Faszinierende Flugkünstler

Margarete Osellame-Bläsi und Sibylle Meyrat

Niemand kennt die Riehener Vogelwelt so gut wie die Mitglieder der Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz Riehen. Zu allen Jahres-, Tages- und Nachtzeiten beobachten sie mit Fachkenntnis und Leidenschaft ihre geliebten gefiederten Mitbewohner. Seit 90 Jahren setzen sie sich mit gezielten Massnahmen dafür ein, dass Riehen ein attraktives Zuhause für Vögel bleibt – oder wieder zu einem wird.

Obwohl es in Riehen nach wie vor ausgedehnte und ökologisch wertvolle Grünflächen gibt, verlief die Veränderung der Landschaft seit den 1960er-Jahren weitgehend zuungunsten der Vögel: Mit der intensiven Nutzung durch Siedlungen und Landwirtschaft wurde der Lebensraum für sie immer unwirtlicher. Durch die rasante Abnahme der Insekten schwand auch eine ihrer wichtigsten Nahrungsgrundlagen. Viele Vogelarten wurden in der Folge auf die Rote Liste gesetzt.1 Seit der Gründung der Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz Riehen (GVVR) im Jahr 1928 sind der Weissstorch, der Wiedehopf, der Steinkauz, der Rotkopfwürger, das Rebhuhn, die Waldschnepfe, die Heidelerche und die Feldlerche als Brutvögel aus Riehen verschwunden. Der Wendehals und die Zaunammer sind zwar noch anzutreffen, doch ihre Brutreviere sind sehr verletzlich und müssen entschieden geschützt werden. Dies gilt auch für den Neuntöter, der seit 2008 wieder im Stettenfeld brütet.

ERFREULICHE ENTWICKLUNGEN
Vergleicht man die Vogelbestände im Jahr 2018 mit den Beständen, wie sie in den ‹Riehener Jahrbüchern› 1985 und 1998 in ausführlichen Beiträgen vorgestellt wurden, zeigt sich aber auch Erfreuliches: Die ungünstige Entwicklung konnte dank gezielter Massnahmen teilweise gestoppt oder sogar in die Gegenrichtung gelenkt werden. 2 In Zusammenarbeit mit der Fachstelle Umwelt der Gemeindeverwaltung hat die GVVR unzählige Nisthilfen bereitgestellt und durch ökologische Aufwertungen die Lebensgrundlage für die Vögel entscheidend verbessert. Ausserdem leisteten viele Privatpersonen mit naturnah gestalteten Gärten, Vorgärten und Balkonen einen wertvollen Beitrag. Inzwischen werden auch gefährdete oder verschwundene Vogelarten wieder in Riehen heimisch und es kommen neue hinzu. Als Sensation unter den Vogelkundlern gilt, dass die Nachtigall in jüngster Zeit wieder mitten im Dorf zu hören war. Beim Spielplatz auf der Wettsteinanlage und am Bahndamm auf Höhe der Essigstrasse erklang an mehreren Tagen ihr wohltönender, unverwechselbarer Gesang. Ob es auch zu einer Brut kam, ist ungewiss. Dennoch lassen Beobachtungen dieser Art das Herz der Riehener Vogelfreundinnen höher schlagen. Ebenso erfreulich ist es, dass die GVVR ab 2007 im Schlipf, im Stettenfeld, im Moostal und im Brühl vermehrte Bruten beim Gartenrotschwanz feststellen konnte. Mit seiner mosaikartigen Struktur aus Reben und Gärten sind der Riehener Schlipf und der angrenzende Teil des Tüllinger Hügels auf deutschem Gebiet ein in der Fachwelt bekannter Brutplatz für seltene Vogelarten wie Wendehals, Zaunammer, Gartenrotschwanz und Grauspecht. Die Montage geeigneter Nisthilfen und das Schaffen von ökologisch wertvollen Nischen förderten diese erfreuliche Entwicklung. Das erfüllt die GVVR aber nicht nur mit Stolz, sondern auch mit Sorge. Denn längst nicht alle Naturfreundinnen und Spaziergänger halten sich an die strengen Vorschriften während der Brutzeit. Wer aus Neugier oder vermeintlicher Tierliebe die Wege verlässt, sich den Nestern nähert oder die Hunde ohne Leine laufen lässt, gefährdet damit verletzliche Populationen.

NISTHILFEN ZEIGEN WIRKUNG
Wenige Massnahmen für die Förderung einer vielfältigen Vogelwelt haben eine so unmittelbare Wirkung wie das Anbringen von Nistkästen als Ersatz für die verschwundenen Brutplätze in alten Gemäuern, Scheunen, Höfen und absterbenden Bäumen. Deshalb gehört das Montieren und regelmässige Reinigen der Nistkästen zu den aufwändigsten und wichtigsten Aufgaben der GVVR. In den Wintermonaten werden rund 180 über das ganze Gemeindegebiet verstreute Nistkästen für Singvögel mit langen Stäben von den Bäumen geholt, inventarisiert und von alten Nestern und Milben befreit, die der nächsten Brut schädlich sein könnten. Dabei zeigt sich regelmässig, dass in fast allen Kästen gebrütet wurde, mehrheitlich von Kohlmeisen, Blaumeisen, Sumpfmeisen, Feldsperlingen, Haussperlingen, Kleibern sowie von Garten- und Hausrotschwänzen. Auch Hornissen, Wespen und Wildbienen nutzen die Nistkästen für ihre Brut. Nicht zu übersehen sind die zwei grossen Mehlschwalbenhäuser auf hohen Pfählen am Haselrain und an der Verzweigung Rauracher-/Niederholzstrasse, welche die GVVR mit Unterstützung der Fachstelle Umwelt der Gemeinde Riehen in den Jahren 2007 und 2010 errichtete. Beide enthalten je 20 Nisthilfen für Mehlschwalben und 12 Brutnischen für Mauersegler. Bereits im ersten Jahr brüteten zwei Mehlschwalbenpaare am Haselrain. Sie waren den künstlichen Lockrufen von einer CD gefolgt. Zur grossen Freude der Riehener Vogelfreunde brüteten auch im zweiten Jahr zwei Paare, im dritten sogar fünf. Leider wurden die Vögel in dieser sensiblen Phase durch Baulärm vertrieben und kehrten seither nicht zurück. Das Schwalbenhaus im Niederholzquartier wartet immer noch auf eine erste Brut. Die akustische Lockmethode blieb bislang erfolglos. Da Mehlschwalben hohe Ansprüche an ihren Brutplatz stellen, sind allfällige Nester bei Renovationen unbedingt zu erhalten oder durch künstliche zu ersetzen. Ihr bevorzugter Brutplatz ist unter dem Dachvorsprung. Die höchstgelegene Nisthilfe befindet sich im Turm der Dorfkirche St. Martin. Hier montierte die GVVR im April 2009 einen Brutkasten für Turmfalken, der noch am selben Tag von einem Turmfalkenpaar bezogen wurde, das darin zwei Junge aufzog. 2012 wurde auf der gegenüberliegenden Seite oberhalb der Uhr ein zweiter Nistkasten montiert. Aus dem erbitterten Kampf um diesen prominenten Brutplatz zwischen Turmfalken und Dohlen gingen zunächst die Turmfalken als Sieger hervor. 2018 eroberten jedoch die Dohlen beide Brutplätze. Dieser selten gewordene, relativ kleine Krähenvogel nistet gerne auf Kirchtürmen neben offenen Landschaften. Er ist sehr gesellig und lernfähig. Auffallend sind seine verspielten, weichen Flüge, speziell um den Kirchturm. Die Dohle hat ein dunkelgraues Gefieder mit hellgrauem Kopf und fast weisse Augen – eine Seltenheit in der Tierwelt. Für zwei weitere Vogelarten – den Mauersegler (‹Spyr›) und den sehr seltenen Alpensegler – wurden im obersten Stockwerk des Kirchturms Nisthilfen angebracht. Da das Einflugloch unter dem Dachvorsprung liegt, finden die Vögel die Nester nur schwer. Doch Geduld zahlt sich hier oft aus: Auch bei den Nisthilfen unter dem Dach des Schulhauses Erlensträsschen dauerte es zwei Jahre, bis die ersten Mauersegler brüteten. Verteilt über ein Gebiet von den Langen Erlen über den Ausserberg bis zur Eisernen Hand, stehen dem Waldkauz ein gutes Dutzend spezieller Nistkästen zur Verfügung – und werden rege genutzt. Bei der jährlichen Kontrolle wurden in den vergangenen Jahren immer drei bis fünf Waldkauz-Bruten festgestellt.

SELTENE AUFENTHALTER, DURCHREISENDE UND WINTERGÄSTE
Zu den Gewinnern der ökologischen Aufwertungen gehört der Wiedehopf. Der fast exotisch anmutende Vogel mit orange-braunem Gefieder, schwarz-weiss gestreiften Schwingen und Schwanzfedern und auffälligem Kopfschmuck ziert seit der Gründung das Vereinslogo der GVVR. Sein Flug ist flatternd und wellenförmig, was an einen Schmetterling erinnert. Der Vogel stellt hohe Ansprüche an seinen Lebensraum und ist deswegen in der ganzen Schweiz sehr selten geworden. Zum Brüten ist er auf Höhlen angewiesen. Seit 1998 wurde der Wiedehopf als Brutvogel in Riehen nicht mehr nachgewiesen.4 Um ihn zum Brüten nach Riehen zu locken, installierte die GVVR 2007 im Schlipf zehn spezielle Wiedehopf-Nistkästen. Bereits im folgenden Frühling wurde der prächtige Vogel zunächst im Schlipf, später auch im Autal und im Stettenfeld beobachtet. Diesen Frühling wurden die maroden Kästen durch neue ersetzt. Nur wenige Tage später war der dreisilbige Balzruf «up – up – up» im Schlipf zu hören. Zufällig anwesende Mitglieder der GVVR konnten den Wiedehopf im Flug beobachten und hielten vor Freude den Atem an. Leider kam es zu keinen weiteren Begegnungen. Vermutlich flog der Vogel nach Deutschland zum Kaiserstuhl. Dank eines Artenschutzprogramms stieg dort in den vergangenen 20 Jahren der Brutvogelbestand von 5 auf über 100 Paare an. Doch nicht nur die im Riehener Gemeidebann brütenden Vögel sind für die hiesige Vogelwelt von Bedeutung, sondern auch die Arten, die hier überwintern oder auf ihrer mehrwöchigen Reise nach Süden eine Rast einlegen. Der anstrengende und gefährliche Flug vom hohen Norden bis nach Afrika kann bis zu 10 000 Kilometer lang sein. Deshalb ist es wichtig, dass Zugvögel geeignete Rastplätze finden, um sich zu erholen und neue Reserven zu tanken. Dank mehreren Biotopen und ihrer extensiven Nutzung ist die Wieseebene dafür bestens geeignet. Für Vogelkundige und -interessierte ist die Zeit des Vogelzugs im Herbst ein Höhepunkt ihrer Naturbeobachtungen. Zahlreiche regionale und lokale Organisationen beteiligen sich an der Anfang Oktober durchgeführten Zugvogelbeobachtung ‹Euro Bird Watch›. Der von ‹BirdLife International› koordinierte Anlass findet seit 20 Jahren statt. Seit 2006 ist die GVVR daran beteiligt. Eine wachsende Schar von interessierten Gästen kann an diesem Tag den Vogelzug an speziell ausgerüsteten Stationen beobachten, Fachleute vermitteln Wissen und auch der gesellige Teil kommt nicht zu kurz. Jeweils um 15 Uhr übermittelt die GVVR die von ihr gezählten Vögel an ‹BirdLife Schweiz›. Herausragende Ereignisse in den vergangenen Jahren waren mehrere grosse Schwärme von über 500 Ringeltauben, die über den Eisweiher Richtung Basel zogen. Beim Mühleteich wurde ein Eisvogel beobachtet. 17 Kormorane in V-Formation beeindruckten das Publikum, ebenso 23 Gänsesäger, die weit oben am Himmel vorbeizogen. An einem einzigen Tag wurden 80 Mäusebussarde gezählt. Zu den Vogelarten aus nördlichen Ländern, die regelmässig ein Winterquartier in der Region aufsuchen, gehören bestimmte Entenarten – Krickenten, Bekassinen, Reiherenten – und Watvögel (Limikolen) wie Waldwasserläufer und Silberreiher. In unregelmässigen Abständen können auch grosse Populationen einer bestimmten Vogelart beobachtet werden, die sich auf der Suche nach Nahrung an einem bestimmten Ort niederlässt. So flogen zum Jahreswechsel 2009/10 riesige Schwärme von Bergfinken in den Riehener und Bettinger Wäldern und Parkanlagen ein. Diese Vogelart zieht ab Mitte September von ihren Brutplätzen in Nordeuropa und Sibirien nach West-, Mittel- und Südeuropa. Ihr Winterquartier suchen die Bergfinken dort, wo es möglichst viele Bucheckern gibt – ihre wichtigste Winternahrung. Für eine weitere Überraschung sorgten dieses Jahr Kiebitze. Auf der Durchreise in ihre Brutgebiete mussten sie Mitte März wegen schlechter Witterung in der Nordschweiz rasten. Zur Freude der Riehener Vogelkundler konnten auf den Spittelmatten und auf dem Brühl rund 65 Vögel dieser selten gewordenen Art bei der Nahrungssuche beobachtet werden. Anlässe wie der internationale Zugvogeltag oder die Exkursionen der GVVR können beim Publikum das Interesse an der Tier- und Pflanzenwelt in der unmittelbaren Umgebung wecken und werden manchmal zum Beginn einer Leidenschaft: Für viele Vereinsmitglieder ist kein Krimi fesselnder als die Beobachtung der Natur vor der eigenen Haustür.

1 In der Schweiz werden die sogenannten ‹Roten
Listen› der bedrohten Tier- und Pflanzenarten
vom Bundesamt für Umwelt in enger
Zusammenarbeit mit den schweizerischen
Naturschutzorganisationen erstellt. Um
das Ausmass der Gefährdung zu beschreiben,
gibt es verschiedene Kategorien wie: verletzlich,
stark gefährdet, vom Aussterben bedroht,
vgl. www.artenschutz.ch, Zugriff: 15.08.2018.

2 Vgl. Marc Tschudin et. al: Zum Wandel der
Riehener Vogelwelt, in: z’Rieche 1985,
S. 136–147, mit Brutvogelliste von Riehen und
Bettingen (Stand 1984); Georges Preiswerk:
Die Riehener Vogelwelt, in: z’Rieche 1998,
S. 144–157, mit Brutvogelliste von Riehen und
Bettingen, Vergleich vor 1984 und 1985–1997.

3 StABS, Gemeindearchiv Riehen, E12, 1911–1932.

4 Vgl. Preiswerk 1998.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2018

zum Jahrbuch 2018