Ein Dorfmodell auf wissenschaftlicher Grundlage

Stefan Hess

Im Hinblick auf die vorletzte Neueinrichtung des Dorfmuseums entstand Anfang der 1990er-Jahre ein historisches Dorfmodell, das in Sachen Genauigkeit schweizweit seinesgleichen sucht. Seit Mai 2021 ist es im Gemeindehaus aufgestellt.

Anfang der 1960er-Jahre begann der Historiker Fritz Lehmann (1922–2017) aus eigenem Antrieb, in den Archiven systematisch nach Akten, Plänen, Zeichnungen und anderen Zeugnissen zu suchen, die sich auf Grundstücke in Riehen, darauf befindliche Bauten, deren Nutzung sowie deren Bewohnerinnen und Bewohner beziehen.1 Sein erklärtes Ziel war es, ein detailliertes Historisches Grundbuch für seinen Wohnort zu erarbeiten. Ab 1965 wurde Lehmann bei dieser Arbeit von der Gemeinde Riehen unterstützt, indem diese finanzielle Mittel bereitstellte, damit er Fach- und Hilfskräfte im Stundenlohn beschäftigen konnte. Zudem standen Lehmann ab 1982 für seine ehrenamtlich geleistete Arbeit ein Büro und ein Keller als Archivraum im Neuen Wettsteinhaus zur Verfügung.2

1990 stellte die Gemeinde den Historiker Albin Kaspar, der bereits zuvor im Stundenlohn am Projekt mitgewirkt hatte, mit einem Teilzeitpensum als wissenschaftlichen Mitarbeiter an. Kaspar gehörte auch der Kommission an, die damals an einer vollständigen Neukonzeption des 1972 eröffneten Dorfmuseums im Alten Wettsteinhaus arbeitete. Schon seit Längerem bestand in diesem Gremium «der Wunsch, als Zeugnis für die verschwundene Baukultur ein historisches Dorfmodell zu erstellen».3

ORTSMODELLE IM WANDEL
Die verkleinerte Wiedergabe von Ortschaften, vor allem von Städten, kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits aus dem Spätmittelalter sind aus verschiedenen italienischen Stadtrepubliken Modelle bekannt, sowohl in der Malerei, etwa auf Darstellungen von Heiligen, als auch als plastische Gebilde. Die ältesten erhaltenen Beispiele im deutschsprachigen Raum sind Holzmodelle von bayrischen Residenzstädten, die der Drechslermeister Jakob Sandtner (erwähnt 1561–1580) zwischen 1568 und 1574 für seinen Landesherrn Herzog Albrecht V. (1528–1579) schuf.4 Alle diese frühen Modelle erfüllten primär eine repräsentative Funktion; sie waren Ausdruck der Macht der Stadtherren und Fürsten und kamen zum Teil, etwa in Venedig, bei öffentlichen Zeremonien zum Einsatz. In der Frühen Neuzeit spielten auch strategische Überlegungen eine Rolle: Modelle konnten dazu dienen, sich einen Überblick über die Festungsanlagen zu verschaffen. 

Bei solchen frühen Stadt- und Festungsmodellen ging es primär um Anschaulichkeit und Effekt, weniger um Detailgenauigkeit. Bei Stadtmodellen lag das Augenmerk auf Kirchen und öffentlichen Bauten, Palästen und Plätzen, Befestigungs- und Gartenanlagen, während gewöhnliche Wohnhäuser und Nutzbauten oft nur summarisch oder typisierend behandelt und Hinterhofbauten vielfach weggelassen wurden. Die Modellbauer nahmen Ungenauigkeiten und Verzerrungen sogar bewusst in Kauf, um einzelne Hotspots hervorzuheben oder die Gesamtanlage einem bestimmten Ideal anzunähern. Das Gleiche gilt für die frühneuzeitlichen Vogelschaupläne von Städten und Ortschaften, wie sie etwa der Basler Kupferstecher und Verleger Matthäus Merian der Ältere (1593–1650) in seinen berühmten ‹Topographien› veröffentlichte.5

Den frühen Ortsansichten, sowohl den plastischen als auch den zweidimensionalen, ist überdies gemeinsam, dass sie den aktuellen Zustand vergegenwärtigen sollten, also erst im Lauf der Zeit zu historischen Dokumenten wurden. Im 18. Jahrhundert begannen Architekten und Künstler damit, auch frühere Zustände zu rekonstruieren. Ihr Interesse galt anfänglich vor allem antiken Stätten, die sie anhand von baulichen Überresten nachzubilden suchten, wobei das Resultat nicht selten einen visionären Charakter erhielt.6 Unter dem Vorzeichen des Historismus entstanden im 19. Jahrhundert vielerorts auch Modelle, die einen früheren Zustand einer bestehenden Siedlung zu vergegenwärtigen suchten. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Stadtmodell von Genf um 1850 vor der Schleifung der barocken Befestigungsanlagen, das der Architekt Auguste Magnin (1841–1903) an der zweiten Schweizerischen Landesausstellung 1896 in Genf präsentierte.7 Nicht nur von Städten, auch von Dörfern wurden schon früh Modelle angefertigt. So schuf der Zahnarzt und Coiffeur Jakob Christen (1857–1913) zwischen 1885 und 1891 ein Dorfmodell von Stans im Massstab 1:500.8

HEIMATSCHÜTZERISCHE INTENTIONEN
Historischen Modellen ist die Funktion zugedacht, die Entwicklung einer Ortschaft seit einem bestimmten Zeitpunkt zu veranschaulichen. Darüber hinaus sind sie häufig Ausdruck einer nostalgischen Sehnsucht nach einer Zeit, als alles etwas übersichtlicher schien. Meist weisen sie in eine Epoche zurück, als die Auswirkungen der industriellen Revolution im Siedlungsbild noch nicht sichtbar oder zumindest nicht offenkundig waren, und stellen damit eine Reaktion auf den beschleunigten Wandel der modernen Zivilisation dar.

Hinter einem historischen Modell steht also in der Regel auch eine heimatschützerische Motivation, denn ihm war nicht zuletzt die Aufgabe zugedacht, das Bewusstsein für die historische Bausubstanz und für gewachsene Siedlungsstrukturen zu schärfen. So war der Architekt Salomon Schlatter (1858–1922), Schöpfer des St. Galler Stadtmodells nach einer Radierung von Matthäus Merian von 1642, zugleich ein Vorreiter der Heimatschutzbewegung in der Ostschweiz.9 Und Alfred Peter (1877–1959), der von 1952 bis 1959 ebenfalls nach Vogelschauplänen von Matthäus Merian das wohl bekannteste Basler Stadtmodell10 schuf, führte regelmässig Dokumentationsarbeiten für die Freiwillige Basler Denkmalpflege aus und war von 1939 bis 1959 als Hauswart am Stadt- und Münstermuseum angestellt. 

Auch in Riehen spielte ein verstärktes Denkmalbewusstsein als Reaktion auf den rasanten Wandel im Siedlungsbild eine wichtige Rolle beim Entschluss, für das neugestaltete Dorfmuseum ein historisches Siedlungsmodell anfertigen zu lassen. So wird im Führer, der 1992 zur Wiedereröffnung des Museums erschien, die Schaffung eines historischen Dorfmodells folgendermassen begründet: «Riehen war bis nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bauerndorf wie die meisten Dörfer in seiner Umgebung auch. Doch die Bauernhäuser mussten zum grössten Teil Geschäfts- und Wohnliegenschaften weichen. Nur noch wenige Orte lassen die einstigen dörflichen Häuserzeilen mit ihren Vorgärten und heimeligen Gässchen erahnen. Bald wird das Wissen, wie das ehemalige stolze Bauerndorf Riehen noch zu Beginn unseres Jahrhunderts ausgesehen hat, aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden sein.»11

VORARBEITEN UND AUSFÜHRUNG
In Riehen herrschten um 1990 für die Herstellung eines solchen Modells sehr gute Voraussetzungen: Das Historische Grundbuch war bis zu diesem Zeitpunkt so weit gediehen, dass für alle Liegenschaften des Dorfkerns einschliesslich des Oberdorfs Dossiers vorlagen, die es ermöglichen, die Bau- und Nutzungsgeschichte der einzelnen Bauten oft bis ins späte Mittelalter nachzuzeichnen. Allerdings sind für Riehen keine Vogelschaupläne und detaillierte Veduten aus der Frühen Neuzeit vorhanden12 und auch sonst ist bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die Überlieferung, was das genaue Aussehen der einzelnen Gebäude betrifft, sehr lückenhaft. Dies setzte «dem verständlichen Verlangen, den Zeitpunkt für das Modell möglichst früh anzusetzen, einen Riegel».13 

Als zeitlicher Fixpunkt wurde schliesslich das Jahr 1880 gewählt, weil erst für diese Zeit genügend Zeugnisse vorhanden sind für eine möglichst vollständige, massstabgetreue und zumindest in den Grundformen authentische Wiedergabe der Bebauung im historischen Zentrum des Dorfes. Für den Grundriss und die Parzellierung sowie für den Verlauf der Strassen, Wege und Bäche waren die detaillierten Katasterpläne von 1869/70 massgeblich, die im Hinblick auf die Schaffung des kantonalen Grundbuchs angefertigt worden waren. Als wichtigste Quellen für das Aussehen der Gebäude erwiesen sich die Baupläne, die im Kanton Basel-Stadt seit 1860 jedem Baubegehren beigelegt werden müssen. Unentbehrliche Hilfsmittel waren überdies die fortlaufenden Beschreibungen der Gebäude in den Lagerbüchern der 1807 gegründeten kantonalen Brandversicherungsanstalt sowie Fotos und Zeichnungen.

Allerdings sind für den fraglichen Zeitpunkt nur in den wenigsten Fällen Pläne aller Fassaden eines Hauses vorhanden. Deshalb musste Albin Kaspar aus späteren Umbauplänen, Fotos, Teilplänen und Beschreibungen viele Fassadenaufrisse rekonstruieren. Während zweier Jahre stellte er für jedes einzelne Gebäude eine Dokumentation zusammen und berechnete möglichst exakte Masse selbst für die einzelnen Bauteile. Von dieser langwierigen Arbeit zeugen noch heute sechs Bundesordner mit Unterlagen und Skizzen, die Kaspar zusätzlich zu den Hausdossiers im Historischen Grundbuch zusammenstellte und die heute wie diese in der Dokumentationsstelle der Gemeinde aufbewahrt werden.

Auf dieser Basis erstellte ein Modellbauer in Grellingen ein Rohmodell aus Holz im Massstab 1:300, das in einen grösseren Teil mit dem Unter- und Mitteldorf sowie einen kleineren Teil mit dem Oberdorf zerfällt und insgesamt eine Fläche von 4,2 Quadratmetern aufweist. Unter der Anleitung des mit der Gestaltung der Ausstellung betrauten Grafikers und Szenografen Florian Besset zeichnete die eigens dafür angestellte Grafikerin Susanne Gysin während eines ganzen Jahres nach den Vorgaben von Albin Kaspar alle Fassaden und Dächer neu und übertrug die Strichzeichnungen im Massstab des Modells mit Tusche auf ein Spezialpapier für Marinekarten. Anschliessend wurden die einzelnen Papierstücke auf die Holzflächen geklebt und mit Qualitätsfarbstiften koloriert. Zäune, Kamine und Lauben bildete man aus Papier oder Karton, Bäume aus Schwämmen nach.14

Beim historischen Dorfmodell von Riehen verzichtete man bewusst darauf, die Illusion zu erzeugen, sich ähnlich wie bei einem Historienfilm in eine frühere Zeit zurückversetzen zu können. Vielmehr wurden Gebäudeflächen, deren genaues Aussehen um 1880 durch keine Quellen erschlossen ist, im Rohzustand des Holzmodells belassen. Zudem reduzierte man mit Ausnahme der Basler Landgüter und der öffentlichen Bauten, die im Dorfbild besondere architektonische Akzente setzen, die Gebäude auf ihre wesentlichen Formen. Ebenso wurde darauf verzichtet, das Nebeneinander von neuen oder soeben umgebauten Häusern einerseits, renovationsbedürftigen oder gar baufälligen Gebäuden andererseits deutlich zu machen, da dies aufgrund der vorhandenen Quellen nur punktuell möglich gewesen wäre. Vielmehr erstrahlen fast alle Fassaden in einem leuchtenden Weiss, als ob das ganze Dorf erst kürzlich restauriert worden wäre. Diese Künstlichkeit ist durchaus gewollt, weil sie der Illusion einer Genauigkeit bis ins Detail, ja der exakten Nachbildung einer vergangenen Alltagswirklichkeit entgegentritt und das Modell als das erscheinen lässt, was es ist: eine möglichst genaue Rekonstruktion des baulichen Zustands zu einem bestimmten Zeitpunkt auf gesicherter oder zumindest gut begründeter Grundlage.

Aus dem gleichen Grund wurde das Gelände auf die Grundstrukturen Hofplatz, Verkehrsfläche, Gewässer, Garten und Acker reduziert und nicht weiter ausdifferenziert; eine beschränkte Anzahl von Bäumen steht stellvertretend für die Obstgärten und Parkanlagen. Im Unterschied etwa zum 1999 fertiggestellten Modell des Klosters Klingental im Museum Kleines Klingental in Basel, das auch einen Eindruck vom klösterlichen Leben im ausgehenden Mittelalter vermitteln will, sah man folgerichtig davon ab, auf dem Modell Menschen und Nutztiere bei ihren täglichen Verrichtungen zu zeigen. Ebenso sucht man vergebens nach Miststöcken, Holzstapeln, abgestellten Fuhrwerken oder anderen Zeugnissen des Alltags: Das Modell steckt nur den Rahmen ab, in dem sich das Leben um 1880 abspielte; es will also nicht etwas vorgaukeln, was es ohne Zuhilfenahme genrehafter Bildfloskeln gar nicht leisten könnte. 

EIN ABBILD RIEHENS AN DER SCHWELLE ZUR MODERNE
Auf dem historischen Dorfmodell erscheint die Kirche, obgleich sie fast am Rand der überbauten Fläche steht, als wichtiger Fixpunkt. Daran hat sich auch in der Zwischenzeit nichts geändert. Im Unterschied zum heutigen Dorfkern vermittelt das Modell aber aufgrund der zahlreichen, auf die gesamte Siedlungsfläche verteilten Bauernhäuser noch das Bild eines Dorfes, in dem die Landwirtschaft eine bestimmende Rolle spielt. Augenfällig ist dabei die soziale Differenzierung zwischen der von repräsentativen Gebäuden gesäumten Baselstrasse und der kleinteiligen, eher lockeren Bebauung im Oberdorf. Von dieser ländlichen Bauweise heben sich – sowohl in ihrer Grösse als auch aufgrund ihrer anspruchsvollen architektonischen Gestaltung – die traditionellen Landsitze von meist wohlhabenden Basler Familien ab. Ursprünglich als Sommersitze konzipiert, dienten sie ihren Besitzerfamilien damals meist ganzjährig als Wohnsitz, soweit sie in der Zwischenzeit nicht einer anderen Nutzung zugeführt worden waren. Auffallend sind überdies die öffentlichen Bauten, namentlich der erst 1879 eingeweihte Schulhausneubau am Erlensträsschen, sowie die im Geiste des Pietismus geschaffenen karitativen Anstalten, die sich in ehemaligen Landsitzen etabliert haben und teilweise mit markanten Neubauten in Erscheinung treten, etwa dem 1871 fertiggestellten Mutterhaus der Diakonissen mit angegliedertem Spital.

Im Dorfbild finden sich aber auch deutliche Spuren, die auf ein neues Zeitalter hinweisen. So hatte die 1862 eröffnete Wiesentalbahn eine Bresche geschlagen, die das Dorf in zwei ungleiche Hälften scheidet. Zudem sind an mehreren Stellen am Dorfrand Gewerbebetriebe und erste kleine Fabriken mit hohen Kaminen erkennbar, die davon zeugen, dass die Industrialisierung auch in Riehen Einzug gehalten hat. Nur schwer auszumachen sind dagegen die erst in jüngerer Zeit im Zuge der Bevölkerungszunahme entstandenen reinen Wohnbauten, da sie sich von ihrer landwirtschaftlich und kleingewerblich geprägten Umgebung noch kaum abheben.

Um den Besucherinnen und Besuchern die Orientierung zu erleichtern, wurden 24 ausgewählte Gebäude mit Leuchtpunkten markiert, die von einem Bedien-Tableau aus per Knopfdruck aktiviert werden können. Neben der Dorfkirche und dem Pfarrhaus, dem Meierhof und der Landvogtei – die beiden Letzteren Relikte des feudalistischen Zeitalters –, der Alten Kanzlei, den traditionsreichsten Gasthäusern und einem guten Dutzend zum Teil umgenutzter Landgüter sind dies auch Zeugen der jüngeren Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung wie die Bierbrauerei beim Lindenhof, die Ziegelei Mory und der Bahnhof.

In der neu konzipierten, 1992 wiedereröffneten Dauerausstellung zur Geschichte der Gemeinde war dem historischen Dorfmodell eine wichtige Funktion zugedacht: Es diente als zentraler Bezugspunkt für die einzelnen Abteilungen, etwa zur Landwirtschaft, den traditionellen Handwerken oder den Basler Landsitzen. Wohl aufgrund seiner ästhetischen Qualitäten und der sorgfältigen Ausführung wurde es in der ‹Riehener Zeitung› gar als «Prunkstück» der ganzen Ausstellung bezeichnet.15 Der didaktische Wert eines solchen historischen Modells wurde von Anfang an erkannt. «Auch Häuser erzählen Geschichte und Geschichten», heisst es dazu etwa in einem Beitrag im ‹Jahrbuch z’Rieche› zum neueröffneten Museum.16 In der Folge wurden daher immer wieder Führungen angeboten, bei denen das Modell im Zentrum stand, angepriesen etwa als «Spaziergang im historischen Dorfmodell» oder «Auf Entdeckungstour im Dorfmodell».17 

DEMONTAGE UND WIEDERHERSTELLUNG 
Anfang 2017 wurde die im Kulturgüterschutzraum untergebrachte Ausstellung zur Geschichte Riehens abgebaut, um Platz für Sonderausstellungen zu schaffen. Das historische Dorfmodell lagerte man zwischenzeitlich aus. Als sich abzeichnete, dass es nicht mehr an seinen angestammten Platz zurückkehren wird und auch im Konzept der neuen Dauerausstellung keinen Platz mehr hat, fasste der Gemeinderat auf Veranlassung der Dokumentationsstelle den Beschluss, das Modell im Gemeindehaus aufzustellen und damit wieder öffentlich zugänglich zu machen. Vorher musste es allerdings durch einen Modellbauer gereinigt und instand gestellt werden: Die Spitze des Kirchturms war abgebrochen, einige Bäume fehlten oder waren beschädigt und mussten repariert oder ergänzt werden, Zäune, Mauern und Dachflächen, die sich zum Teil gelöst hatten, mussten neu geklebt werden. Weiter wurden Unterbau, Bedien-Tableau und Beleuchtungseinrichtung erneuert. Auf den Ersatz der ehemals vorhandenen Glashaube verzichtete man hingegen, sodass nun die Betrachterinnen und Betrachter einzelne Gebäude ganz aus der Nähe betrachten können.

Auch am neuen Standort im ersten Stock des Gemeindehauses hinter der Treppe befindet sich das historische Dorfmodell in einer Umgebung, die vielfältige Bezüge erlaubt. Denn nur wenige Meter davon entfernt, einen Treppenabsatz weiter oben, steht schon seit Jahrzehnten ein Modell, das die heutige Situation des Riehener Dorfkerns ohne Oberdorf im Massstab 1:200 zeigt und anhand der bewilligten Baubegehren nachgeführt wird. Das gilt auch für ein drittes, im Keller des Gemeindehauses aufgestelltes Modell, das von 1964 bis 1966 angefertigt wurde und die Gemeinden Riehen und Bettingen im Massstab 1:1000 darstellt. Diese beiden Modelle haben auch im digitalen Zeitalter mit allerorten eingesetzten 3-D-Visualisierungen ihre Bedeutung als Hilfsmittel in der Ortsplanung und Siedlungsentwicklung behalten. Das Modell des Dorfkerns bietet etwa die Möglichkeit, geplante Gebäudekuben einzubauen und so die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Umgebung im kleineren Massstab zu veranschaulichen. Das grosse Modell im Keller dagegen dient vor allem der grossräumigen Planung. Es kam beispielsweise 2013 bei der öffentlichen Planauflage der Zonenplanrevision Riehen zum Einsatz und wurde für diesen Zweck in die Bauabteilung im ersten Stock des Gemeindehauses gezügelt.18

Auch das historische Dorfmodell erfüllt nach seiner Entfernung aus dem Museumskontext, für den es ursprünglich geschaffen wurde, weiterhin eine wichtige Funktion. Dank dem Vorhandensein eines minutiös erarbeiteten Historischen Grundbuchs, wie es andere Gemeinden nicht kennen, und den akribischen Vorarbeiten von Albin Kaspar ist es wohl das am besten dokumentierte historische Ortsmodell, das je in der Schweiz gebaut wurde. Im Gegenzug kann es gerade aufgrund dieser Genauigkeit und Zuverlässigkeit dem Autorenteam, das auf der Basis der Unterlagen des Historischen Grundbuchs die Reihe ‹Häuser in Riehen und ihre Bewohner› erarbeitet, immer wieder helfen, den Kontext eines einzelnen Gebäudes schneller zu erfassen. Das historische Dorfmodell wird auch herangezogen, um das Aussehen eines abgegangenen Hauses, zu dem nur unzureichende historische Abbildungen vorliegen, für Leserinnen und Leser anschaulich zu machen. Dies ist im vierten Heft, welches das Mitteldorf rund um die Schmiedgasse behandelt und voraussichtlich im Herbst 2022 erscheinen wird, besonders wichtig, weil in diesem Bereich die heutige Bebauung vorwiegend aus dem 20. Jahrhundert stammt.

Dank ihrer Anschaulichkeit eignen sich alle drei Modelle überdies für den Schulunterricht, worauf auch in den 2012 erarbeiteten didaktischen ‹Arbeitsmaterialien Heimatkunde Riehen› hingewiesen wird.19 Letztlich sind sie aber all denen von Nutzen, die sich für die Siedlungsentwicklung in Riehen interessieren. Die Modelle können ohne Voranmeldung während den Öffnungszeiten des Gemeindehauses besichtigt werden.

 

1
Für Auskünfte und Hinweise bedanke ich mich bei Albin Kaspar, Aesch.

2
Albin Kaspar: Häuser in Riehen und ihre Bewohner, Heft 1, Riehen 1996, S. 4f.; Stefan Hess: Fritz Lehmanns Lebenswerk, in: Riehener Zeitung, 12. September 2014; Albin Kaspar: Unermüdlicher Sammler und Erforscher der Riehener Geschichte, in: z’Rieche 2017, S. 116–121.

3
Albin Kaspar et al.: Das Dorfmuseum. Zur Entstehungsgeschichte, in: Spielzeugmuseum, Dorf- und Rebbaumuseum Riehen (bei Basel), Braunschweig 1992, S. 99–121, hier S. 108.

4
Alexander Freiherr von Reitzenstein: Die alte bairische Stadt dargestellt an Modellen des Tischlermeisters Jakob Sandtner, gefertigt in den Jahren 1568–1572 im Auftrag von Herzog Albrecht V. von Bayern, München 1967.

5
Lucas Burkart: StadtAnsichten. Der Basler Stadtplan von Matthäus Merian d. Ä. aus dem Jahr 1615/17, in: Esther Baur Sarasin / Walter Dettwiler (Hg.): Bildgeschichten. Aus der Bildersammlung des Staatsarchivs Basel-Stadt 1899–1999, Basel 1999, S. 60–63.

6
Valentin Kockel: Stadtvisionen. Rekonstruktion antiker Stadtbilder von Rom bis Priene, in: Uta Hassler / Winfried Nerdinger (Hg.): Das Prinzip Rekonstruktion, Zürich 2010, S. 124–143.

7
Heute ist das ‹Relief Magnin› im Maison Tavel in Genf ausgestellt.

8
Heute im Nidwaldner Museum, Salzmagazin,
in Stans.

9
Marcel Mayer: Schlatter, Salomon, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 06.05.2011, URL: hls-dhs-dss.ch/de/articles/ 042386/2011-05-06/, Zugriff: 16.06.2021.

10
Heute im Museum Kleines Klingental in Kleinbasel.

11
Kaspar, Dorfmuseum, S. 107f.

12
Lucas Wüthrich: Riehens Topographie im 17. und 18. Jahrhundert, in: z’Rieche 1962, S. 67–84.

13
Kaspar, Dorfmuseum, S. 108.

14
E-Mail von Florian Besset, 28. Juni 2021.

15
Riehener Zeitung, 27. März 1992.

16
Vera Stauber / Franziska Mathis: Museum
im Wettsteinhaus. Zur Neugestaltung des Spielzeugmuseums und des Dorf- und Rebbaumuseums Riehen, in: z’Rieche 1992, S. 106–115, hier S. 112.

17
Riehener Zeitung, 24. April 2009 und
31. Mai 2013.

18
Auskunft von Katrin Kunst, Planungs-
assistentin in der Abteilung Bau, Mobilität
und Umwelt der Gemeinde Riehen.

19
Abrufbar unter URL: www.edubs.ch/
publikationen/material/, Zugriff: 16.06.2021.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2021

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