Eine Erfindung machen
Eva Ebnöther
Als Ernst Weber zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen - einer sprang wie ein junger Hund voraus, einerlag im Kinderwagen - im Sommer 1898 einen geruhsamen Sonntagsspaziergang von Riehen nach ßettingen unternahm, um dort seine bettlägerige Mutter zu besuchen, die energisch auf den wöchentlichen Besuch ihres Sohnes pochte, obwohl sie seit Jahren von Emsts Schwester hingebungsvoll gepflegt wurde, als also Ernst Weber, den Arm beschützend um seine hochschwangere Frau gelegt, so frohgemut mit seiner Familie über den gekiesten Feldweg schritt, geschah es ihm, dass seine Nase von einem Regentropfen attackiert wurde, und unglücklicherweise blieb es nicht bei dem einen, es folgten ein zweiter und ein dritter Tropfen und noch viele mehr, sodass Ernst Weber, der zwar einen eleganten Spazierstock, aber keinen Regenschirm dabeihatte, um seinen empfindlichen Hut zu fürchten begann, während seine Frau, die den Kinderwagen mit ihrem Umschlagtuch vor dem immer dichter fallenden Regen zu schützen versuchte, beruhigend auf den älteren Jungen einredete, der sich vor Blitz und Donner fürchtete und sich an den voluminösen Bauch seiner Mutter klammerte, bis Ernst Weber, den nicht nur die Sorge um seinen Hut umtrieb, sondern der sich auch darüber ärgerte, dass er nicht so vorausschauend gewesen war, den Regenschirm mitzunehmen, bis also Ernst Weber seiner Frau seinen Sommermantel umlegte, denn sie war nur im leichten Kleid aus dem Haus gegangen, was Ernst Weber als beinahe unverzeihlichen Leichtsinn verurteilte, hätte sie doch in ihrem Zustand mehr um ihre Gesundheit besorgt sein müssen, und er verpasste seinem greinenden Sohn eine Ohrfeige, weil bei einem beinahe Fünfjährigen kein weinerliches Benehmen geduldet werden konnte, worauf sich das Jammern des Kindes in lautes Geschrei und der ruhig besorgte Blick der Mutter in ein tiefes Stirnrunzeln verwandelte, was Ernst Webers ärger in Wut umschlagen Hess, denn offenbar hatte sich nicht nur der heimtückische Himmel, sondern auch seine Familie gegen ihn verschworen, und während er spürte, wie das schwere Regenwasser in der Krempe seines Hutes zu schwappen begann, trieb er Frau und Kinder mit harschen Worten, die er kaum zwischen seinen zusammengepressten Lippen hervorbrachte, zur Eile an, wobei er seine Stimme erheben musste, denn der Lärm war inzwischen ohrenbetäubend, zu dem Prasseln der haselnussgrossen Regentropfen, die in wildem Staccato auf Ernst Webers Hut zerplatzten, gesellten sich noch das Schluchzen des ältesten Jungen und das heitere Singen von Ernst Webers Frau, die versuchte, das Kind im Wagen zu beruhigen, was aber nicht gelang, der Kleine begann ebenfalls zu weinen, sodass Ernst Weber, der die Nässe inzwischen bereits auf seinen Schultern spürte - er war ja seines Mantels beraubt, den seine Frau, übrigens ohne ein Wort des Danks, in Anspruch nahm -, sodass also Ernst Weber seiner Familie mit grossen Schritten vorauseilte, ungeachtet der Pfützen, in die er mit seinen hellen Sommerschuhen trat, ihn trieb einzig der Wunsch an, dem Geschrei seiner Söhne und der Unbill des Wetters zu entfliehen und seinen Hut in Sicherheit zu bringen, aber der Fussmarsch bis zurück nach Riehen würde noch mindestens eine Viertelstunde dauern, selbst wenn man nicht auf Frau und Kinder Rücksicht zu nehmen brauchte, und angesichts der Tatsachen, dass seine Eile vollkommen sinnlos war und dass es sich vor den Augen der Nachbarn nicht gut machen würde, wenn er allein nach Hause käme und seine vollkommen durchnässten Angehörigen erst zehn Minuten später, angesichts dieser Tatsachen also blieb Ernst Weber resigniert unter einer tropfenden Linde stehen, um auf seine Familie zu warten, und in diesen wenigen Sekunden, die Ernst Weber ohne Schutz und ohne Kampf verbrachte, durchzuckte eine Idee sein Gehirn, die Idee zum idealen Regenschirm, der, hätte Ernst Weber ihn heute schon auf seinem Sonntagsspaziergang dabeigehabt, dieses Debakel hätte verhindern können: der Protector.
Nachtrag
Im Jahr 1900 meldete Ernst Weber aus Riehen seinen Stockschirm «Protector» zum Patent an. Es handelte sich dabei laut Ernst Webers Aussage um «den Zukunftsschirm des 20. Jahrhunderts»: einen Spazierstock mit eingebautem Schirmgestell, das bei Regen aufgespannt und mit einem dazupassenden Stück Stoff - das man separat mittragen musste - überzogen werden konnte. Spazierstock und Regenschirm in einem, eine Art monströser Vorläufer des heutigen «Knirps». Der Protector wurde in zeitgenössischen Reklameanzeigen mit folgendem Werbespruch angepriesen: «Willst wasserdicht die Welt durchziehn, kauf den <Protector> du aus Riehen.» Ob dem Protector viel Erfolg beschieden war, ist der Autorin unbekannt. Er kann jedoch noch heute im Dorfmuseum von Riehen besichtigt werden.