Fremd im eigenen Kanton


Ralph Schindel


 

Die Vorstellungen und Absichten der Gemeinde Riehen und des Kantons Basel-Stadt gehen immer wieder auseinander. Besonders unangenehm ist das für die Gemeinde, wenn sie auf ihrem eigenen Grund und Boden betroffen ist. Dann kommt es vor, dass sich Riehen nicht ernst genommen, bevormundet und fremd fühlt im Kanton.


 

Das politische Kräfteverhältnis im Kanton Basel-Stadt ist in einem massiven Ungleichgewicht. Auf der einen Seite steht der Kanton, der auch die Interessen der Stadt Basel vertritt, da die kommunale Ebene fehlt. Auf der anderen Seite stehen die beiden Gemeinden Riehen und Bettingen. Statt mit der Stadt(gemeinde) müssen sich Riehen und Bettingen also direkt mit dem Kanton auseinandersetzen. Die beiden Gemeinden verfügen weder über die finanziellen (Budget 2012: Kanton Basel-Stadt rund 3,5 Milliarden Franken; Riehen rund 90 Millionen Franken) noch politischen (im Grossen Rat nimmt der Wahlkreis Riehen 11 von 100 Sitzen ein) oder personellen Mittel (172 000 Einwohnerinnen in der Stadt Basel gegenüber 20 800 Ein-wohner in Riehen), um sich gegen den Kanton durchzusetzen.


 

Unter bestimmten Voraussetzungen gelingt dies trotzdem, wie noch zu zeigen sein wird. Viel häufiger aber setzt sich bei divergierenden Interessen der Kanton gegen die Gemeinden durch. Und hier setzt der ethnologische Begriff des ‹Fremden› an, der in Abgrenzungsprozessen vom ‹Eigenen› bestimmt wird. Anstatt ‹die z’Bärn› heisst es in Riehen entsprechend ‹die z’Basel›. Wenn sich der Kanton also gegen die Interessen der Gemeinde Riehen entscheidet, kann die Reaktion schon sein, dass sie sich als fremd im eigenen Kanton empfindet. Sicher aber hat Riehen «besondere Beziehungen zur Stadt».1


 

Riehen will die Zollfreistrasse – Basel nicht


Neu ist diese Empfindung nicht. Eine bereits recht alte Geschichte ist jene der Zollfreistrasse, die nun fertiggestellt wird. Der Bau der 738 Meter langen Verbindungsstrasse zwischen Weil am Rhein und Lörrach auf Riehener Boden wurde 1977 in einem Staatsvertrag geregelt. Ihre Wurzeln reichen jedoch bis ins Jahr 1852 zurück, als die Eidgenossenschaft dem Grossherzog von Baden das Gebiet am Schlipf versprach. Auf Schweizer Seite wurde die Strasse immer wieder bekämpft. Anfang 2005 – aufgeschreckt durch den geplanten Beginn der Bauarbeiten– lancierten grüne und linke Gruppierungen sogar die sogenannte ‹Wiese-Initiative›. Die ‹IG Auenpark am Schlipf› konnte im Sommer 2005 die kantonale Initiative mit beachtlichen 6200 Unterschriften einreichen. Am 12. Februar 2006 fand die Abstimmung statt. Am Montag zuvor war der Bauplatz allerdings schon vorbereitet worden, nachdem das Bundesgericht am 23. Januar einen erneuten Einspruch gegen die Rodungsbewilligung zurückgewiesen hatte. Für die kantonalen Behörden war klar, dass sich die Zollfreistrasse durch den Urnengang nicht verhindern lassen würde.


 

Dennoch wurde die ‹Wiese-Initiative› von der Stimmbevölkerung in der Stadt und damit auch im Kanton angenommen. Mit 28 146 zu 20 252 Stimmen erzielte sie ein Stimmenmehr von immerhin 58,2 Prozent. Daran konnte auch Riehen mit einem Nein-Anteil von über 51 Prozent (Bettingen: 64,5 Prozent Nein-Anteil) nichts ändern. Entweder hatte sich die knappe Mehrheit der Riehener Stimmberechtigten davon überzeugen lassen, dass die Annahme der Initiative die Zollfreistrasse nicht verhindern könne, oder sie gewichteten die erwartete Entlastung des Dorfkerns sowie der Weil- und Lörracherstrasse vom motorisierten Individualverkehr höher als den Schutz des Gebiets am Schlipf. Genau diese dauerhafte Verkehrsentlastung hatte der damalige Riehener Gemeindepräsident Michael Raith an der Sondersitzung des Grossen Rats im März 2005 gefordert. 


 

Obwohl die Gemeinde, was ihr eigenes Gebiet anbelangt, vom Kanton überstimmt worden war, blieb dieser Entscheid folgenlos, da das Bundesgericht ja bereits entsprechend der Riehener Mehrheit entschieden hatte. Die Arbeiten an der Zollfreistrasse wurden wie erwartet aufgenommen und sind mittlerweile weit fortgeschritten. Kurz vor dem Ende der Bauzeit tauchen nun aber Probleme auf: Die Eröffnung verzögert sich immer wieder. Den Kanton scheint das nicht zu interessieren. Riehen wird mit den Problemen allein gelassen.


 

Die Doppelrolle des Kantons


Manchmal mangelt es im Zusammenleben der Gemeinde Riehen mit dem Kanton aber nicht nur an Unterstützung. In gewissen Fällen prallen unterschiedliche Interessen aufeinander. Wenn es dann auch noch um Interessen auf dem eigenen Hoheitsgebiet geht, ist das für die vergleichsweise kleine Gemeinde besonders unangenehm. Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte mit Aktualität bis heute ist das Stettenfeld. Dieses befindet sich zum grössten Teil in der Wohnzone. 2009 wollte die Gemeinde einen Planungswettbewerb starten, der zu einem grenzüberschreitenden Stadtteil mit Lörrach hätte führen sollen. Am 21. Juni 2009 nahm die Riehener Bevölkerung mit einem Anteil von 52,3 Prozent das Referendum der Grünen Partei und der SVP an, das den Planungswettbewerb verhindern wollte, um das Areal in seiner heutigen Form zu erhalten. 


 

Dies änderte aber nichts am Umstand, dass das Stettenfeld in der Bauzone liegt. Gemäss Raumplanungsgesetz des Bundes muss ein solches Gebiet zur Baureife gebracht werden. Und der Kanton ist als Besitzer eines Teils des Stettenfelds daran interessiert, dass gebaut wird. Die Gemeinde will diesen Interessen teilweise entsprechen: «Um den bestehenden Bedürfnissen gerecht zu werden, soll neu ein Drittel des Areals für Grün- und Freizeitflächen freigehalten werden. Zudem sollen an Lagen, die gut durch den öffentlichen Verkehr erschlossen sind, neu auch Betriebe zulässig sein. Weil die Entwicklung des Stettenfelds umstritten ist, soll ein zweistufiges Verfahren durchgeführt werden. In der ersten Stufe werden im Rahmen der vorliegenden Zonenplanrevision die Grössen der Flächen festgelegt, die der Grünzone, der Zone für Freizeit und Sport sowie der Bauzone zugeordnet werden. Nachdem diese Eckwerte mit der Zonenplanrevision definiert sind, wird in einer zweiten Planungsstufe konkret definiert, wo diese Zonen liegen und wie sie gestaltet werden.»2


 

An das Stettenfeld angrenzend liegt das Oberfeld. Heute ist es Grünland mit Obstplantagen, wird also landwirtschaftlich genutzt. Es soll dem revidierten Zonenplan zufolge aber zum optionalen Suchraum für Bauland werden, das der Kanton in Zukunft beanspruchen könnte. Dass diese Option kein Hirngespinst ist, zeigt die Tatsache, dass der Kanton 2012 ein Solothurner Ingenieurbüro hat abklären lassen, ob eine S-Bahn-Haltestelle im Stettenfeld genügend Potenzial aufweist. Offenbar ist dies der Fall. 


 

Auch im Moostal hat der Kanton seine Interessen: Dort tritt er als Grundbesitzer auf, der gewillt ist, auf seinem Land eine bestimmte Rendite zu erwirtschaften. Die Gemeinde hat aber klargemacht, dass sie nur eine minimale Überbauung zulassen will. Nur sitzt der Kanton in beiden Fällen am längeren Hebel, hat er doch eine Doppelrolle inne: Er ist nicht nur Landeigentümer mit entsprechenden Ansprüchen, sondern auch noch Planungsgenehmigungsbehörde. Damit verfügt er über zusätzliche Möglichkeiten, seine Interessen auf Gemeindegebiet durchzusetzen. Kommt hinzu, dass der kommunale Richtplan für die kantonalen Behörden nicht verbindlich ist. Wenn sich die Gemeinde also durch die Übermacht des Kantons manchmal brüskiert und ohnmächtig fühlt, ist das nicht erstaunlich. Diese Brüskierung kann auf Seiten der Gemeinde verständlicherweise zu Gefühlen der Fremdheit führen.


 

Zünglein an der Waage


Aber nicht immer steht die Gemeinde Riehen der Stadt und dem Kanton machtlos gegenüber. Bei besonders knappem Ausgang einer Abstimmung können Riehen und/oder Bettingen auch einmal das Zünglein an der Waage spielen. Das war letztmals bei der Abstimmung über den Kredit für die Parkraumbewirtschaftung der Fall. Die Parkraumbewirtschaftung hätte nur städtischen Grund betroffen. Weil die Stadt aber keine kommunale Ebene hat, mussten auch Riehen und Bettingen über den Kredit befinden. Ziel der Parkraumbewirtschaftung war es unter anderem, die Weissen Zonen auf Basler Allmend in Blaue Zonen umzuwandeln. Damit sollte der Suchverkehr in den Quartieren eliminiert werden.


 

Die städtischen Stimmbürgerinnen und -bürger hielten dies – wenn auch nur knapp – für eine gute Idee und nahmen die Parkraumbewirtschaftung mit 18 634 zu 17 823 Stimmen an (51 Prozent Ja-Anteil). Riehen lehnte sie dagegen mit 2574 zu 3626 Stimmen ab (fast 58,5 Nein-Anteil). Zusammen mit Bettingen gelang es Riehen, die Stadt zu überstimmen: Die Parkraumbewirtschaftung wurde mit 50,42 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Die Ironie der Geschichte: Mittlerweile haben sowohl die Stadt Basel als auch Riehen eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt.


 

Abgrenzung im Leitbild


Die drei Beispiele zeigen es deutlich: Wenn der Kanton nicht will, wird es für Riehen schwierig, die eigenen Interessen zu verfolgen und durchzusetzen. Dafür sind die Unterschiede bezüglich der einsetzbaren Mittel einfach viel zu gross. Es muss aber auch klar festgehalten werden, dass Konstellationen wie die oben beschriebenen eher selten auftreten. Im Allgemeinen wird das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinde von Politik und Verwaltung beider Seiten als gut beschrieben und erlebt. Und auch die Riehener Bevölkerung fühlt sich mehrheitlich Stadt und Kanton verbunden.


 

Umso besser hat sich Riehen in dieser manchmal halt trotzdem recht unangenehmen Situation eingerichtet. Die Gemeinde ist zwar die zweitgrösste Kommune nach Basel in der Nordwestschweiz, also grösser als Solothurn, Olten oder auch Aarau. Dennoch ist ihr Bekanntheitsgrad in der restlichen Schweiz viel geringer als die der genannten Städte. Entsprechend ist der Fokus nicht unbedingt und sofort auf Riehen gerichtet. Im Schatten des Riesen Basel lässt sich also trotz der beachtlichen Grösse auch sehr gut und ungestört politisieren, leben und wohnen. 


 

Diese Qualität wird auch immer wieder von Politikerinnen, Behördenvertretern, aber auch von Einwohnerinnen betont, wenn es um die Unterscheidung von der Stadt geht. Nicht ohne Grund wurde Riehen auch schon als ‹Wohlfühloase› bezeichnet. In der Gemeinde wird mehrheitlich und gern gewohnt, in die Stadt geht man zur Arbeit, allenfalls auch zur Unterhaltung. Diese heimelige Abgrenzung hat die Gemeinde zu nutzen gewusst und mit dem Riehener Leitbild 2000–2015 für das «Grosse Grüne Dorf» treffend zum Ausdruck gebracht und zum langfristigen Ziel erhoben. 


 

1 Riehen 2000–2015: Leitbild für das Grosse Grüne Dorf, 2000.


2 www.riehen.ch/zonenplanrevision/was-bleibt-was-wird-neu/stettenfeld, Zugriff: 17.7.2013.


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2013

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