Erinnerungen an Ernst Beyeler

Annemarie Monteil

Riehen war für Ernst Beyeler Heimat. Hier wohnte er, hier lebt er weiter in seinem Museum, der Fondation Beyeler. Wir verbinden Erinnerungen an ihn mit Werken seiner Sammlung.

 

Immer waren es die Bilder. Begegnete man Ernst Beyeler, fragte er nicht, «wie geht es?», sondern «was hast du gesehen?». Er wollte Augenerlebnisse. Wortreiche Theorien und Spekulationen belächelte er.

Dass Kunst mit dem lebensvollsten Dasein verbunden ist, hatten ihn schon frühe Begegnungen gelehrt. Zum einen begeisterten ihn die Vorlesungen des damaligen Museumsdirektors Georg Schmidt, zum anderen half er in der «Librairie du Château d'Art» aus, wo ihn der weise Oskar Schloss in Geheimnisse um Kunst und Meditation einführte. Als Schloss plötzlich starb, kaufte der mittellose Lehrling mit Hilfe von Freunden aus dem Ruderclub das Geschäft. Das war tollkühn, führte aber zu Beyelers Bilderweg des Glücks, der Last und Lust - und des Erfolgs.

Begabt mit dem Gespür für Qualität und einem als «unfehlbar» gerühmten Auge wurde die Klassische Moderne Beyelers Feld. Er machte nach anfänglichen Engpässen die Bäumlcingasse 9 zu einer der weltweit gesuchtesten Adressen für hochkarätige Kunst von Cézanne bis Giacometti - und dies mit einem Totaleinsatz ohnegleichen. Daneben fand er Zeit, Skulpturenausstellungen im Wenkenpark und in Brüglingen zu organisieren. Immer wieder wanderten Werke ins bescheidene Haus in Riehen, sei es, um sie zu prüfen oder mit Liebgewonnenem zu leben. Manches ging ins Depot, einiges als Leihgabe ins Kunstmuseum.

Die Geschichte ist bekannt: Als die Beyelers 1989 ihren bis anhin verstreuten Besitz erstmals vereint im «Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia» in Madrid sahen, merkten sie, dass sie eine einzigartige, in sich kohärente Sammlung besitzen. Angebote für Museen kamen aus aller Welt. «Aber wir wollten nicht mit der Sammlung pokern, die Gegend, in der wir leben, ist uns ans Herz gewachsen.» Renzo Piano realisierte Schritt um Schritt zusammen mit Ernst Beyeler den Traum im Grünen in Riehen.

Ernst Beyeler ist unvergessen: hochgewachsen, aufmerksam, der Lord seiner Zunft. Er begrüsste den Gärtner im Park und den Schah von Persien mit der gleichen Liebenswürdigkeit. Das Wichtigste aber waren ihm die Werke. Für sie gründete er ein Museum, für sie überwachte er Räume, Lichtführung und Präsentation bis ins letzte Detail.

Bubenzeiten

Vielleicht ein Klassenausflug An die Schulzeit hat Ernst Beyeler keine gloriosen Erinnerungen: «Mein Vater bezeichnete mich oft als Phlegma, als Duschelikutter» bekannte er in einer Rede zum achtzigsten Geburtstag und gab selbst «eine gewisse Antriebsschwäche» zu, «...auch schon für die Schulaufgaben. Das war aber vermischt mit einem Dahinträumen, was ich nie ganz verloren habe.»

Der spätere Sammler wird geprägt sein von seinem Wesen, seinen Erfahrungen und Vorlieben. Der junge Träumer, der auch der Erwachsene heimlich geblieben ist, führte ihn zum Tagträumer Paul Klee, von dem er - und dies ist der kühne andere Beyeler - in einem finanziell waghalsigen Entschluss 100 Werke aus einer amerikanischen Privatsammlung nach Europa zurückbrachte. Dass er die phänomenale Gruppe trotz gutem Angebot nicht einem deutschen Baron, der sie als Aktie ins Safe legen wollte, verkauft hat, sondern zuwartete und damit den Grundstock der Kunstsammlung Nordrhein-Westfahlen legte, zeigt eine dritte Eigenschaft: Beyelers verantwortungsvolle Liebe zur Kunst.

Der «aufgehende Stern»

von Paul Klee darf symbolhaft dem jungen Ernst zugeordnet werden. Klee hat hier einen ganzen Zeitablauf dargestellt. Die Zickzackspur bezeichnet den zurückgelegten Weg des am Horizont aufgehenden, fast kindlich umrissenen, sechszackigen Sterns. Darunter breitet Klee mit einem Punktraster auf zartfarbigem Wolkengrund ein fast überirdisches Flimmern aus. Alles steht offen.

Im Gleichgewicht

Als junger Kaufmann wollte Ernst Beyeler ins Ausland ziehen, der Zweite Weltkrieg verhinderte es. Als Galerist wusste er sehr wohl, dass Paris, London oder New York dem Kunsthandel weitaus mehr Chancen boten als das kleine und sparsame Basel. Siegte Kalkül oder Gemüt? Unsere Fotografie hat die Antwort: «Es ist ganz einfach: hier hatte ich meine Freunde, meinen Ruderclub und ein paar Stunden von meinem Haus entfernt die Hänge und verschneiten Gipfel, die ich liebe. Warum sollte ich woanders das suchen, was meine innere Ausgeglichenheit ausmacht?»

In der Ausgeglichenheit, im «équilibre intime», wie der sprachbegabte Beyeler im Interview mit Christoph Meury sagte, lag nicht nur seine erstaunliche Schaffenskraft, er fand das spannungsvolle Gleichgewicht auch in seinen liebsten Werken, vor allem bei Paul Cézanne. Traf man ihn auf der Sitzbank in der Fondation vor dem Porträt der «Madame Cézanne» erklärte der sonst eher Zurückhaltende, «wie wunderbar es ist zu beobachten, wie Cézanne das Gemälde ins Gleichgewicht bringt.»

Dass Ernst Beyeler auch das Aquarell Cézannes genau studierte, ahnen jene Freunde, die seine geheime Leidenschaft kennen: Aquarellmalen. Nicht von Imitation ist die Rede. Aber ein «zum Schauen Bestellter» muss einmal die eigenen Pinselzüge erproben, wenn ihn die Begeisterung für die verschneiten Gipfel und das Meer auf Los, der geliebten Insel, hinreisst. Einen «Sonntagsmaler» nannte er sich und hatte dabei jenes lautlose Lachen, mit dem er so gern die Dinge relativierte.

Im Auge des Zyklons

Das Büro von Ernst Beyeler an der Bäumleingasse 9 in Basel ist ein kleiner Raum, von dem alles ausging. Hier wurde EB, wie man ihn in der Galerie nannte, zum weltbekannten Kunsthändler. Von hier aus haben rund 16000 Kunstwerke die Besitzer gewechselt. Hier empfing er Freunde, Kunden und ungezählte Telefonanrufe, ohne antichambrieren, der Chef war einfach da. Hier erdachte und überwachte er in jedem Detail die Kataloge, die schon früh die Ausstellungen begleiteten und durch ihre Perfektion die Türe zu sonst unzugänglichen Künstlern öffnete, wie etwa zu Picasso.

EB sitzt am Schreibtisch, Aug in Auge mit der Büste Diegos des verehrten Alberto Giacometti, dahinter eine Keramik Picassos und präcolumbianische Figuren. Rechts türmen sich Bücher auf, tägliche Begleiter. Gegenüber tauchen Rüssel und Ohr einer ozeanischen Tierfigur auf: ein Schwein in Gelassform nahm die Post auf. Wenn Claudia Neugebauer mit einem Stoss Einladungen kam, hiess es «i d'Sau». Einseitig Bedrucktes wurde als Notizzettel bewahrt.

Am Tisch schreibt ein konzentrierter EB. Seine Texte setzte er in seiner klaren Schrift von Hand auf. Im Hintergrund ein Porträt von Amadeo Modigliani, das bald an einen Käufer gehen wird, denn in der stillen Kammer wurde gehandelt, einmal auch gekämpft, als es um den Verbleib eines der ersten abstrakten Gemälde von Kandinsky ging, um die beschwingte «Improvisation 10». Heute hängt sie in der Fondation.

Kunsturteil Hildy Kunz und Ernst Bcyeler, beide in Basel geboren, beide Julikinder, beide begeistert für Kunst und Natur, heirateten im Juli 1948. Gemeinsam erlebten sie die kargen und die glanzvollen Zeiten, sechzig Jahre lang.

Frau Hildy sass am Tisch im schmalen Durchgang zum Büro ihres Mannes, beschriftete schwungvoll die Couverts zu den Ausstellungen, überwachte Besuchende und Aschenbecher und hielt mit ordnender Strenge dem Chef den Rücken frei. Ihr Witz und ihre Schlagfertigkeit hatten baslerische Würze. Unvergesslich sind ihre Blumensträusse in den Galerieräumen: Kunstwerke. Dem Kunsturteil ihres Mannes vertraute Hildy Beyeler, wenn sie auch - wie EB gern erwähnte - gelegentlich mit Scheidung gedroht habe wegen überzogener Konten, verursacht durch kühne Ankäufe und das Prinzip, bei jedem verkauften Werk zwei neue zu erwerben.

Ein einziges Mal war Hildy Beyelers Einspruch unüberhörbar folgenreich. So geschehen, als EB einen Käufer hatte für «Femme (Epoque des Demoiselles d'Avignon)» von Picasso. Das Meisterwerk hing im Wohnzimmer der Beyelers. Die roten Zahlen riefen nach raschem Verkauf. Als der Entscheid fallig war, stellte Frau Beyeler ihr Köfferchen vor das Gemälde: entweder gehen wir beide - oder bleiben.

«Sie hatte Recht», schrieb EB zwei Jahrzehnte später im Sammlungskatalog: «Heute sind wir froh, dass wir diese Inkunabel von Picasso in der Sammlung haben». «Femme» leitet in der Fondation die phänomenale Kubismusgruppe ein und grüsst hinüber zu Cézanne, von dem die damals jungen Künstler sagten: «Il est le père de nous tous.»

Verantwortung für die Kunst

An eine «Sammlung» hatten die Beyelers nie gedacht. Die Hektik des Kunsthandels beanspruchte alle Kräfte. Allerdings nahm EB gern Bilder ins kleine Privathaus, «um sie zu studieren». Auch Schwerverkäufliches, das heisst Schwierigeres und deshalb Interessantes, kam an die eigenen Wände und wurde so lieb gewonnen, dass man es nicht mehr habe «ziehen lassen». Und manches war im Depot am Luftgässchen.

1989 wurde alles anders: Die Direktorin des «Centro Nacional de Exposiciones», Carmen Giménez, stellte Beyelers Besitz im «Centro de Arte Reina» Sofia in Madrid aus. Wer am meisten staunte, war - Ernst Beyeler: «Ich habe die Sammlung nie zusammen gesehen, meine Frau auch nicht. Erst in Madrid habe ich gemerkt, dass da eine grosse zusammenhängende Sammlung entstanden ist.» Gleichzeitig wuchs der Wunsch nach einem eigenen Museum: Wer die Chance habe, solch wundervolle Werke zu besitzen, der trage auch die Verantwortung, sie unter angemessenen Bedingungen zu zeigen, das heisst in richtigen Räumen und in bestem Licht.

Nach langem Suchen fand EB mit Renzo Piano jenen Architekten, der im Geiste des ihm wichtigen Mondrian das ideale Museum baute. Raum um Raum, auf die Kunstwerke zugeschnitten, entstand in zahllosen Diskussionen der lichte Bau, der sich in nobler Selbstverständlichkeit in den Berowerpark einfügt. Die Porphyrmauer zur Strasse hin verläuft entlang der jedem Riehener vertrauten Kurve.

Auf dem Bauplatz empfing EB Besucher. Strahlend. «Ein kleines Kraftwerk soll entstehen, aus dem die Menschen tanken können», sagte er anlässlich der Aufrichte. So geschah es.

Lebensfreude

Künstler wie Braque, Matisse, Picasso haben den Weg gewiesen, als sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kunst aussereuropäischer Völker entdeckten. Sammler (wie Josef Müller) folgten ihnen. Beyeler sagte zu Christoph Mory: «Wir gehören zu den ersten Galeristen, die in den Jahren 1950 bis 1955 afrikanische Kunst ausstellen. Seither habe ich Gefallen an dieser Kunst gefunden». Risikofreudig, wie der junge Kunsthändler war, begann er sogleich eine Sammlung anzulegen. Nach einiger Zeit setzte jenes geradezu traumsichere Wissen ein, das durch Beschränkung und Konzentration der Sammlung die einzigartige subjektive Struktur und Strahlkraft gibt: «Schliesslich habe ich einen grossen Teil meiner Erwerbungen verkauft, um mich auf jene aussereuropäischen Stücke zu konzentrieren, die den Blick auf die Werke von Matisse und Picasso erweitern.» Es war «schliesslich» die «Peinture», die im Vordergrund stand, das Lob der Malerei.

1993 - vier Jahre vor Eröffnung der Fondation - zeigte EB die Sammlung in Mies van der Rohes «Neuer Nationalgalerie» in Berlin. Für den letzten Raum wählte er als Apotheose das Alterswerk von Henri Matisse. Die grossen Färb- und Formwunder der «Papiers collcs» umgab er mit ozeanischen Skulpturen. Es sei die «Lebensfreude» gewesen, die auch Matisse in diesen Werken angezogen habe. Matisse war in der Galerie und in der Sammlung immer einer der wichtigen Künstler. Am Ende des Lebens fand EB wie Marcel Duchamp: «il était le plus grand de tous». Aber Ernst Beyeler sagte es so: «Alle seine Bilder haben eine Seele».

Zitate aus Gesprächen mit der Autorin und aus Ernst Beyeler: Leidenschaftlich für die Kunst, Gespräche mit Christophe Mory, Zürich 2005.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2010

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