Die Wohngenossenschaft Mühleteich

Paul Müller-Janett

Rückblickend hat sich das Wagnis gelohnt, die Riehener Mühle zu erhalten. Obwohl die Häuser am Dych keine geschichtsträchtigen Vorfahren beherbergen durften und auch die noch vorhandene Bausubstanz relativ jung ist, glaubt man, an diesem Ort ein Stück lebendiger Vergangenheit zu spüren. Menschen haben schon seit langer Zeit hier gelebt und gearbeitet. Dieses Gefühl der Beständigkeit könnte ein Grund sein, warum alte Häuser in der Regel Geborgenheit und Wärme ausstrahlen.

Die Genossenschafter der Wohngenossenschaft Mühleteich wohnen gerne am Dych. Man kann sogar behaupten, sie sind ein bisschen stolz auf ihre Mühle. Der Nachteil, an zwei Durchgangsstrassen zu liegen, wird durch den gediegenen Charakter der Anlage und die gute Schallisolation voll aufgewogen. Manch ein Besucher äussert sich anerkennend über die gelungene Renovation, und die Häuser sind recht eigentlich zum Anziehungspunkt für Spaziergänger und Passanten geworden.

Dass das Experiment, die Riehener Mühle zu restaurieren, ein Erfolg werden könnte, stand nicht zum vornherein fest. Noch vor wenigen Jahren war das im Laufe der Zeit entstandene Fabrikareal eine Ansammlung von mehr hässlichen als schönen An- und Erweiterungsbauten. Als im Jahre 1980 die Firma Aerosol beschloss, ihren Produktionsbetrieb nach Möhlin zu verlegen, drohte eine traditionsreiche Wirkungsstätte sang- und klanglos zu verschwinden. Die Verantwortlichen der Industriellen Werke hatten als Besitzer des Geländes entschieden, die Gebäude abreissen zu lassen und gemäss einem grossrätlichen Beschluss zur Zonenregelung der Grünzone zuzuweisen. Der entsprechende Antrag ging Ende 1980 an die Regierung.

Die Regierung wollte dem Entscheid vorerst nicht zustimmen, denn zur selben Zeit untersuchte die Denkmalpflege die Frage, ob die Riehener Mühle erhalten werden

Paul Müller-Janett

sollte. Folgende überlegungen des Denkmalpflegers führten schliesslich zum Entschluss, die Mühle unter Schutz zu stellen:

 

- Die Mühle am Dych ist ein Ensemble alter wirtschaftlicher Funktion, wobei der Begriff «Mühle» im weiten Sinne genommen werden muss als ein mit Wasserantrieb versehenes Werk:

 

- Sie stellt als Gebäudekomplex eine Fabrikationsanlage des ausgehenden 19. Jahrhunderts dar, und gleichzeitig - die Erinnerung an den übergang von der wassergetriebenen Mühle zur Fabrikationsanlage mit Dampfbetrieb (daher die Erhaltung des Kesselhauses).

- Interessant ist die Kombination zwischen Mühlebetrieb und Landwirtschaftsbetrieb (ökonomiegebäude).

- Nicht zu unterschätzen ist die Gesamtwirkung der Gebäudegruppe am Dych als historisches Ensemble am Ausgang des Dorfes.

Durch diese positive Einschätzung der Anlage war die Mühle vorerst gerettet, wenn sie auch aus Gründen des Gewässerschutzes ihrem Zweck entfremdet werden musste.

An diesem Orte ist tatsächlich die Geschichte der mechanischen Antriebe ablesbar. Zuerst - und während Jahrhunderten - unterstützte das Wasserrad die menschliche Arbeitskraft. Im 19. Jahrhundert löste die Dampfmaschine das Wasserrad ab. Parallel dazu wurde mit einer Wasserturbine experimentiert. In unserem Jahrhundert schliesslich hat der Elektromotor den Dampfbetrieb verdrängt. Unbeachtet von vielen vollzog sich die mit der industriellen Revolution eingeleitete technische Entwicklung auch in der Riehener Mühle.

Auch der Architekt Gerhard Kaufmann hatte den Wert dieser Objekte schon früh erkannt. Bereits 1980 spielte er mit dem Gedanken, die erhaltenswerte Bausubstanz zu restaurieren. Er sah vor, die Mühle zu Wohnzwecken umzubauen. Eine andere Nutzung war zum vornherein ausgeschlossen, da die Gesetzgebung zum Gewässerschutz einer gewerblichen Nutzung zu enge Grenzen gesetzt hätte. Für Gerhard Kaufmann stand schon zu Anfang fest, dass in diesen Gebäuden familienfreundliche Wohnungen untergebracht werden sollten; Luxuswohnungen schloss er zum vornherein aus. Aus Erfahrung weiss man freilich, dass Altbausanierungen diesem Vorhaben eher entgegenwir ken. Erst das Gesetz zur Altbausanierung aus dem Jahre 1981 ermöglichte durch grosszügigere Subventionierung eine kostengünstigere Renovation. Damit stand der Idee, familienfreundliche Wohnungen einzurichten, nichts mehr im Wege. Der Architekt begann, vorerst ohne Bauherrschaft und Kaufverträge, auf eigenes Risiko zu planen. Gleichzeitig hielt er nach einer Bauherrschaft Ausschau, die seine Ideen teilte.

Der Zufall wollte es, dass im gleichen Jahr nach einem Vortrag über Wohnbauförderung aus den Reihen der Vereinigung Evangelischer Wähler eine Arbeitsgruppe Wohnungsbau gegründet wurde. Mitte 1981 nahm Gerhard Kaufmann mit dem Präsidenten der Arbeitsgruppe, Ulrich Flückiger, Kontakt auf und regte an, eine Wohngenossenschaft zur Sanierung der Riehener Mühle zu gründen.

Am 15. Januar 1982 fand in der Schlipferhalle die Gründungsversammlung der Wohngenossenschaft Mühleteich statt. Gleichzeitig wurde ein fünfköpfiger Vorstand gewählt, zu dessen Vorsitzenden Ulrich Flückiger bestimmt wurde. Der Vorstand nahm unverzüglich seine Tätigkeit auf. Dem Jahresbericht 1982 kann man namentlich folgen de Problemkreise entnehmen: Man brauchte dringend eine Optionszusage von den IWB (Industrielle Werke Basel) und der Zentralstelle für Liegenschaftsverkehr. - Es mussten Parzellierungsvorschläge und ein Vorprojekt für die Baubewilligung erstellt werden. - Ein generelles Baubegehren wurde eingereicht. - Beim Amt für Bausubventionen mussten die Subventionsmöglichkeiten abgeklärt und zur Finanzierung ein Geldgeber gefunden werden. - Die öffentliche Denkmalpflege und die Stadtbildkommission wurden begrüsst - und vieles mehr. Ferner mussten Land und Gebäude vom Verwaltungs- ins Finanzvermögen transferiert werden. Dadurch wurde die Zentralstelle für Liegenschaftsverkehr zum Gesprächspartner für die Verhandlungen über den Kauf der Liegenschaften und die Baurechtnahme. Und nicht zuletzt musste der Grosse Rat einer Umzonung von der Grünzone in die Schonzone zustimmen.

Da alle Gebäude sich im Grundwasserschutzgebiet befinden, waren mit der Umzonung eine Reihe von gewässerschutztechnischen Auflagen verbunden. So wurde zum Beispiel Ol als Brennstoff für Warmwasser und Heizung ausgeschlossen. Auch war eine Tieflage der Autoeinstellhalle nicht möglich. Darum stehen heute die Autos im Erdgeschoss in bester Wohnlage mit Blick auf den Tüllinger Hügel. Das Pikante an diesen strengen Auflagen ist aber die Tatsache, dass bei Aushubarbeiten auf diesem ehemaligen Areal des Wasserwerkes ein komplett durchgerosteter Tank gefunden wurde, der noch Reste einer Kohlenwasserstoff-Verbindung enthielt. Die Besitzverhältnisse wie auch die Verwendung des Inhaltes blieben bis heute ungeklärt.

Durch Vorinvestitionen wurde die Genossenschaft zum ernstzunehmenden Kaufinteressenten. Am 20. Januar 1983 konnten schliesslich die Kauf- und die Baurechtsver träge unterzeichnet werden. Die Erhaltung der Mühle war übrigens ein gutes Geschäft für den Kanton: der Baurechtszins beträgt nämlich ein Vielfaches dessen, was als Pachtzins für eine landwirtschaftliche Nutzung hätte verlangt werden können, und zudem musste das Gelände nicht zonengerecht hergerichtet, das heisst, die Gebäude nicht abgerissen werden.

Dank einer grosszügigen Förderungspolitik der Gemeinde Riehen für genossenschaftliches Bauen erhielt die Wohngenossenschaft Mühleteich am 28. September 1983 vom damaligen Weiteren Gemeinderat eine Subvention von Fr. 400 000.— zugesprochen. Auch die kantonale Wohnbauförderung sicherte eine Unterstützung zu, und der Bund der Nordwestschweizerischen Wohngenossenschaft wollte sich mit einem zinsgünstigen Darlehen beteiligen. Das Abenteuer Altbausanierung konnte beginnen.

Am 23. Februar 1984 wurde der Teilabbruch der Liegenschaft gestartet. Aus dem durch An- und Umbauten zusammengewachsenen Gebäudekomplex schälten die Bagger die erhaltenswürdige Substanz heraus. Das ehemalige ökonomiegebäude, Haus Weilstrasse Nummer 14, wurde ausgekernt. Die neue Zweckbestimmung erforderte eine völlig neue Raumaufteilung des Bauvolumens. Auch die Fensteröffnungen mussten teilweise versetzt werden.

Im dreieinhalbstöckigen Teil des Haupthauses (Nummer 12) war früher die Mühle und die Beutlerei untergebracht; später wurden daraus Fabrikations- und Lagerräume. Auch dieser Gebäudeteil wurde bis auf die Aussenmauern abgerissen. Im zugehörigen Flügelanbau entlang der Weilstrasse war vor allem ein Raum, den man unverändert übernehmen wollte. Die schöne Stuckdecke und den gut erhaltenen Parkettboden wollte man unbedingt ins neue Raumkonzept hinüberretten. Die leicht veränderte Stockwerkunterteilung machte aber eine Anhebung des Bodens notwendig, so dass das alte Parkett neu verlegt werden musste.

Das heutige Aussehen erhielt die Mühle durch die Renovation im Jahre 1881. Das äussere Erscheinungsbild und auch die Innenraumgestaltung passte man daher dem architektonischen Zeitgeist jener Epoche an. Der Riegelbau über dem Dych nimmt ein Konstruktionselement wieder auf, das früher an dieser Stelle verwendet worden war (siehe Bild Seite 52). Er unterteilt die lange Fassadenfront auf harmonische Weise.

Das Kesselhaus (Nummer 16) erinnert durch die andersartige Fassadengestaltung an seine vorherige Nutzung. Es sieht aus wie die Miniaturausgabe einer Fabrik aus dem späten 19. Jahrhundert. Da die Fassade mit ihren hohen Fenstern möglichst original erhalten bleiben sollte, war der Einbau von vernünftigem Wohnraum eine echte Herausforderung an den Architekten, ein Problem, das er durch zwei Zweizimmerwohnungen mit Galerie meisterlich löste. Das Häuschen gehört zu den Schmuckstücken des Komplexes, auch wenn es oft mit einer Turnhalle verwechselt wird.

Während des Umbaus musste der Vorstand der Wohngenossenschaft immer wieder vorliegende Varianten begutachten und zwischen verschiedenen Vorschlägen auswählen. Das äussere Erscheinungsbild der Gebäude wurde in letzter Instanz durch die Denkmalpflege genehmigt.

Dass bei Altbaurenovationen überraschungen an der Tagesordnung sind, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Mauern brachen ein, das Gebälk war in schlechterem Zustand, als vorerst angenommen. Auch war die Dychbrücke vollkommen durchgerostet und musste ersetzt werden. Dies sind einige Beispiele aus den Sorgen jener Zeit.

Im Jahre 1984 begann der Vorstand Genossenschafter zu suchen, die ernsthaft am Wohnen in der Mühle interessiert waren. Unter den Gründungsmitgliedern gab es keine potentiellen Anwärter; alle hatten schon ihr endgültiges Zuhause gefunden. Es mussten 20 Partner gefunden werden, die bereit waren, durch einen grösseren finanziellen Beitrag einen Teil der Eigenleistung mitzutragen. Die Gemeinde stand schon seit längerer Zeit als Interessent für zwei Wohnungen fest; sie waren für zwei Abwarte für das damals noch spruchreife Projekt eines Frei- und Hallenbades reserviert. Die grösste Nachfrage konnte bei den Fünfzimmerwohnungen festgestellt werden. Etwa Mitte 1985 war die Schar der heutigen Bewohner komplett. Der Einzugstermin für das Haus Nummer 14 war auf den 1. Oktober 1985 festgelegt.

Mit Spannung und Freude sah man dem Tage X entgegen. Bange fragte sich wohl der eine oder andere Hausbewohner: «Reicht es oder reicht es nicht?» Noch überall waren Handwerker erst emsig, dann hektisch an der Arbeit.

über Bauschutt und improvisierte Stege wurden schliesslich die Möbel ins Haus getragen, während die Maler noch die letzten Pinselstriche anbrachten. Die Wendeltreppe stellte sich dabei als echtes Hindernis heraus. So blieb zum Beispiel schon im Erdgeschoss das nach mühsamem Tagwerk heissersehnte Bett stecken. Da es nicht zerlegbar war, musste es anderntags mit dem Kran übers Dach gehoben und über eine Veranda im ersten Stock ins Haus gebracht werden.

Für das Haus Nummer 12 war als Bezugstermin der 1. Februar 1986 geplant. Inzwischen kumulierten sich aber die Rückstände der Handwerker so stark, dass der Einzugstermin um einen Monat hinausgeschoben werden musste. Zum Glück konnten alle Betroffenen rechtzeitig orientiert werden. Es musste daher niemand Quartier im Hotel beziehen oder gar im Rohbau übernachten.

Alle Genossenschafter haben inzwischen ihre Wohnungen bezogen und fühlen sich schon heimisch. Man rühmt die schöne Umgebung und die herrliche Weitsicht, um die niemand bangen muss, denn die Mühle steht in unverbaubarer Lage am Rande des Wasserschutzgebietes. Unser einziger Nachbar ist der ehemalige Abwart der Aerosolfabrik. In all den Jahren hat er bei den dem Verfall preisgegebenen Gebäuden Wacht gestanden und sie vor dem Zugriff der Vandalen geschützt. Dabei schuf er sich aus Brettern, Wellblech und vielem mehr ein gemütliches Abend- und Wo chenenddomizil. Land gab es genug, um Gemüse und Blumen zu pflanzen. Nun muss er aber aus ackerbautechnischen Gründen von seinem Standplatz weichen. Zum Trost haben ihm aber die IWB eine neue Baracke geschenkt, die er unweit dem alten Standort aufbauen darf. Das Geschenk war wohl als Geste der Dankbarkeit gedacht für die gute Wartung der einsamen Gebäude. Unser Nachbar trug dadurch zu einem guten Geschäft für unseren Kanton bei - verfallene Gebäude hätten nicht so vorteilhaft verkauft werden können.

Etwa die Hälfte der unbebauten Fläche rund um die Mühle wurde zu Familiengärten parzelliert. Mitte Juni konnte nach einer langen Regenperiode die Fläche endlich planiert und die Gärten an die Bewohner abgegeben werden. Sie gediehen sofort zum gesellschaftlichen Kristallisationspunkt der Genossenschafter. Man diskutierte über die richtige Aufbereitung der Erde und die beste Erstbepflanzung. Man organisierte Kompost und lieh Gartengeräte aus. Oft ging die gemeinsame Gartenarbeit nahtlos in eine fröhliche Grillparty unter der Pergola am Dych über Feste, die nach lauen Sommerabenden manchmal erst in den frühen Morgenstunden endeten.

Diese Parties haben aus der zusammengewürfelten Gesellschaft eine Gemeinschaft werden lassen, die ein friedliches Gedeihen der Genossenschaft auch in Zukunft garantiert.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1986

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