Die Riehener Winzerfeste

Hans Schultheiss

Siebenmal, von 1946 bis 1952, organisierte der Musikverein in Riehen grosse, fröhliche Winzerfeste. Hans Schultheiss-Degen, der damalige Präsident des Musikvereins, erzählt im folgenden von der Organisation und Durchführung dieser unvergesslichen Anlässe, die ganz Rieben auf die Beine brachte, sowie vom ersten Winzerfest aus dem Jahre 1935.

Das erste Winzerfest in Riehen fand am 5./6. Oktober 1935 statt. Der Landwirtschaftliche Verein hatte beschlossen, wieder einmal ein schönes, bodenständiges Fest im Dorf durchzuführen, denn damals war der Sog vom Badischen her sehr gross und viele Riehener brachten ihre guten Schweizerfranken über die Grenze.

Ich erinnere mich gut an jenes erste Winzerfest. Natürlich war der Musikverein Riehen aufgeboten worden, den Anlass mit seinem Spiel zu verschönern, und da war ich als junger Musikant mit Begeisterung dabei. Schon in der Woche vor dem Fest zogen wir auf einem grossen Wagen in unseren blauen Bauernkitteln musizierend durch die Stadt, um Propaganda für das Winzerfest zu machen. Das Fest selber fand auf dem Areal der heutigen Taubstummenanstalt an der Inzlingerstrasse statt; Früchte und Gemüse wurden angeboten, neuer süsser Wein ausgeschenkt, damit auch die Kinder vom Schlipfer geniessen konnten, es gab einen Festumzug und viel Musik. Initiatoren dieses ersten Winzerfestes waren Jakob Sulzer, damals Vizepräsident des Gemeinderates, und Adolf Sulzer vom Landwirtschaftlichen Verein, unterstützt vor allem vom Musikverein und einigen andern Riehener Vereinen; organisiert wurde es von Hans Hänni. Es war ein fröhliches Fest, hinter dem viel Arbeit steckte und das auch finanziell recht erfolgreich war, und jedermann sprach von einer baldigen Wiederholung. Doch in den nächsten Jahren breitete sich die Kriegsatmosphäre aus, die Arbeitslosigkeit wuchs, und an ein Winzerfest war nicht mehr zu denken.

 

1946, als die lange, düstere Kriegszeit endlich vorbei war, beschloss der Musikverein, dessen Präsident ich mittlerweile geworden war, die Winzerfest-Idee wieder aufzunehmen. Zum einen brauchte die Vereinskasse dringend Geld, weil die Subventionen der Gemeinde damals noch klein waren, zum andern waren viele Riehener, vor allem auch das Gewerbe, begeistert, dass wieder einmal etwas Leben in das sonst so stille Dorf kommen sollte. Zusammen mit dem ausgezeichneten Organisator Hans Hänni ging ich an die Vorbereitung des Festes.

Zuerst nahmen wir Kontakt auf mit allen Bauern, die im Schlipf oder andernorts noch Reben pflegten, und anerboten uns, ihre ganze Traubenernte aufzukaufen. Es ging uns darum, am Fest möglichst viel süssen Wein und Sauser zu günstigen Preisen anbieten zu können. Die Winzer waren begeistert, und da ein aussergewöhnlich schöner Sommer die Trauben früh reifen liess, lieferten sie uns grosse Mengen Traubensaft ab. Auch mit den Vereinen fanden viele Sitzungen statt, denn der geplante Festumzug sollte von al len Riehener Vereinen gemeinsam gestaltet werden. Als Festareal hatten wir die grosse Wiese am Bachtelenweg, unterhalb des Iselinschen Gutes, ins Auge gefasst, und nach anfänglichem Zögern liess sich Oberstdivisionär Heinrich Iselin dazu bewegen, uns dieses Areal zur Verfügung zu stellen. Die Mitglieder des Musikvereins bauten auf der Wiese ein grosses, stabiles Podium, eine Festwirtschaft und viele Verkaufsstände und schliesslich noch ein prächtiges Eingangstor.

So kam, nach vielen Wochen intensiver Vorbereitungsarbeit, endlich der ersehnte Termin vom 28./29. September 1946 heran. Es war strahlendes Herbstwetter. Schon am Freitagabend zog der Musikverein mit klingendem Spiel durchs ganze Dorf, um auf das kommende Fest aufmerksam zu machen. Am Samstag wurde das Festareal geöffnet; ein buntes Unterhaltungsprogramm ging über die Bühne, und die Festwirtschaft und Verkaufsstände wurden in Betrieb genommen. Höhepunkt des Winzerfestes aber war der Sonntag. Schon am Vormittag strömten Scharen von Besuchern aus Basel gegen das Dorf. Ununterbrochen brachten die BVB neue Passagiere, und viele Besucher kamen zu Fuss durch die Langen Erlen. Die verschiedenen Dorfwirtschaften, mit denen eine einheitliche Preisliste vereinbart worden war, hatten Hochbetrieb. Im Eisenbahnweg wurden inzwischen die Gruppen des Festumzuges aufgestellt, nach der genauen und sorgfältigen Planung von Otto Strobel. Punkt zwei Uhr setzte sich der Umzug in Bewegung: durch die Bettingerstrasse abwärts, dann durch die Baselstrasse ins Dorfzentrum, weiter durch die Schmiedgasse, Schützengasse, Oberdorfstrasse, Rössligasse und schliesslich durch den Bachtelenweg gegen die Festwiese.

Es war ein imposanter Umzug mit sehr schönen Gruppen; die Riehener Vereine hatten sich riesige Mühe gegeben. Stramme Vorreiter in farbigen Uniformen eröffneten den aus zwanzig Bildern bestehenden Festzug. Es folgten Trachtengruppen von Riehen und Bettingen, Basel und dem nahen Elsass. Verschiedene Vereine stellten das Winzerleben dar: da führte etwa der Liederkranz eine Traubenmühle und Trotte auf seinem Wagen mit, und vom Winzer wagen des Turnvereins wurde Wein ausgeschenkt. Andere Gruppen stellten Rebbauern mit Stickeisen, Stecken, Hauen, Spritzen usw. dar; nicht einmal das vom Kupfer-Vitriol verspritzte überkleid durfte fehlen. Prächtig geschmückte Obst-, Gemüse- und Blumenwagen wechselten ab mit Radfahrergruppen. Der Musikverein in seiner schmucken Bauerntracht mit roten Westen, weissem Hemd und «Buurehüetli», und verschiedene Handharmonika- und Mandolinengruppen sorgten für flotte Marschmusik. Ein Alpaufzug im Kleinen mit sauber gestriegelten Kühen und dem Geläut der grossen Treicheln bildete den Schluss des Umzugs. Dichtgedrängt standen die Zuschauer an allen Strassen, klatschten und freuten sich; es sollen, nach zuverlässigen Schätzungen, 50000 bis 60000 Personen gewesen sein!

Schliesslich mündete der Umzug in den Festplatz ein, und hinter ihm ergoss sich die riesige Menschenmenge durch den Bachtelenweg ins Festareal. Ein prächtig verzierter Bogen spannte sich über den Eingang mit der Aufschrift «Landgasthof Riehen» - die Diskussion um den geplanten und 1951 vollendeten Landgasthof hatte im Dorf soeben eingesetzt. Rund um den Festplatz gab es eine grosse Zahl von Verkaufsständen: da wurden Früchte und Gemüse angeboten, Riehener Trauben, Nüsse und Brot - und natürlich neuer Süsser und Sauser zu nur einem Franken für drei Deziliter. Eine Trauben- und Früchtetombola zog viele Interessenten an. Und auf dem grossen Podium wurde ein reichhaltiges Programm der Riehener Vereine dargeboten: Jodler, Trachtengruppen, Männerchor, Liederkranz und Turnverein gaben ihr Bestes.

Die Festwirtschaft florierte. überall waren die Mitglieder des Musikvereins tätig, wenn sie nicht gerade beim Spielen waren; ihre Frauen standen hinter den Verkaufsständen und dem Wirtschaftsbuffet, und eine Schar von Servicepersonal und Abwaschfrauen waren nach genauem Zeitplan im Einsatz.

Mitten am Nachmittag geschahen dann zwei missliche Zwischenfälle. Der eine hatte mit dem jungen Wein zu tun, den wir, noch ungeübt in solchen Dingen, aus grossen Fässern ausschenkten. In der gewaltigen Hitze des Nachmittags setzte die Gärung mächtig ein, und plötzlich spritzten hohe Fontänen aus den Fässern - für uns ein enormer Schaden! Das andere Missgeschick ging auf einen Bubenstreich zurück: auf der Festwiese standen zwei mächtige Pappeln, der Stolz von Oberstdivisionär Iselin. Im hohlen Stamm der einen befand sich ein Hornussennest, das zwei Lausbuben ausräuchern wollten. Sie zündeten ein Feuer im Stamm an, welches den Baum so sehr schädigte, dass er nachher gefällt werden musste. Begreiflicherweise war dies das letzte Mal, dass wir die Iselinsche Wiese für ein Fest benützen durften!

Doch abgesehen von diesen Zwischenfällen verlief der Tag prächtig. Männiglich freute sich am jungen Wein und an der Musik, man sass gemütlich beisammen, und die Unentwegten feierten in der Bachtelengrotte weiter, die im Keller von Robi Wenk am Bachtelenweg (wo heute das Hotel Ascot steht) eingerichtet worden war, und in der ein paar gute alte Tropfen ausgeschenkt wurden. Die Riehener, aber auch die Basler Besucher - und die Presse - waren des Lobes voll über dieses gelungene Fest.

Trotz des relativ kleinen finanziellen Gewinns und trotz der enormen Arbeit, die die Mitglieder des Musikvereins, vor allem die Organisatoren, geleistet hatten, wurde eine Wiederholung des Festes auf das nächste Jahr beschlossen. Doch sollte nun die Zubereitung des Weins in professionelle Hände gelegt werden. Wir nahmen Kontakt auf mit der Küferei Böhme in Basel, welche sich bereiterklärte, diese Arbeit zu übernehmen. Am nächsten, und auch an allen weiteren Winzerfesten kaufte Lukas Böhme die Riehener Trauben auf, überwachte die Pressung und Weinzubereitung, bewahrte die Fässer in seinen kühlen Kellern auf und brachte sie jeweils am Morgen des Winzerfestes mit Ross und Wagen, geschmückt mit Blumen, ins Dorf.

Das Winzerfest gehörte nun zum festen Bestandteil des Dorflebens. Es wurde jedes Jahr im ähnlichen Rahmen durchgeführt. Als Festareal diente jeweils der Park der alten Taubstummenanstalt, wo heute das neue Gemeindehaus steht. Am grossen Unterhaltungsabend, der am Samstagabend auf dem Podium des Festplatzes über die Bühne ging, beteiligten sich alle Dorfvereine mit Musikvorträgen, Reigen oder turnerischen Darbietungen, und der Musikverein spielte zum Tanz auf. Der Sonntag wurde jeweils mit dem Frühschoppen eröffnet. Als grösster Publikumsmagnet aber wirkte immer wieder der grosse Festumzug, an dem sich mit der Zeit auch Basler Vereine, wie etwa die Basler Beppi oder das Heimatchörli Basel beteiligten. Als beim Winzerfest 1949 der Umzug einmal weggelassen wurde, gab es Proteste von allen Seiten. Für die Mit glieder des Musikvereins brachte der Sonntagabend jeweils noch die «Abbrucharbeiten» der ganzen Festwirtschaft, die, wie alle Bauarbeiten, stets eigenhändig durchgeführt wurden. Dafür feierten wir dann den Abschluss des gelungenen Winzerfestes am Montagabend in der Bachtelengrotte, zusammen mit unseren Frauen und mit dem Gemeinderat, der meist vollzählig erschien.

Auch die Werbung für das Winzerfest wurde immer besser ausgebaut. Zu den Inseraten, Tramplakaten und Plakaten im Weltformat, die wir bis nach Liestal hinauf aushängten, kam ab 1948 auch noch eine Pressefahrt: einige Tage vor dem Fest wurden die Vertreter der Basler und Riehener Presse, zusammen mit dem Organisationskomitee, per Break in den Schlipf gefahren, wo ihnen Rudolf Rinklin, der Präsident der Rebbaukommission und letzter Riehener Rebbauer, in seinem kleinen Rebhäuslein vom Schlipfer erzählte und einen guten eigenen Tropfen dazu ausschenkte.

Fünfmal, nämlich von 1946 bis 1950, wurde das Winzerfest bei strahlendem Sonnenschein durchgeführt, stets am letzten September- oder ersten Oktoberwochenende. Doch 1951 wurde es, obwohl des schlechten Wetters wegen bereits auf den 6./7. Oktober verschoben, ganz fürchterlich verregnet. Der finanzielle Gewinn für den Musikverein war denn auch gleich Null.

Mit den Jahren erlahmte das Interesse an den Winzerfesten. Die Riehener Vereine wollten zum Teil nicht mehr mitmachen, und auch der Zustrom des Publikums nahm langsam ab - es ging den Leuten ja auch wieder besser, und ein Fest im Dorf besass nicht mehr die gleiche Anziehungskraft wie unmittelbar nach dem Krieg. So wurde das Winzerfest 1952, an dem nochmals eine strahlende Herbstsonne über dem Festumzug mit seinen 23 Gruppen und 500 Mitwirkenden leuchtete, zum letzten Riehener Winzerfest. Ein arbeitsintensives, aber schönes Kapitel des Riehener Musikvereins war damit abgeschlossen, und die Riehener Winzerfeste gehörten der Vergangenheit an. Für alle aber, die sie miterlebten, bleiben sie eine unvergessliche Erinnerung.

Nach mündlichen Aussagen von Hans Schultheiss, unter Beizug einiger Zeitungsberichte, zusammengestellt von Lukrezia Seiler.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1986

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