Eine Weltmeisterin aus Riehen


Rolf Spriessler-Brander


 

Die Orientierungsläuferin Ines Brodmann wurde im Juli 2012 an der Weltmeisterschaft in Lausanne zusammen mit Simone Niggli und Judith Wyder Staffel-Weltmeisterin und lief im Langdistanzrennen auf den neunten Platz. Für diese sportlichen Erfolge wurde sie mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2012 ausgezeichnet.


 

Es war am 21. Juli 2012. Die 27-jährige Riehenerin Ines Brodmann ging im Rahmen der OL-Weltmeisterschaften in Lausanne als Startläuferin des Schweizer Teams in den Staffelwettbewerb der Frauen und kam knapp hinter der führenden Schwedin als Zweite zurück. Judith Wyder hielt den Rückstand zur Spitze im Rahmen, die überragende Simone Niggli, die zuvor bereits zwei Einzeltitel geholt hatte, übernahm kurz nach der Übergabe die Spitze und brachte den Titel mit grossem Vorsprung nach Hause. Die letzten Meter absolvierten die drei jubelnden Läuferinnen zu dritt. Es war der dritte WM-Titel einer Schweizer Frauenstaffel nach 2003 in der Schweiz und 2005 in Japan. Zuvor hatte Ines Brodmann bereits im WM-Langdistanzrennen überzeugt und war auf den hervorragenden neunten Platz gelaufen – ihr erstes Top-Ten-Resultat an einer Weltmeisterschaft. Mit dem Staffel-Weltmeistertitel krönte sie ihre bisherige Karriere als Orientierungsläuferin.


 

Beginn als Leichtathletin


Ihre sportliche Karriere begann Ines Brodmann als Leichtathletin beim Turnverein Riehen, für den sie bei Leichtathletikanlässen nach wie vor startet, etwa bei Langstreckenläufen oder im Cross. Zum Turnverein gefunden hatte sie durch ihre drei älteren Geschwister. Sie hatte es kaum erwarten können, endlich auch auf dem Sportplatz mittun zu dürfen, und mit ihrem typischen Ehrgeiz und grossen Trainingsfleiss war sie bald erfolgreich, holte Kantonalmeistertitel und gewann Medaillen an Regionenmeisterschaften. Mit ihrer Vielseitigkeit sowohl als Läuferin als auch in den technischen Disziplinen war sie für den Mehrkampf prädestiniert, doch schon als Zehnjährige hatte sie auch das Orientierungslaufen für sich entdeckt und so liefen Leichtathletik und OL während Jahren nebeneinander her.


 

Auch im Orientierungslauf feierte Ines Brodmann als Mitglied der OLG Basel bald Erfolge. Bereits 1998 wurde die 1985 geborene Athletin ins Nordwestschweizer OL-Nachwuchskader aufgenommen und im Jahr 2000 hatte sie ihre ersten internationalen Auftritte – sie wurde Zweite in einem Drei-Tage-OL in Tschechien und nahm an den Jugend-Europameisterschaften im russischen Kaliningrad teil, wo sie im Einzel auf den 19. Platz lief und mit der Schweizer Staffel Dritte wurde. Die verdiente Bronzemedaille erhielt sie damals allerdings nicht – weil russische Helfer in anderen Kategorien geschummelt hatten, indem sie Posten im Wald umsteckten, wurden kurzerhand alle Staffel-Resultate annulliert. Was die Athletinnen allerdings nicht davon abhielt, ihre ganz eigene Siegerehrung zu feiern …


 

Im Jahr 2004 war Ines Brodmann Juniorinnen-Schweizermeisterin auf allen drei Einzeldistanzen – Sprint, Mittel und Lang – sowie Vize-Schweizermeisterin mit der Frauen-Staffel. Im selben Jahr holte sie Sprint- und Staffelgold am Junioren-Europacup in Grossbritannien. Für das Jahr 2004 wurde Ines Brodmann dann zusammen mit der Leichtathletin Deborah Büttel im Sinne eines Förderpreises schon einmal mit dem Riehener Sportpreis bedacht.


 

Von der besten Schweizer Juniorin zur Weltspitze


Seither hat sich Ines Brodmann kontinuierlich weiterentwickelt. Seit 2005 gehört sie zum Elite-Nationalteam. Im Jahr 2006 gewann sie auf der Mitteldistanz ihren ersten Elite-Schweizermeistertitel in einem Einzelwettbewerb, im selben Jahr war sie auch Staffel- und Team-Schweizermeisterin und Studenten-Vizeweltmeisterin mit der Staffel. Ab 2007 begann Ines Brodmann im Weltcup Fuss zu fassen und bestritt ihre erste Elite-Weltmeisterschaft. Im Jahr 2010 lief sie erstmals in einem Weltcuprennen in die Top Ten. An den Europameisterschaften 2010 in Bulgarien hatte sie grosses Pech, als sie im Sprint-Final in eine Scherbe trat, in der Mitteldistanz-Qualifikation mit ihrem genähten Fuss chancenlos blieb und für die Staffel Forfait geben musste. Danach verpasste sie die Weltmeisterschaften, für die sie nur als Ersatz selektioniert war, wurde aber in Schweden Studenten-Weltmeisterin mit der Staffel und gewann auf der Mitteldistanz die Bronzemedaille.


 

In den Jahren 2011 und 2012 erreichte Ines Brodmann dann im Weltcup konstant gute Resultate, und das auch auf unterschiedlichen Distanzen. In Finnland lief sie 2011 in einem Sprint-Weltcuprennen auf Platz fünf, war am Weltcup-Event in Tschechien Sechste im Mitteldistanz- und Fünfte im Langdistanzrennen. In der Weltcupsaison 2012 war sie in St. Gallen Sprint-Sechste und in Oslo Sprint-Fünfte. Den Gesamtweltcup beendete sie 2011 als Dreizehnte und 2012 als Zwölfte. In der Weltrangliste kletterte sie im September 2012 sogar bis auf Platz neun. Diese Erfolge waren nicht zuletzt Ergebnis einer intensivierten Vorbereitung. Nach Abschluss ihres Master-Studiums in Sport und Sportwissenschaften in Magglingen verbrachte sie den Sommer 2011 mehrheitlich in Schweden, wo sie für den OL-Verein IFK Lidingö arbeitete und auch erfolgreich Wettkämpfe bestritt. 


 

Bis Ende 2012 nahm Ines Brodmann an fünf Weltmeisterschaften teil, stand viermal in einem Einzelfinal und lief drei WM-Staffeln. Sie bestritt drei Europameisterschaften und gewann im Jahr 2012 die Gesamtwertung der Mediterranean Open Championship in Italien, im Frühjahr 2013 wurde sie dort Gesamtdritte. Bis und mit 2012 war sie neunmal Schweizermeisterin in einer Einzeldisziplin und holte zwölf nationale Titel mit Staffel oder Team. Ausserdem gewann sie an nationalen Titelkämpfen fünfmal Silber und einmal Bronze.


 

Aus Fehlern lernen


Trotz all dieser Erfolge ging es nicht immer nur bergauf für die stets aufgestellt wirkende Athletin. Mehr als einmal spielten ihr die Nerven einen Streich, traf sie unterwegs falsche Entscheide, wurde sie unsicher oder beging einen entscheidenden Fehler – als sie zum Beispiel einen wichtigen Qualifikationslauf in den Sand setzte, weil sie auf der Karte eine Sperrfläche übersehen hatte. Aber mit grosser Akribie lernt sie aus ihren Fehlern und steckt viel Energie in die Behebung ihrer Schwächen und die Verbesserung ihrer Stärken – ohne dabei die ihr eigene natürliche Freude zu verlieren. Ines Brodmann ist eine Athletin, die nirgends absolute Spitze, aber auch in keiner Beziehung wirklich schwach ist. Ihre Stärke bezieht sie aus dem Zusammenspiel vieler Faktoren, was ihr eine gewisse Konstanz verleiht, es ihr aber auch nicht leicht macht, regelmässig an der Spitze zu sein. Für den ganz grossen Erfolg muss einfach alles zusammenpassen.


 

Ines Brodmann ist ein Kopfmensch. Deshalb reizte es sie auch, auf der Karte erst erkennen zu müssen, wo der Weg durchführt und welcher Weg der schnellste ist – und das ist beileibe nicht immer der kürzeste. Das Ungewisse und Flexible des Orientierungslaufs forderte sie mehr heraus als das sture Bahnrennen. Und da sie sich gern auf sich selber verlässt, wurde sie auch keine Mannschaftssportlerin, sondern war für eine Einzelsportart prädestiniert, auch wenn sie sich speziell freut, wenn sie in einem Staffellauf zusammen mit anderen erfolgreich sein darf, so wie 2012 in Lausanne.


 

Der Aufwand, den sie betreibt, ist gross. In ihrer Broschüre, mit der sie Sponsoren sucht, veranschlagt sie ihren Trainingsaufwand auf rund 500 Stunden im Jahr, verteilt auf 10 bis 14 Einheiten pro Woche, mit Lauftrainings, spezifischen OL-Einheiten, Krafttrainings, Velofahren, Aquajogging und Skilanglauf – nicht umsonst ist Ines Brodmann auch Mitglied des Ski-und Sportclubs Riehen.


 

An der Übergabefeier des Riehener Sportpreises im Frühjahr 2013 lobte Trainerin Bettina Steiger ihre Athletin als zielbewusst und verantwortungsvoll, schilderte sie gleichzeitig aber auch als zuweilen zerstreut. So komme es schon mal vor, dass Ines Brodmann, tausend Ideen im Kopf wälzend, in den falschen Zug steige oder es verpasse, am richtigen Ort auszusteigen. Worauf Ines Brodmann dem Gesagten lächelnd beipflichtete und anfügte, von aussen betrachtet, sei es ja schon eine lustige Sache mit diesen speziellen Leuten, die im Wald herumrennen und mit zerkratzten Armen nach Hause kommen würden. Die Orientierungsläufer seien halt ein eigenes Völkchen, aber auch sehr offen gegenüber allem, und in diesem Umfeld fühle sie sich nicht nur als Sportlerin, sondern auch als Mensch ungemein wohl.


 

Die Übergabe des Sportpreises der Gemeinde Riehen für das Jahr 2012 durch Gemeinderätin Irène Fischer-Burri erfolgte im Rahmen einer öffentlichen Feier am 15. April 2013 im Haus der Vereine.


 

 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2013

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