Ein gerüttelt Mass an Innovation

David Thommen

Einst Inbegriff für einen Wein aus heimischem Boden. Heute verbindet sieh mit dem Namen RieslingxSylvaner eine ganze Produktepalette - und an Ideen fehlt es den Weinbauern nicht.


«Wir machen das, was wir am besten können», meinten noch vor zehn Jahren die Rebbauern der Region mit dem Brustton der überzeugung. Und am besten konnten sie das, was sie schon immer gemacht hatten. Im Wesentlichen eine Sorte Weissen und eine Sorte Roten; meist Riesling xSylvaner und Blauburgunder. Zwei Gewächse, die auf den Böden der Region bestens gedeihen und vom zuweilen ruppigen Klima erst so richtig zu guten Resultaten «angespornt» werden. Ohne etwas «Stress» geht auch bei den Reben nichts.


Gute Resultate können die Produzenten in der - oft etwas verkannten - Weinbauregion um Basel also schon längst vorweisen. Allerdings werden vergleichsweise bescheidene Mengen produziert. Und das Argument «Heimat» besass Zugkraft genug, damit sich die Lager in der Vergangenheit ganz von alleine leerten. Werbung oder Innovation brauchte es kaum.


Innert kurzer Zeit haben nun aber viele Weinbauern in der Nordwestschweiz umgedacht - oder wurden durch das Europa der geöffneten Weinschleusen zum Umdenken gezwungen. Der Schweizer Markt hat an Schutz verloren und wird mit Importwein überschwemmt. Was den heimischen Produzenten anfangs sicher nicht schmeckte, freut die Konsumenten umso mehr: Die Konkurrenz belebt das

Geschäft und weckt in der weingeographischen Ostschweiz (wozu Riehen gehört!) eine bisher kaum gekannte Experimentierlust.


Wein ist unter dem Einfluss der überseeindustrie zum Lifestyle-Produkt geworden. Wer die neuen Trends auch nicht ansatzweise nachvollzieht, wird - Heimvorteil hin oder her - in absehbarer Zeit um seine Existenz bangen müssen. Dazu verlangt der Gaumen der immer verwöhnteren Verbraucher nach bester Qualität zu zahlbaren Preisen - und nach Abwechslung.


«Bei uns ist Rebbau immer noch Kultur, in übersee ist er eine Industrie», sagt Jakob Kurz, Rebchef von Riehen und gleichzeitig Präsident des Nordwestschweizer Weinproduzentenverbandes. Es sei ein verlorener Kampf, sich in direkte Konkurrenz mit der Neuen Welt begeben zu wollen. Die hiesigen Weinproduzenten müssten ihren eigenen Stil betonen und höchste Qualität produzieren, um sich auf dem Markt behaupten zu können.


Der eigene Stil könne aber keinesfalls «Landwein» heissen. Denn von diesem Image, das bei den Konsumenten kaum positive Gefühle wecke, müsse man endgültig wegkommen. Genau genommen sei in Riehen seit der Wiederbe

lebung des Rebbaus vor zwanzig Jahren gar nie der klassische, ostschweiztypische «Landwein» produziert worden. Im vergangenen Jahrzehnt mit den wundersam guten Wetterbedingungen und den recht kleinen Erträgen (rund 800 Gramm pro Quadratmeter) habe man jeweils ein hohes Niveau erreicht.


Doch das reicht längerfristig nicht aus, um die Kundschaft bei der Stange zu halten. Besser noch als nur das Solide ist das solid Spezielle. «Heute verkauft sich der Wein nicht mehr von alleine, man muss auch dafür arbeiten», sagt der Rebchef. Deshalb hat sich Kurz als Angestellter der

Gemeinde Riehen im drei Hektaren grossen Rebberg an die Arbeit gemacht, um den Geschmack eines breiteren Publikums künftig besser treffen zu können. Neuerungen gibt es, wo man hinschaut; am augenfälligsten beim Sortiment, das immer breiter wird. Nebst Weissem, Rotem und Rosé wurde vor einigen Jahren ein Schaumwein auf den Markt gebracht, von dem mittlerweile jährlich rund 1500 Flaschen abgesetzt werden. Kurz ist froh über dieses Produkt, das mithilft, die Fässer mit dem RieslingxSylvaner-Most zu leeren. Denn der einst so beliebte Weisswein, der nun teilweise bei einer Firma in der Ostschweiz zum prickelndfrischen Getränk «gerüttelt» wird, ist in seiner traditionellen Fasson etwas ausser Mode gekommen.


«Beim RieslingxSylvaner ist der Konsum rückläufig», so Kurz. Riehen trägt dieser Entwicklung nun Rechnung. Der ursprüngliche Bestand im Gemeinde-Rebberg von 115 Aren wurde kürzlich auf 90 Aren reduziert. Neu angepflanzt werden stattdessen Sauvignon Blanc, die LoireTraube, die einen Siegeszug rund um die Welt hinter sich hat, sowie die Sorte Pinot Blanc (Weissburgunder). Jakob Kurz: «Aus diesen Sorten lassen sich in unserer Region Topweine herstellen.»


Die beiden neuen Weissen (sie werden in zwei bis drei Jahren erstmals eine brauchbare Ernte ergeben) sollen aber Nischenprodukte bleiben. Genau gleich wie eine weitere Spezialität, an die sich der Kellermeister - der Wein der Gemeinde wird bei Coop in Basel gekeltert - kürzlich erstmals mit Riehener Traubengut heranwagte: «Vin de Liqueur». Eine kühl zu geniessende «Schleckerei», die mit Portwein verglichen werden kann.


Verwendet wurde dafür sehr reifes, ansatzweise rosiniertes Traubengut mit einem hohen Zuckergehalt. Die Trauben werden bei der Herstellung nur zum Teil vergoren. Ist der Zucker etwas mehr als zur Hälfte abgebaut (bei rund 40 öchslegrad), wird der Gärprozess mit reinem Alkohol gestoppt. Es resultiert ein angenehm süsslicher Wein mit rund 15 Volumenprozent Alkohol, der anschliessend ins Eichenfass gepumpt wird und dort während eines Jahres ruht. 400 Halbliterflaschen wurden im vergangenen Herbst aus der Coop-Kellerei angeliefert, die Hälfte davon ist mittlerweile weg: «Die Leute finden diesen Wein toll», so Kurz. Er bringe zusätzliche Kundschaft in den Verkaufsladen an der Riehener Rössligasse. Und wer erst einmal drinnen ist, geht meist nicht bloss mit einem «Halbeli» wieder weg, sondern nimmt die eine oder andere Flasche des «normalen» Weins mit. Auch Vielfalt belebt das Geschäft.


Der «normale» Wein aus dem Riehener Schlipf wird in Zukunft mit weiteren Spezialitäten seinen Platz auf der Sortimentenliste teilen müssen. Ihren Gefallen haben der Rebchef und der Kellermeister an der Barrique gefunden, dem Fass aus Eichenholz, das bei der Weinherstellung etwa im Bordeaux (aber auch in der Neuen Welt) nicht wegzudenken ist. Der Most der Blauburgundertrauben des Jahrgangs 2000 von speziell guten Lagen wird derzeit erstmals

in den kleinen, angerösteten Fässern veredelt. Auch bei einem Teil des RieslingxSylvaners leistet der Küfer seinen Beitrag zur Geschmacksbildung. Auf den Markt kommen die beiden neuen Produkte im November 2001.


Der Ausbau des Rotweins im Eichenfass gehört mittlerweile in mehreren Nordwestschweizer Gemeinden schon zum guten Ton. In Aesch beispielsweise wurde sogar Eichenholz aus heimischen Wäldern verwendet. In Riehen wird vorerst auf das bewährte Holz aus französischen Wäldern zurückgegriffen. «Der Ausbau des Blauburgunders im Eichenfass ergibt geschmacklich einen <anderen> Wein», so Kurz. Dazu wird der Wein besser haltbar und entwickelt sich nach der Abfüllung während mehrerer Jahre zum Positiven. Bereits beim formidablen 91er-Jahrgang hatte man (mit einem kleineren Posten) mit der Barrique experimentiert. Kürzlich hat Kurz eine solche Flasche geöffnet: «Da denkst du nicht, dass du einen Riehener im Glas hast.» Erinnert wurde er eher an einen Burgunder, in dem ebenfalls ein Blauburgunder (Pinot Noir) steckt. Auf die neuen BarriqueJahrgänge darf man also gespannt sein.


Neue Traubensorten, neue Methoden im Keller - was trotz Innovation beim Alten bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Weinbau arbeitsintensiv ist. Rund 800 Stunden Arbeit erfordere die Bewirtschaftung einer Hektare Rebfläche jedes Jahr, schätzt Kurz, der auf die Mitarbeit seiner Frau Gaby zählen kann. Unterstützt wird das Paar von freiwilligen Helfern. Das Resultat aus dem gemeindeeigenen Rebberg: 20000 bis 25000 Flaschen gefüllt mit «flüssiger Heimat» - rund eine Flasche Wein pro Einwohnerin und Einwohner. Einige tausend weitere Flaschen mit dem «Riehener» werden direkt von Coop vertrieben.


«So viele Einwohner in der Region und so wenig Weinbau - Absatzprobleme sollte es da eigentlich nicht geben», sagt Urs Rinklin, der zweitgrösste Produzent des «Schlipfers» (daneben gibts noch einige «Hobby-Rebbauern»). 1999 übernahm der heute 25-jährige önologe in dritter Generation das Weingut seines Vaters in Pacht - mit vielen neuen Ideen im Kopf. Einen wichtigen Plan hat er bereits in die Tat umgesetzt: Die Trauben, die im Gebiet Schlipf wachsen (zum grösseren Teil auf deutschem Boden), werden neuerdings in Riehen gekeltert. Die Kellerei hat er im ehemaligen Weinlager des Hofes eingerichtet. 8000 Flaschen 99er und 10000 Flaschen des 2000ers konnte er mittlerweile abfüllen - alles aus eigener Hand. Zuvor war der «Schlipfer» der Familie Rinklin ebenfalls in der Coop-Kellerei hergestellt worden.


Rinklin ist Herr über 1,4 Hektaren Rebland, auf dem als Hauptsorte Blauburgunderstöcke stehen. Rotwein sei im Trend, sagt er, Weisswein nicht. Deshalb will er die derzeit 33 Aren grosse Fläche mit Riesling xSylvaner schrittweise um mehr als die Hälfte reduzieren, beim Gutedel geht er von 18 auf 10 Aren zurück. Auf dem frei gewordenen Platz will Rinklin für die Region mehrheitlich neue Sorten anpflanzen. Beim Rotwein hat er bereits damit begonnen:

Diolinoir heisst das 1970 im Wallis «geborene» Gewächs, das mit der Pinot-Noir-Traube verwandt ist. Rinklin kann sich vorstellen, diesen recht «dichten» Wein in einer ersten Phase dem Blauburgunder zuzusetzen, um diesem mehr Fülle zu verleihen. Danach werde er den besonderen Tropfen womöglich sortenrein anbieten. Doch noch brauchts Geduld bis zur ersten richtigen Ernte, die Stöcke stehen noch nicht im Ertrag. Später möchte der junge Weinbauer zusätzlich einen «echten» Biowein herstellen. Welche resistente Sorte er anbauen will, weiss er noch nicht. Im Gegensatz zum herkömmlich produzierten Bioweinbau möchte

er für diesen speziellen Tropfen ganz und gar auf Spritzmittel verzichten.


Urs Rinklin hat schon im ersten Jahr Barrique-Wein in sein recht breites Sortiment (er bewirtschaftet auch eine Fläche mit Chardonnay) aufgenommen. Und auch «Suuser» aus Riesling xSylvaner stellt er her. Rund 200 Liter davon möchte er diesen Herbst absetzen. Der «Suuser» könne dazu beitragen, den Namen Rinklin im Zusammenhang mit dem Weinbau wieder bekannter zu machen, hofft er. Denn dass es in Riehen neben der Gemeinde einen zweiten grösseren Produzenten gibt, sei vielen Einwohnern gar nicht mehr bewusst. Die kleinen Mengen, die auf diesem Gut einst produziert worden sind, seien meist schon innert kürzester Zeit ausverkauft gewesen. Marketing und Innovation hatten die Weinbauern der Nordwestschweiz bis vor kurzem eben noch nicht nötig. Doch dann haben sie umgedacht oder wurden durch das Europa der offenen Weinschleusen dazu gezwungen.


Riehen gilt als «frühe Weinlage» der Region. Die Gemeinde hat eine 1200 Jahre alte Weinbautradition. Mit einer Fläche von gegen 70 Hektaren wurde einst die maximale Ausdehnung erreicht. Die Reblaus, die Industrialisierung, der zunehmende Weinimport und nicht zuletzt die Konkurrenz durch das Bier gaben dem hiesigen Weinbau (fast) den Rest. Als die Gemeinde Riehen 1978 beschloss, dem Weinbau wieder auf die Beine zu helfen, war die Anbaufläche im Schlipf auf 0,4 Hektaren geschrumpft. Heute betreibt die Gemeinde auf dem lehmigen, wasserspeichernden Boden auf einer Fläche von rund drei Hektaren Weinbau nach den Regeln der Integrierten Produktion (IP). Weinbauer Jakob Kurz (sein Vater hat das Aescher «Tschäpperli» bewirtschaftet), der seit 1979 von der Gemeinde angestellt ist, fasst seinen Auftrag etwas weiter als andere Weinbauern: Er vermittelt Wissenswertes rund um den Wein. Entlang des Ritterwegs hat er einen Lehrpfad mit rund fünfzig verschiedenen Traubensorten eingerichtet, der jeweils im Herbst ein beliebtes Ziel ist.


Der «Riechemer Schlipf» der Gemeinde kann jeweils am Freitag an der Rössiigasse 6! (oder in einigen Coop-Filialen) gekauft werden. Im Weinlager wird ein neuer Degustationsraum zur Verfügung stehen. Urs Rinklin verkauft den Wein direkt ah Betrieb. Verkauf und Degustation in der Regel am Samstag. «Schlipfer» wird auch in diversen Restaurants und Läden verkauft.


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2001

zum Jahrbuch 2001