Die Sozialaufgabe der Gemeinde Riehen

Rolf Soiron

Bisher fanden die sozialen Aufgaben, welche die Gemeinde Riehen erfüllt, noch keine zusammenfassende Darstellung. Dies sei — mit Einschränkungen — ein erstes Mal versucht. Es wird dabei bei einem überblick, der nicht in die Tiefe gehen kann, bleiben müssen. Denn nicht alle ordentlichen und ausserordentlichen Beiträge an öffentliche und private Sozialeinrichtungen können hier Erwähnung finden, und ausserdem macht die Abgrenzung des Begriffs «Soziale Aufgaben» etwelche Schwierigkeiten: So enthalten ja Inhalt und Handhabung eines Steuerreglementes, ein Ferienhaus in Riom, ein Freizeitzentrum «Landauer», überhaupt die Freizeit- und Kulturbestrebungen der Gemeinde und anderes mehr auch eine soziale Komponente. Dieser Beitrag wird sich darum beschränken: Er wird lediglich aufzeigen, wo und wie die Gemeinde heute zur Erleichterung schwieriger Situationen materieller, physischer und psychischer Art von einzelnen oder ganzen Gruppen beiträgt.

Wandel der Einstellungen

Auch wenn Bund und Kantone in den letzten Jahrzehnten ihren Einsatz für Bedürftige und Benachteiligte, für Kranke und Betagte vervielfacht haben, so ist die soziale Tätigkeit nach weit verbreiteter Schweizer Meinung immer noch eine der traditionellen und wichtigen Aufgaben der Gemeinden. So wendeten denn auch die Gemeinden unseres Landes beispielsweise 1976 nicht weniger als 2,05 Milliarden Franken oder 15% ihrer Gesamtausgaben für die Positionen «Soziale Wohlfahrt» und «Gesundheitswesen» auf.

Nun fällt aber auf, dass die baselstädtische Verfassung von 1889 unsere Einwohnergemeinde bei der Zuweisung der sozialen Aufgaben vollkommen übergeht: Der Kanton fördert die Fürsorge für das Alter, die Armenpflege ist den Bürgergemeinden und der freiwilligen Tätigkeit überlassen, die Gesetzgebung über- die Krankenpflege liegt beim Kanton. Folgerichtig schweigt sich das Gemeindegesetz von 1916 über allfällige soziale Aufgaben der Einwohnergemeinde Riehen aus. Und H. Schwab, der 1935 in seiner Untersuchung «Riehen seit 1825» neben der Siedlungsgeschichte auch die Tätigkeiten der Behörden darstellt, verliert kein Wort über irgendwelche soziale Aufgaben der Gemeinde. Sehr verwunderlich ist dies alles jedoch nicht: In den Jahrzehnten vor und nach der Jahrhundertwende besass Riehen weder die Mittel noch den Willen, Aufgaben zu erfüllen, die über das Allernotwendigste hinausgingen. Es waren dies ja auch die Jahre, in denen viele und massgebende Riehener der Meinung waren, die Selbständigkeit der Gemeinde sei überhaupt aufzugeben.

Gerade auch im sozialen Bereich trat mit den 50er Jahren eine deutliche Wende ein. Im Weiteren Gemeinderat wuchs die Zahl der Vorstösse sozialen Charakters. Nach und nach unterstützte oder übernahm die Gemeinde soziale Aufgaben. 1955 tauchten in der Gemeinderechnung erstmals besondere Kapitel «Fürsorgewesen» und «Gesundheitswesen» auf, wobei letzteres allerdings als Hauptpositionen die Kehrichtabfuhr und die Bedürfnisanstalten aufführte. Ab 1964 legte der Gemeinderat in seinem Geschäftsbericht auch über die sozialen Aufgaben Rechenschaft ab. Und während der Gemeinderat das Soziale in den 60er Jahren einmal diesem und einmal jenem Aufgabenbereich zuschlug. entstand 1970 ein gesondertes Gemeinderatsressort «Kulturelle und soziale Aufgaben, Gesundheitswesen». Der konsequente letzte Schritt erfolgte 1974 mit der Schaffung des Ressorts «Gesundheitswesen und Soziales». Den Willen zur verstärkten Mitarbeit im sozialen Bereich belegt auch das 1975 vom Dorfparlament in seinen Grundzügen gutgeheissene Autonomieleitbild des Gemeinderates: «öffentliche Aufgaben, welche die menschlichen Probleme des einzelnen Bürgers erleichtern und lösen wollen, gehören in die Hand der Gemeinde».

Sicher trug das Wachstum der Einwohnerzahl zu diesem Wandel bei. Es brachte nicht nur eine Vermehrung der Mittel der Gemeinde mit sich, sondern es hat auch die sozialen Probleme in der Gemeinde wachsen lassen. Untersuchungen haben ja gezeigt, dass die sozialen Aufgaben mit dem Wachstum der Bevölkerung überproportional zunehmen. Dazu kommt, dass sich in doppelter Hinsicht ein Einstellungswandel vollzogen hat: Einerseits ist Riehen heute willens, gewisse Lasten dem Kanton abzunehmen und selber zu tragen; anderseits ist auch in Riehen die allgemeine Entwicklung spürbar, welche gerade im sozialen Bereich die übernahme und Erfüllung immer weiterer Aufgaben von der öffentlichen Hand verlangt.

Grundsätze

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Kantonsverfassung den Landgemeinden keine soziale Aufgabe zuweist. Die einschlägigen Gesetze lauten dementsprechend. Lediglich das Gesetz betreffend die öffentliche Fürsorge von 1960 verpflichtet die Landgemeinden, die Ausgabenüberschüsse der Armenpflege ihrer Bürgergemeinden zu decken. Die Gemeinde ist also bei der Wahrnehmung von sozialen Aufgaben weitgehend frei.

Riehen hat in den vergangenen Jahren dort soziale Aufgaben übernommen, wo die kantonale oder eidgenössische Tätigkeit Lücken enthält — Beispiel: Stipendienwesen. Im weiteren wurde die Gemeinde dort aktiv, wo ihr besondere Riehener Bedürfnisse zu bestehen scheinen — Beispiel: Gemeindespital. Im weiteren war es ein Grundsatz der Gemeinde, wo sinnvoll und möglich Private, Vereine und Institutionen zur Wahrnehmung sozialer Aufgaben zu ermuntern und sie dabei gegebenenfalls finanziell zu unterstützen und nicht um jeden Preis selber handelnd und vollziehend aufzutreten.

Bei der Entscheidung der Übernahme neuer Aufgaben lässt sich die Gemeinde auch im sozialen Bereich von den Grundsätzen des Autonomieleitbildes leiten: Sie wird nur dort aktiv werden, wo dies von der Sache her wünschbar ist, wo es ohne Komplizierung und Aufblähung des öffentlichen Apparates geschehen und die Gemeinde die finanziellen Folgen tragen kann.

Allgemeine und wirtschaftliche Unterstützung

Gemäss Verfassung und Gesetz unterstützt die Bürgergemeinde bedürftige Riehener Bürger. Diese Aufwendungen — Kosten für Lebensunterhalt und Mieten, Kostgelder für Heiminsassen, Arzt- und Spitalrechnungen — sind in den Jahren der Inflation und dann der Rezession erheblich angewachsen und erreichten 1976 Fr. 170 000.—. Die entsprechenden Einnahmen der Bürgergemeinde konnten damit nicht Schritt halten, so dass auch der Ausgabenüberschuss zunahm. Von 1898 bis 1960 trug der Kanton einen Teil des Defizites, doch das neue FürsorgeGesetz verpflichtete die Einwohnergemeinde zur übernahme des ganzen Fehlbetrages. Er betrug 1976 immerhin Fr. 95 000.— Einwohner ohne Riehener Bürgerrecht waren in Notsituationen während langer Zeit auf private oder kantonale Hilfe angewiesen, da die Gemeinde keine entsprechenden Mittel besass. Hier setzte der 1957 geschaffene Krankenhilfsfonds ein, der 1957 auf einen Anzug E. Linder hin gebildet wurde. Er erlaubte finanzielle Hilfe für Einwohner, die durch Krankheit oder Unfall in Not zu geraten drohten. Einem Anzug A. Stump folgend wandelte die Gemeinde diesen Fonds in einen allgemeinen Hilfsfonds um, der nicht mehr bloss bei Krankheit oder Unfall in Anspruch genommen werden kann.

Da das Netz der sozialen Sicherheit in der jüngsten Vergangenheit immer enger geknüpft wurde, ist heute die rein finanzielle Unterstützung nicht immer das Wichtigste. Mindestens so notwendig sind oft die beratende Begleitung in schwierigen Lagen, die Vermittlung von Fachleuten, Amtsstellen und nichtfinanziellen Hilfeleistungen aller Art. Dieser Gedanke bewog 1964 den damaligen Leiter der «Guten Herberge», A. Rufener, im Dorfparlament die Schaffung eines gemeindeeigenen Sozialdienstes durch die Anstellung einer Fürsorgerin zu verlangen. Wenige Monate darauf schlössen sich Frauen der reformierten Kirchgemeinde im Verein «Gegenseitige Hilfe» zusammen. Da der Verein nicht nur durch seine Mitglieder verschiedenste Sozialdienste anbieten, sondern auch eine vollamtliche Fürsorgerin anstellen wollte, bat er die Gemeinde um eine Subvention. Der Gemeinderat stellte sich hinter dieses Subventionsgesuch und schlug den Weiteren Gemeinderäten vor, dafür auf das Postulat Rufener zu verzichten. Dieser Vorschlag blieb nicht ohne Widerspruch. Insbesondere die Sprecher der Linksparteien befürchteten, mit dieser Lösung werde die notwendige Koordination zwischen den verschiedenen privaten Fürsorgeeinrichtungen wieder nicht erreicht. Das Argument Gemeinderat J. Ammanns, die Gemeinde besitze gar keine Rechtsgrundlage für den Aufbau eines eigenen Sozialdienstes, gab aber schliesslich den Ausschlag. Heute wird die «Gegenseitige Hilfe», die ohne Ansehen der Konfession hilft, mit 50 000 Franken subventioniert. Die Arbeit ihrer Fürsorgerin und die von den Mitgliedern erbrachten Dienste — Besuche bei Betagten und Invaliden, Transporte, Kinderhüten, Glätten und Flicken usw. sind kaum mehr wegzudenken.

Der soziale Wohnungsbau hat in Riehen eine alte Tradition, errichteten doch die Ehegatten Bischoff-Respinger 1860 eine Stiftung zugunsten der Gemeinde Riehen, in welche sie zwei Häuser an der Oberdorfstrasse einbrachten. Hier sollten nach ihrem Willen «rechtschaffene, wohlbeleumdete und ordnungsliebende aber unvermögliche Leute» eine billige Wohnung erhalten. 1977 hat sich die Gemeinde bereiterklärt, eine grundlegende Sanierung dieser Liegenschaften zu unterstützen.

Als Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre die Wohnungsfrage gerade auch in Riehen zu einem dringenden sozialen Problem wurde, forderten verschiedene Parlamentarier — vor allem A. Ursprung, aber auch H. Brennwald und L. Marti — den Gemeinderat mehrere Male zum Handeln auf. Der Gemeinderat zögerte anfänglich, nicht nur, weil er den sozialen Wohnungsbau als Sache des Kantons betrachtete, sondern weil die Gemeinde kaum über geeignetes Land verfügte. Da sich der Weitere Gemeinderat mit dem Hinweis auf die geplanten Wohnungen im Neubau des «Ochsen» nicht zufrieden gab, setzte sich die Gemeinde mit der Regierung in Verbindung und erreichte, dass ihm 1959 Bauland am Hirtenweg im Baurecht überlassen wurde. Jetzt konnte ein erstes Projekt mit rund 30 Wohnungen verwirklicht werden. Es folgten weitere: Rainallee, Rössligasse, Brünnlirain/Lörracherstrasse, und nochmals an der Rössligasse. Heute ist die Gemeinde in der Lage, neben der Alterssiedlung, eigentlichen Personalwohnungen und einigen speziellen Objekten über 120 Wohnungen zu erschwinglichen Zinsen anzubieten.

Eine neue Aufgabe ergab sich für die Gemeinde, als die Arbeitslosigkeit 1975/76 auch vor Riehen nicht halt machte. Im Oktober 1976 bewilligte der Weitere Gemeinderat einen besonderen Kredit von über Fr. 300 000.—. Damit wurde es dem Gemeinderat möglich, Arbeitslose, insbesondere wenn ihnen die Aussteuerung droht, auf Zeit zur Erledigung dringender Arbeiten einzustellen oder auch die von den Kirchen betreuten Einsatzgruppen arbeitsloser Jugendlicher für besondere Aufgaben — beispielsweise Anlage von Wasserleitungen und Moorbeeten im Wenkenpark, Leitungsbau in Mutten — einzusetzen.

Massnahmen für die Jugend

Anlässlich der 400jährigen Zugehörigkeit Riehens zu Basel schenkte der Grosse Rat den Riehenern 1924 Fr. 20 000.—. Die Gemeinde brachte die Hälfte dieses Geschenks in einen Jubiläumsfonds ein. Mit seinen Mitteln sollten bedürftigen Riehener Schülern die Tramkosten nach Basel erlassen werden. Dieser Fonds hat während langer Zeit seinen guten Sinn gehabt. Heute allerdings übersteigen die Zinserträge die Auslagen erheblich, so dass die Zweckbestimmung wohl bei Gelegenheit zu überprüfen ist.

1959 gab die Gemeinde einem Anzug J. Jutzier statt und schuf einen Stipendienfonds zur Förderung der Ausbildung Begabter. Die Riehener Ausbildungsbeiträge sollten die kantonalen Stipendien keineswegs ersetzen, sondern das damals sehr lückenhafte Basler Gesetz ergänzen. Es wurde nun möglich, die kantonalen, an bestimmte Limiten gebundenen Hilfen manchmal etwas aufzubessern oder auch Beiträge an Schüler und Studenten zu gewähren, die aufgrund der Vermögenslage ihrer Eltern beim Kanton abgewiesen wurden. Wenn auch das neue Stipendiengesetz von 1967 manche Verbesserung brachte, so zeigt doch die Entwicklung der letzten Jahre, dass der Riehener Fonds seine Berechtigung hat, ermöglicht er doch auch in Fällen, die das Gesetz nicht vorsieht, rasche und angemessene Hilfe. Die von der Stipendienkommission neben den Darlehen gewährten Beiträge belaufen sich heute auf rund Fr. 20 000.— jährlich.

An der Ecke Keltenweg/In den Neumatten eröffnete 1956 ein privater Verein, der sich aus initiativen Riehenern aller Schichten zusammensetzte, eine Kinderkrippe, wo rund 50 Schul- und Kleinkinder tagsüber ein gutes Heim finden sollten. Dieses private soziale Werk hatte der Weitere Gemeinderat mit der Gewährung eines zinslosen Baurechts, mit einem massgeblichen Beitrag an die Baukosten und mit der Uebernahme des halben Betriebsdefizites grosszügig gefördert. Als 1972 die Heimeltern, welche die Krippe seit der Gründung mit grossem Einsatz geleitet hatten, zurücktraten und der Verein sich in der Folge auflöste, gingen Gebäulichkeiten und Verantwortung auf die Gemeinde über. Die Betriebsführung wurde dem Basler Frauenverein übertragen. Da der Kanton nur noch ein Viertel des Defizites trägt, wuchs die finanzielle Belastung der Gemeinde deutlich. Sie wendete 1976 für Betrieb und Unterhalt nicht weniger als Fr. 280 000 - auf. Die heutige Leitung bemüht sich mit Erfolg, den rund 45 Kindern, von denen immerhin ein Drittel aus nahen Stadtquartieren stammt, ein echtes Zuhause zu bieten.

Im Riehener Jahrbuch 1974 hat A. Schudel das Lehrtöchterheim an der Schlossgasse und das Lehrlingsheim im Fischerschen Haus an der Baselstrasse bereits vorgestellt. Auch diese Werke, die vom Reformierten Frauenverein bzw. vom Schweiz. Verein der Freunde des jungen Mannes getragen werden, wurde durch Baukostenbeiträge der Gemeinde namhaft unterstützt. An den Betrieb steuert Riehen jährlich je Fr. 35 000.— bei. Diese Betriebskostenzuschüsse waren anfänglich stark umstritten. Der Gemeinderat stellte sich 1970 auf den Standpunkt, soziale Leistungen dieser Art, die naturgemäss nur zum kleinsten Teil Riehenern, ja zum grösseren Teil Jugendlicher anderer Kantone zugute kämen, seien Sache des Kantons. Eine ganz knappe Mehrheit des Weiteren Gemeinderates stellte sich aber hinter einen Anzug E. Arnold und sah in der jährlichen Unterstützung solcher Werke eine moralische Pflicht. Wenn die Defizitbeiträge das Gemeindeparlament in den letzten Jahren diskussionslos passierten, so sicher auch in der Erwartung, dass Jugendlichen aus Riehen in andern Gemeinden gleiches Gastrecht gewährt wird.

Für die Betagten

Nachdem das Landpfrundhaus 1960 und 1968 die Alterssiedlungen an der Oberdorfstrasse und am Bäumliweg errichtet hatte, fasste der Weitere Gemeinderat 1969/70 die erforderlichen Beschlüsse für den Bau der gemeindeeigenen grossen Alterssiedlung «Zu den 3 Brunnen» an der Ecke Oberdorfstrasse/Schützengasse. Dieses Werk, das die Gemeinde 6,7 Millionen Franken gekostet hat, bietet heute 120 älteren Menschen altersgerechte Wohnungen, in denen sie in weitgehender Selbständigkeit den Lebensabend verbringen können.

Zwar besitzt die Gemeinde bisher noch kein eigenes Altersheim. Doch durch die Unterstützung des Baus des «Dominikushaus» und der «Humanitas» sowie des Umbaus der «Charmille» mit je Fr. 350 000.— hat sie auch hier bereits einen ansehnlichen Beitrag geleistet.

An dieser Stelle sei auch auf die Gemeindestube an der Bahnhofstrasse hingewiesen, die ja viel und gerne gerade von älteren Einwohnern besucht wird. Als der Gemeindestubenverein 1960 geeignete Räumlichkeiten suchte — man sprach vom Meierhof, aber auch schon vom Neubau an der Stelle des alten Gemeindehauses — stiess er auf einen eher zurückhaltenden Gemeinderat. Als aber 1962 das Restaurant «Schlipferhalle» von Riehen gekauft wurde, folgte die Exekutive einem Vorschlag R. Zinkernagels und verpachtete die «Schlipferhalle» — zunächst ausdrücklich «versuchsweise» — dem Verein. Manche Kreise im Dorf waren damals von der Notwendigkeit einer alkoholfreien Gemeindestube nicht sehr überzeugt, die Bürgerkorporation verneinte sie sogar gänzlich. Doch die Umsätze der ersten Jahre belohnten den Mut des Vereins. Allerdings erschwerte ab Ende der 60er Jahre die allgemeine Kostenentwicklung und die Konkurrenz durch neue Imbissecken die wirtschaftliche Lage der Gemeindestube. Da sich nun aber der Gemeinderat von der sozialen Aufgabe dieser Institution hatte überzeugen lassen, setzte er beim Parlament in zum Teil harten Diskussionen nicht nur mehrere grössere Investitionen zur Verbesserung der Gebäulichkeiten und Einrichtungen, sondern auch den Verzicht auf den Pachtzins und sogar einen jährlichen Zuschuss durch.

Beitrag für die Kranken

Seitdem der Gemeinderat 1961 wusste, das mit Riehen so eng verbundene Diakonissenspital würde nicht mehr lange in der gleichen Form weiterbestehen, setzte er sich für den Bau eines neuen Gemeindespitals und — bis zu dessen Inbetriebnahme — für den Weiterbestand des Diakonissenspitals ein. 1969 wurde das Problem dringlich: Das Diakonissenhaus befristete seine Spitalführung auf 1973; doch die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, die kantonale Finanz- und Spitalsituation rückten den Spitalneubau in weite Ferne. In den schwierigen Verhandlungen mit Basel erzielte der Gemeinderat fürs erste eine Lösung bis 1980, indem der alte Spitalbau gepachtet wurde, das Kantonsspital die Bewirtschaftung übernahm, Gemeinde und Kanton sich in die Aufsicht und ins Defizit teilten und Riehen den Vorsitz der Aufsichtskommission übernahm. Diese Regelung hat sich bewährt. Aus den Belegungszahlen 1976 geht hervor, dass das Gemeindespital geschätzt wird; 9700 Behandlungen im Ambulatorium, 20 100 und 6700 Pflegetage in der medizinischen resp. chirurgischen Abteilung, wo übrigens die Kropfoperationen immer noch überwiegen. Für Patienten und Personal hebt sich das überschaubare 100-Betten-Spital wohltuend von den riesigen Krankenhäusern ab. Da Ambulatorium und Chronischkrankenpflege auch im Hinblick auf die kantonale Spitalsituation Notwendigkeiten bilden, leistet Riehen mit seinem Defizitbeitrag einen Zuschuss von über Fr. 500 000.— ans kantonale Gesundheitswesen.

Die Gemeindeschwestern, deren Arbeit das Riehener Jahrbuch 1973 vorgestellt hat, machen jährlich über 10 000 Besuche bei pflege- und betreuungsbedürftigen Kranken und Betagten. In ihrem neuen Behandlungsraum in der Alterssiedlung an der Oberdorfstrasse beraten und behandeln sie einige hundert weitere Patienten. Mit ihrem Dienst vermitteln die Gemeindeschwestern nicht nur menschliche Kontakte, sondern sie ersparen auch manche Hospitalisierung. Als Trägerorganisation mit über 3000 Mitgliedern besteht der Gemeinnützige Krankenpflegeverein Riehen/Bettingen. Ein eindeutiger Nachholbedarf bezüglich Löhne und Freizeit der Schwestern, aber auch ihre wachsende Inanspruchnahme übersteigen die finanzielle Leistungskraft des Vereins, so dass die Gemeinde und die Kirchen in die Lücke springen mussten. Die Einstellung einer dritten vollamtlichen Schwester bewog Riehen, ins Budget 1977 nicht weniger als Fr. 75 000.— einzustellen. Dies mag als Hinweis dafür dienen, welche Bedeutung die Gemeinde dieser Institution beimisst.

Nicht weniger notwendig und hilfreich sind die Dienste des Vereins für Hauspflege. Seine Pflegerinnen führen kranken oder rekonvaleszenten Müttern den Haushalt. Auch dieser wichtige Dienst konnte sich der Kostenentwicklung der letzten Jahre nicht entziehen. Da der Verein aber auch vom Kanton erhebliche Beiträge erhält, kann sich der Zuschuss Riehens vorläufig auf Fr. 20 000.- beschränken.

Einen ersten, kleinen Schritt hat die Gemeinde in jüngster Zeit zugunsten der Betreuung von Drogenabhängigen gewagt. Als die therapeutische Gemeinschaft vom Gatternweg, wo therapiewillige, körperlich bereits entzogene Drogenabhängige Aufnahme finden, Räumlichkeiten für eine Brockenstube und eine Werkstätte suchte, stellte ihr die Gemeinde diese im neuen Werkhof zinslos zur Verfügung.

Hilfe nach aussen

Nicht erst bei der anatolischen Erdbebenkatastrophe des vergangenen Jahres, auch schon früher erfolgten im Parlament Vorstösse für Hilfen ins In- und Ausland: 1945 für das bombengeschädigte Schaffhausen, 1948 für Ferienlager von Lörracher Kindern, 1951 für die Schweizer Lawinenopfer usw.

Seit 1956 bemühte sich die Gemeinde um eine Patenschaft für eine Berggemeinde. Widerstände im Tessin selber zerschlugen den ersten Plan, das Dörflein Semione während einigen Jahren zu unterstützen. Seit 1959 hilft Riehen der kleinen Walsergemeinde Mutten, die hoch ob der Schynschlucht am Ausgang des Albulatals liegt. R. Schmid hat im Riehener Jahrbuch 1966 die ersten Jahre der Patenschaft geschildert. Die Hilfe ist seither nicht kleiner geworden. Riehen hat nicht nur regelmässig die Schul- und Finanzkosten Muttens mitgetragen, sondern auch grössere Beiträge für den Bau eines Skilifts, für die Wasserversorgung, für den Strassenunterhalt usw. überwiesen. Die beiden Gemeinden möchten die Lebensbedingungen so gestalten, dass auch in Zukunft junge Leute im Bergdorf wohnhaft bleiben.

Einem Postulat H. Mory folgend, beteiligte sich die Gemeinde seit 1970 mit einem jährlichen Beitrag von Fr. 20 000.— an der Entwicklungshilfe. Ein Vorstoss R. Hartmanns machte gar für die Jahre 1976 und 1977 weitere Fr. 120 000.— frei. Da der Gemeinderat die Entwicklungshilfe im wesentlichen als Sache des Bundes ansieht, machte er sich die Zustimmung zum Postulat Hartmann nicht leicht, schloss sich ihm aber in der überzeugung an, «dass wir als immer noch Privilegierte eine besondere Verantwortung gegenüber den ärmsten dieser Erde tragen. Diese Verantwortung muss nicht nur von den Einzelnen, sondern auch von den Gemeinwesen wahrgenommen werden, insbesondere wenn die finanziellen Verhältnisse dies erlauben». Vorzugsweise hat Riehen mit diesen Beiträgen Projekte finanziert, an welchen Riehener mitarbeiten. Es seien hier erwähnt: ein Kinderheim am Westufer des Jordans und Schulen in Haiti, Obervolta und äthiopien. 1976 war Riehen die Gemeinde mit dem dritthöchsten Beitrag für Entwicklungshilfe in der Schweiz.

Die nahe Zukunft

Zur Zeit — im Sommer 1977 — steht die Gemeinde in einigen wichtigen Sozialaufgaben vor entscheidenden Weichenstellungen. Da die Spitalverträge 1980 auslaufen, hat der Gemeinderat sich seit längerer Zeit gründlich und umfassend mit den Möglichkeiten für die Zukunft des Gemeindespitals befasst. Seit Januar 1977 steht er mit dem Kanton in Verhandlungen. Er ist von den guten Gründen für eine Weiterführung dieses in Riehen verwurzelten Kleinspitals mit seinen vielfältigen Funktionen überzeugt. Beim Erscheinen dieses Jahrbuchs werden die grundlegenden Entscheidungen wohl gefallen sein, so dass dann die zahlreichen und komplizierten Einzelheiten —• medizinische Zielsetzung, Finanzielles, Bauliches usw. — für die Erneuerung der Verträge bearbeitet werden können.

Der wachsende Anteil der Betagten an der Bevölkerung hat die Behörden zu einer grundlegenden Untersuchung der Altersfragen veranlasst. Im Frühling 1977 wurde allen interessierten Kreisen ein entsprechender Bericht zur Vernehmlassung unterbreitet. Ihre Ergebnisse werden zur Zeit ausgewertet. In allernächster Zukunft wird nun zu entscheiden sein, welche Dienste für Betagte, die noch zuhause leben, zu verstärken sind, wie das notwendige Tagesheim, wo alte Menschen tagsüber Betreuung und Kontakte finden, verwirklicht werden kann und ob ein zusätzliches Riehener Altersheim tatsächlichen Bedürfnissen entspricht.

Auch die Wohnungsfrage ist für den Gemeinderat noch keineswegs endgültig gelöst. Wenn auch die Verschiebung der Bevölkerungsstruktur zugunsten der jungen Familien und der Kinder ein Phänomen ist, welches alle Industriegesellschaften kennzeichnet, so wird der Gemeinderat dennoch mit seinen beschränkten Mitteln einen Beitrag zur Gesundung der Bevölkerungsstruktur zu leisten versuchen. Eine seiner wenigen Möglichkeiten sieht er in der Vergrösserung des Angebots günstiger Familienwohnungen über die zielgerichtete Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus.

Es scheint, dass auch die alte Forderung nach einem Riehener Sozialdienst Wirklichkeit werden wird. Nachdem das Autonomieleitbild die übernahme der Fürsorge durch die Gemeinde vorgeschlagen hatte, schaltete sich der Gemeinderat 1975 in die Basler Abklärungen zur Zusammenlegung der verschiedenen Fürsorgedienste der Stadt ein. Die kantonale Expertenkommission legte nun vor kurzem der Regierung einen Gesetzesvorschlag vor, der den beiden Landgemeinden die Fürsorge für alle ihre Einwohner überträgt. Obwohl die entsprechenden Entscheidungen von Regierung, Grossem Rat und Volk noch ausstehen, hat die Gemeinde mit den notwendigen Vorabklärungen für den Aufbau des Riehener Sozialdienstes bereits begonnen.

Man mag sich fragen, ob die Gemeinde diese neuen Aufgaben auch finanziell verkraften kann. Der überarbeitete Finanzplan zeigt aber deutlich, dass die Einnahmen diese Ausgaben zu decken vermögen. Selbst wenn sich alle Projekte in kurzer Zeit verwirklichen Hessen, so würden die soziale Wohlfahrt und das Gesundheitswesen bis 1981 lediglich knapp 11 °/o der Gesamtausgaben beanspruchen. Ohnehin darf die gewiss nicht zu den armen zählende Gemeinde Riehen nicht vergessen, dass gerade die grosszügige Erfüllung dieser sozialen Aufgaben zu den natürlichen Pflichten einer solidarischen Gemeinschaft gehört. Wahrscheinlich hat das Autonomieleitbild recht, wenn es daraus auch einen Nutzen für die Gemeinde selbst ableitet: «Gerade durch die Bewältigung solcher Aufgaben kann die Gemeinde stärkeres Interesse ihrer Bewohner erhalten und erwarten».

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1977

zum Jahrbuch 1977