Faszination Ägypten

Brigitta Hauser-Schäublin

Die zweite Laufbahn von Artur Brack

Viele ältere Arbeitnehmer nähern sich teils mit Freude, teils mit leisen Bedenken dem Pensionierungsalter, sehen sich mit dem Ruhestand konfrontiert. Für Artur Brack aber bedeutete das Ende seiner Berufstätigkeit als Chemiker nicht Abschied vom aktiven Leben, sondern Aufbruch zu einer neuen Laufbahn: als Ägyptologe.

In den vergangenen rund 30 Jahren hat Artur Brack sein Riehener Heim im Grünen zwanzig Mal gegen den heissen Wüstensand ägyptens eingetauscht, vorübergehend, versteht sich! Immerhin aber drückt sich in dieser regen, zielgerichteten Reisetätigkeit eine Leidenschaft aus, die das Leben Artur Bracks geprägt, ja ihm in bereits fortgeschrittenem Alter eine zweite wissenschaftliche Identität gebracht hat. Heute ist sein Name mit der Basler ägyptologischen Forschung untrennbar verbunden, denn die beiden Bücher über zwei Beamtengräber aus dem Neuen Reich in der Nekropole von Theben, die er zusammen mit seiner Frau Annelies, geborene Hug, archäologisch freigelegt, aufgenommen und wissenschaftlich aufgearbeitet hat, haben ihn als ägyptologen international bekanntgemacht. So wurde er auch aufgrund seiner Verdienste ausgezeichnet, indem er vom Deutschen Archäologischen Institut zum Korrespondierenden Mitglied ernannt wurde. Als heute noch aktiver Dozent an der Volkshochschule gehört er zu jenen, deren Vorlesungen zu den am besten besuchten zählen: rund 400 Leute nehmen jeweils an seinen Veranstaltungen teil!

Er selbst, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feiern konnte, hätte sich während der ersten fünfzig Jahre seines Lebens wohl nie träumen lassen, dass er noch diesen Weg einschlagen würde. Der am 19. Juli 1907 in St. Gallen Geborene trat nämlich eine ganz anders gerichtete Laufbahn an. An der naturwissenschaftlichen Abteilung chemisch

Brigitta Hauser-Schäublin

physikalischer Richtung der ETH Zürich studierte er Chemie und promovierte dort 1933; daran anschliessend bildete er sich in Mikrobiologie weiter und arbeitete dann als Chemiker und Mikrobiologe. Er war damals, also vor bereits 50 Jahren, mit mikrobiologischen Wasseruntersuchungen der Aare (als notabene noch niemand von Umweltverschmutzung und Gewässerschutz sprach) in Bern beauftragt. 1935 kam er nach Basel, wo er als Chemiker und Mikrobiologe in der pharmazeutischen Abteilung der Firma Sandoz tätig war und sich mit Forschungen vor allem auf dem Gebiet der künstlichen Züchtung von Mutterkorn, der Pilzrassenzüchtung, der Impfstoffherstellung und der Entwicklung des Mutterkorn-Anbaus beschäftigte. So leitete er beispielsweise für die Mutterkornzüchtung eine gross angelegte Organisation, an der rund 1500 Landwirte des Emmentals beteiligt waren. - Die Arbeit hat ihn voll in Anspruch genommen. «Was ich jeweils tat, habe ich immer ganz getan», meint Artur Brack lächelnd, als ich ihn danach frage, ob er neben seinem Beruf als Chemiker noch Zeit gefunden habe, sich etwa am öffentlichen Leben Riehens zu beteiligen. «Da blieb nicht viel Zeit für anderes, obwohl ich mich immer für das politische und kulturelle Leben interessiert und daran auch über meine Mitgliedschaft in einer Partei teilgenommen habe. Aber als Sohn eines aktiven St. Galler Politikers habe ich mich der Politik gegenüber eher distanziert verhalten. Meine Freizeit war durch die Familie mit den vier Kindern, die alle hier aufgewachsen sind, sowie mit der Pflege des Gartens und mit Malen und Modellieren voll ausgefüllt.»

Der Tag, an dem 1944 die junge Familie Brack nach Riehen zügelte, war ein Markstein in ihrem Leben, nicht nur weil sie von der Stadt aufs Land zog, sondern auch weil gerade an diesem Tag ihr drittes Kind geboren wurde! Noch heute, nach dem Tod seiner Frau, Lebensgefährtin und «Mit-ägyptologin», lebt Artur Brack im gleichen Haus, in das er vor 43 Jahren Einzug gehalten hatte.

Wie aber erfolgte der Sprung zur ägyptologie? Es begann 1951 mit einer Operation und der danach verordneten Rekonvaleszenz, in der er Zeit fand, jene Bücher zu lesen, die er schon lange gerne gelesen hätte. C.W. Cerams «Götter, Gräber und Gelehrte» faszinierte ihn und weckte in ihm gleichzeitig Erinnerungen an seine Jugend, in der er bereits für das alte ägypten geschwärmt hatte. Aber als Genesender war er überzeugt, dass eine weite Reise für ihn sowieso nie mehr in Frage käme. Als ihn sein Hausarzt, Dr. Hans Martz, besuchte und die ägyptenbücher sah, begann dieser von seiner eigenen Reise dorthin zu erzählen. Artur Brack sagte bedauernd, dass für ihn so etwas wohl nicht mehr «drin» liege. Da fuhr ihn Dr. Martz fast unwirsch an: «Warum denn nicht!»

So unternahm das Ehepaar Brack 1953 seine erste ägyptenreise, als Touristen unter Führung des bekannten ägyptologen Walther Wolf; beide waren überwältigt vom Eindruck der Zeugnisse dieser alten Hochkultur, und sie besuchten in der Folge die Vorlesungen von Professor Ursula Schweitzer und Professor Siegfried Morenz an der Universität. Auf weiteren ägyptenreisen versuchten sie möglichst viele der Bildwerke und Baudenkmäler fotografisch festzuhalten, bis sie eines Tages ihre Dias der ägyptologin Elisabeth Staehelin zeigten, die dann bei einer Aufnahme sagte: «Ja, aber den interessantesten Teil haben sie nicht fotografiert, nämlich den Text, der dazugehört!» Gleichzeitig lud sie das Ehepaar ein, an Lehrveranstaltungen des ägyptologischen Seminars der Universität Basel teilzunehmen. 1965 begann das Ehepaar Brack, bei ihr die altägyptische Sprache zu erlernen, wie man die Schriftzeichen liest und sie schreibt. Von da an hielt die ägyptologie die beiden in ihrem Bann. 1970 liess sich Artur Brack deswegen vorzeitig pensionieren, und beide sprangen kopfvoran in diese Wissenschaft, tatkräftig unterstützt auch vom inzwischen neuen Ordinarius für ägyptologie, Erik Hornung.

Von Natur aus eher mit einem Hang zur Praxis ausgestattet, so erzählt Artur Brack schmunzelnd weiter, habe er sich mit seiner Frau mehr für die archäologische Seite der ägyptologie interessiert, und sie erlernten deshalb, als Volontäre, auf einer Grabung des Schweizerischen Instituts für ägyptische Bauforschung das dazu notwendige technische und handwerkliche Wissen und Können. Dann erfolgte in drei Kampagnen zwischen 1973 und 1975 die Freilegung und Erfassung der ober- und unterirdischen Grabanlage des Tjanuni, der in der 18. Dynastie, zur Regierungszeit von Thutmosis IV (1413-1403 v. Chr.) ein hoher Beamter gewesen war. - Im Verlag Philipp von Zabern, Mainz, wurde 1977 ihr umfassender Bericht («Das Grab des Tjanuni, Theben Nr. 74») über Anlage, Inhalt und Bedeutung dieses Beamtengrabes veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Ehepaar Brack bereits ein zweites Grab, das des Haremheb, in Angriff genommen. In nur drei Jahren hatten sie die Bearbeitung auch dieses Grabes abgeschlossen; wiederum war daraus ein reich illustrierter Band entstanden.

Der Tod von Annelies Brack im Jahre 1980 setzte der fruchtbaren Teamarbeit ein abruptes Ende, und nur zögernd leistete Artur Brack dann zwei Jahre später, nun allein, einer Einladung zu einem vierzehntägigen Aufenthalt in ägypten Folge. Eine neue Grabung wollte und konnte er nicht mehr unternehmen. Da er aber nach dem Tode seiner Frau zur Durchführung von Volkshochschulkursen eingeladen wurde, konzentrierte er sich bei seinen nachfolgenden Reisen vor allem auf die fotografische Dokumentation zu den Themen, die er für seine grosse Zuhörerschaft erarbeitet und ihnen nahebringt. - Wann wohl die nächste Reise stattfindet? - Vielleicht noch in diesem Jahr.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1987

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