Freiraum, Verpflichtung, Kultur


Barbara Imobersteg, 
Sibylle Meyrat, 
Dominik Heitz



Was bedeutet Reichtum aus der Sicht von Menschen, die ein erfülltes Leben führen oder beruflich mit vermögenden Personen zu tun haben? Ein Ehepaar und zwei Männer aus Riehen berichten über ihre Erfahrungen und Gedanken.


Reich an Kindern, Ideen und Erfahrungen 


Sommermorgen auf einer Riehener Anhöhe. Wie man es sich vorstellt: schön und still. Man hört Vogelzwitschern und ein leises Plätschern – vielleicht ein Pool, der hinter dem dichten Grün versteckt liegt, vielleicht auch der Gärtner, der die Rhododendronbüsche wässert. Die Häuser liegen weit auseinander, fast ganz verdeckt von den Bäumen. Die Strasse ist menschenleer, man denkt an Sommerferien. Überraschend die lebhafte Unterhaltung in Hörweite: Es wird engagiert diskutiert – unbekümmert, ob Gesprächsfetzen für vorbeigehende Spaziergängerinnen und Spaziergänger verständlich sein könnten. Sonja Mathis und Werner Stich leben alles andere als zurückgezogen. Sie sitzen vor ihrem Haus und haben etwas zu besprechen. «Wir sind uns dessen bewusst, dass man hier grosszügig wohnt, naturnah und mit schöner Aussicht», sagt Werner Stich. «Es sieht nach ‹wohlhabend› aus – aber ob die Menschen deswegen glücklich sind? Ich glaube, Reichtum hat mehr mit Sein als mit Haben zu tun», fügt er an. 


Bei Familie Stich wird viel diskutiert


Sonja Mathis und Werner Stich ‹haben› einiges, abgesehen von den materiellen Freiräumen. Zum Beispiel sieben Kinder: zwei Söhne und fünf Töchter im Alter von 11 bis 33 Jahren. Der Grossfamilien-Alltag hält bald Einzug ins Gespräch. Abwechselnd erzählen die Eltern von den Erlebnissen und Geschehnissen, den Freuden und Schrecken, und was das Zusammenleben mit der Kinderschar an Bereicherungen mit sich bringt. Die Zwillinge, die sich so ähnlich sehen, dass sie der Vater als Babys kaum auseinanderhalten konnte, sind nun beide so selbstbewusst und resolut, dass es eine Freude ist – was aber die Grossen auf den Plan ruft, die den Eltern vorwerfen, bei den Jüngsten zu viel Milde walten zu lassen. Bei Familie Stich wird viel diskutiert. «Mit sieben Kindern ist für Normalität gesorgt», sagt die Mutter mit Genugtuung. «Alle erziehen sich gegenseitig und zu viel Aufmerksamkeit oder Überbetreuung ist gar nicht möglich.» Nicht, dass es dann einfach von allein laufen würde … Das Familienleben ist auch anstrengend und nicht immer harmonisch, darin sind sich die Eltern einig. Anstrengungen gehen die beiden aber grundsätzlich nicht aus dem Weg. 


Reichtum verpflichtet


Sonja Mathis ist Unternehmerin. Das Unternehmen ‹Familie› ist nur eines ihrer Projekte, das sie mit Herzblut und klarem Verstand leitet. Im badischen Merdingen, zwischen Freiburg und Breisach gelegen, erstreckt sich über 16 Hektaren die Rebfläche des Weinguts ‹Kalkbödele› der Gebrüder Mathis. Der mineralreiche Kalkboden des Tunibergs gibt ihm den Namen und prägt den Geschmack der verschiedenen Grau-, Weiss- und Spätburgunderweine, die hier entstehen. Sonja Mathis hat das Weingut übernommen, als die Gründergeneration altershalber zurücktreten musste. Als Betriebsökonomin brachte sie die nötigen Voraussetzungen mit, die Sommelier-Schule hatte sie auch absolviert.


Bei den Geschäftsvorhaben seiner Frau ist Werner Stich immer dabei. An den Abenden und Wochenenden – neben seiner Tätigkeit als Portfolio-Manager – denkt und diskutiert er mit und packt, wenn nötig, auch mit an. In ihrem Denken und ihrer Risikobereitschaft gibt es viel Übereinstimmung. Das ‹Kalkbödele› hat sich ihnen als neue Herausforderung und als Geschäftsanlage mit Entwicklungspotenzial gezeigt. Eine solche Möglichkeit beflügelt die Unternehmerin, setzt ihren Ideenreichtum und ihre Energien frei. Sie liess das Familien-Weingut mittlerweile aus- und umbauen, kaufte Nachbargrundstücke dazu und liess eine neue Kelterhalle errichten. Eine ausgetüftelte Keltertechnik erlaubt es nun, unterschiedliche Weinqualitäten gleichzeitig und schonend zu verarbeiten. Ob per Ganztraubenpressung, angequetscht oder abgebeert entstehen Weine, die sortentypisch sind und authentisch den terroireigenen Charakter wiedergeben. Im Herbst 2016 wurde das neu gestaltete ‹Kalkbödele› feierlich eröffnet. Das Weingut ist ein reiches Erbe, es ist aber nicht nur eine Quelle der Möglichkeiten. «Vermögen verpflichtet auch», sagt Sonja Mathis.


Wenn man sich abgrenzt, macht man sich arm


Nach dem Umzug aus Genf wohnt die Familie Stich-Mathis nun seit 16 Jahren in Riehen und fühlt sich hier zu Hause. Werner Stich schätzt es, «einfach normal» leben zu können: «Wenn man sich abgrenzt, macht man sich selber arm – Fremdenfeindlichkeit ist solch ein Armutszeugnis –, denn es ist die Offenheit und Vielfalt, die bereichert.» Verschiedene Menschen, verschiedene Meinungen, verschiedene Lebensweisen – das gehört zum Alltag der Familie und wird bewusst gepflegt und bei den Kindern auch gefördert. «Wir können Ferien im Hotel verbringen, aber wir lieben auch Reisen ins Unbekannte, Fahrradtouren und Camping», erzählt Sonja Mathis. Diese gemeinsamen Erlebnisse sind schön und sie sind mit wichtigen Erfahrungen verbunden. Sich auf andere Kulturen einlassen, sich überall arrangieren zu können, das gibt letztlich mehr Sicherheit als Geld, ist sie überzeugt. «Sicherheit gibt auch ein stabiles politisches System und sozialer Frieden, wie wir ihn hier erleben», ergänzt ihr Mann. «Materieller Reichtum kann vieles ermöglichen, aber er ist nur ein Faktor unter vielen. Was nützt die teure Villa, wenn man Ärger mit den Nachbarn hat, und was nützt das viele Geld, wenn man eine schlimme Krebsdiagnose erhält?» Werner Stich lässt die rhetorischen Fragen im Raum stehen.


Es geht auch um Artenvielfalt


‹Vielfalt› ist ein wiederkehrender Begriff, wenn es beim Ehepaar Stich-Mathis ums Thema Reichtum geht: Vielfalt in der Familie durch die verschiedenen Charaktere, Vielfalt in der Arbeit durch die verschiedenen Projekte, Vielfalt in ihrem Umfeld durch die verschiedenen Beziehungen und Kontakte, Vielfalt im kreativen Denken und Handeln als Unternehmerin – Vielfalt als der ‹wahre› Reichtum.


In ihrer Gärtnerei, ihrem achten Kind, wie Sonja Mathis es nennt, geht es zudem um Artenvielfalt. In Schallstadt-Mengen bei Freiburg betreibt sie auf 70 Hektaren Demeter-Landbau. Biologisch-dynamische Landwirtschaft war keineswegs ein spezielles Interessengebiet und auch nicht das, wonach sie schon immer gesucht hatte. Einmal mehr ergab sich eine Möglichkeit, die sie nicht ungenutzt lassen wollte, die sie weiterentwickelte und neu belebte – die zuweilen auch die ganze Familie auf Trab hielt und einige schlaflose Nächte bescherte. Aber Anstrengungen geht man bei Familie Stich-Mathis eben nicht aus dem Weg und «etwas durchziehen» gehört zu ihren ethischen Grundlagen. «Das gemeinsame Bewältigen ist doch auch bereichernd», lacht Sonja Mathis. «Wenn es sein muss, helfen wirklich alle mit.» 


Ursprünglich wurde die Gärtnerei konventionell geführt. Es waren wirtschaftliche Überlegungen, die die Bio-Umstellung in Gang brachten. Nachhaltigkeit ist ökonomisch sinnvoll. Die beiden angrenzenden Gärtnereien bauten bereits nach Demeter-Richtlinien an – dass man zusammenspannen sollte, war nicht nur dem Bio-Landbau, sondern auch dem unternehmerischen Denken geschuldet. Inzwischen sind die drei Betriebe das grösste Demeter-Anbaugebiet in Baden Württemberg. «Wir haben Himbeeren, Erdbeeren, Johannisbeeren, Äpfel, Birnen, Aprikosen, Rhabarber, Broccoli, Paprika, Melonen – die Hühner haben Auslauf, die Bienen sind wieder gekommen», kommt Sonja Mathis ins Schwärmen. Vielfalt: einmal mehr. Und wieder eine neue Erfahrung. «Ist das schon gesagt worden», fragt Werner Stich. «Reichtum ist doch auch die Summe der Erfahrungen, das, was man dereinst den Enkelkindern erzählen könnte …»


Reich an Kunst, Kultur und Tradition 


Das Einfamilienhaus liegt in einer ruhigen Wohngegend am Wenkenberg, an Briefkasten und Klingel deuten Initialen auf den Wunsch nach Diskretion hin. Der freundliche und humorvolle Hausherr empfängt den Gast mit kräftigem Händedruck und bittet auf die Veranda. Riehen, wo er vor 30 Jahren mit seiner Familie hingezogen ist, schätzt er als ruhigen und naturnahen Wohnort, verwurzelt fühlt er sich aber in Basel.


Für mich ist Reichtum sehr mit Kunst und Kultur verbunden, auch mit Geschichte und Tradition. Als Kind bin ich in einer weitverzweigten Verwandtschaft aufgewachsen. Beide Eltern kamen aus alten Basler Familien. Auf der Seite meiner Mutter gab es Staatsbeamte und auch hohe Militärs, auf Vaterseite einen Appellationsrichter. Diesen Hintergrund nimmt man natürlich als Kind wahr, aber es erscheint einem als völlig normal. Erst nach meinem Schulabschluss hörte ich das blöde Wort ‹Daig›, vorher spielte das überhaupt keine Rolle für mich.


Obwohl ich sehr gerne nach vorne schaue und Neues anpacke, bin ich stark mit der Vergangenheit meiner Familie und der Stadt verbunden. Die Basler Museen sind deshalb wichtige Orte für mich, bei einem habe ich mich über eine längere Zeit ehrenamtlich engagiert. In meiner Familie gab es zum Teil bedeutende Sammlungen, die bei mir bis heute das Interesse am Schönen wachhalten. 


Bei meinem Vater wuchs ich in einem ländlichen, bei meiner Mutter in einem städtischen Umfeld auf. Die alten Basler Traditionen durfte ich als Kind bei meiner Grossmutter noch erleben: Die gegenseitigen Neujahrsbesuche und das ausführliche Prozedere einer Weihnachtsfeier, die einem klaren Ablauf folgt. Meine Grossmutter hatte auch eine Angestellte, die sie von ihren Schwiegereltern mit in die Ehe bekommen hat. Diese Hilfe hat über 50 Jahre bei ihr gewohnt und war Teil der Familie. Sie starb im Haus meiner Grossmutter, nachdem diese sie jahrelang gepflegt hatte. Oft liest man, die Dienstboten hätten es früher bei den Herrschaftsfamilien nicht gut gehabt. Das habe ich anders erlebt. Natürlich bekamen sie keinen hohen Lohn, aber man hätte auch nie jemanden auf die Strasse gestellt. Bei meinen beiden Grossmüttern waren dies lebenslange und fürsorgliche Beziehungen.


Im nahen Ausland durfte ich das Landleben und die Jagd geniessen. Für meine Familie war und blieb unser Landhaus der Familienmittelpunkt und bereichert bis heute mein Leben. Die Natur ist ein unschätzbares Gut, das mir viel Kraft gibt und grosse Freude bereitet. 


Mein Vater war ein lebenslustiger Mensch. Bei uns ging viel Besuch ein und aus, was meine Jugend sehr bereicherte. Die französische und welsche Lebensart mag ich besonders. Die Offenheit meiner Familie gegenüber Gästen, Freunden und Verwandten aus verschiedenen Regionen und Ländern habe ich als Reichtum erlebt. Obwohl ich in Basel ‹zmitts im Kueche› aufgewachsen bin, zog es mich immer wieder weg. Ich wusste schon früh, dass ich später sicher keine Baslerin heiraten werde. 


Während meiner Studienzeit in Genf habe ich meine spätere Frau kennengelernt, die aus einer ganz anderen Ecke der Schweiz stammt. Wir waren weit weg von unseren Familien und genossen viele Freiheiten. So wohnten wir schon lange vor unserer Hochzeit zusammen. Meine Grossmutter, damals gegen 90 Jahre alt, kam uns gerne besuchen. Der Rest der Verwandtschaft nahm davon keine Notiz.


Nach dem Studium in der welschen Schweiz und einem Aufenthalt im Ausland kehrte ich wieder nach Basel zurück. Ich wollte bei einer Bank arbeiten. Den Kontakt zu den Menschen habe ich immer gemocht. Ich entschied mich deshalb für die private Vermögensverwaltung. Nach einigen Jahren zog ich dann weiter zu einer alten Basler Bank, bei der ich bis zu meiner Pensionierung blieb. Das war, als die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte. Natürlich bekamen wir die Krise zu spüren. Aber weil wir fast keine Hypotheken vergaben, blieben uns viele Probleme erspart.


Dass die Schere zwischen den Topverdienern und den unteren Einkommen immer grösser wird, halte ich für eine schlechte Entwicklung. Die Grossbanken gaben hier kein gutes Beispiel ab. Wenn jemand 15 Millionen im Jahr verdient, versteht das auch ein gutbürgerlicher Mensch nicht mehr. Die Privatbanken waren zurückhaltender. Da sie aber keine Zahlen veröffentlichen, sind die Bezüge auch nicht bekannt. 


Ich verstehe es, dass sich die Linke gegen gewisse Lohnexzesse wehrt. Und eigentlich wundert es mich, dass ihnen das nicht grössere Wähleranteile bringt. Bei den Vermögen eine ähnliche Transparenz zu fordern wie bei den Einkommen, halte ich aber für gefährlich. Man würde damit nur die Missgunst und die Kriminalität fördern. Wer vermögend ist, gibt meistens auch mehr Geld aus, das wieder zurück in die Gemeinschaft fliesst. Die meisten Vermögenden, die ich kenne, haben ein soziales Bewusstsein. Wenn Sie an das Vermögen von Christoph Merian denken: Das kommt immer noch unter die Leute. Auch die vielen wertvollen Kunstsammlungen, die wir in der Schweiz haben, gäbe es ohne die grossen Vermögen nicht. Das Mäzenatentum spielt gerade in Basel eine wichtige Rolle. 


Dass viele Reiche in Basel so zurückhaltend auftreten, hat sicher sein Gutes. Aber ich finde, man kann es auch übertreiben. Ich habe zum Beispiel kein Verständnis dafür, wenn sich jemand mit viel Geld miserabel kleidet. Umgekehrt kenne ich Leute aus einfachen Verhältnissen, die sehr gut angezogen sind. Ich selber habe Freude an schönen Schmuckstücken, Möbeln und Bildern. Auch Mode ist für mich eine Form von Kunst. In dieser Hinsicht erlebe ich Basel als sehr provinziell. Auch über das Essen könnte man lange reden. Üppig und gut essen in Basel ist schwierig. Auch in wohlhabenden Häusern ist das Essen oft schlecht. Nur bei wenigen Familien spielt das Essen eine wichtige Rolle.


Dass man nicht mit Geld um sich wirft, finde ich grundsätzlich gut, vor allem, wenn man Kinder hat. Man sollte ihnen den Wert des Geldes vermitteln und trotzdem grosszügig sein. Eine gute Entwicklung ist sicher, dass man heute mit Kindern viel offener über Geld spricht. In meiner Zeit als Vermögensverwalter gehörte es zu den schwierigsten Aufgaben, bei Erbteilungen zu helfen, wenn in einer Familie kaum über Geld gesprochen worden war. Manche Erben hatten keine Ahnung, was auf sie zukommt. Es gab auch ein paar tragische Geschichten, wenn jemand über Nacht völlig unvorbereitet reich wurde und damit nicht umgehen konnte. Auch nicht einfach war es, wenn plötzlich ein Erbberechtigter auftauchte, von dem zuvor noch nie jemand gehört hatte. 


Als reich im materiellen Sinn würde ich mich selber nie bezeichnen. Reich ist für mich jemand, der ausgeben kann, was er will. Ich könnte mir nicht einfach jedes Jahr einen Porsche kaufen, ich fahre mein Auto, solange es seinen Zweck erfüllt. Natürlich kann ich mir ab und zu eine schöne Reise leisten, das geniesse ich auch. Aber ich kann auch nicht mehr als ein Stück Fleisch pro Tag essen – und selbst das wäre für meine Gesundheit zu viel. 


Reich an Wissen über Reichtum


Sein Haus steht zwischen Riehen und Bettingen, sein Büro befindet sich in der Dufourstrasse in Basel. Als Nachkomme einer Familie von Seidenbandfabrikanten weiss er um altbaslerische Traditionen. Sich selber bezeichnet er nicht als reich, doch von Reichtum weiss er einiges zu erzählen.


Neben meiner Anwaltstätigkeit sowie der Funktion als Mitglied in diversen Verwaltungsräten – insbesondere als Präsident des Verwaltungsrats einer kleinen, in Basel ansässigen Privatbank – bin ich in zahlreichen Wohltätigkeitsorganisationen engagiert: unter anderem in einer regionalen sowie in einer internationalen Kinderstiftung, dann in einer Stiftung, die sich einem Spezialgebiet des Naturschutzes verschrieben hat, oder etwa in einer Stiftung, die jährlich bis zu 500 000 Franken an Jungunternehmerinnen und -unternehmer vergibt. Ich selber spende diesen Stiftungen kaum Geld; was ich gebe, ist meine Arbeitszeit. Ich mache das alles ehrenamtlich.




Manchmal staune ich, wie wenig man über das Vermögen von Privatpersonen in der Schweiz weiss. Wenn man nicht gerade bei der Steuerbehörde arbeitet, weiss man eigentlich auch nicht, wie viel Reichtum in der Schweiz wirklich vorhanden ist, und noch weniger, wer Zugriff darauf hat. Ich bin immer wieder überrascht, wenn gemeinnützige Organisationen plötzlich einen Riesenbetrag von Menschen erhalten, von denen man dies nicht im geringsten erwartet hätte.




Ich würde sagen, es gibt zwei Kategorien von Reichen: Diejenigen, die ihr Vermögen selber verdient haben, und diejenigen, die es geerbt beziehungsweise geschenkt bekommen haben. Diejenigen, die es geerbt haben, geben es in der Regel innerhalb der Familie weiter; sie verstehen sich als Glied einer Kette und versuchen, möglichst nur von den Zinsen zu leben und den Rest weiterzugeben. Manchmal klappt das nicht; manchmal vermehrt sich das Geld aber auch. Und wenn es besonders gut läuft, fällt immer mal wieder etwas für gemeinnützige Zwecke ab. Wenn Eltern keine Kinder haben, geben sie es oft an gemeinnützige Stiftungen weiter. Unter denen, die ihr Vermögen selber verdient haben, gibt es meiner Erfahrung nach zwei Kategorien. Die einen sagen: «Jede gute Tat rächt sich.» Und die anderen finden: «Ich habe dermassen Glück gehabt, davon sollen andere auch profitieren können.»




Wenn man das Geld selber verdient, hat man oft ein bewussteres Verhältnis dazu. Wenn einer eine geniale Idee gehabt und diese umgesetzt hat und damit ein paar hundert Millionen verdient, dann ist der Umgang mit Geld ein selbstverständlicherer.




Zum Verhältnis zwischen ‹altem› und ‹neuem› Geld kann ich sagen, dass Leute, die Altgeld haben, oft Bewunderung hegen für jene, die innert kurzer Zeit aus eigener Leistung viel Geld gemacht haben. Der Rest hängt von deren Verhalten ab: Wenn viel Protzerei damit verbunden ist, fällt das Wort ‹neureich›.


Seit Mitte der 1990er-Jahre bin ich für Stiftungen tätig. Und da ist in den letzten 20 Jahren ein Wandel spürbar. Immer mehr Stiftungen öffnen sich und berichten mehr oder weniger transparent über ihre Tätigkeit, oft sogar nach dem Motto «Tue Gutes und sprich darüber». Ihr Stiftungszweck ist oft weit gefasst und die Umsetzung wird in vielen Fällen anderen Organisationen überlassen. Das heisst, sie finanzieren andere, meist gemeinnützige und oft spezialisierte Organisationen, damit diese Projekte im Sinne der Stifterinnen und Stifter verwirklichen können. 
Es gibt aber auch solche, von denen man keinen Pieps hört, oft aus reinen Diskretionsgründen – meistens aber auch, weil sie ihre eigenen, ganz konkreten karitativen Projekte verfolgen. Sie wollen im Stillen arbeiten und nicht von anderen Organisationen um finanzielle Hilfe für die Verfolgung von deren gemeinnützigen Zielen angefragt werden. Sobald das Wirken dieser Art von Stiftungen öffentlich wird, können sie sich vor – oft gutgemeinten – Bettelbriefen kaum mehr retten. Bereits deren abschlägige Beantwortung stellt einen grossen Aufwand dar, erst recht der sich oft daraus ergebende weitere Briefwechsel.




Etwas anderes, ganz Wesentliches für die Stiftungen hat sich in den letzten Jahren ebenfalls geändert: Es gibt keine Zinsen mehr. Es gibt viele Stiftungen, die ihr Vermögen nicht aufbrauchen, sondern lediglich die Zinsen ausgeben dürfen. Das ist oft in der Stiftungsurkunde so festgelegt. Deshalb sind zurzeit zahlreiche Stiftungen gezwungen, sehr kleine Brötchen zu backen.




Reich-Sein ist relativ, man kann es nicht wirklich definieren. Eine wichtige Stufe ist wahrscheinlich, wenn das eigene Alter gesichert ist. Wenn man sein Leben lang zum Beispiel bei Novartis oder Roche oder beim Staat arbeitet, hat man eine solch gute betriebliche Altersvorsorge, dass man sich ab der Pensionierung keine Sorgen mehr machen muss. Das würde ich schon als eine Stufe von Reich-Sein betrachten. Dann gibt es Leute, die nicht zu arbeiten brauchen, aber dafür sorgen müssen, dass ihr Vermögen sich nicht vermindert – was auch eine aufwändige Beschäftigung ist; das darf man nicht unterschätzen.
 



Es ist sicher beruhigend zu wissen, wie und von was man lebt. Aber es ist auch eine Verpflichtung, und es ist mit Arbeit verbunden. Wovon ich überhaupt nichts halte, sind die sogenannten ‹Trust-Fund-Kids›, wie sie hauptsächlich in Amerika vorkommen. Diese Kinder wissen: Ab dem 16. Geburtstag bekomme ich monatlich soundso viel Geld, lebenslang. Denen nimmt man jegliche Energie, etwas zu tun. Ich halte das für völlig verantwortungslos.




Ich glaube, es ist wichtig, dass man seine Kinder zu dem erzieht, was einmal auf sie zukommt. Ich habe schon erlebt, dass Eltern gestorben sind, deren Kinder noch minderjährig waren. Dann erhalten sie einen Beistand. Und mit 18 Jahren haben sie von einem Tag auf den anderen ein paar Millionen auf dem Konto. Das kann ihnen niemand wegnehmen, das gehört ihnen. Daran können selbst vorausdenkende Eltern nicht viel ändern. Sie können im Testament zwar Wünsche formulieren, doch sind diese zumindest für den Pflichtteil nicht verbindlich. Falls diese Kinder nicht das Glück haben, einen Beistand zu erhalten, der in der Lage ist, sie auf das ihnen zufallende Vermögen vorzubereiten, zerbrechen sie in den meisten Fällen daran, dass sie keine Erfahrung im Umgang mit Geld und Reichtum haben. Sie sind dann plötzlich von ganz vielen Freundinnen und Freunden umgeben, die alle eine noch bessere Investition wissen. In jenen Fällen, die ich kenne, hat es oft mit Drogen und dem Verlust ganzer Vermögen geendet – manchmal sogar mit Selbstmord.



Gerade wenn Eltern unheimlich bescheiden lebten und das Vermögen auf der Bank lag und sich dort im Stillen vermehrte, ist es für Kinder mit 18 Jahren wahnsinnig früh, plötzlich mit Reichtum konfrontiert zu werden. Reichtum kann eben auch ein Fluch sein. Es ist wie bei Leuten, die im Lotto einen riesigen Gewinn machen – es geht meistens schief. Wenn ein Obdachloser plötzlich 5000 Franken im Lotto gewinnt, kann das genauso ein Problem sein, wie wenn einer eine Million hat und plötzlich nochmals 100 Millionen dazugewinnt.




Im Normalfall erleben die Eltern jedoch die Volljährigkeit ihrer Kinder. Dann gibt es die Möglichkeit, ab dem 18. Geburtstag einen Vertrag zwischen Eltern und Kind abzuschliessen. Dieser Vertrag legt zum Beispiel fest, dass das Kind mit 18 eine erste Tranche von einer halben Million erhält, mit 20 eine weitere Tranche von zwei Millionen, mit 25 eine weitere Tranche von … und so weiter. Das bekommt das Kind unabhängig davon, ob die Eltern noch leben, und mit dem Geld kann es machen, was es will. 
Sterben die Eltern im Zeitraum zwischen der Unterzeichnung des Vertrags und einem im Vertrag festgelegten Zeitpunkt, beispielsweise dem 30. Geburtstag des Kindes, so wird das Vermögen mit Ausnahme der bereits erwähnten Tranchen bis zum 30. Geburtstag von einem professionellen, von den Eltern zusammen mit dem Kind bestimmten Gremium verwaltet, in dem das Kind auch eine Stimme hat. Erst danach kann das Kind über den Rest der Erbschaft frei verfügen.



Aber weshalb soll ein Kind mit 18 einen solchen Vertrag unterschreiben, wenn ihm nach dem Tod seiner Eltern sowieso alles gehört? Nun, es kann sein, dass die Eltern 95 werden und die Kinder bis 70 warten müssen, bis sie überhaupt etwas bekommen. Dann ist es sinnvoller, sie bekommen schon vorher etwas. Denn so kann man sie an den Reichtum heranführen. Das hat sich eigentlich bis jetzt bewährt. Aber es ist eine Frage des Heranführens. Es braucht Zeit und Geduld, mit Familien zu sprechen. Alle Eltern und auch die Kinder, ob begütert oder nicht, gehen diesen Fragen gerne aus dem Weg. Insbesondere den Kindern fällt es oft schwer, über die Möglichkeit des Ablebens der Eltern nachzudenken.




Sind reiche Menschen glücklicher? Diese Frage kann wohl niemand wirklich beantworten. Sicher, die Problemstellungen verschieben sich mit zunehmendem Reichtum. Letztlich trifft es Aristoteles Onassis jedoch ganz gut, wenn er sagt: ‹Ein reicher Mann ist nur ein armer Mann mit sehr viel Geld.›


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2017

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