Ein Leben für die Literatur

Nathalie Reichel

Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, doch sein Herz schlägt für Riehen. Die Antike, das Reisen, die Begegnung mit anderen Kulturen, vor allem aber die Welt der Literatur faszinieren den 80-jährigen Schriftsteller Valentin Herzog. Als Gründer des Vereins ‹Arena Literaturinitiative› organisiert er zudem seit 40 Jahren literarische Highlights in Riehen. Dafür erhielt er den ersten Preis seines Lebens: den Kulturpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2020. 

Valentin Herzog wusste schon immer, dass er einmal Bücher schreiben will. Sein erstes Werk verfasste er noch während seiner Schulzeit, er übertrug dafür ein griechisches Sagenmotiv in die Gegenwart. «Ein furchtbar schwülstiges Drama», kommentiert der Autor lachend. Das Manuskript, wovon er damals drei Exemplare auf der Schreibmaschine anfertigte, schickte er an die Münchner Kammerspiele. «Ich sah mich damals schon auf dem Spielplan stehen», schmunzelt Herzog. Was als Rückmeldung zurückkam, war aber eine freundliche Absage. «Ich dachte: Die kommen nicht draus!» Damals sei er sehr enttäuscht gewesen. 

Heute, 65 Jahre später, wird er von der Gemeinde Riehen mit dem Kulturpreis des Jahres 2020 geehrt für seine Tätigkeit als Schriftsteller und Begründer der ‹Arena Literaturinitiative›, oder anders ausgedrückt: als Literaturschaffender und Literaturvermittler. «Ich war sehr überrascht, als ich den Anruf von Herbert Matthys, dem Präsidenten der Kulturpreisjury, bekam», sagt Herzog. Ein lustiger Zufall habe den Überraschungseffekt verstärkt und zugleich für leichte Irritation am Telefon gesorgt: «Ich sass gerade am Schreibtisch. Als ich ‹Matthys› auf dem Display sah, dachte ich, es sei Peter Mathys, ein alter Freund von mir – ich begrüsste ihn ganz jovial. Als sich dann herausstellte, dass ein anderer Matthys am Apparat war, herrschte kurz betretenes Schweigen.» Dann habe er sich sehr gefreut. Die gute Nachricht wollte er aber erst einmal für sich behalten und teilte sie einige Tage später zuerst mit dem Vorstand der Arena. «Ich habe das Gefühl, dass ich den Preis gewissermassen auch stellvertretend für die anderen Arena-Vorstandsmitglieder, die schon seit vielen Jahren dabei sind oder früher viel geleistet haben, entgegennehmen darf», sagt der Kulturpreisträger.

SCHREIBEN ALS ZENTRUM DES LEBENS
Dabei wird Valentin Herzog bei Weitem nicht nur im Zusammenhang mit dem Riehener literarischen Verein geehrt. Der in Erfurt geborene Schriftsteller studierte in München und Hamburg Germanistik, Film- und Theaterwissenschaft und Geschichte sowie in Basel italienische Philologie. Ebenda promovierte er als 28-Jähriger und arbeitete danach als Lehrer für Deutsch und Geschichte grösstenteils am Gymnasium Bäumlihof. Schreibtätigkeit und Liebe zur Literatur begleiteten ihn lebenslang: Anfang der 1970er-Jahre begann Herzog, für die damalige ‹National-Zeitung› und die ‹Weltwoche› zu schreiben – meist Artikel über literarische Veranstaltungen, Buchrezensionen und Reiseberichte. Reisen tat und tut er immer noch gerne – als Berufstätiger nahm er sich zweimal ein Sabbatical und reiste mit seiner Frau nach Italien und Marokko. Beide Aufenthalte hielt er schriftstellerisch fest, einmal in Form eines Erfahrungsberichts mit dem Titel ‹Bastarde der Wölfin› und einmal erzählerisch in den beiden Bänden ‹Karims Café› und ‹Alifas Zeichen›. Italien spiegelt sich auch in Herzogs Erstlingsroman ‹Das geraubte Gesicht›, der in einem kleinen Städtchen namens Tuscania spielt und 2011 veröffentlicht wurde. Seit 20 Jahren engagiert sich der Riehener Kulturpreisträger ausserdem als Lektor im Basler Verein ‹Lektorat Literatur›.

Ob Reiseberichte, journalistische Artikel oder Romane: Valentin Herzog schreibt viel. Und er schreibt gern. Doch was ist für ihn das Schreiben? – Viel mehr als nur ein Hobby, sogar mehr als eine Leidenschaft. «Es ist das Zentrum meines Lebens», sagt er nach kurzem Überlegen, «es ist das, was mir Auftrieb und Lebensfreude gibt.» Herzog liebt das Gefühl, etwas zu gestalten und allmählich entstehen zu lassen. Er schreibe «sehr langsam» und nicht wirklich nach Plan – gehöre nicht zu den Autoren, die von Anfang an wissen, was in der Handlung wann passieren werde. Meistens habe er aber eine Idee und eine ungefähre Ahnung, worauf er hinaus möchte. «Die Idee entwickelt sich dann weiter und ich schaue einfach, was die Figuren tun – manchmal machen sie auch ganz eigenwillige Dinge», lacht Herzog, räumt dann aber ein, dass das keine rationelle Art zu schreiben sei. Es komme nicht selten vor, dass seitenweise Geschriebenes im Abfall lande. 

Anders sieht es zum Glück mit seinem nächsten Roman aus, der eher gewachsen als geschrumpft ist. «Das war ursprünglich eine ganz kurze, 30-seitige Erzählung, an der ich immer weiter herumgebastelt habe, bis die einzelnen Figuren schliesslich mehr und mehr Gewicht bekamen», erzählt Valentin Herzog. Und so wurden aus den 30 Seiten bald 200. Auch hier stand zu Beginn eine bestimmte Idee: «Eine Geburtstagsgesellschaft in München, an der vier Generationen anwesend sind.» Herzogs Augen glänzen. «Die Figuren sind der deutschen Geschichte verhaftet, zum Beispiel der Kaiserzeit oder dem Nationalsozialismus.» Die Handlung spielt also am Ort, wo der Autor seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Allzu viel möchte er jedoch nicht verraten – das Buch werde voraussichtlich Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres veröffentlicht – doch einen Hinweis gibt er noch: Es geht um die Geschichten der einzelnen Personen, um Geschichten aus ihrer Vergangenheit.

«RIEHEN IST MEIN ORT»
Stichworte Kindheit, Deutschland, Nationalsozialismus: Valentin Herzog ist inmitten des Zweiten Weltkriegs geboren und in Deutschland aufgewachsen. Seine Erinnerungen an den Krieg selbst sind aber sehr vage. Dessen Ende habe er in Oberstdorf im Allgäu als vierjähriger Junge erlebt: «Ich erinnere mich noch an die Tieffliegerangriffe über unserem Dorf und an den Einzug der französischen respektive marokkanischen Truppen. Und daran, dass später die Amerikaner kamen und Kaugummis verteilten.» Die Nachkriegsjahre verbrachte Herzog in München, wo seine Eltern, beide Psychotherapeuten, Fuss zu fassen versuchten. Es war eine Zeit «äusserst bescheidenen Lebens», wie er sagt.

In dieser Zeit lernte er Riehen kennen, seinen «sehr geliebten Wohnort», wie er ihn heute bezeichnet. Im Jahr 1947 besuchte er zusammen mit seiner Mutter seine Grossmutter, seine Tanten und Cousins, die hier lebten. An diesen Aufenthalt erinnert sich Valentin Herzog noch ganz genau: «Wir kamen nach einer 24-stündigen Zugreise an und ich bekam als Willkommensgeschenk eine Tafel Schokolade. Die Grossen sassen am Tisch und unterhielten sich, und kurze Zeit später fragte mich eine Tante: ‹Und, war die Schokolade gut? Wo ist sie überhaupt?› Ich sah mich um. Ich hatte die ganze Tafel kurzerhand aufgegessen!» Herzog lacht herzhaft. «Das war damals so etwas Sensationelles für uns.» Nach seiner Schul- und Studienzeit zog er im Jahr 1965 nach Riehen, wo er seine Frau kennenlernte und mit ihr drei Söhne bekam.

Heute lebt der Witwer noch immer in Riehen, im Eigenheim an der Morystrasse. Das ‹grosse grüne Dorf› wollte er seit seinem Umzug vor 56 Jahren nicht mehr missen – in seine alte Heimat kehrte er nur noch sporadisch zurück, um seine Eltern zu besuchen. Inzwischen ist der 80-Jährige in Riehen fest verwurzelt und fühlt sich hier zu Hause. Davon zeugen nicht nur sein perfektes Baseldeutsch, das in den 1970er-Jahren erworbene Bürgerrecht und sein lokales Engagement, sondern vor allem seine Worte. «Riehen
ist mein Ort», sagt er stolz. Trotzdem hat Riehen in Herzogs literarischem Werk bis auf die Kurzgeschichte ‹Mein Graf› im ‹Jahrbuch z’Rieche 1980› (noch) keine Spuren hinterlassen. Das sei aber kein bewusster Entscheid gewesen, erklärt der Schriftsteller, es habe sich bisher bloss noch nicht ergeben.

DIE ANTIKE WELT UND ANDERE FREIZEITAKTIVITÄTEN
Nicht aus seinem Leben wegzudenken ist ein weiteres grosses Kapitel, eine Leidenschaft, die er Anfang der 1980er-Jahre entdeckt hat: die Kultur der alten Etrusker. Valentin Herzog steht auf und zieht vorsichtig ein kleines Buch aus dem Regal neben seinem Schreibtisch. ‹Zu den Etruskern unterwegs›, steht auf dem Cover. Dann zeigt er auf mehrere etruskische Figürchen und Objekte, die in einem anderen Regal hinter einer Glasscheibe aufgestellt sind. Fasziniert hätten ihn die Etrusker schon in der Kindheit, doch sich richtig damit zu beschäftigen, begann er, als ein Freund ihn fragte, ob er mit ihm auf eine Italien-
reise kommen und deren kulturelles Programm organisieren wolle. Auf dieser Reise basiert auch das 1986 entstandene Buch, das als Reiseführer zu verstehen ist. «Seither haben mich die Etrusker nicht mehr losgelassen», sagt Herzog zufrieden. Es folgten noch mehr Reisen in etruskische Gebiete. 

Überhaupt war und ist die Antike in Valentin Herzogs Leben sehr präsent. «Ich war schon als Kind dieser Welt verhaftet», verrät er und erinnert sich an Spaziergänge mit seinem Vater, der ihm «endlose Geschichten aus der Odyssee» erzählt habe. Später besuchte er ein humanistisches Gymnasium und lernte Latein und Altgriechisch. In seinem zusammen mit Katja Fusek verfassten Werk ‹Mare blu› griff er Odysseus’ Heimreise auf, und – Herzog ist auch Objektgestalter – selbst seinen Kunstwerken verleiht er altgriechische Namen. Altertumswissenschaften studieren wollte er aber nicht. «Archäologie wäre vielleicht noch infrage gekommen, aber gerade in der Zeit der Studienwahl hat mich die Literatur sehr beschäftigt, weswegen ich mich für Germanistik entschieden habe», erklärt er und überlegt kurz. «Die Welt der Antike war für mich eher ein Hobby. Eine Passion.» 

Und so machte Herzog die Lehre zum Beruf. «Ich war aber kein fanatischer Lehrer», räumt er ein, «so wie einige meiner Kollegen.» Es sei eine gute Erfahrung gewesen, sich mit jungen Menschen auseinanderzusetzen und ihnen Werte der Literatur vermitteln zu dürfen. Doch der Lehrerberuf sei nicht mehr als eine befriedigende Art gewesen, sein täglich Brot zu verdienen. Immer begleiteten ihn seine Hobbys, Leidenschaften und Freizeitbeschäftigungen. Die wohl grösste und konstanteste, die bis heute nicht aus seinem Leben wegzudenken ist und für die er von der Gemeinde geehrt wurde, ist die Arena. 43 Jahre lang – das ist mehr als die Hälfte seines Lebens.

Zurück also ins Jahr 1978, als die Arena Literaturinitiative ins Leben gerufen wurde. Wie kam Valentin Herzog auf die Idee, in Riehen literarisch etwas auf die Beine zu stellen? «Gar nicht», antwortet er ehrlich. Es habe ihn damals jemand aus der Gemeindepolitik angefragt, wohl weil er eine Person gewesen sei, die sich auf dem Gebiet der Literatur ausgekannt habe, vermutet Herzog. Der Gedanke dahinter: Man müsse etwas für die literarische Kultur in Riehen machen. So gründete Herzog die Arena – damals noch als Kommission des Verkehrsvereins Riehen, erst ab 2000 als Verein – und organisierte erste Literaturveranstaltungen. Mehr Informationen zur Geschichte der Arena sowie Fotos finden sich im letztjährigen ‹Jahrbuch z’Rieche› – Valentin Herzog schrieb anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums der Arena den Artikel ‹Im Dienst des Wortes›. Das Ziel des Vereins sei ein doppeltes, erzählt er weiter. «Einerseits möchte ich den Menschen in meinem sehr geliebten Wohnort Begegnungen mit interessanten literarischen Figuren ermöglichen, andererseits junge, unbekannte Literaturschaffende fördern, indem ich ihnen die Möglichkeit der Begegnung mit einem Publikum gebe.» 

Natürlich sassen in diesen Jahren aber auch schon viele renommierte Autorinnen und Autoren in der Arena. Valentin Herzog erinnert sich ganz genau an eine Lesung mit Luise Rinser: «Da kamen so viele Leute, dass wir sie in die Dorfkirche lotsen mussten – und die wurde bis zum letzten Platz voll!» Viel Zeit ist seither vergangen, doch all die Jahre engagierte sich Valentin Herzog unermüdlich und nicht minder begeistert für den literarischen Verein: «Für mich ist die Arena neben dem Schreiben ein wichtiger Teil meiner Leidenschaft für die Literatur und ich bin dankbar, dass ich dieser Arbeit trotz meinem Alter noch nachkommen kann, denn sie bringt mir die kostbarsten menschlichen Begegnungen.»

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2021

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