Ein Radsportverein mit grosser Geschichte


Rolf Spriessler-Brander


Der Velo-Club Riehen wurde 1934 auf Initiative von Ernesto Cenci gegründet und hatte bald sportlich und als Organisator Erfolg. Heute ist der Verein vor allem im Breitensport und immer noch als Veranstalter bedeutend. Im Mai 2016 wurde der VC Riehen mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2015 ausgezeichnet.


Den Velo-Club Riehen zu porträtieren, ist keine leichte Sache. Unzählige Geschichten und Anekdoten ranken sich um die Mitglieder des Vereins. Und mindestens zwei Grundfacetten sind zu erkennen. Da gibt es einerseits den von einem Veloenthusiasten gegründeten Pionierverein, der bereits in seinen Anfangsjahren national Erfolge feierte und Anlässe mit Weltklasseathleten und grossem Publikum organisierte. Es war eine Zeit, als Velorennen noch Abenteuer bedeuteten, als die Fahrer ihre Velos unterwegs noch selber flickten, wenn es einen Platten gab, die ganze Verpflegung selbst mitnahmen und sich Zeitungen unters Leibchen stopften als Kälteschutz. Und da gibt es zweitens den Verein, der heute den Breitensport ins Zentrum stellt und sich als Organisator die Förderung des Nachwuchses auf die Fahne geschrieben hat. Doch eins nach dem anderen.


Ernesto Cenci als Vereinsgründer


Gegründet wurde der Velo-Club Riehen im Jahr 1934, als der damals 19-jährige Ernesto Cenci in Riehen seine eigene Veloreparaturwerkstatt eröffnete, in einer Garage am Erlensträsschen. Erster Präsident wurde Julius Botti. Ernesto Cenci kümmerte sich um den Sportbetrieb. Als Sohn italienischer Einwanderer 1915 in Basel geboren, musste sich Cenci in einer kargen Epoche hochrappeln und verdiente schon als Schüler Geld, indem er frühmorgens Zeitungen austrug. Das Veloreparieren und den Rahmenbau hatte er bei seinem Onkel in Italien gelernt, der in ihm wohl auch die Begeisterung für den Radrennsport geweckt hatte. Cenci war ein talentierter und erfolgreicher Amateur-Radrennfahrer und gewann 1938 als einen seiner Höhepunkte die Nordwestschweizer Rundfahrt. Beim VC Riehen schaffte er es schnell, einige aufstrebende Fahrer um sich zu scharen.


Mit Disziplin, Fleiss und Tatkraft brachte Ernesto Cenci sein Velogeschäft voran. Sein Rennrad konstruierte er selbst. Es war von der Rahmenkonstruktion und vom Gewicht her auch im Vergleich zu den heutigen, modernen Velos auf einem beachtlichen Niveau. Als begnadeter Kaufmann bewies Cenci im Einkauf und Vertrieb von Fahrrädern grosses Geschick. Das machte ihn zu einem erfolgreichen Velohändler. Als aktiver Velorennfahrer war er an der Reparatur und Wartung der Fahrzeuge besonders interessiert und so genoss seine Werkstatt bald einen legendären Ruf. Verschiedene Velorennfahrer bereiteten in Cencis Werkstatt ihre Velos für die Rennen vor.


Ernesto Cenci legte ausserdem grossen Wert auf Teamwork. So sah er nicht seine Person im Mittelpunkt, sondern stellte sich gerne in den Dienst einer Mannschaft. Das ist nicht zuletzt ein Grund dafür, dass der Velo-Club Riehen in seinen frühen Jahren grosse Erfolge im Mannschaftszeitfahren feiern konnte. Schon 1940 gewann der VC Riehen an der Schweizermeisterschaft im Mannschaftsfahren hinter Zürich die Silbermedaille – und das unter schwierigen Voraussetzungen, musste doch Captain Ernesto Cenci mehrere Fahrer wegen Unpässlichkeit ersetzen. Nur die grössten Optimisten hätten gewagt, der Mannschaft eine Chance auf die ersten fünf Plätze zu geben, schrieb ein Vereinschronist damals, und: «Mit dieser Glanzleistung hatten unsere Vertreter einmal mehr den Beweis erbracht, dass nicht nur hochtönende Namen für den schlussendlichen Erfolg ausschlaggebend sind, sondern dass auch eine unscheinbare Mannschaft, sofern diese vom unbedingt erforderlichen kameradschaftlichen und kämpferischen Geist beseelt ist, ein prächtiges Resultat erzielen kann!» Diese Zeilen sagen viel aus über den Geist, der damals im Velo-Club Riehen herrschte. In den 1940er-Jahren war der VC Riehen Seriensieger am Kantonalen Mannschaftsfahren und auch auf nationaler Ebene weiter erfolgreich.


Hans Bolligers verpasste Weltmeisterschaft


Die ersten ganz grossen sportlichen Erfolge gab es für den Velo-Club Riehen dank Hans Bolliger. Dieser wurde 1939, als erst 19-Jähriger, vom Schweizer Radsportverband für die Strassenweltmeisterschaft selektioniert, die in Varese in Italien hätte stattfinden sollen. Weil aber davor der Zweite Weltkrieg ausbrach, konnte die Weltmeisterschaft nicht ausgetragen werden und Hans Bolliger wurde sozusagen um seine besten Jahre als Sportler gebracht. Nach dem Krieg kam er dann doch noch zu einer WM-Teilnahme.


Ein grosser Sportler in den Reihen des VC Riehen war auch Hansruedi Buser, geboren 1935 in Oberdorf und seit 1954 Mitglied des Vereins. Buser war nicht nur ein hervorragender Strassenfahrer, er feierte auch Erfolge auf der Bahn. Einer seiner Höhepunkte war der Sieg an einer ‹Américaine› auf der Hallenradrennbahn in Basel zusammen mit dem weltbekannten Schweizer Radprofi Ferdy Kübler.


Meister-Organisator Otto Vogt


An der Erstellung und dem Betrieb der Winter-Radrennbahn in der Messehalle Basel in den 1950er- und 1960er-Jahren war der VC Riehen in der Person von Otto Vogt ganz massgeblich beteiligt. Otto Vogt war zwischen 1933 und 1937 selber erfolgreicher Amateurfahrer gewesen, entpuppte sich dann aber vor allem als begnadeter Organisator. Er war auch federführend, als der Velo-Club Riehen grosse Radsportveranstaltungen organisierte wie die Nordwestschweizer Rundfahrt 1944, die Schweizer Meisterschaft 1946, den grossen Mustermesse-Preis 1947 und vor allem in den Jahren 1947 bis 1958 das Europa-Kriterium für Berufsfahrer, wo auf einer Rundstrecke mit Start und Ziel auf der Schwarzwaldallee amtierende Weltmeister und absolute Stars der Szene zu bewundern waren. Tausende säumten die Strecke in Kleinbasel. Laut Vereinsunterlagen kamen im September 1951 zum 6. Europa-Kriterium 22 000 Zuschauer.


Zu den Anekdoten gehört, dass der Schweizer Rad-Star Hugo Koblet am Europa-Kriterium die damals weltbekannte österreichische Schauspielerin Waltraut Haas kennenlernte, mit der er sich 1953 sogar verlobte. Zur Hochzeit kam es dann allerdings nicht.


Breitensport und VCR-Kriterium


Die Zeit der ganz grossen Veranstaltungen ist inzwischen vorbei. Nach einem Unterbruch wollte der Velo-Club Riehen aber die Tradition als Organisator von Rad-Kriterien Mitte der 1980er-Jahre wieder aufnehmen, und zwar bewusst in kleinerem Rahmen im Sinne einer Nachwuchsförderung für Amateure. Als Strecke ausgewählt wurde ein 900 Meter langer Kurs mit Start und Ziel vor der Kornfeldkirche – durch Kornfeldstrasse, Tiefweg, Morystrasse und Lachenweg.


Im September 2016 fand dieses VCR-Kriterium in der heutigen Form bereits zum 30. Mal statt. Haupt-Event ist nun jeweils ein Amateur-Kriterium über 90 Runden, was einer Distanz von 81 Kilometern entspricht. Ein Kriterium ist ein Rennen auf kleiner Runde, in dem es darum geht, in Sprintwertungen bei Start und Ziel Punkte zu sammeln. So ist das Rennen, das in der Regel rund zwei Stunden dauert, während der ganzen Renndauer auch für die Zuschauer interessant.


Um dieses Haupt-Event herum gab es oft ein Plausch- oder Hobbyfahrerrennen, in jüngster Zeit auch Frauenrennen und Wettbewerbe für Velokuriere und nun auch ein Rennen für U17-Junioren. Das langjährige Engagement als Organisator in einem schwierigen Umfeld ist einer der Hauptgründe, welche die siebenköpfige Jury bewogen haben, den Velo-Club Riehen als Gesamtverein mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2015 auszuzeichnen. Die Feier, die von VCR-Mitglied und Profi-Musikerin Edith Habraken musikalisch umrahmt wurde, fand vor viel Publikum am 23. Mai 2016 im Haus der Vereine statt.


Der VC Riehen hat sich zu einem vorwiegend auf Breitensport ausgerichteten Verein entwickelt, der regelmässig Trainings, Ausfahrten und Klubrennen organisiert und dessen Mitglieder fleissig Kilometer sammeln – so fleissig, dass sie mehrmals einen nationalen Wettbewerb gewannen, in dem es darum geht, in einem Jahr möglichst viele Velotourenkilometer zu absolvieren. Jedes Jahr wird für die Mitglieder eine Veloferienwoche im Ausland organisiert und auch das Gesellschaftliche kommt nicht zu kurz. Regelmässig treffen sich die Ehemaligen, um über die alten Zeiten zu plaudern und zu fachsimpeln.


Erfolge im Mountainbikesport


Strassen- und Bahnradsport verloren für den VC Riehen an Bedeutung, dafür kam der Mountainbikesport auf. Mit Katrin Leumann und Pascal Schmutz brachte der VC Riehen zwei Mitglieder hervor, die es auf die internationale Bühne geschafft haben. Pascal Schmutz nahm 2013 an der Heim-EM in Bern teil und qualifizierte sich im Eliminator-Rennen für die Viertelfinals. Katrin Leumann war in der Disziplin Crosscountry im Jahr 2010 Einzel- und Staffel-Europameisterin sowie Staffel-Weltmeisterin und nahm an den Olympischen Spielen 2004 in Athen und 2012 in London teil. Im Mountainbike-Bereich, der von Mauro Bisonni geleitet wird, wächst gegenwärtig eine Nachwuchsgruppe heran.


‹Starker Mann› beim VC Riehen ist heute Kurt Kaiser, der an der Übergabefeier von Gemeinderätin Christine Kaufmann für den Verein die Sportpreis-Urkunde entgegennahm. Das Amt als Vereinspräsident übt er allerdings nur noch ad interim aus, wie er betont. Gerne würde er sich an der Vereinsspitze von jüngeren Kräften ablösen lassen, zumal er als Vereinssekretär und OK-Chef des VCR-Kriteriums weitere wichtige Funktionen innehat. Den aktuellen Vorstand komplettieren Lucius Humm (Vizepräsident), Urs Zwahlen (Finanzen), Marco Bisonni (Material), Bruno Wüest (Medien), Ben Klenk (Rennsport), Mauro Bisonni (Mountainbike) und Martin Schmutz (Beisitzer).


Kurt Kaiser, zu Zeiten Ernesto Cencis einer der ‹jungen Wilden›, gehört inzwischen zur ‹alten Garde› des Vereins. In seiner Jugend war er erfolgreicher Amateur und hätte das Zeug zum Berufsfahrer gehabt. Kurz nachdem er von einem Auslandaufenthalt in die Schweiz zurückgekehrt war, gewann er 1962 als hierzulande völlig Unbekannter sensationell das Amateurrennen der Meisterschaft von Zürich und gehörte zu den Teamstützen des wieder erfolgreichen Mannschaftsvierers des Velo-Clubs Riehen. Auch er ist, nach dem Vorbild von Vereinsgründer Ernesto Cenci, bescheiden geblieben: So liess er es sich als Ehrbezeugung gegenüber den Pionieren der ersten Klubjahre nicht nehmen, an der Übergabefeier den inzwischen 96-jährigen Hans Bolliger auf die Bühne zu bitten und ihm seinen Blumenstrauss zu überreichen.


 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2016

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