Ein Virus stellt die Gesellschaft auf die Probe

Rolf Spriessler

Covid-19 bestimmte das ganze Jahr 2020. Mutmasslich von einem Markt im chinesischen Wuhan ausgehend, breitete sich das Coronavirus weltweit aus und sorgte auch in Riehen für weitgehende Einschränkungen im öffentlichen Leben: der Versuch einer ersten Zusammenfassung.

Am Donnerstag, 27. Februar 2020, wurde bekannt, dass sich eine Mitarbeiterin einer Kindertagesstätte in Riehen mit dem Covid-19-Virus infiziert hatte. Es war einer der ersten Fälle in der Schweiz. Am 25. Februar hatte das Bundesamt für Gesundheit den ersten bestätigten Fall in der Schweiz gemeldet, im Tessin. Die Riehener Kindertagesstätte wurde vorübergehend geschlossen. Die Kinder, die mit der Erzieherin Kontakt gehabt hatten, und deren Familien wurden zu Hause in Quarantäne gesetzt, um mögliche Ansteckungen zu verhindern. Am Freitag, 28. Februar, gab der Bundesrat umfangreiche Vorsichtsmassnahmen bekannt, namentlich ein Verbot für Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen. Er tat dies, nachdem er die Situation in der Schweiz gemäss Epidemiegesetz als «besondere Lage» eingestuft hatte und indem er eine «Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19)» verabschiedete. Gleichentags sagte die Basler Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann dann an einer Pressekonferenz: «Es ist klar, dass unter diesen Umständen die Fasnacht nicht stattfinden kann.» Am darauffolgenden Montag wäre der ‹Morgestraich› gewesen. Schlagartig war eine ganze Region, die sich gerade noch in grosser Vorfreude auf die ‹drey scheenschte Dääg› befunden hatte, in Schockstarre versetzt. Das Fasnachtsverbot traf auch Riehen hart, wo es viele Fasnächtlerinnen und Fasnächtler gibt, die in Basler Cliquen aktiv sind, und Geschäfte, für die die Basler Fasnacht einen wichtigen Umsatzfaktor bedeutet. Die ‹Riechemer Chropf Clique› hatte an dieser Fasnacht ihren 90. Geburtstag feiern wollen – und verteilte, was an der Fasnacht ans Publikum hätte gehen sollen, an die Passantinnen und Passanten im Riehener Dorfkern.

HÄNDE WASCHEN, ABSTAND HALTEN, DESINFIZIEREN
Zunächst standen vor allem die Hygieneregeln im Vordergrund – viel Händewaschen, Abstand halten, desinfizieren. Am 12. März wurden die Quarantänemassnahmen in der betroffenen Riehener Kindertagesstätte wieder aufgehoben. Die Zahl der Neuansteckungen im Kanton stieg allerdings: 13 Personen waren bereits in Spitalpflege, davon zwei auf der Intensivstation, und 36 Personen befanden sich in häuslicher Isolation. Kantonsarzt Thomas Steffen rief die Bevölkerung auf, sich zu Hause in Selbstisolation zu begeben, wenn man über 38 Grad Fieber habe und unter einer akuten Erkrankung der Atemwege leide, zum Beispiel Husten und Atembeschwerden. Und zwar so lange, bis man 24 Stunden symptomfrei geblieben sei. Die ersten Tage verliefen noch recht geordnet. Es herrschte eine gewisse Vorsicht und der grösste Schock lag in der Absage der Fasnacht. Die Riehener Pflegeheime gaben sich gut gerüstet – die Besuchszeiten wurden zwar teilweise eingeschränkt, ein Besuchsverbot stand aber nicht zur Diskussion. «Wichtig ist, sich nicht an der teilweise herrschenden Hysterie zu beteiligen», liess sich Rainer Herold, Geschäftsleiter des Pflegeheims Wendelin, in der ‹Riehener Zeitung› vom 13. März zitieren. «Wir möchten den Courant normal so lange wie möglich aufrechterhalten», sagte Stefanie Bollag als Direktorin des Alterspflegeheims Humanitas, das auch das heimeigene Café ‹Rosis Garten› zunächst weiterhin öffentlich betrieb. Man stellte sich auf ein paar Unannehmlichkeiten ein, die aber bald einmal überstanden sein sollten.

BUNDESRAT RUFT AM 16. MÄRZ DIE «AUSSERORDENTLICHE LAGE» AUS
In der zweiten Märzwoche erklärten verschiedene Sportverbände ihre Meisterschaften für beendet. Die Nervosität stieg. Und dann kam der 16. März. An jenem Montag erklärte der Bundesrat die höchste Gefahrenstufe gemäss Epidemiegesetz. Die Schweiz führte zu ihren Nachbarstaaten – ausser dem Fürstentum Liechtenstein – Grenzkontrollen und Einreisebeschränkungen ein, was in Riehen zur Schliessung einzelner Grenzübergänge und später auch zur Errichtung von Grenzzäunen führte. Die Ausrufung der «ausserordentlichen Lage» hatte zur Folge, dass alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe ab dem 17. März geschlossen bleiben mussten. Schon am Freitag zuvor hatte der Bundesrat die Schliessung der Schulen per 16. März verfügt. Mehrere Skilager von Riehener Schulen wurden kurz vor der Abreise abgesagt. Eine Ausgangssperre wurde zwar nie verhängt, aber eine Beschränkung der Anzahl Menschen verfügt, die sich draussen miteinander aufhalten durften. Offen blieben nur Lebensmittelgeschäfte und die Grossverteiler, über deren Angebot in der Folge gestritten wurde. Detailhändlerinnen und -händler, die ihre Läden geschlossen halten mussten, monierten, dass die Grossverteiler auch jene Waren verkauften, die die geschlossenen Spezialgeschäfte nicht feilbieten durften, und so mussten die Grossverteiler gewisse Bereiche ihres Angebots aus dem Verkauf nehmen. Geschlossen bleiben mussten insbesondere auch Betriebe mit nahem Kundenkotakt – also zum Beispiel Coiffeursalons oder Fitnessclubs. Weiterarbeiten konnten Handwerksbetriebe, wenn sie in der Firma, bei der Kundschaft oder auf der Baustelle gewisse Hygieneregeln einhalten konnten, Werkstattbetriebe wie zum Beispiel Veloläden, die unter gewissen Beschränkungen Kundschaft empfangen sowie die zu reparierenden Fahrzeuge annehmen und abgeben konnten, sowie Betriebe ohne Publikumskontakt. Der Online- Handel boomte, die Paketpost schob Extraschichten. Das ‹Homeoffice› – Arbeiten von zu Hause – gewann schlagartig an Bedeutung. Viele, auch grössere Firmen zogen mit, liessen einen grossen Teil ihrer Angestellten zu Hause arbeiten und entlasteten so auch den öffentlichen Verkehr und die Strassen, da der Berufsverkehr enorm zurückging. Viele Eltern arbeiteten auch deshalb im Homeoffice, weil ihre schulpflichtigen Kinder zu Hause lernen mussten oder die kleineren Kinder keinen Tagesstättenplatz mehr hatten, denn auch diese hatten schliessen müssen. Viele Lehrpersonen der Riehener Volksschulen schafften es innert kurzer Zeit, ihre Schulkinder mit Unterrichtsmaterial zu versorgen, es gab Klassen-Chats und Fragestunden via Webkonferenz. Obwohl der Heimunterricht im Grossen und Ganzen recht gut klappte – es gab auch Kinder, die sich zu Hause besser konzentrieren konnten –, war die Erleichterung gross, als die Gemeindeschulen und die Sekundarschulen den Unterricht nach 8 Wochen am 11. Mai wieder aufnehmen konnten – mit Hygienevorschriften vor allem zwischen Schulkindern und Lehrpersonen, aber sonst weitgehend normal. Nicht zuletzt der Basler Bildungsminister Conradin Cramer hatte auf die rasche Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts in den Schulen gedrängt, weil er leistungsschwächere Schulkinder sowie solche aus bildungsfernen Familien gefährdet sah, den Anschluss zu verlieren. Der Aufruf, dass ältere Personen mit hohem gesundheitlichen Risiko zu Hause bleiben sollten, führte von Beginn an zu einer Welle der Solidarität. Nicht nur Familienangehörige unterstützten einander, man half sich auch in der Nachbarschaft und es gab Freiwilligendienste, Vereine und private Initiativen, die für die zu Hause Bleibenden Einkäufe und Botengänge erledigten. Viele Riehener Geschäfte setzten auf den Heimlieferservice. Sie hängten Plakate mit Telefonnummern und Internetadressen an ihre geschlossenen Türen und ihre Schaufenster, richteten schutzkonzeptkonforme Abholzonen ein und konnten so wenigstens einen Teil ihres Umsatzes retten. Jene Restaurants, die schon über einen Lieferservice wie zum Beispiel einen Pizzakurier verfügten, bauten dieses Geschäft aus, mussten aber ihr Speiselokal geschlossen halten und kamen nicht ohne Kurzarbeit über die Runden. Andere Restaurants schlossen den Betrieb ganz.

GRENZSCHLIESSUNG TRENNT DIE ZUSAMMENGEWACHSENE REGIO
Sehr einschneidend war die Schliessung der Landesgrenzen. Riehen war damit ab Mitte März von den benachbarten deutschen Gemeinden abgeschnitten – bis auf die Berufspendlerinnen und -pendler, die die Landesgrenze zum Erreichen ihrer Arbeitsplätze überqueren durften. Grenzzäune wurden errichtet. Es kam zu schwierigen Situationen: Familien wurden getrennt, Liebespaare konnten sich wochenlang nicht besuchen, Musikensembles mit Mitgliedern von dies- und jenseits der Grenze trafen sich an der Grenze zum gemeinsamen Spiel. Die Auswirkungen des Corona-Regimes auf die Riehener Geschäftswelt waren ganz unterschiedlich. Während etwa Apotheken oder spezialisierte Lebensmittelläden fast normale Umsätze meldeten, mussten verschiedene Geschäfte Umsatzeinbussen zwischen 50 und 80 Prozent hinnehmen, namentlich in der Gastronomie, in der Druckbranche oder im Kultur- und Unterhaltungsbereich. Jene Handwerksbetriebe, die viele Arbeiten in der eigenen Werkstatt vornehmen können, arbeiteten relativ normal. Für jene Firmen, die primär vor Ort bei der Kundschaft zu tun haben wie zum Beispiel Malerbetriebe, war die Situation schwieriger, da in kleineren Gruppen mit umfangreichen Sicherheitsmassnahmen gearbeitet werden musste, was den Aufwand erheblich erhöhte. Mit zunehmender Dauer der Beschränkungen nahmen auch die Aufträge ab – die Auftraggeberschaft wurde angesichts des offenen Ausgangs der Krise vorsichtiger in der Planung und Realisierung neuer Projekte. Gemildert wurde die Situation für einige Riehener Geschäfte immerhin dadurch, dass der Einkaufstourismus nach Deutschland vorübergehend verunmöglicht worden war. Dass die immer länger andauernden Einschränkungen auch psychische Auswirkungen hatten, zeigte sich unter anderem darin, dass mehr Blumen gekauft und verschickt wurden – diese sollten dazu beitragen, jene aufzuheitern, die nun viel Zeit zu Hause verbringen mussten.

LOCKERUNGSSCHRITT FÜR LOCKERUNGSSCHRITT IN EINE ANDERE NORMALITÄT
Erste Lockerungen traten per 27. April in Kraft. So durften zum Beispiel Coiffeursalons und Tattoo-Studios unter strengen Hygienevorschriften ihre Arbeit wieder aufnehmen, Physiotherapie wurde in grösserem Umfang möglich, Baumärkte, Gartencenter, Blumenläden und Gärtnereien duften wieder öffnen und Kundschaft empfangen. Am 11. Mai folgte der ganze Detailhandel – also auch die kleineren, spezialisierten Ladengeschäfte. Auch Restaurants durften wieder Gäste bewirten, allerdings mit Einschränkungen wie etwa bei der Besetzung der Tische oder beim Abstand zwischen den Tischen. Das führte dazu, dass einzelne Restaurants erst später wieder öffneten oder ihre Öffnungszeiten teils massiv einschränkten. Die Fondation Beyeler, die ihren Museumsbetrieb wochenlang hatte einstellen müssen, öffnete sich dem Publikum mit einem Dosierungssystem – die Tickets waren an klar definierte Eintrittszeiten gebunden –, verlängerte die hauptsächlich betroffene Sonderausstellung mit Werken von Edward Hopper bis in den September und verschob die grosse Ausstellung zu Francisco de Goya auf 2021. Am 15. Juni wurde die Grenze zu Deutschland wieder geöffnet. Riehen und Lörrach feierten diesen Schritt mit einem kleinen Festakt vor den Medien. Der Lörracher Oberbürgermeister Jörg Lutz und der Riehener Gemeindepräsident Hansjörg Wilde sprachen am Lettackerweg zu den Gästen und schoben gemeinsam symbolisch den Grenzzaun zur Seite. Per 6. Juli wurde in allen Kantonen der Schweiz eine Maskentragepflicht für Reisende ab 12 Jahren in öffentlichen Verkehrsmitteln eingeführt. Ab dem 24. August führte der Kanton Basel-Stadt zusätzlich eine erweiterte Maskentragepflicht in Läden ein. Inzwischen waren aber die Beschränkungen für Veranstaltungen gelockert worden. So fanden in Riehen etwa – in Corona-gerecht reduziertem Rahmen – beim Freizeitzentrum Landauer und auf dem Dorfplatz Openair-Konzerte statt, das Naturbad zeigte drei Filme im Openair-Kino und der Turnverein führte mehrere auch national beachtete Leichtathletik-Meetings durch. In der Folge nahmen auch andere Sportverbände ihren Betrieb wieder auf und es fanden zunehmend auch wieder kulturelle Veranstaltungen statt.

RIEHENER GEMEINDEPARLAMENT VORÜBERGEHEND IM BASLER EXIL
Die Politik wich nach Basel aus. Nachdem die Einwohnerratssitzung vom März gestrichen worden war, traf sich das Riehener Gemeindeparlament im April, Mai und Juni in einem Saal des Kongresszentrums Basel. Im April fand turnusgemäss die Wahl des nächsten Parlamentspräsidenten statt – Andreas Zappalà (FDP) wurde zum Nachfolger von Claudia Schultheiss (LDP) gewählt und trat sein Amt per 1. Mai an. Erst die August-Sitzung fand wieder im inzwischen Corona-gerecht eingerichteten Einwohnerratssaal im Riehener Gemeindehaus statt. Die Sitzplätze waren durch Plexiglasscheiben voneinander abgeschieden worden. Die Auswirkungen und Folgen der Pandemie werden unsere Gesellschaft noch längere Zeit beschäftigen.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2020

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