Die Kirche bleibt bei uns im Dorf

Wolf Südbeck-Baur

Es ist heiss und es ist schwül, draussen wie drinnen im Riehener Pfarrhaus St. Franziskus. Abgekühlt sind allerdings die Diskussionen um einen eigenen Pfarrer und um die Eingliederung in den Basler Pastoralraum C, einen Seelsorgeverband mit den Kleinbasler Pfarreien. Heute, ein halbes Jahr später, herrscht Arbeitsatmosphäre und die Gewissheit, als katholische Pfarrei weiterhin eine eigenständige Identität als Landgemeinde behalten zu können. Gleichwohl hat sich einiges geändert.

Wolf Südbeck-Baur

Klar ist jedoch: Der 37-Jährige, der nach dem frühen Tod des letzten Pfarrers Martin Kusy als Pastoralassistent nach und nach in die Leitungsverantwortung der Pfarrei hineingewachsen ist, koordiniert, organisiert, hegt und pflegt die Beziehungen in der 3900-Seelen-Gemeinde. «Mir liegt die Aufgabe zu managen», erklärt Schneider. Seine Hände unterstreichen mit einer Geste, was er sagt.

Die Riehener Pfarrei St. Franziskus geht mit gestärktem Selbstbewusstsein einer ausgeprägten Landpfarrei aus den Turbulenzen um die Errichtung der römisch-katholischen Pastoral räume hervor.

 

Guter Neustart

Zu nennen ist vor allem die neue Leitungsstruktur mit dem verheirateten Theologen Christoph Schneider als Gemeindeleiter und dem leitenden Priester Rolf Stöcklin. Auch wenn es nach einem halben Jahr noch zu früh sei, von einem eingespielten Team zu sprechen, sagt Gemeindeleiter Schneider, «hatten wir einen guten Start». Dass sich die beiden Co-Leiter seit zehn Jahren kennen, erleichtere die Zusammenarbeit. Sie seien sich «freundschaftlich verbunden». Was den Gemeindeaufbau und die damit verbundenen künftigen Projekte der Pfarrei betrifft, so «müssen wir uns erst noch finden», sagt Schneider mit erfrischender Offenheit. Das hänge auch mit dem «langsamen Umbruch von der Volkskirche zur bekennenden Kirche» zusammen. «Wir wollen in dieser Hinsicht neue Impulse setzen.»

Der priesterliche Leiter Rolf Stöcklin bestätigt den gelungenen organisatorischen Neustart, der Anfang 2009 erfolgte. «Das war alles andere als selbstverständlich», betont Stöcklin, der bereits in den 80er-Jahren als Vikar in Riehen gewirkt hatte. Man habe bei den Bistumsverantwortlichen einige überzeugungsarbeit leisten müssen, damit sie einen Laientheologen als Gemeindeleiter akzeptieren, der in derselben Pfarrei gerade erst die Berufseinführung als Pastoralassistent absolviert hat. Das entspreche nicht der allgemeinen Praxis im Bistum Basel. Doch Stöcklin förderte mit kräftiger Unterstützung seitens der Riehener Katholiken, insbesondere von Pfarreiratspräsident Christian Griss, die Wahl von Christoph Schneider zum Gemeindeleiter und damit das Modell einer gleichsam arbeitsteiligen Co-Leitung als zukunftsfähige Chance.

Was die Aufgabenverteilung betrifft, sei es klar, fährt Rolf Stöcklin fort, «dass ich als Priester für die Sakramente und die Feier der Gottesdienste zuständig bin». Dabei könne dem Gemeindeleiter durchaus eine mitgestaltende Rolle zukommen. Zugleich verhehlt Stöcklin nicht, dass es für ihn eine grosse Veränderung bedeutet, nicht mehr wie zuvor als Pfarrer von St. Clara in einer einzigen Pfarrei zu amten. Der 58-Jährige ist nunmehr zu 60 Prozent in Riehen und mit einem 40-Prozent-Pensum in der Kleinbasler PastoralraumPfarrei St. Clara engagiert. «Es brauchte einige Zeit, bis ich mich neu positioniert hatte, war aber wegen der Arbeitsüberlastung in St. Clara recht froh, als die neue Struktur mit der Errichtung des Pastoralraums umgesetzt wurde.»

«Mit dieser Rollenaufteilung machen wir das Mögliche in der momentanen kirchlichen Situation», ergänzt Christoph Schneider. Da beide Seelsorger mit voller überzeugung hinter diesem Modell der Co-Leitung stehen, «können wir ein Gleichnis der Versöhnung sein», zitiert Schneider einen zentralen Gedanken der französischen Taizé-Gemeinschaft. Doch sicher, es sei auch für ihn herausfordernd, einerseits als Organisator und Beziehungspfleger die Pfarrgemeinde zu leiten, anderseits sonntags dem Gottesdienst aber nicht vorstehen zu können. «Das ist eine Spannung», so Schneider, die er mit der rhetorischen Frage auflöst: «Soll ich katholisch bleiben und diese Sachlage akzeptieren und es gut machen? Oder soll ich wie einige Kollegen reformierter Pfarrer werden?» Sein Problem wäre zwar gelöst, «aber», so Schneider mit Hinweis auf die reformierten Gemeinschaften in Riehen, «dort ist das Gras sicherlich auch nicht grüner».

An dieser Stelle schaltet sich Pfarreiratspräsident Christian Griss ein und unterstreicht: «Ich halte es gerade für die katholische Kirche für eine grosse Chance, dass wir vermehrt Leute als Gemeindeleiter und Gemeindeleiterinnen bekommen, die diese Aufgabe nicht einfach aufgrund ihrer Legitimation als Priester übernehmen, sondern dank ihren Fähigkeiten für dieses Amt.» Priester seien für die Leitung einer Gemeinde weder ausgebildet noch fühlten sie sich primär dazu berufen, ist Griss überzeugt. Dass dieses Amtsverständnis weder vom Papst noch vom Bischof geteilt wird - aus ihrer Perspektive ist das Leitungsamt grundsätzlich mit einer Priesterweihe verknüpft und aufgrund der Sakramentalität einem Priester vorbehalten -, stört den Riehener Pfarreiratspräsidenten in keiner Weise. «Ich rede», fügt Griss selbstbewusst hinzu, «von der Pfarrei, die ein sehr autonomes Gebilde in der Schweizer Kirche ist.»

Aushalten von kirchlichen Spannungen Gemeindeleiter Schneider betont zugleich, dass dieser springende Punkt kirchenstrukturell mit viel Konfliktpotenzial behaftet sei. «Es braucht darum eine ordentliche Portion Idealismus, um unser Modell der Co-Leitung bei gleichzeitig quasi lehramtlich gegebener Vorrangstellung des geweihten Priesters akzeptieren und im Dienst der Gemeinde mit Leben füllen zu können.» Dies wiederum sei ohne ein gemeinsames Fundament im Glauben nicht möglich. «Was wir hier leben», bringt Christoph Schneider die spirituelle Ebene der Situation ins Spiel, «ist ein Aushalten von kirchlichen Spannungen.» Denn anders als bei den Reformierten seien bei den Katholiken gerade in Riehen die unterschiedlichen kirchlichen Strömungen nicht mit je eigenen Gemeindekreisen und Freikirchen präsent, sondern unter dem Dach einer einzigen Pfarrei. «Dies ist zwar oft nicht leicht, kann aber auch eine Chance sein», konstatiert Schneider.

Fazit: «Unsere Pfarrei ist zufrieden mit den Veränderungsprozessen der letzten Zeit und ich freue mich», resümiert Griss, «dass wir zwei so tolle Seelsorger haben, die sich in Riehen engagieren.» Auf dieser Basis sehen die Riehener Katholiken einer vertieften Zusammenarbeit mit der Kleinbasler Nachbarpfarrei des Pastoralraums mit Freude entgegen.

Unmittelbar spürbar wird diese Konfliktfähigkeit, sobald die Rede auf die Errichtung der Pastoralräume kommt. «Für mich war rasch klar, dass diese Pastoralräume relativ papierene Gebilde sind, die vor allem für Flächengebiete und weniger für Städte geeignet sind», nimmt Pfarreiratspräsident Griss kein Blatt vor den Mund. Gleichwohl sei das Selbstbewusstsein der Pfarrei dank dem pastoralen Entwicklungsplan gestiegen. Laut Griss habe sich gerade wegen des Zusammenlegungsprozesses der Pfarreien eine «echte Identifikationsflndung» in St. Franziskus entwickelt. Denn die Pfarrei war gezwungen, sich auf sich selbst, auf ihre Eigenheiten zu besinnen. «Das Bewusstsein, die Kirche soll im Dorf bleiben, wurde gestärkt», meint Griss. Dabei «ging es uns nicht um einen Pfarrer im klassisch traditionellen Sinn», stellt Christian Griss klar, «sondern wir wollten eine eigene Gemeindeleitung». In diesem Punkt «mussten wir auf unsere Autonomie pochen und wollten nicht wie vor hundert Jahren von St. Clara im Kleinbasel aus verwaltet werden».

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2009

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