Einblicke in das bronzezeitliche Riehen

Guido Lassau

Bei Aushubarbeiten am Haselrain entdeckte die Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt 2018 eine bisher unbekannte Fundstelle der Bronzezeit in Riehen. Diese Entdeckung löste von April bis Dezember 2020 eine grossflächige Rettungsgrabung auf dem Areal der ehemaligen Gehörlosen- und Sprachheilschule an der Inzlingerstrasse aus. Ein mittel- bis spätbronzezeitlicher Siedlungsplatz wurde ausgegraben. Die über 3000 Jahre alte Kulturschicht mit mehreren Siedlungsphasen erstreckt sich über eine Fläche von knapp 4000 Quadratmetern.

1988 fand Urs Leuzinger, der in Riehen aufgewachsene heutige Leiter des Museums für Archäologie des Kantons Thurgau, im Aushub der Turnhalle der ehemaligen Gehörlosen- und Sprachheilschule über 3000 Jahre alte Objekte aus Silex und Keramik sowie Tierknochen. Der damalige Student übergab die Funde der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt, die sie in ihrer Fundstellendatenbank vermerkte. Urs Leuzinger und vor allem sein Vater Hansjörg Leuzinger, der bis zu seinem Tod im Jahr 2008 als freiwilliger Mitarbeiter für die Bodenforschung tätig war, haben sich in der Erforschung der prähistorischen Vergangenheit der Gemeinde Riehen besonders verdient gemacht.

Heute werden Baugesuche mithilfe der mittlerweile umfangreichen Fundstellendatenbank systematisch überprüft. 2018 führte eine archäologische Baubegleitung zur Entdeckung der Fundstelle am Haselrain und löste Sondierungen auf dem benachbarten Areal der Gehörlosen- und Sprachheilschule aus. Daraufhin ermöglichte der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt eine grossflächige Rettungsgrabung im Vorfeld der Grossüberbauung des Areals mit Mehrfamilienhäusern. 

DIE BRONZEZEIT, EINE ZEIT DES UMBRUCHS
Funde aus der Bronzezeit, dem Zeitraum von 2200 bis 800 v. Chr., sind im Kanton Basel-Stadt eher selten. Deshalb kommt den Neufunden an der Inzlingerstrasse und am Haselrain in Riehen eine besondere Bedeutung zu. Überhaupt spielt Riehen mit den bronzezeitlichen Grabhügeln im Britzigerwald und dem aus einem verbogenen Bronzeschwert und einer Lanzenspitze bestehenden Weihefund an der Burgstrasse eine besondere Rolle bei der Erforschung der Bronzezeit. 

Nach dem Ende der Jungsteinzeit löste die Verwendung von Bronze, einer Legierung aus Zinn und Kupfer, weitreichende Umwälzungen in den Gesellschaften Mitteleuropas aus. Die Bronzezeit wird häufig als «Zeit der Krieger, Künstler und Händler»1 bezeichnet. Während Kupfererze in den Alpen verfügbar waren, musste das Zinn von den britischen Inseln oder aus Südeuropa importiert werden. Dadurch entwickelte sich ein gut organisierter Fernhandel. Handelskontakte nach Nordeuropa (Bernstein) und in den Ägäisraum sind nachgewiesen. Aus der Ägäis kamen Kampftechniken mit Stichschwertern und Lanzen in unseren Raum, wie sie beispielsweise Homer in seinen Beschreibungen des Trojanischen Krieg in der «Ilias» schildert. Auf dem Areal des Novartis-Campus wurde ein Bronzemesser mit einem als menschlicher Kopf ausgestalteten Griffende gefunden, das aus Nordeuropa stammen muss. Möglicherweise gelangte es auf einem Schiff den Rhein hinauf nach Basel. In Grossbritannien sind bis zu 15 Meter lange bronzezeitliche Boote aus Eichenplanken gefunden worden. In Südschweden gibt es zahlreiche Felsbilder, die bronzezeitliche Boote mit einer Besatzung von bis zu 20 Mann zeigen. Die Mobilität einzelner Personen und Gruppen ermöglichte den Transfer technischer Innovationen und neuer Gesellschaftskonzepte sowie Glaubensvorstellungen. Die Kontrolle über technisches Know-how und Rohstoffe führte zur Herausbildung einer Oberschicht, die ihre Vormachtstellung mit neuen Kampftechniken und Waffen sicherte. Ähnliche Bestattungssitten und einzelne Objekte der materiellen Kultur waren in ganz Mitteleuropa verbreitet. An heiligen Orten wurden wertvolle Waffen, Werkzeuge und Schmuck aus Bronze als Weihegaben für die Götter im Boden vergraben oder im Wasser versenkt.

Trotz den Neuerungen, die meist aus dem Donauraum und dem Karpatenbecken in unser Gebiet gelangten, blieben die Menschen mehrheitlich Bauern. Im Raum der heutigen Schweiz lebten die Menschen in Schutzlagen wie Anhöhen oder Uferzonen von Gewässern in teilweise befestigten Siedlungen. Typisch sind auch Siedlungsplätze an Hangfüssen auf Schuttfächern kleiner Bäche. Die Häuser waren häufig in Zeilen angeordnet, dazwischen gab es Gassen oder Wege und Plätze. Die Menschen lebten von Ackerbau und Viehzucht. Sie ernährten sich von Brot, das mit Mehl aus Dinkel und Emmer gebacken wurde, sowie Brei und Eintopfgerichten aus Gerste, Hirse und Hülsenfrüchten. An Gewässern dürfte der Fischfang — am Rhein vor allem während den Lachszügen — eine bedeutende Rolle für die Ernährung gespielt haben. Spektakuläre Funde wie die Himmelsscheibe von Nebra, der ein komplexes astronomisches Wissen zugrunde liegt, verdeutlichen, dass der Lebensrhythmus und auch die religiösen Feste der bronzezeitlichen Menschen auf die Jahreszyklen abgestimmt waren. Anhand von Sonne, Mond und Sternen wurden wichtige Daten im bäuerlichen beziehungsweise religiösen Jahr festgelegt.2

EIN MEILENSTEIN FÜR DIE ERFORSCHUNG DER BRONZEZEIT IM KANTON BASEL-STADT
Die archäologische Fundstelle «Riehen-Haselrain» mit den Ausgrabungen 2018 und 2020 ist einer der wenigen bronzezeitlichen Siedlungsplätze der weiteren Region, der auf einer so grossen Fläche mit modernen Mitteln untersucht wurde. Der Platz ist auf der hochwassersicheren Niederterrasse der Wiese an einem ehemaligen Bachlauf gelegen. Laut geologischen Karten handelte es sich  um einen Altlauf des Hunger- oder Aubachs, der von den nahen fruchtbaren Lösshängen hinunter zur Wiese floss. Die bronzezeitlichen Menschen errichteten ihre Häuser in der Zone des Schwemmkegels. Der Siedlungsuntergrund bestand aus stark lehmigem Kies, der stellenweise Sandlinsen und Kiesbänke aufwies. Die mehrphasige braune Kulturschicht, die während der Ausgrabung in mehreren Schritten freigelegt wurde, enthielt neben umgelagertem Kies auch Steine, Keramikfragmente und Holzkohle. Klimaeinbrüche, vermutlich in spätrömischer Zeit, führten zu einer mächtigen Überdeckung der bronzezeitlichen Siedlungsreste mit Löss, der von den höher liegenden Hängen abgeschwemmt wurde. Dadurch blieb ein grosser Teil dieser wertvollen Zeugen der Geschichte Riehens tief im Boden vor den Auswirkungen der jüngeren landwirtschaftlichen Nutzung und der lockeren Überbauung mit Einfamilienhäusern sowie der Gehörlosen- und Sprachheilschule verschont. Am Haselrain konnte die Archäologische Bodenforschung im Sommer 2018 auf einer Fläche von rund 700 Quadratmetern Siedlungsbefunde untersuchen. 

Das Neubauprojekt mit Mehrfamilienhäusern an der Inzlingerstrasse machte 2020 eine achtmonatige Rettungsgrabung auf knapp 4500 Quadratmetern mit einem Team von 15 bis 20 Mitarbeitenden notwendig. Trotz den erschwerten Bedingungen wegen der Corona-Pandemie konnte die Rettungsgrabung im vereinbarten Zeitrahmen erfolgreich abgeschlossen werden. In der mehrphasigen Kulturschicht haben sich Erdverfärbungen von ehemaligen Holzhauskonstruktionen im Vergleich zu anderen Fundstellen in der Schweiz und dem angrenzenden Elsass sowie Baden-Württemberg ausgesprochen gut erhalten. Das Fundmaterial des Siedlungsareals am Haselrain und an der Inzlingerstrasse stammt hauptsächlich aus dem Übergang von der Mittel- zur Spätbronzezeit um 1300 v. Chr. Das Keramikspektrum erstreckt sich jedoch von der beginnenden Mittelbronzezeit in der Mitte des 16. Jahrhunderts v. Chr. bis in die fortgeschrittene Spätbronzezeit des 10. Jahrhunderts v. Chr. Besonders der Beginn der Spätbronzezeit vor 3300 Jahren ist in der Schweiz und dem nahen Ausland noch wenig erforscht. Aufgrund der Zeitstellung und der grossflächigen Erhaltung hat das Bundesamt für Kultur die Siedlung 2019 als Fundstelle von nationaler Bedeutung eingestuft. Die Ausgrabungen in Riehen besitzen dank den gut erhaltenen Befunden, dem vielfältigen Fundmaterial und den zahlreich entnommenen Proben ein hervorragendes Potenzial für die Wissenschaft. Diese Fundstelle mit der wissenschaftlichen Bezeichnung «Riehen-Haselrain» wird einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der mittel- und spätbronzezeitlichen Siedlungen ermöglichen.3 

Die Bronzezeit liess sich bis vor wenigen Jahren im Kanton Basel-Stadt nur anhand klein fragmentierter Keramik-objekte ohne direkten Befundzusammenhang nachweisen. Die Archäologische Bodenforschung verfügt über Dokumentationen zu rund 50 bronzezeitlichen Fundstellen auf Kantonsgebiet, was etwa 1,5 Prozent aller Fundstellen entspricht. Auf städtischem Gebiet sind die Erhaltungsbedingungen für prähistorische Fundstellen aufgrund der intensiven, zum Teil jahrhundertelangen Siedlungstätigkeit von der spätkeltischen Zeit bis in die Neuzeit sehr eingeschränkt. Unerwartete Entdeckungen zeigen schlaglichtartig auf, wie reich der ehemalige Fundbestand der Bronzezeit auch auf dem Stadtgebiet gewesen sein dürfte.4 2011 hat die Archäologische Bodenforschung bei Bauarbeiten für die Jazzschule an der Utengasse eine Siedlung am Kleinbasler Rheinufer entdeckt. Es wurden sechs Gruben in einer bis 90 Zentimeter mächtigen Schichtabfolge aus Hochflutsand festgestellt. Die 3300 Jahre alte Siedlung lag an einer weitgehend geschützten Uferzone. Vermutlich errichteten die bronzezeitlichen Bewohnerinnen und Bewohner Kleinbasels – vergleichbar mit den Pfahlbausiedlungen des schweizerischen Mittellands – abgehobene Bauten in Schwellbalken- oder Blockbauweise, um so vor Überschwemmungen bei extremen Hochwassersituationen des Rheins geschützt zu sein. Vor zirka 2900 Jahren existierte auf dem Martinskirchsporn eine stark befestigte Siedlung hoch über dem Rhein. Allein der ursprünglich mit Grassoden ausgekleidete Graben der Befestigung besass, wie eine Grabung im Jahr 2004 an der Martinsgasse 6 und 8 eindrücklich belegt, eine Breite von 9 und eine Tiefe von 3 Metern. Hinter der Befestigung, die den Münsterhügel abriegelte, müssen sich die Häuser der Siedlung befunden haben, die sich über eine Fläche von rund 7000 Quadratmetern in Richtung Martinskirchsporn ausdehnte. Dieser Siedlung vorgelagert war ein 200 Meter breites, durch einen weiteren kleineren Graben gesichertes Vorgelände. Bis auf eine sorgfältig mit Steinen ausgelegte Feuerstelle gelang leider kein Nachweis von Gebäudestrukturen in dieser Siedlung. Im mächtigen Graben lag aber viel Brandschutt aus verziegeltem Lehm von Flechtwerkwänden, Holzkohle, Knochen und Keramik. Dieser dürfte von den Häusern der Siedlung stammen, die einer verheerenden Brandkatastrophe zum Opfer gefallen waren.5

ARCHÄOLOGISCHE STRUKTUREN VON MINDESTENS DREI SIEDLUNGSPHASEN
Die archäologischen Strukturen beziehungsweise Befunde der Fundstelle Riehen-Haselrain, die als Konstruktions-elemente ehemaliger Häuser zu interpretieren sind, kamen in einer bis zu einem halben Meter mächtigen Kulturschichtabfolge zum Vorschein. Die Kulturschicht liess sich an einigen Stellen in klar abgrenzbare Schichten unterteilen, an anderen Stellen war sie jedoch lediglich als etwas dunklerer Bereich mit etwas Kies und Keramik ausgeprägt. Zu den Befunden gehören Pfostengruben und Erdverfärbungen längst verrotteter Hauspfosten und -balken aus dem Fundamentbereich der Häuser. Von den einstigen Hausböden blieb nichts erhalten. In den 15 bis 50 Zentimeter tief erhaltenen Pfostengruben waren die Pfosten in der Regel mit kleinen Geröllen und eher selten mit grös-seren Keilsteinen stabilisiert worden. Die Verteilung der ehemaligen Pfosten- und Balkenstandorte in der Fläche erlaubte die Rekonstruktion einzelner Hausgrundrisse, was für einen prähistorischen Siedlungsplatz ohne Feuchtbodenerhaltung als grosser Glücksfall zu bezeichnen ist.

Bei den Pfostenbauten lassen sich drei Typen unterscheiden. Der erste Haustyp, bestehend aus einem Pfostenkranz, besass eine Fläche von 40 bis 60 Quadratmetern und war durch eine Pfostenreihe im Inneren unterteilt. Ein zweiter Typ mit vergleichbarer Grundfläche besass einen Hauptraum mit vier Eckpfosten sowie einen im Süden oder Westen vorgelagerten Bereich mit Pfostenstellungen, der als geschlossener Raum oder als offene Stirnlaube interpretiert werden kann. Der dritte Typ war ein kleines Gebäude mit einer Grundfläche von 7,5 Quadratmetern, vermutlich ein Speicherbau. 

Im Süden der Grabungsfläche kamen mehrere Gebäude zum Vorschein, die auf Balkenfundamenten, sogenannten Schwellbalken, errichtet worden waren. Die Befunde zeichneten sich teilweise sehr deutlich in den Erdschichten ab. Die Häuser besassen eine trapezförmige Grundfläche von 20 bis 30 Quadratmetern und wiesen Binnenwände auf. Ein relativ dichtes Raster aus diagonal verlaufenden Balkengräbchen dürfte von einem Bodenunterzug stammen, auf dem ehemals ein Fussboden auflag. Sie dienten vermutlich gleichzeitig zur Versteifung der Rahmenkonstruktion und als Binnenwandfundamente. Die Häuser mit Balkenfundamenten besassen in der Regel zwei bis drei Räume unterschiedlicher Grösse. In zwei Fällen war dieser Gebäudetyp mit einem geschlossenen Raum oder einer Stirnlaube im Süden versehen, über welche die rückwärtigen Räume erschlossen wurden. Ein weiteres Gebäude weist eine Eingangssituation im Süden auf. 

Von den aufgehenden Konstruktionsteilen der Pfostenbauten sowie der Gebäude mit Schwellbalken haben sich lediglich vereinzelte Lehmbrocken mit Rutenabdrücken von Flechtwerk erhalten. Ein etwa faustgrosses Stück besitzt auf der Aussenseite einen feinen hellgrauen Überzug, die an eine Tünchung erinnert. Der Hüttenlehm belegt, dass zumindest ein paar Gebäude Wände aus Flechtwerk besas-sen, die mit Lehm abgedichtet und hell getüncht waren. Aufgrund von Ausgrabungsbefunden in Seeufersiedlungen ist zudem anzunehmen, dass die bronzezeitlichen Gebäude von Riehen mit Holzschindeln oder Rindenbahnen gedeckt waren. Vereinzelte grössere Steine im Bereich von Hausgrundrissen können ein Hinweis darauf sein, dass die Dachbedeckung einst mit Steinen beschwert war. 

Aufgrund der Lage und Anordnung sowie der Bauweise der bronzezeitlichen Gebäude lässt sich der Siedlungsplatz in einzelne Phasen unterteilen. Die Gruppe der Gebäude mit Schwellbalkenkonstruktion im Süden der Grabungsfläche gehört zur Phase 1 des Siedlungsplatzes. Die Häuser scheinen nicht nach einem erkennbaren Muster angeordnet zu sein. Die Rekonstruktion der Siedlungsphase 2 im mittleren Bereich der Grabungsfläche basiert auf einer unsicheren Befundlage. Die Gebäudeanordnung orientiert sich an engen Gassen, an denen sich die Häuser mit ihren Schmalseiten aufreihen. Die Phase 3 zeichnet sich durch eine Anordnung der Gebäude an den Himmelsrichtungen aus, wobei die Längsachse der Häuser Nord-Süd oder Ost-West ausgerichtet ist. Die Häuser sind locker über die Grabungsfläche verstreut. In anderen bronzezeitlichen Siedlungsstellen der Schweiz und des nahen Auslands lassen sich ähnliche Siedlungsmuster erkennen, die für gewisse Abschnitte der Bronzezeit als typisch bezeichnet werden können. Bei Siedlungsphase 1 handelt es sich, wenigstens bei einem Teil der Gebäude, um die ältesten Befunde des Siedlungsplatzes. Die Phase 2 dürfte eher dem Übergang von der Mittelbronze- zur beginnenden Spätbronzezeit des 14./13. Jahrhunderts v. Chr. zuzuweisen sein. Die Phase 3 des Siedlungsplatzes entspricht einem Siedlungsmuster, wie es in der entwickelten Spätbronzezeit im 11./10. Jahrhundert v. Chr. verbreitet war. Aufgrund der Formen und Verzierungselemente der zu Hunderten in der Kulturschicht gefundenen Keramikscherben lassen sich Vergleiche zu anderen, gut datierten Fundplätzen der Schweiz und des nahen Auslands ziehen: Der Siedlungsplatz wurde schwerpunktmässig im Zeitraum des 14. und 13. Jahrhunderts v. Chr. genutzt. Es gibt aber auch Keramikfragmente, die auf bronzezeitliche Siedlungsaktivität in den Jahrhunderten vor und nach diesem Zeitraum verweisen. 

BRONZEZEITLICHES LEBEN AM FUSS FRUCHTBARER HÄNGE
Die Siedlungsbefunde und das Fundmaterial deuten darauf hin, dass die bronzezeitlichen Menschen an Inzlingerstrasse und Haselrain in Riehen in einer ländlichen Siedlung wohnten. Im bronzezeitlichen Siedlungsareal kamen vereinzelte Gruben zum Vorschein, die als Werk- oder Vorratsgruben gedient hatten. Dazu zählen langrechteckige Gruben mit viel Holzkohle und durch Hitze zerborstenen Steinen. Eine der Gruben war mit Lehm ausgestrichen und wiederholt hohen Temperaturen ausgesetzt, wie sie für die Metallverarbeitung oder das Brennen von Keramik benötigt werden. Ob die Bronzenadel und kleine Fragmente von Bronzeobjekten, die in der Kulturschicht zum Vorschein kamen, in der Siedlung hergestellt wurden, lässt sich nicht belegen. 

In einer anderen Grube mit lose hineingelegten Steinen und Scherben wurden Feuer mit Eichenholz entfacht. Offensichtlich verbrannten die Menschen hier gezielt Eiche aufgrund ihres hohen Brennwerts, um konstant hohe Temperaturen und eine lange Glutphase zu erreichen. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Darre, eine Vorrichtung zum Trocknen beispielsweise von Flachs für die Textilverarbeitung. Für die weitere Verarbeitung von Flachsfasern zu Leinen wurden Spindeln benutzt. Spinnwirtel, die als Schwunggewichte auf die Spindeln aufgeschoben worden waren, kamen in der Kulturschicht zum Vorschein. Die Darren können aber auch im Zusammenhang mit dem Trocknen oder Anrösten von Getreide, Obst und Gemüse zur besseren Haltbarmachung stehen. In der Kulturschicht und in einer Grube kamen Hunderte Keramikfragmente zum Vorschein. Sie stammen von Schalen, Töpfen und Bechern, die zur Zubereitung, Aufbewahrung und zum Servieren von Nahrungsmitteln gedient hatten. 

In einer weiteren Grube am Haselrain wurde ein bisher in der Schweiz unbekanntes Keramikgefäss entdeckt. Es handelt sich um eine Backhaube oder -glocke aus Keramik, mit der vor 3300 Jahren auf einer Herdplatte aus Lehm Nahrung gebacken oder gegart werden konnte. Diese Art der Zubereitung eignet sich besonders gut für das Backen von gesäuertem Teig oder das Schmoren von Fleisch oder Fisch, ähnlich wie mit einer nordafrikanischen Tajine oder einem Römertopf. Parallelen zur Riehener Backhaube finden sich während der Spätbronzezeit hauptsächlich in Bosnien, Kroatien, Slowenien, Ungarn und Mittelitalien. Kürzlich wurde im nahen Elsass ein vergleichbares Stück entdeckt.

Eine in den harten anstehenden Untergrund gegrabene, kegelstumpfförmige Grube mit Hinweisen auf ein mit Lehm ausgestrichenes Flechtwerk als Wandkonstruktion sowie einen zylindrischen Hals als Abschluss scheint ehemals als Speichergrube oder Silo genutzt worden zu sein. Der Aufbewahrung von Vorräten dienten auch grosse, in den Boden eingegrabene Keramikgefässe. 

Insgesamt wurden fünf grosse Vorratsgefässe freigelegt, darunter ein nahezu vollständiges. Solche teilweise eingegrabenen Gefässe sind in unserem Gebiet besonders für die frühe Spätbronzezeit in Siedlungen auf Trockenböden gut belegt. Wie die Befunde in Riehen verdeutlichen, standen die Vorratsgefässe nicht zwingend innerhalb von Gebäuden.

Erste archäobotanische Untersuchungen von Erdproben der Ausgrabungen erbrachten Hinweise auf Nahrungsmittel, die in der Umgebung der Siedlung angebaut worden waren: Gerste, Emmer, Dinkel und Echte Hirse. Es ist anzunehmen, dass diese Kulturpflanzen auf Feldern an den fruchtbaren Lösshängen oberhalb der Siedlung angebaut wurden. Zu Beginn der Siedlungszeit dürften noch Erntemesser mit Feuersteinklingen zum Einsatz gekommen sein. Ab 1200 v. Chr. wurden dann Handsicheln mit Klingen aus Bronze verwendet, wie man sie beispielweise im bronzezeitlichen Hortfund der Elisabethenanlage in Basel gefunden hat. Die Viehzucht spielte in der Siedlung sicherlich ebenfalls eine bedeutende Rolle als Nahrungsgrundlage. Leider haben sich im sauren Boden der Fundstelle keine Knochen erhalten, die über die Nutztierhaltung Auskunft geben können. In den Kulturschichten spätbronzezeitlicher Ufersiedlungen kommen immer wieder gedörrte Apfel-
hälften und Unmengen von Haselnüssen zum Vorschein, die von einer ausgeprägten Sammelwirtschaft zeugen. Aber auch Hinweise auf Fischfang mit Netzen und Angelhaken sowie auf die Jagd von Wildtieren sind in anderen bronzezeitlichen Siedlungen präsent. Für Sammelwirtschaft sowie Fischfang und Jagd waren die nahen Flussauen der Wiese und des Rheins sicherlich von grosser Bedeutung. Diese Tätigkeiten belegen mehrere Pfeilspitzen aus Feuerstein beziehungsweise Silex im Fundmaterial. Pfeilbogen wurden aber auch als Waffen benutzt.

HINWEISE AUF RELIGIÖSE HANDLUNGEN INNERHALB DER SIEDLUNG
Während der Grabung am Haselrain hat das Grabungsteam eine rund 70 Zentimeter tiefe, 1,60 mal 1,30 Meter messende Grube entdeckt, die dicht mit sorgsam geschichteten Keramikscherben gefüllt war. Die oberen Lagen enthielten kleine Scherben von relativ dünnwandigen Gefässen mit Rillenverzierungen, während im unteren Grubenbereich mehr Fragmente grosser Grobkeramikgefässe lagen. Die Scherben trugen deutliche Spuren sekundärer Feuereinwirkung, etwa durch Flammen hervorgerufene schwarze Flecken und Verformungen durch starke Hitzeeinwirkung. Die Grube selbst zeigt jedoch keinerlei Spuren von Brandeinwirkungen. Die Keramik muss andernorts einem Feuer mit hohen Temperaturen ausgesetzt gewesen und anschliessend in der Grube niedergelegt worden sein. Vermutlich war die Grube mit Holz ausgekleidet, wie spärliche Holzreste belegen. Die Anlage lässt eine gezielte Niederlegung vermuten, wohl im Rahmen einer rituellen Handlung. Ähnliche Gruben wurden an anderen Orten entdeckt, zum Beispiel bei Frick, und als «letzter Rest von einem Fest»6 in einem rituellen beziehungsweise religiösen Zusammenhang interpretiert. Die Grube am Haselrain enthielt Scherben von offenen und geschlossenen Gefässen wie Schalen und Töpfe, darunter Zylinder-, Schräg- und Trichterrandgefässe. Das Formen-repertoire und die Verzierungselemente der Keramik zeigen Merkmale, die für die Zeit um 1300 v. Chr., dem Übergang von der Mittel- zur Spätbronzezeit, typisch sind. 

Ebenfalls in den rituellen Bereich gehört der Fund von zwei Mondhornfragmenten in der Siedlungsstelle an der Inzlingerstrasse. Mondhörner wurden in der Spätbronzezeit meistens aus Ton hergestellt und oft auf einer Seite mehr oder weniger reich verziert. Es gibt sie als gedrungene, barrenförmige Exemplare mit nur angedeuteten Hörnern bis hin zu eleganten Versionen mit Standfuss und vollplastisch ausgeformten Hörnern. Vergleicht man sie mit Kultobjekten aus anderen archäologischen Kulturen, können sie Mondsicheln, Schiffe oder präparierte Tierschädel mit Hörnern symbolisieren. Wahrscheinlich dienten die während der Spätbronzezeit weit verbreiteten Mondhörner bei religiösen Ritualen als Idole oder als eine Art Kalender. 

BRONZEZEITLICHE GRABHÜGEL UND WEIHEGABEN FÜR DIE GÖTTER AUSSERHALB DER SIEDLUNG
Im Gemeindegebiet von Riehen sind aus der Zeit der Siedlung an Inzlingerstrasse und Haselrain zwei Grabhügel mit Bestattungen im Britzigerwald sowie eine Deponierung mit einem rituell verbogenen Schwert bei der Burgstrasse bekannt. Ob sie in direkter Verbindung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Siedlungsplatzes auf der Geländeterrasse über der Wiese stammen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die beiden Grabhügel sind 1969 und 1971 archäologisch untersucht worden. Der 1969 ausgegrabene Grabhügel war noch einen halben Meter hoch und besass einen Durchmesser von 7 Metern. Er enthielt ein Brandschüttungsgrab. Auf einem halben Quadratmeter verstreut lagen Keramikfragmente, geschmolzene Bronzeklümpchen und die Bronzehülse einer Halskette.

Im 1971 ausgegrabenen Hügel fand sich ein mit Steinen eingefasstes Zentralgrab eines zirka 170 Zentimeter grossen Erwachsenen. Leider war das Grab ausgeraubt: Die vermutlich römischen Grabräuber liessen neben den menschlichen Knochen nur noch einen Golddraht und eine zu einem Spachtel umgearbeitete Bronzenadel zurück. Die Funde vom Ende der Mittelbronzezeit deuten auf eine ehemals reich mit Beigaben versehene Bestattung hin. Die Toten lagen häufig in einem Baumsarg. Der Golddraht könnte ursprünglich zu einer Spirale gebogen gewesen sein. Golddrahtspiralen gehören zur Ausstattung besonders reicher Gräber in Deutschland. Der Goldschmuck wurde von Männern als Standes- oder Rangabzeichen im Haar getragen. Kurz nach der Aufschüttung des Hügels wurde er für eine Nachbestattung seitlich angegraben und mit einer Trockenmauer abgestützt. Auf dem so erhaltenen Platz wurde eine Frau kremiert. Ihre Asche und ihr geschmolzener Schmuck wurden zusammen mit einem Keramikgefäss in einer Art Steinkiste deponiert. Mit der Nachbestattung lässt sich eine Veränderung in den bronzezeitlichen Glaubensvorstellungen fassen, die sich im Wechsel von der Erdbestattung zur Kremation äussert.7

1907 stiessen Arbeiter an der Burgstrasse in der Gemeinde Riehen bei Kanalisationsarbeiten auf Teile einer bronzezeitlichen Kriegerausrüstung: ein Schwert mit spitz zulaufender Griffplatte und eine defekte Lanzenspitze aus der Zeit um 1300 v. Chr. Der Fund ist einer der frühen Belege für die Etablierung einer neuen Kampftechnik mit Lanze und Stichschwert in Mitteleuropa und stammt aus der selben Zeit wie die 2018 entdeckte Keramikgrube am Haselrain. Das Schwert war ursprünglich 67 Zentimeter lang und wurde vor seiner Niederlegung rituell verbogen. Auch die Lanzenspitze war verbogen und somit nicht mehr als Waffe zu gebrauchen. Deponierungen von rituell verbogenen Waffen sind in der Mittel- und der Spätbronzezeit ein weit verbreitetes Phänomen und werden als Opfer oder Weihegaben interpretiert. Es wurden aber nicht nur Waffen, sondern auch Schmuck und Werkzeug aus Bronze an markanten Geländeformationen, an Quellen oder in Fliessgewässern deponiert. Der Zusammenhang mit Gewässern kann als Hinweis auf die Verehrung von Flussgottheiten oder die Vorstellung von Flüssen als Wege in die Unterwelt gedeutet werden.

Die bronzezeitlichen Funde von Riehen sind nicht nur für das Verständnis der Bronzezeit in Basel von grösster Bedeutung. Die 2018 entdeckte Grube mit rituell niedergelegten Keramikscherben am Haselrain, die 2020 grossflächig untersuchte Siedlung an der Inzlingerstrasse sowie die beiden Grabhügel im Britzigerwald und der Weihefund an der Burgstrasse sind Teil einer in Mitteleuropa einzigartigen Siedlungslandschaft um 1300 v. Chr. zu Beginn der Spätbronzezeit.8


1
Der Begriff wurde in den 1990er-Jahren geprägt, vgl. Albrecht Jockenhövel: An der Schwelle der Geschichte – Bronzezeit als historische Epoche, in: Albrecht Jockenhövel / Wolf Kubach (Hg.): Bronzezeit in Deutschland, Stuttgart 1994, S. 7–10.

2
Zur sozialen Gliederung der bronzezeitlichen Gesellschaft sowie der Himmelsscheibe von Nebra und geistigen Vorstellungen vgl. Harald Meller (Hg.): Der geschmiedete Himmel. Die Welt im Herzen Europas vor 3600 Jahren, Stuttgart 2004; ders. (Hg.): Bronzerausch. Spätneolithikum und Frühbronzezeit, Halle 2011, S. 121–199; ders. (Hg.): Glutgeboren. Mittelbronzezeit bis Eisenzeit, Halle 2015, S. 95–116.

3
Ein guter Überblick über die Entwicklung der materiellen Kultur findet sich in Werner E. Stöckli: Urgeschichte der Schweiz im Überblick (15000 v. Chr. – Christi Geburt). Die Konstruk-tion einer Urgeschichte, Basel 2016, S. 188–203.

4
Eine Übersicht zur Bronzezeit im Kanton Basel-Stadt verschafft Guido Lassau: Bronzezeit 2200–800 v. Chr., in: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt / Historisches Museum Basel (Hg.): Unter uns. Archäologie in Basel, Basel 2008, S. 85–105.

5
Zur Utengasse und dem Münsterhügel
vgl. Guido Lassau: Bronzezeitliche Besiedlung Basels – kleine Mosaiksteine fügen sich zu einem Gesamtbild, in: Archäologie Schweiz, Jg. 38, Heft 2, 2015, S. 10–12.

6
Das Phänomen solcher Gruben wurde von Miriam Hauser wissenschaftlich aufgearbeitet, vgl. Miriam Hauser: Der Rest vom Fest. Eine spätbronzezeitliche Grube voller Scherben
vom Seckeberg in Frick, Kantonsarchäologie Aargau, Aarau 2019. 

7
Zu Riehen, Britzigerwald vgl. Lassau, Bronzezeit, S. 103–105.

8
Zur Burgstrasse und Weihefunden im Allgemeinen vgl. Lassau, Bronzezeitliche Besiedlung, S. 10–12.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2021

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