Die Sammlung Beyeler

Martin Schwander

Im Sommer 1980 fand eine grosse Zahl von Kunstfreunden aus dem In- und Ausland den Weg nach Riehen, angezogen von den mehr als 100 Skulpturen und raumgreifenden Installationen, die im Rahmen der Ausstellung «Skulptur im 20. Jahrhundert» in den Gartenanlagen und den herrschaftlichen Gebäuden des Wenkenparks zu sehen waren. Initiant dieser Ausstellung, die in den folgenden Jahren zahlreichen ähnlichen Projekten in ganz Europa als Vorbild diente, war Ernst Beyeler, dessen Galerie an der Bäumleingasse in Basel seit mehr als zwei Jahrzehnten Weltruf geniesst. Ernst Beyeler hat zusammen mit seiner Frau zudem auch eine Sammlung angelegt, die der öffentlichkeit erstmals im Frühjahr 1989 in Madrid vorgestellt worden ist. Die zahlreichen Museumsleute, Kritiker und Kunstfreunde, die aus Europa und übersee nach Madrid reisten, um ein Bild von der Sammlung Beyeler zu gewinnen, waren sich einig, dass es sich bei diesem Ensemble von mehr als 100 Gemälden, Skulpturen und Arbeiten auf Papier um eine der qualitätsvollsten Privatsammlungen moderner Kunst handelt. Künstler wie Monet, Cézanne, Seurat, Rousseau, Picasso, Braque, Matisse, Kandinsky, Mondrian, Mirò, Max Ernst, Klee, Giacometti, Dubuffet, Tinguely, Baselitz und Kiefer bilden einen eigentlichen «Höhenweg» der Kunst des 20. Jahrhunderts. Nahezu jedes Werk dieser Sammlung verdient eine besondere Erwähnung: Das kühne Kathedral-Bild (1894) und das überwältigende Seerosen-Triptychon (1917-1920) von Claude Monet ebenso sehr wie Henri Rousseau's «Le lion ayant faim se jette sur l'antilope» (1905), das seit vielen Jahren im Kunstmuseum Basel hängt, und Wassily Kandinskys eruptives Auferstehungsbild «Improvisation Nr. 10» von 1910. Es ist jedoch zweifelsohne Pablo Picasso, der mit mehr als zwanzig Arbeiten aus allen Schaffensphasen die eigentliche «pièce de résistance» der Sammlung Beyeler bildet. Die Werkgruppe seines «Gegenspielers»

Henri Matisse gipfelt in den raffinierten und delikaten «gouaches découpées». Die Kunst der Nachkriegszeit repräsentieren Künstler wie Jean Dubuffet, Francis Bacon und Alberto Giacometti (16 Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen). Teilweise grossformatige Werke von Antoni Tàpies, Jean Tinguely, Robert Rauschenberg, Georg Baselitz und Anselm Kiefer vermitteln eine Vorstellung von der Vitalität des gegenwärtigen Kunstschaffens. Schon früh zeigte Ernst Beyeler auch eine Vorliebe für die Kunst der Naturvölker. Mit grosser Kennerschaft hat er einige besonders eindrückliche und qualitätvolle Arbeiten aus Afrika und der Südsee in seine Sammlung integriert.

Mit der Madrider Ausstellung setzte die öffentliche Diskussion über die definitive Präsentationsform der Sammlung Beyeler ein. Ernst Beyeler hat dabei von Anfang an klargelegt, dass er sich den definitiven Standort seiner Sammlung nur in Basel oder in der nächsten Umgebung von Basel vorstellen kann. Nachdem sich die Idee, die Sammlung im Kunstmuseum Basel unterzubringen, aus verschiedenen Gründen zumindest in absehbarer Zeit als unrealisierbar erwiesen hat, nimmt das Projekt «Sammlung Beyeler im Berowergut, Riehen» konkretere Gestalt an. Falls keine unüberwindbaren Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieses ehrgeizigen Projektes eintreten, könnte in wenigen Jahren in Riehen eine Institution eröffnet werden, die mit Sicherheit ein Anziehungspunkt für zahlreiche Kunstfreunde aus dem In- und Ausland bedeutete. Gleichzeitig würde die Sammlung Beyeler für immer an dem Ort bleiben, in dem Ernst und Hildy Beyeler seit nunmehr 40 Jahren leben und an dem ihre Sammlung ihren Anfang genommen hat.

Martin Schwander hat Ernst Beyeler im Juli 1991 zum Stand des Projektes «Sammlung Beyeler im Berowergut, Riehen» befragt:

Martin Schwander: Herr Beyeler, Sie haben sich dahingehend geäussert, dass Sie eigentlich kern Sammler seien. Handelt es sich dabei nicht um eine Form von Koketterie, da wir - spätestens seit der Ausstellung in Madrid wissen, dass Sie eine der iveltweit bedeutendsten Privatsammlungen moderner Kunst zusammengetragen haben?

Ernst Beyeler: Der Ausgangspunkt unserer Sammlung war unser relativ kleines Haus in Riehen. Wir haben das eine oder andere Bild, das uns besonders bewegt hat, er worben oder zurückbehalten, um es in unserem Haus aufzuhängen. Als das Haus einigermassen ausstaffiert war, ging die Sammlerambition stark zurück. Wir sahen darin auch keine Notwendigkeit, da wir ständig von Kunst umgeben sind. In 45 Jahren haben wir zirka 220 Ausstellungen vom späten Impressionismus über Cézanne, Monet, die Kubisten, Matisse und Picasso bis zu wichtigen Gegenwartskünstlern wie Baselitz und Clemente gemacht. Alle zwei, drei Monate von einem neuen Ensemble umgeben zu sein, habe ich stets als einen grossartigen und einmaligen Zustand empfunden. Später kamen dann jedoch die Bilder hinzu, die wir einfach nicht nach Amerika oder Japan weggeben wollten. Wir haben uns in dieser Situation gesagt: «Das ist vielleicht der letzte erschwingliche Mondrian, der letzte erschwingliche Matisse.» Als das Ensemble in Madrid zum ersten Mal zu sehen gewesen ist, hat die Presse von einer zusammenhängenden Sammlung gesprochen. Eine eigentliche Sammlernatur bin ich aber trotzdem nicht.

Ist Ihre Sammlung ein Spiegel Ihrer Ausstellungstätigkeit oder waren für die Ausivahl der Werke, die sich in Ihrer Sammlung befinden, andere Kriterien massgebend?

Unsere Sammlung ist weitgehend der Spiegel unserer langjährigen Galerietätigkeit. Das Galerienprogramm umfasste von Anfang an neben der Kunst des späten Impressionismus bis zur Gegenwart auch primitive Kunst. Dies ist eine ziemlich grosse Bandbreite, die kaum eine andere Galerie vorzuweisen hat. In Basel konnte man sich nicht so sehr spezialisieren wie in einer Grossstadt. Man musste Verschiedenes anbieten, gleichzeitig waren jedoch auch meine Interessen sehr breit. Die Sammlung ist in ihren Anfängen natürlich auch von den Aktivitäten des Kunstmuseums und der Kunsthalle geprägt worden.

Eine Analyse Ihrer Sammlung ergibt, dass sie die Sammlung des Kunstmuseums Basel auf ideale Weise verstärken und ergänzen würde. Was hat Sie dennoch dazu bewogen, eine eigene Institution aufbauen zu wollen?

Ursprünglich wollten wir die Sammlung dem Kunstmuseum überlassen. Es sind aber nicht mehr die dreissig Bilder von damals. Es sind heute hundert Bilder und zwanzig bis dreissig Skulpturen - die primitive Kunst aus Afrika und Südsee miteingerechnet. Da muss man etwas an dere überlegungen anstellen. Obwohl das Kunstmuseum und die Basler Regierung die Sammlung am liebsten im Museum gesehen hätten, mussten wir mit der Zeit einsehen, dass der für die Unterbringung unserer Sammlung notwendige Um- und Ausbau des Kunstmuseums aus verschiedenen Gründen in den nächsten Jahren nicht zu realisieren sein wird. Andererseits kann es durchwegs reizvoll sein, eine Sammlung, die eine gewisse Geschlossenheit hat, an einem separaten Ort auszustellen.

Sie haben in den letzten Jahren verschiedene Standorte für die permanente Präsentation Ihrer Sammlung evaluiert. Sie haben auch Angebote von ausländischen Regierungen und Institutionen erhalten. Was hat bei Ihnen den Ausschlag gegeben, dieses Projekt am liebsten in Riehen verwirklichen zu wollen?

Die Skulpturenausstellungen, die wir 1980 im Wenkenpark in Riehen und 1984 im Merianpark in Brüglingen realisiert hatten, zeigten uns, wie interessant, wie lebendig ein Park für die Präsentation von Kunst sein kann. Deshalb hatte ich in Anlehnung an diese Skulpturenausstellungen die Idee, dass man einen Bau von exemplarischer architektonischer Qualität im Park des Berowerguts in Riehen errichten könnte. Als Pluspunkt für das Riehener Projekt kommt hinzu, dass das Berowergut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr leicht zu erreichen ist.

Welche Vorstelligen eines Museums verbinden Sie mit Ihrem Neubauprojekt?

Das weiss man am Anfang nicht genau. In den Diskussionen mit dem italienischen Architekten Renzo Piano, den ich mit dem Projekt beauftragt habe, beginne ich mich langsam an das Konzept heranzuarbeiten. Gute Museumsneubauten sieht man zugegebenermassen selten. Manche Museen sind grossartig, weil sie gar nicht als Museum gebaut worden sind. Renzo Piano wird diese Schwierigkeiten sicher zu meistern wissen. Er ist einer der besten zeitgenössischen Architekten. Vor allem das Museum, das er für die De Menil-Sammlung in Houston geschaffen hat, bestätigte mich in dieser Ansicht.

Kann man im jetzigen Zeitpunkt schon Angaben über das geplante Erscheinungsbild der Atilage machen?

Der Herrschaftspark des Berowergutes ist ein ziemlich schmales Band. Daran gliedert sich eine Landwirtschaftszone an, in der man nicht bauen darf. Ich denke an ein einfach gehaltenes, eingeschossiges Gebäude. Im schönen Herrschaftshaus des Berowergutes könnte man die Cafeteria, die Bibliothek und den Museumsshop unterbringen.

Das Finanzierungsmodell für diese Institution ruht auf zwei Säulen: Einerseits müssten die Betriebskosten von der öffentlichen Hand übernommen werden, andererseits würden Sie für die Investitionskosten, die im Zusammenhang mit dem Neubauprojekt von Renzo Piano entstehen, aufkommen.

Bei der Finanzierung dieses Vorhabens war uns von Anfang an klar, dass wir nicht - wie dies im Ausland üblich ist - die übernahme der Bau- und Unterhaltskosten fordern können. Wir haben daher vorgeschlagen, dass wir für den Bau aufkommen werden, währenddem Riehen und Basel gemeinsam die Betriebskosten übernehmen sollten. Wir haben die Lösung gewählt, die uns am teuersten kommt, im Bestreben, das realisieren zu können, was am wünschenswertesten ist. Es gilt jedoch anzumerken, dass das Projekt im jetzigen Zeitpunkt noch keineswegs gesichert ist. Auf der politischen Ebene muss zunächst der Weg durch die Instanzen gegangen werden, bis das Projekt in der zuvor beschriebenen Form realisiert werden kann. Falls sich das Projekt nicht in Riehen realisieren lässt, müsste ich mir für unsere Sammlung einen anderen Ort - möglicherweise im Ausland - aussuchen.

Was sehen Sie vor, damit Ihre Institution auch nach der Eröffnung ein lebendiger Anziehungspunkt bleibt?

Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Wir sind nicht der Meinung, dass unsere Sammlung eine so grossartige Sache ist, dass sie so bestehen bleiben und von aller Welt bewundert werden muss. Wir sind uns sehr bewusst, dass Wechselausstellungen eine gewisse Lebendigkeit garantieren. Die Ausstellungstätigkeit könnte daher auch eine gewisse öffnung zur Gegenwart hin bringen. Diese ist in unserer Sammlung nicht so stark vertreten, da wir der Meinung sind, dass unsere Sammlung einen geschlossenen Charakter hat, und wir nicht wie andere Museen mit der Aktualität Schritt halten müssen.

Gibt es auch noch Ausbaupläne für die Sammlung?

Ich habe die Hoffnung, zur Abrundung gewisser Werkgruppen noch einige wichtige Bilder hinzuzubekommen. Es gibt natürlich auch einige Bilder in der Sammlung, die man ohne weiteres dafür hergeben könnte. Das Ganze muss einfach lebendig bleiben und dafür haben wir hoffentlich noch einige Zeit.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1991

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