen und Kanzlei) sowie Claudia Fröhlich-Bürgenmeier (Ressort Landpfrundhaus), Susanne Fischer (Ressort Wald) und Nikolaus Bracher (Ressort Finanzen) angehören, den Internetauftritt modernisiert und den Jahresbericht zu einer informativen, farbig illustrierten Broschüre aufgepeppt. Auch sei man mit der Einwohnergemeinde im Gespräch, um zu beraten, welche Aufgaben die Bürgergemeinde künftig ergänzend übernehmen könnte. Dabei gehe es der Bürgergemeinde um echte Mehrwerte für die Bevölkerung – und nicht einfach darum, irgendwo ‹einen Batzen› zu geben. Ideen seien vorhanden, aber noch nicht spruchreif. Unterstützt wird der Bürgerrat in seiner Arbeit durch den Bürgerratsschreiber Christian Heim, der in einem Teilzeitpensum die Kanzlei führt und für die Vorbereitung der jährlich rund 20 Sitzungen zuständig ist.

Natürlich hofft Künzi auf einen anhaltenden Aufwärtstrend bei den Einbürgerungen. Durchaus ein Faktor werden könnte der spürbare Aufschwung der Bürgerkorporation Riehen, die vor Kurzem die Pflege der Riehener Grenzsteine übernommen und schon deutlich an Mitgliedern gewonnen hat. Im Moment liessen sich auch recht viele Staatsangehörige anderer Staaten in Riehen einbürgern. Die grösste Gruppe stellten traditionell die Deutschen – im Jahr 2022 waren es 88 von insgesamt 160 Eingebürgerten – gefolgt von Italien (16) und 23 weiteren Nationen. Seit dem Brexit sei bei britischen Staatsangehörigen ein steigendes Interesse zu spüren. Bei deutschen Staatsangehörigen werde oft der Wunsch geäussert, sich an der direkten Demokratie zu beteiligen und auch ihren Kindern diese Möglichkeit zu eröffnen. Im direkten Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern könnten Wünsche aus der Bevölkerung registriert werden. Viele Junge wünschten sich in Riehen einen McDonalds, und das fehlende Minigolf sei seit Jahren ein Dauerbrenner.

Quellen:
Internet-Homepage www.buergergemeinde-riehen.ch (insbesondere Jahresberichte unter ‹Bürgerrat›).
Gemeinde Lexikon Riehen (www.lexikon-riehen.ch, ‹Bürgergemeinde Riehen›).
Gespräch mit Bürgerratspräsident Andreas Künzi, 19.7.2023.

Weitere Artikel:
Kaufmann, Gerhard: Ein Relikt behauptet sich, in: Jahrbuch z’Rieche 2007, S. 103–111.
Raith, Michael: Aus der Geschichte des Gemeinderates von Riehen, n: Jahrbuch z’Rieche 1969, S. 45–85.
Raith, Michael: Zweihundert Jahre gelebte Demokratie, in: Jahrbuch z’Rieche 1999, S. 4–37.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2023

zum Jahrbuch 2023