Energiepolitisch immer am Ball
Richard Grass
«WIR SIND CHAMPIONS LEAGUE» steht auf dem Titelblatt eines Flyers, den die Gemeinde Riehen 2018 herausgab. Er zeigt aber keine Fotos von jubelnden Fussballspielern, sondern von zufriedenen Einwohnerinnen und Einwohnern, die über Energieprojekte in der Gemeinde berichten. Riehen spielt in der Champions League der europäischen Energiestädte, dem ‹European Energy Award›, an der Spitze mit. Im Oktober 2019 feierte die Gemeinde gleich fünf entsprechende Jubiläen: 30 Jahre Wärmeverbund Riehen, 25 Jahre Geothermie, 20 Jahre Energiestadt, 15 Jahre ‹European Energy Award Gold› und 10 Jahre Wärmeverbund Riehen AG.
Energie wurde in der Schweiz erst in den 1970er-Jahren zu einem politischen Thema. Die Nutzung der Wasserkraft und der Betrieb von Stark- und Schwachstromanlagen waren zwar schon lange gesetzlich geregelt, aber die Diskussionen über den Bau von Kernkraftwerken und vor allem die beiden Ölkrisen zeigten, dass die Sicherung der Energieversorgung eine hochpolitische Angelegenheit ist. Im Herbst 1973 drosselte die Organisation der arabischen Erdöl exportierenden Staaten anlässlich des Jom-Kippur- Kriegs die Erdölförderung, um die westlichen Staaten, die Israel unterstützten, unter Druck zu setzen. Und 1979/80 führte der Krieg zwischen Iran und Irak zu Förderausfällen und politischen Unsicherheiten. Beide Ölkrisen führten jeweils zu einem sprunghaften Anstieg des Ölpreises, was in den Industrieländern eine schwere Rezession auslöste. In der Schweiz gab das den entscheidenden Impuls, sich mit der Erarbeitung einer umfassenden nationalen Energiepolitik zu befassen. Besonders schnell arbeitete die Bundespolitik allerdings nicht. Erst 1990 erhielt der Bund durch einen Verfassungsartikel weitreichende Befugnisse im Energiebereich. Bis zum ersten eidgenössischen Energiegesetz dauerte es dann nochmals acht Jahre. Basel-Stadt war etwas schneller. 1977 lag das Energieleitbild beider Basel vor, in dem Ressourcenschonung und Umweltschutz thematisiert wurden, und 1983 trat im Kanton Basel-Stadt das Energiespargesetz in Kraft.
STRASSENSPARLAMPEN UND EIN FRÜHER ENERGIEBERICHT
In den meisten Gemeinden war Energie zu jener Zeit höchstens am Rande ein politisches Thema. Nicht so in Riehen. Bereits im Sommer 1978 genehmigte der Weitere Gemeinderat (heute Einwohnerrat) das ‹Gesamtkonzept der öffentlichen Beleuchtung›. Beim Ersatz von alten Strassenlampen wurden seither Lampen mit zwei Leuchtkörpern montiert. Von spätnachts bis frühmorgens, wenn die Strassen nur leicht frequentiert waren, wurde die eine davon ausgeschaltet, um Strom zu sparen. Ab 1993 wurde die Strassenbeleuchtung auf Kompaktsparlampen umgerüstet und schon bald soll auf LED umgestellt werden. Kurz bevor die zweite Ölkrise die Weltwirtschaft erschütterte, unterbreitete der damalige Gemeinderat Paul Meyer dem Gemeinderat 1979 einen umfassenden Bericht mit dem Titel ‹Die Energieversorgung von Riehen›. Am Schluss des Berichts sind verschiedene Massnahmen aufgelistet, zum Beispiel: Information der Öffentlichkeit über Energiesparmassnahmen in der ‹Riehener-Zeitung›, Verbesserung der Isolierung der gemeindeeigenen Liegenschaften, Durchführung einer Probebohrung zur Nutzung von geothermischer Energie und Unterstützung von privaten Initiativen zur Nutzung neuer Energiequellen im Bewilligungsverfahren. Zwar hatte sich der Gemeinderat bereits 1972 aufgrund eines Anzugs im Weiteren Gemeinderat beim Kanton nach den Möglichkeiten eines Anschlusses der Gemeinde an das Fernheiznetz der Stadt Basel erkundigt. Im Energieleitbild beider Basel von 1977 wurde für Riehen jedoch Gas als Hauptversorgungssystem bezeichnet. Der Aufbau einer Fernheizung sei in dieser Zone wirtschaftlich nicht vertretbar. Daraufhin liess der Gemeinderat 1980 ein ‹Konzept zur Nutzung regenerierbarer Energien› ausarbeiten.
WÄRME AUS DER TIEFE
Riehen hatte nun also ein Gesamtkonzept der öffentlichen Beleuchtung und ein Wärmeversorgungskonzept, aber noch kein Energiekonzept über alle Bereiche. Dennoch engagierte sich die Gemeinde in fortschrittlichen Projekten. Das wohl aussergewöhnlichste umfasste die beiden Geothermiebohrungen 1988 am Bachtelenweg und im Lettacker, deren Realisierung dank einer ausserordentlich fruchtbaren und unbürokratischen Zusammenarbeit zwischen Kanton und Gemeinde möglich wurde, da ihre unterschiedlichen Interessen diesmal einer raschen Einigung nicht im Weg standen. Während das Interesse an einer Bohrung beim Kanton primär auf wissenschaftlichem Gebiet lag, stand bei der Gemeinde die praktische Nutzung alternativer Energiequellen eindeutig im Vordergrund. Die beiden Parlamente bewilligten deshalb je einen Kredit von 2,75 Millionen Franken. Erstmals wurde in der Schweiz so tief gebohrt mit dem ausschliesslichen Zweck, die Nutzungsmöglichkeiten der Erdwärme abzuklären: am Bachtelenweg auf 1547 Meter Tiefe und im Lettacker auf 1247 Meter. Im Herbst 1989 nahm die Gemeinde eine vorerst mit Öl betriebene Heizzentrale und die erste Etappe des Verteilnetzes des Wärmeverbunds Riehen Dorf in Betrieb. In den Folgejahren wurde das Wärmeverteilnetz etappenweise erweitert. Seit 1994 ist das Thermalwasser aus der Bohrung am Bachtelenweg die wichtigste Wärmequelle. Die Bohrung liefert 25 Liter Thermalwasser pro Sekunde mit einer Temperatur von 67 Grad Celsius. Daraus werden bis zu 40 Prozent der im Wärmeverbund benötigten Energie CO2-frei gewonnen. Weitere Wärmequellen sind zwei Blockheizkraftwerke, ein Anschluss an die Fernwärme Basel und für den Spitzenbedarf zusätzlich Gasheizkessel. Der Wärmeverbund wurde stets weiterentwickelt. Am 18. Juni 2009 ermächtigte der Einwohnerrat den Gemeinderat, zusammen mit den Industriellen Werken Basel (IWB) die ‹Wärmeverbund Riehen AG› zu gründen und die drei Wärmeverbünde Riehen Dorf, Wasserstelzen (bisher IWB) und Niederholz (bisher private WV Niederholz AG) mit einer Verbindungsleitung zusammenzuschliessen. Dadurch konnte die Nutzung der Geothermie nahezu verdoppelt werden. 2019 versorgte der Wärmeverbund rund 8500 Einwohnerinnen und Einwohner mit Wärme für die Raumheizung und das Brauchwarmwasser. Im Vergleich mit Ölheizungen spart der Wärmeverbund Riehen dadurch jährlich rund 10 000 Tonnen CO2 ein. Und der Ausbau geht weiter, denn das Interesse der Liegenschaftseigentümerinnen und -eigentümer an einem Anschluss steigt stetig. Auch das Interesse an der Heizzentrale der Wärmeverbund Riehen AG ist gross. Sie wird von Fachleuten aus dem In- und Ausland besucht, sogar aus dem asiatischen Raum, weil der Wärmeverbund die grösste Geothermieanlage der Schweiz betreibt. Und diese soll noch grösser werden. Um den Anteil an erneuerbarer, CO2-freier Energie zu erhöhen, plant der Wärmeverbund unter dem Projektnamen ‹geo2riehen› eine zweite Geothermieanlage. Gemäss einer Machbarkeitsstudie sind die Erfolgsaussichten für eine weitere Bohrung vielversprechend. Für die detaillierte Untersuchung des Untergrunds hat das Bundesamt für Energie bereits einen Beitrag in der Höhe von maximal 1,2 Millionen Franken bewilligt.
ELEKTRISCH MOBIL IN DER ENERGIESTADT
Auch in anderen Energiebereichen war die Gemeinde bereits tätig, bevor sie ein Energiekonzept ausarbeiten liess. So wurden zum Beispiel 1988 auf dem Dach des Freizeitzentrums Landauer und 1993 auf dem Betriebsgebäude des Werkhofs am Haselrain die ersten Photovoltaikanlagen und 1991 beim Sportplatz Grendelmatte eine Holzschnitzelheizung installiert. Von 1996 bis 2001 – also zu einer Zeit, als man auf den Strassen noch kaum elektrisch angetriebene Personenwagen oder E-Bikes sah – führte das Bundesamt für Energie einen Grossversuch mit Leichtelektromobilen (LEM) durch. Der verfolgte drei Hauptziele: den sinnvollen Einsatz der LEM zu evaluieren und zu demonstrieren, Fördermassnahmen und ihre Akzeptanz zu testen und LEM als Element eines umweltfreundlichen und zukunftsorientierten Mobilitätskonzepts bekanntzumachen. Nebst der Versuchsgemeinde Mendrisio nahmen sechs Partnergemeinden teil, darunter auch Riehen. Wer in der Gemeinde wohnte und gewillt war, sein Motorfahrzeug durch ein Elektromobil zu ersetzen, konnte die Hälfte des Kaufpreises einsparen. An dieser Subventionierung waren der Bund mit 37 Prozent beteiligt, je 6,5 Prozent übernahmen der Kanton Basel-Stadt und die Gemeinde Riehen. Die Gemeinde war Ansprechstelle für die Kaufinteressentinnen und -interessenten, organisierte Events und stellte darüber hinaus drei reservierte Parkplätze mit kostenlosen Stromtankstellen zur Verfügung. Im Rahmen dieses Versuchs wurden in Riehen je 17 Electroscooter und E-Bikes sowie 13 kleine Personenwagen subventioniert. Unter den Personenwagen war auch das dreirädrige Modell Twike, von dem in einem anderen Projekt nochmals die Rede sein wird. Zu dieser Zeit wurde auch das erste umfassende Energieleitbild ausgearbeitet, das 1998 vorlag. In der Folge bewarb sich die Gemeinde um das Label ‹Energiestadt› und wurde 1999 erstmals zertifiziert. Mit dem Label werden Gemeinden ausgezeichnet, die sich für eine effiziente Nutzung von Energie, den Klimaschutz und erneuerbare Energien sowie umweltverträgliche Mobilität einsetzen. Und weil dieser Einsatz kontinuierlich erfolgen soll, muss alle vier Jahre ein Re-Audit erfolgen. Dass Riehen gleich beim ersten Mal eine hohe Punktzahl erreichte, war vor allem der Nutzung von Geothermie im Wärmeverbund zu verdanken. Auf diesen Lorbeeren ausruhen konnte sich Riehen also nicht. Deshalb wurde sogleich das ‹Energiekonzept 2000– 2015› ausgearbeitet. Es beinhaltete Ziele und Massnahmen für die Bereiche Energieversorgung, gemeindeeigene Gebäude und Anlagen, Verkehr und Transport, Öffentlichkeitsarbeit, Planung und Organisation. Das bereichsübergreifende Ziel lautete: «Riehen behält durch die konsequente Weiterführung einer aktiven Energiepolitik seine Vorreiterrolle im Energiebereich und etabliert sich unter den führenden Energiestädten der Schweiz.» Es hätte auch heissen können: «den führenden Energiestädten Europas». Denn 2004 wurde Riehen als erste Gemeinde mit dem ‹European Energy Award Gold› ausgezeichnet.
BEDARFSGERECHT VERBINDEN, SPEICHERN UND WIEDERVERWENDEN
Um sich unter den führenden Energiestädten zu etablieren, brauchte es Leistungen in allen Energiebereichen. An den öffentlichen Verkehr leistete die Gemeinde immer wieder finanzielle Beiträge. So werden die im Dorf zirkulierenden Kleinbuslinien zur Hälfte durch die Gemeinde finanziert. Sie binden das gesamte Wohngebiet gut an die Regio-S-Bahn sowie die Tram- und Buslinien der Basler Verkehrsbetriebe (BVB) an. In den Abendstunden, wenn die Kleinbuslinien nicht mehr verkehren, bietet die Gemeinde die Dienste eines kostenlosen Ruftaxis an. Um die Attraktivität der Regio-S-Bahn zu erhöhen, leistete die Gemeinde namhafte Beträge an den Umbau des Bahnhofs Riehen Dorf, den Bau der Haltestelle Niederholz und während zehn Jahren an den Betrieb der Durchbindung der S-Bahn-Linie 6 zwischen dem Badischen Bahnhof und dem Bahnhof SBB. Nicht in allen Bereichen arbeitet Riehen bislang so wirksam wie im öffentlichen Verkehr oder dem Wärmeverbund. Der energetische Zustand der gemeindeeigenen Liegenschaften ist im Vergleich mit den grossen Leistungen in der Energieversorgung der Schwachpunkt. Auch gibt es noch ungenutzte Flächen für Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Gemeindeliegenschaften. Allerdings setzte die Gemeinde in diesem Teilbereich 2018 einen Glanzpunkt: Aufgrund eines Anzugs im Einwohnerrat wurde das Potenzial der meisten Dächer der gemeindeeigenen Liegenschaften für die Stromerzeugung durch Photovoltaikanlagen eruiert. Dabei zeigte sich, dass die Dachflächen der Alterssiedlung Drei Brunnen dafür gut geeignet sind. Zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) wurde ein sehr innovatives Projekt ausgearbeitet: Das bestehende asbesthaltige Eternitdach wurde entfernt und durch eine sogenannte Photovoltaik- Indach-Anlage ersetzt. Diese übernimmt die Funktion einer homogenen Dachhaut, die gleichzeitig Strom produziert. Die Anlage weist aber noch eine weitere Besonderheit auf: Überschüssig produzierter Strom wird nicht ins Stromnetz eingespeist, sondern vor Ort gespeichert und in den Spitzenverbrauchszeiten genutzt. Als Speicher dienen gebrauchte Batterien, deren Leistungen für Elektromobile nicht mehr genügen, die aber als Speicher für Strom im Gebäudebereich weitergenutzt werden können. Dadurch kann der Lebenszyklus der Batterien massgeblich verlängert und der Rohstoffverbrauch verringert werden. Ausserdem schliesst sich hier ein Kreis: Ein Teil der Batterien stammt von aktuell genutzten Twikes, dem dreirädrigen Fahrzeugmodell, das vor 20 Jahren im Rahmen des Grossversuchs mit LEM von der Gemeinde gefördert wurde. Der lokalen Zwischenspeicherung von elektrischer Energie wird im Zuge der Energiewende sicherlich eine wichtige Rolle zukommen. Wie lange diese Akkumulatoren noch genutzt werden können, welche Anpassungen nötig sind und welcher Gesamtaufwand damit verbunden ist, kann momentan nur grob abgeschätzt werden. Diese Fragen soll das Forschungsprojekt der FHNW in der Alterssiedlung Drei Brunnen beantworten.
ENERGIEPOLITIK IM WANDEL
Im neusten ‹Energiekonzept 2014–2025› orientiert sich die Gemeinde an den bis 2050 zu erreichenden Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft und bricht diese auf das Jahr 2025 herunter. Bis dann müsste der Verbrauch von nicht erneuerbarer Energie um 30 Prozent reduziert werden. Dem Ausbau des Wärmeverbunds kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Es braucht aber auch eine optimale energietechnische Sanierung der bestehenden Bausubstanz – und zwar nicht nur der gemeindeeigenen Liegenschaften, sondern auch der privaten. Im Unterschied zu den Pionierzeiten des Wärmeverbunds läuft nicht mehr alles auf freiwilliger Basis. Bund und Kanton fördern zwar immer noch nachhaltige Energieprojekte, erlassen aber auch strengere Vorschriften. Um die internationalen Klimaziele des ‹Übereinkommens von Paris› 2015 und die nationale ‹Energiestrategie 2050› von 2017 zu erreichen, setzen Bund und Kantone immer mehr Gesetze ein. Das revidierte Energiegesetz des Kantons Basel-Stadt von 2017 verlangt, dass bei Neubauten oder beim Ersatz von Heizungen erneuerbare Energie genutzt wird. Man kann die Riehener Energiepolitik folglich in drei Phasen unterteilen. Die ersten Energieprojekte ergaben sich mehr oder weniger aus den gegebenen Umständen. Es folgte die Phase der Energiekonzepte, in der sich die Gemeinde Ziele über mehrere Jahre setzte und die erforderlichen Massnahmen formulierte. Jetzt folgt die Zeit, in der kantonale Gesetze stärker Einfluss nehmen auf die Energiepolitik der Gemeinde. Vor über 30 Jahren hatte Riehen mit den beiden Geothermiebohrungen am Bachtelenweg und im Lettacker sowie mit der Installation der Photovoltaikanlage auf dem Dach des Freizeitzentrums Landauer freiwillig begonnen, auf diese Ziele hinzuarbeiten.
QUELLEN
FHNW: Analyse von Energiefluss und 2nd-Life Batterie der Alterssiedlung
«Drei Brunnen», Schlussbericht 2019
Gemeinde Riehen: Energiekonzept 2000–2015
Gemeinde Riehen: Energiekonzept 2014–2025
Gemeinde Riehen: Energieleitbild Riehen, 1998
Gemeinde Riehen: Gesamtkonzept der öffentlichen Beleuchtung, 1978
Gemeinde Riehen: Konzept zur Nutzung regenerierbarer Energien, 1980
Paul Meyer: Die Energieversorgung von Riehen, Riehen 1979