Die Familie Schultheiss von Riehen

Michael Raith

«Nomen est omen» - daran ist zumindest wahr, dass für viele Menschen ihr Name wichtig ist und einen Teil ihrer Persönlichkeit bildet. Träger des gleichen Familiennamens empfinden sich in besonderer Weise verbunden. Kommt dann noch eine - vielleicht zwar weit zurückreichende Verwandtschaft dazu, so verstärkt diese meistens das Zusammengehörigkeitsgefühl .

Bedeutung und Schreibweise des Namens Schultheiss

Das althochdeutsche Wort «Schultheiss» lässt sich in seiner Bedeutung unschwer noch heute erkennen: «der die Schuld heischt». Damit sind die finanziellen Abgaben, welche die Bürger ihrem Herrn schuldig sind, gemeint. Modern ausgedrückt ist ein Schultheiss also ein Steuereintreiber. Im nord- und ostdeutschen Raum wirkte der - dank Kontraktion - «Schulze» genannte Beamte dann als Gemeindevorsteher. Wie anderswo verband sich in Basel mit der Bezeichnung Schultheiss ein richterliches Amt: Grossund Kleinbasel verfügten je über ein Schultheissengericht. Selbst in militärischem Zusammenhang kam der Titel vor, er zierte auch manche Häupter von Ständen oder Städten und der jeweilige Präsident des Regierungsrates des Kantons Luzern trägt ihn noch heute.

Diese häufige Amtsbezeichnung entwickelte sich im Verlauf der vor allem ins 14. Jahrhundert fallenden Entstehung der Familiennamen zu einem solchen, und zwar zu einem weitverbreiteten. Die Festlegung der exakten Schreibweise der Namen ist erst im 19. Jahrhundert erfolgt und bis dahin ergab sich eine bunte Palette verschiedenster Schreibweisen. Zum eher oberdeutschen Schultheiss und -hess sowie dem bereits erwähnten Schulze - auch Schulz und Schultze - gesellte sich das rheinische Schulte und das schlesische Schölzel mit der Kurzform Scholz. Wie in jedem Konversationslexikon nachgeschlagen werden kann, lebte und lebt eine schier unendliche Zahl von bedeutenden Trägern dieser Namen.

Da es also zur Zeit der Namensbildung viele verschiedene Inhaber des Schultheissenamts gab, gibt es auch viele verschiedene - das heisst miteinander nicht verwandte Schultheiss-Sippen. Ob sie alle einen Schultheissen als ersten Ahnherren haben, ist nicht ganz sicher: «Schultheiss» könnte - wie etwa «König» oder «Graf» - auf ein Abhängigkeitsverhältnis hinweisen im Sinne von «die Leute des Schultheissen». Eine endgültige Entscheidung lässt die Quellenlage nicht zu.

Der Name Schultheiss erscheint in Riehen in unterschiedlicher Gestalt. Unverändert blieb zwar meistens die erste Silbe «Schult» (Ausnahme: «Schuld»), doch die zweite taucht in allen möglichen Varianten auf: -hes, -hess, -e, -eiss, -ess und -is. Die heute gültige Schreibweise -heiss kommt relativ selten, aber schon früh vor. Vielleicht setzte sie sich deswegen durch, weil sie dem registerführenden Pfarrer, der immer ein Stadtbürger war, vom erwähnten Gericht zu Basel her vertraut war.

In der Schweiz blühen lediglich zwei alteingesessene Schultheiss-Sippen, die eine in Riehen und die andere im freiburgischen Bösingen. Alle anderen Familien dieses Namens in der Schweiz wanderten aus Deutschland ein. Verbreiteter als die -heiss sind die -hess: bekannt ist das Ratsherrengeschlecht Schulthess oder von Schulthess-Rechberg der Stadt Zürich, aus ihm ging der aargauische Bundesrat Edmund Schulthess (1868-1944) hervor.

Die Familie Schultheiss von Basel

Auch im alten Basel lebten - einmal mit und einmal ohne «i» geschriebene - Schultheiss-Geschlechter: sie sind alle erst eingewandert und dann ausgestorben, also weder ursprünglich noch heute bestehend. Im Zusammenhang mit Riehen interessiert eine 1518 aus Ensisheim im Elsass eingebürgerte Familie Schultheiss. Ein Nachweis, dass sie mit der schon früher bezeugten Riehener Familie gleichen Namens zusammenhängt, hat sich nicht finden lassen. Und doch müssen Verbindungen bestanden haben: der Basler Bürgermeister Ulrich Schultheiss (1533-1599), ein Sohn des Neubürgers aus Ensisheim, hob 1580 ein Riehener Schultheissenkind aus der Taufe. Dann taucht 1637 in Rie hen ein hier nicht einzuordnender - es sei denn, man gehe von einer Verwechslung von Benedikt («Beni») mit Bernhard («Berni») aus - Bernhard Schultheiss auf und begründet ein eigenes, 1827 im Mannesstamm zwar ausgestorbenes, aber sonst fortlebendes Geschlecht: der Vorname Bernhard ist bei den Basler Schultheissen häufig. Schliesslich findet sich das Wappen dieser Basler Sippe gelegentlich - etwa auf Grabsteinen - als dasjenige der Riehener, was aber irrtümlich sein dürfte. Die Riehener führten allenfalls handwerkliche oder natürlich-bäuerliche Embleme zum Siegeln, jedoch keine bürgerlichen Wappen. Gewichtiger als dieses Argument ist ein anderes: Die Riehener Familie Schultheiss ist vor derjenigen in Basel bezeugt.

Von den Anfängen der Familie Schultheiss in Riehen

Ein kurz vor 1400 erwähnter «Schultheiss von Riehen» ist vermutlich ein gar nicht hier wohnhafter Amtsträger aus der nach dem Dorf benannten Adelsfamilie. Knapp hundert Jahre später (1490) kommt es dann aber soweit: In einem Güterverzeichnis erscheinen Leonhard und Konrad Schultheiss, beide als Besitzer vorher in anderen Händen befindlicher Liegenschaften. Noch 1470 werden sie nicht erwähnt, was zwar auf Zufall beruhen kann. Wahrscheinlicher ist jedoch die Annahme, dass «Lienhart» und «Conrat» eingewandert sind und eingeheiratet oder sich eingekauft haben. Vor allem Leonhard nennt einen umfangreichen Besitz an äckern, Matten, Reben und Holz sein eigen.

Woher kamen sie? Waren sie miteinander verwandt, Brüder etwa? Man weiss es nicht. In den Urkunden des 16. Jahrhunderts tauchen verschiedene Träger des Familiennamens auf: Claus, Gisa, Hans Jakob und Kleinhans. Wie sie zusammenhängen bleibt aber unklar. Im 1568 einsetzenden ersten Taufbuch der Kirchgemeinde stossen wir auf die verheirateten Frauen Bärbel, Küngolt (= Kunigunde) und Verena Schultheiss sowie auf die Männer Jacob Schultheiss im Oberdorf, Hans und Jacob Schultheiss zu Wenken. So ist es - im Unterschied beispielsweise zu den Familien Wenk und Stump - nicht möglich, alle das Bürgerrecht von Riehen besitzenden Angehörigen der Schultheiss-Sippe auf einen gemeinsamen Stammvater zurückzuführen. Auch gelingt es nicht, eine Brücke von 1568 zurück nach 1490 zu schlagen. Da bis 1709 in der Regel lediglich Taufdaten aufgeschrieben wurden, bleibt selbst bis dahin vieles unklar, unbeweisbar und blosse Vermutung. Weil aber andererseits die Angehörigen der Familien Schultheiss bezüglich der Zahl ihrer Angehörigen selbst jene der Familie Wenk übertreffen - die Zahl aller verstorbener und lebender Namensträger geht gegen 900 - lässt sich nur schwer übersicht gewinnen und die komplexen Verhältnisse erlauben keine Zeichnung eines Stammbaums. Trotzdem soll im folgenden versucht werden, ein wenig Ordnung in diese grosse Ansammlung von Menschen zu bringen, die, wie alle dem alten Riehen Entstammenden, irgendwie familienmässig zusammengehören, auch wenn die Verwandtschaft nicht unbedingt über den Clan Schultheiss läuft.

Der Fischer Jacob Schultheiss und seine Nachkommen

Der im Oberdorf wohnende Fischer Jacob Schultheiss und seine Frau Bärbel Graf lassen zwischen 1571 und 1584 sechs Kinder taufen. Mit den Enkeln Hans Schultheiss (*1591), Geschworener, und Georg Schultheiss (*1593) teilen sich zwei Familienäste. Hansens Enkel Hans (1658-1731) heiratet Anna Schultheiss (1665-1741 ), eine Enkelin des erwähnten Bernhard: Auch sonst kommt es immer wieder zu Verbindungen zwischen Schultheiss-Sippen, deren ursprünglicher Zusammenhang nicht beweisbar ist. Wieder ein Enkel der Eheleute Schultheiss-Schultheiss ist der Rebmann Hans Georg (1728-1804), «Bahnwart, beim Rösslein», er kann lesen, im Gegensatz zu seinen Söhnen aber nicht schreiben. Seine erste Frau stirbt, typisch für die Zeit, «in der Niederkunft». Hans Georg Schultheiss (1805-1865), ein Enkel des Vorgenannten, wird durch seine acht Kinder Stammvater einer zahlreichen Nachkommenschaft. Dem geneigten Jahrbuchlesepublikum ist der auf seinen Sohn, den «Bämmertlijerg» Johann Georg Schultheiss-Brunner ( 1836-1911 )'), zurückgehende Ast bekannt, gehört diesem doch der Autor Hans Schultheiss-Degen (*1908), dank seiner grossen Verdienste um den Musikverein Riehen als «Musikhans» von Gleichnamigen unterschieden, an. Schon sein Vater, der Bahnwärter Fritz Schultheiss-Vögelin (1876-1954), war ein begeisterter Blasmusikant gewesen.

«Bämmertlijergs» Bruder, der Zimmermann, Landwirt und Taglöhner Johannes Schultheiss (1839-1886), heira tete mit Maria Magdalena Schultheiss (1844-1889) eine Tochter des Gemeindepräsidenten Johannes SchultheissSieglin, von dem noch die Rede sein wird. Sein erster Sohn Johannes Schultheiss (1866-1948) brachte es zum Ehrendirigenten und sein dritter Sohn, der Gemeindeweibel oder Dorfwächter Ernst Schultheiss-Rominger (1872-1956), zum Ehrenpräsidenten des Musikvereins. Ebenfalls Präsident der Blasmusik wurde der Gärtner Ernst SchultheissKühner (1897-1947), ein Sohn des Letztgenannten. Ein weiterer Sohn ist Johannes (Hans) Schultheiss-Wenk, ehe mais Bankprokurist, und als 1899 Geborener Nestor der Sippe. Zu erwähnen sind noch dessen Cousin, der Silvester 1899 zur Welt gekommene Friedrich SchultheissGuérin (J1989) sowie dessen mit dem Landwirt und Politiker Hans Fischer verheiratete Schwester Marie Schultheiss (1898-1981 ): ihr Vater Friedrich Schultheiss-Vögelin (1869-1938) gehörte ebenfalls zum Musikverein. Auch Emma Schultheiss (1877-1950), eine Tochter «Bämmertlijergs», ehelichte einen Landwirt und Politiker: Emil Schlup, von 1918 bis 1951 Gemeindepräsident von Bettingen.

Jacob Schultheiss ( *1642) an der Schmiedgasse, ein weiterer Enkel des 1591 geborenen Hans, ist Grossvater des Brunnmeisters Martin Schultheiss (1725-1785), weswegen an diesem Ast der Dorfname «'s Brunneputzers» hängen blieb. Ein dritter Enkel, Nikiaus Schultheiss-Bieler (1651-1727) «unter den Linden», war bekannt als Besitzer des Hauses Baselstrasse 31.2) Kehren wir zum 1593 geborenen Georg Schultheiss zurück. Hier sind folgende Söhne zu nennen: Simon Schultheiss-Fuchs (1638-1715) als Urgrossvater des von Daniel Burckhardt-Wildt gezeichneten Hans Jacob Schultheiss (1724-1790), Georg Schultheiss-Wackernell (*1639) als Begründer eines noch blühenden Familienastes, Hans Schultheiss-Schlup (*1643) «in der Hub» als Geschworener, Fridlin Schultheiss-Fäsin (1645-1727) ebenfalls als Geschworener und Richter sowie Jacob Schultheiss-Bieler (1647-1735) als Begründer der sogenannten Weibellinie.

Friedrich Schultheiss-Vögelin (1740-1815), Landwirt an der Schmiedgasse und Enkel des jüngeren Georg, wird Vater von elf Kindern. Eines davon ist der Armenschaffner, Richter und Bannbruder Johannes Schultheiss-Höner (1782-1853). Seine Nachkommen heissen «Fritzihanse», so die Enkelkinder Johannes Schultheiss-Brehm (18421899), an der Rössligasse 7 wohnhafter Landwirt, und Anna Maria Weissenberger-Schultheiss (1851-1935) (Bild Seite 57), beides Kinder des Weinbauern und Armenschaffners Johannes Schultheiss-Wenk (1812-1886). Dessen Cousin, der Zimmermann Johannes Schultheiss-Sieglin (1801-1874), fungiert als Grossrat und von 1848 bis 1849 als Gemeindepräsident. Seine Enkeltochter Bertha Schultheiss (1875-1944) heiratet den Schreinermeister Wilhelm Stolz. Von ihrer Tante Maria Magdalena Schult heiss-Schultheiss haben wir bereits gehört. Bekannt ist auch deren Schwester, die Landpfrundhausmutter Verena Gysin-Schultheiss (1842-1884).

Friedrich Schultheiss (1814-1867), einer der vielen Enkel von Friedrich Schultheiss-Vögelin, veruntreut 1850 Zolleinnahmen und kommt darum ins Zuchthaus und ins Geschichtsbuch'): vielleicht deswegen zieht sein Sohn von Riehen fort nach Zürich. Johann Jakob Schultheiss-Bringolf (1857-1945), ein Urenkel von Friedrich Schultheiss Vögelin, ist Landwirt und Staatsangestellter. Sein jüngerer Sohn Hans Schultheiss-Linder (1891-1952) erwirbt sich als erster Altriehener den Professorentitel und leitet in Basel eine gynäkologische Privatklinik, in der viele Riehener Kinder zur Welt kommen. Seine Schwester Fanny Sophie Schultheiss (1899-1977) heiratet wieder einmal einen Landwirt und Politiker, nämlich den Gemeinde-, Bürgerund Grossrat Jakob Sulzer. Als letzte Urenkelin von Friedrich Schultheiss-Vögelin sei Hulda Schultheiss (1880-1948) erwähnt, bekannt als Frau des legendären Spenglermeisters «Egermigger» (= Emil Eger).

Die Weibel aus der Familie Schultheiss

Aufs Ganze gesehen sind irdische Reichtümer und politische Ehrungen Angehörigen der Familien Schultheiss nicht in besonderem Ausmass zuteil geworden. Aber es gibt da Ausnahmen. Eine davon bildet die Weibellinie der Familie Schultheiss. Ihr bereits erwähnter Begründer, Jacob Schult heiss-Bieler, besass einflussreiche Verwandte. Im Gegensatz zur Zeit hielt sich der Kinderreichtum unter seinen Nachkommen in engen Grenzen, was dem durch gute Heiraten noch vergrösserten Reichtum an materiellen Gütern nur förderlich war. Trotzdem kannten die Angehörigen der Weibellinie keineswegs nur das Trachten nach Geld, sondern sie nahmen an ihrer Zeit bewegt Anteil.

Niclaus Schultheiss, Sohn von Jacob Schultheiss-Bieler, ging 1703 die Ehe mit der Tochter des nachmaligen Untervogts Hans Wenk (1652-1719) ein. Dessen Frau hiess ledig Anna Schultheiss (1654-1726)4): ihr Bruder Hans Schultheiss (1650-1709) «im Höfli» hinterliess Besitz, der eine 15seitige «Verlassenschaft» nötig machte, und ihr Vater, Hans Schultheiss (1622-1693), hatte von 1675 bis 1690 das Weibelamt bekleidet und dies als zweiter Nachfolger seines ursprünglich nicht aus Riehen stammenden Schwagers Jakob Hagist-Schultheiss. Schon der Vater des Weibels Hans, auch er Hans Schultheiss (1596-1657) geheissen, war - als erster der Familie - von 1631 bis 1651 Weibel gewesen und anschliessend zum Untervogt aufgerückt. Ein genealogischer Zusammenhang zwischen seinem in Wenken wohnenden Grossvater Hans Schultheiss (erwähnt 1569 bis 1576), verheiratet mit Verena Teuber von Wenken, und dem Fischer Jacob Schultheiss-Graf im Oberdorf kann nicht nachgewiesen werden. Dafür haben sich auch hier eventuell unzusammenhängende Familienäste später verbunden.

Warum nun wurde Hans Schultheiss als erster Weibel? Die erste seiner drei Frauen war die zweifache Witwe Margaretha Meyel oder Migel (*1591), deren aus dem Neuen Wettsteinhaus stammende Mutter, die mit einem entfernten Vetter verehelichte Anna Meyel-Meyel (!:"1559), als Witwe den Riehener Weibel Hans Mettler (f 1599) geehelicht hatte. So vererbte sich das Amt über Väter und Mütter. Und mit ihm auch das blaue Blut der Anna Meyel, deren Mutter Margaretha (fl576) eine geborene Krieg von Bellikon aus Zürcher Adel war. Und so können fast alle alten Riehener ihren Stammbaum auf die Herren von Landenberg, von Manesse, von Toggenburg und so weiter bis auf Kaiser Karl den Grossen (742-814) zurückführen.

Kehren wir zu Niclaus Schultheiss-Wenk und damit an die Rössligasse 7 zurück. Er wurde 1719 Weibel und erhielt in diesem Amt seinen Sohn Hans Jacob SchultheissSeidenmann (1705-1775) 1751 zum Nachfolger. Anno 1772 wurde dessen Sohn Hans Jakob Schultheiss-WenkSieglin (1730-1810), den wir als Verfasser pietistischer Widmungen und einer Chronik bereits kennen, Weibel. Er führte auch ein 1758 angelegtes Kassenbuch, das bis weit ins Markgräflerland ausgeliehene Beträge auflistet; sogar der Chef des Weibels, «Vetter gevatter Teobalt Wenck den UnderVogt» (Theobald Wenk-Singeisen) steht einmal mit 700 Pfund im Debitorenkonto. Nachdem das Weibelamt schon 1798 aufgehoben worden war, starb mit den Enkeln des Chronisten und Söhnen des Munizipais, Gemeinderates und Bannbruders Nikiaus Schultheiss-Wenk (17601848), auch die Weibellinie im Mannesstamm aus: Nikiaus Schultheiss (1789-1851) litt an einem Gemütsleiden und blieb ledig, sein jüngerer Bruder Hans Jakob Schultheiss (1797-1886), der «Weibelbobbi», aus unbekanntem Grund - wird er doch in seinem Testament von 1872 als mit «gesundem Blick und witzigem Verstände» geschildert - auch. Er vermachte Tausende von Franken für fromme und wohltätige Zwecke, darunter «1000. Frangen zu einem Wandgemälde in unserer Kirche, den Heiland am Kreuz darstellend». Nikiaus, der ältere der beiden, liess 1815 einen Sissacher stellvertretend für sich Militärdienst leisten, wofür er ihm wöchentlich 36 Batzen «nebst compléter Uniform u. Seitengewehr, 1 Zwilchkittel, 1 P. Zwilchhosen, 1 Hembt u. 1 P. Schuh» gab. Er schrieb 1824 seiner im Welschland weilenden Nichte einen französischen und mit «Nicolas Choultheis» unterschriebenen Brief. Das - leider weitgehend zerstörte - Siegel zeigt als echtes Zeichen der Riehener Schultheiss einen Vogel.

Jacob Schultheiss von Wenken und seine Nachkommen

Die Familie des mit Dorfnamen «Simmechli» genannten Simon Schultheiss-Basler (1733-1793) «wohnte wegen grosser Armuth einen Winter hindurch in der Steingrube». Sein Grossvater, Georg Schultheiss-Schultheiss (16661719), «war von einem Baum hinunter und zu tod gefallen». Simon Schultheiss-Stücklin (1844-1879) «brachte sich mit drei Kindern durch Kohlendampf ums Leben». Claus Schultheiss-Hopp-Braun (*1710) starb 1752 oder 1753 auf den Galeeren. Johannes Schultheiss-Häner-Janz (s;"1758) verlor an seinem 58. Geburtstag durch Stoss und Fall im Wirtshaus das Leben. Die tragischen Ereignisse in der Geschichte der Familie Schultheiss sind nicht häufiger als anderswo, aber wenn von den reichen Schultheiss berichtet wird, so muss man es von den anderen auch tun.

Armut und andere Not gabs überall, auch in den meisten Asten und Linien der Familie Schultheiss. Vielleicht war der auf Jacob Schultheiss-Müri (erwähnt 1579-1587) von Wenken zurückgehende Stamm am meisten davon betroffen. Als Dorfname für ihn ist im 17. Jahrhundert «Hässlin» und später - nach dem Beruf eines Johannes Schultheiss (1650-1721), Urenkel des Jacob von Wenken - «Schlosser» überliefert. Einer seiner Nachfahren in der vierten Generation, Niclaus Schultheiss (1786-1808), Sohn des Rebmanns Hans Schultheiss-Weissenberger (1752-1799) im Oberdorf, starb im Spital zu Valladolid in Spanien als «Fuselier unter dem 2ten Schweitzer Regiment». Ein Enkel seines Bruders wirkte als Bahnwärter im Niederholzquartier: es ist der aus dem letzten Jahrbuch5) bekannte Johannes Schultheiss-Schmid (1859-1914). Ernst Schultheiss-Höner (1876-1945), Sohn eines anderen Enkels, war zwar Kupferschmied, betrieb aber einen Mineralwasserhandel und schoss mit einem Zielfernrohrgewehr das Pferd eines Konkurrenten lahm, was ihm den Ubernamen «Scharfschütz» eintrug und ihn nach Brasilien auswandern liess6). Sein Bruder Ludwig Schultheiss (1881-1918) trug als allseitig bekanntes Faktotum den Namen «Cheeslugger» oder «Wägelilugger». Der Landwirt und Katasterschreiber Johann Jakob Schultheiss-Müller (1810-1880), Sohn eines anderen Bruders des Fuseliers Niclaus, sass von 1865 bis 1879 im Gemeinderat: seltsa merweise hat nach ihm kein Vertreter der Familie Schultheiss mehr einer politischen Behörde Riehens angehört.

Wie das auch bei anderen Familien beobachtet werden kann, zogen seit Mitte des 19. Jahrhunderts einzelne Angehörige der Schultheiss-Sippe in die Stadt, bürgerten sich teilweise dort ein, kehrten manchmal aber auch wieder zurück. Auffällig ist, dass von ganz verschiedenen Zweigen abstammende Schultheiss etwa seit der Zeit des Ersten Weltkrieges vor allem in die Kantone Schaffhausen und Zürich zogen. Es kamen aber auch nichtverwandte und neue Träger des Namens Schultheiss nach Riehen, so schon im 18. Jahrhundert einige Nichteinreihbare, dann nach 1820 der Maurer Augustin Schultheiss-Seckinger7) von Wiechs im Badischen Oberamt Blumenfeld. Schliesslich wurde 1919 der Gärtner August Schultheiss (1880-1933) von Mellingen AG (ursprünglich von Niedereggenen im Badischen) und 1923 sein Bruder, der Schneidermeister Hermann Schultheiss (1882-1963), in Riehen eingebürgert.

Damit sind nur einige wenige Schlaglichter auf die Geschichte der Schultheiss-Sippen geworfen; mehr ist in Anbetracht der Personenfülle und der Platzknappheit leider nicht möglich. Einen gemeinsamen Schultheiss-Model kann es bei den fast nicht mehr überschaubaren Verzweigungen dieser Familien nicht geben, doch verbinden gleiche Ahnenpaare, der Bürgerort Riehen und der Familienname. Nachzutragen ist - wenn auch mit Verspätung - der herzliche Glückwunsch zum vor 500 Jahren - also kurz vor der Entdeckung Amerikas - erfolgten Aufzug der Familie Schultheiss in unserem Dorf!

Literatur

GKR, HBLS, RGD, RR] Seit 1986 im RJ erschienene Literatur:

Hans Schultheiss/Hans Kräftiger: «Harte Zeiten - frohe Stunden», RJ 1987, S. (102)—113 Hans Schultheiss: «Vom Bämmertli ferg, Stümpli Sämi und andere Bammert», RJ 1989, S. (162)-170

Michael Raith: «Weibel Hans Jakob Schultheiss erinnert sich», RJ 1990, S. 44-49

Quellen

Register der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Riehen-Bettingen im StABS Familienregister der Bürgergemeinde Riehen HGR

 

Anmerkungen

1) RJ 1989, S. 158, 160; 2) RJ 1988, S. 16; 3) RGD, S. 376; 4) RJ 1987, S. 79; 5) RJ 1991, S.28f., 41; 6) Bild RJ 1989, S. (162); 7) RJ 1987, S. 95

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1992

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