«Für immer geschlossen» 


Loris Vernarelli


In den letzten drei Jahrzehnten hat die Riehener Gastronomieszene einen grossen Umbruch erlebt. Während viele neue Lokale den Betrieb aufgenommen haben, sind traditionsreiche Restaurants von der Bildfläche verschwunden. So unterschiedlich die Gründe für das Scheitern auch sein mögen – es gibt durchaus Gemeinsamkeiten.


Und dann ist es plötzlich vorbei. Die letzten Gäste gehen, der Wirt räumt Gläser und Teller noch einmal ab, zählt zum allerletzten Mal das Geld in der Kasse. Erst jetzt wird ihm so richtig bewusst, dass sein so lange gehegter und schliesslich in Erfüllung gegangener Traum eines eigenen Restaurants ausgeträumt ist. Wehmut kommt auf. Es schmerzt ihn, seine mit viel Hingabe aufgebaute Wirtschaft aufgeben zu müssen. Doch was blieb ihm anderes übrig? Alles Kämpfen nützte nichts, er musste den Tatsachen ins Auge sehen: Die Besucherinnen und Besucher wurden immer weniger, die Schulden immer höher. Wie sehr hatte er doch mit dem Schicksal gehadert, abwechselnd die Schuld an seiner Misere auf die Wirtschaftskrise, das Rauchverbot, das veränderte Ausgehverhalten, die heutige Esskultur und natürlich auf den neuen Imbissladen gleich gegenüber geschoben. Der Silberstreifen am Horizont wurde von Tag zu Tag schmaler, bis er schliesslich ganz verschwand. Und mit ihm die letzte Hoffnung, das Ruder doch noch herumzureissen. 


Das jähe Ende des Gourmettempels


So oder ähnlich dürfte es in den letzten Jahren vielen Riehener Wirtinnen und Wirten ergangen sein. Die anfängliche Lust schlägt langsam, aber unerbittlich in Frust um, aus dem Traum wird ein Albtraum. Doch des einen Leid ist des anderen Freud, so auch in der lebendigen Gastronomieszene. Gibt ein Pächter auf, springt bald schon der nächste ein. Ob sich der Erfolg einstellt, hängt von den eigenen Ideen und der fachlichen Kompetenz ab, aber auch von externen, unbeeinflussbaren Faktoren. 


Ein florierendes Geschäft lässt sich also nicht am Reissbrett planen. Womöglich ist gerade das der Grund, weshalb in den letzten drei bis vier Jahrzehnten viele Gaststätten im grossen grünen Dorf dichtmachen mussten. Dabei fällt auf, dass Grösse und Bekanntheit vor einer Schliessung nicht schützen, wie das Beispiel des Restaurants ‹Schürmann’s› an der Ecke Äussere Baselstrasse-Burgstrasse verdeutlicht. Das Lokal hatte vor der Übernahme durch das Ehepaar Andreas und Sandra Schürmann im Februar 1998 turbulente Zeit erlebt: Dreimal innert zehn Jahren hatten sich die Pächter im Restaurant ‹Soldanella›, wie es damals noch hiess, die Klinke in die Hand gegeben. Spitzenkoch Andreas Schürmann, der zuvor im Restaurant ‹Wiesengarten› tätig gewesen war, machte innert kürzester Zeit aus der zuvor glücklos geführten Gaststätte einen wahren Gourmettempel. Ein gutes halbes Jahr nach der Eröffnung vergab der renommierte Gastroführer ‹Gault-Millau› dem Schürmann’s 16 von 20 möglichen Punkten. Alles lief mehrere Jahre lang wie geschmiert, ein Michelin-Stern kam hinzu. Doch die Tatsache, dass die Restaurant Schürmann’s AG zu 95 Prozent einer Behring-Gesellschaft gehörte, wurde dem Pächter und Koch zum Verhängnis. Denn gleichzeitig mit der Verhaftung seines Gönners Dieter Behring im Oktober 2004 platzte auch Andreas Schürmanns Traum. «Der Gourmetstern von Riehen ist verblasst», titelte die ‹Basler Zeitung› nach der Einstellung des Restaurantbetriebs im Februar 2005, ziemlich genau sieben Jahre nach der hoffnungsvollen Eröffnung. 


Quartierbevölkerung hing am ‹Hölzli›


Im Jahr 2001, als im Schürmann’s noch eitel Sonnenschein herrschte, ging in Riehen Süd eine Ära zu Ende – nicht ohne Nebengeräusche. Das altehrwürdige Restaurant ‹Niederholz›, hundert Jahre lang die bevorzugte Quartierbeiz von Vereinen, Verbänden und Organisationen, wurde per Ende März definitiv geschlossen. Das ‹Hölzli› ist das beste Beispiel dafür, dass ein Wirtshaus auch dann dichtmachen kann, wenn finanziell alles im Lot ist. Der Anfang vom Ende kam 1998, als Restaurantbesitzer und Wirt Bruno Gasser verstarb. Seine Frau Romy übernahm zunächst den Betrieb, musste aber bald einsehen, dass die Belastung für sie und die Mitarbeiter zu gross war, hatte das Lokal doch pro Woche rund hundert Stunden geöffnet. Weil sich trotz intensiven Bemühungen kein geeigneter Wirtenachfolger finden liess, entschieden sich die Besitzer des Niederholzes, die Liegenschaft und die daneben liegende Minigolfanlage abreissen zu lassen. An deren Stelle stehen nun zwei Wohnhäuser mit je fünf Eigentumswohnungen. Wie sehr die Quartierbevölkerung am Restaurant hing, zeigte der Sturm der Entrüstung, der sich nach Bekanntwerden der Schliessung erhob. Den Gemeindebehörden wurde vorgeworfen, die Quartierinteressen nicht wahrzunehmen. Den «Verlust eines wichtigen Quartiertreffpunkts» bemängelten auch zwei Interpellationen im Einwohnerrat.


Von der ‹Schlipferhalle› zum ‹Schlipf@work›


Die Rolle der Gemeinde Riehen wurde bereits vierzig Jahre zuvor im Zusammenhang mit der ‹Schlipferhalle› hinterfragt. 1962 erwarb sie die Liegenschaft an der Bahnhofstrasse 28, in der die Wirtschaft untergebracht war. Bereits ein Jahr später eröffnete die ‹Gemeindestube›, ein alkoholfrei und ohne Konsumationszwang geführtes Restaurant. Der gleichnamige Trägerverein konnte dabei auf die Unterstützung der Gemeinde in Form von Subventionen und Pachtzinserlass zählen. Trotzdem: Eine Schlipferhalle ohne Schlipfer und eine Gartenwirtschaft ohne Bier sorgten für Diskussionen. Auch die Finanzen des Vereins und die Frequentierung des Lokals waren nicht immer erfreulich. Mitte der 1990er-Jahre kam es dann zum Umbruch: Der Gemeindestubenverein änderte seinen Namen in ‹Verein für alkoholfreie Gastlichkeit›, das Restaurant hiess neu ‹Zum Schlipf›. Der Weg in eine bessere Zukunft schien geebnet. 


Die Hoffnung war jedoch von kurzer Dauer. Nur sieben Monate nach Betriebsaufnahme warf der Verein für alkoholfreie Gastlichkeit aufgrund fehlender Gäste das Handtuch. Der mit knapp 2000 Franken budgetierte Tagesumsatz sei praktisch nie erreicht worden, lautete die Erklärung. 


Der Gemeinderat fackelte jedoch nicht lange und wählte bald darauf ein neues Pächterehepaar: Veronica und Carlo Liverani-Sonntag nahmen ihre Arbeit am 8. Oktober 1996 auf. Das ‹Ristorante al parco› bot fortan italienische Küche mit im Haus frisch hergestellten Teigwaren an – dem neuen Konzept war von Beginn weg Erfolg beschieden. Ein kurzer allerdings. Die Einnahmeeinbrüche in den Jahren 1998/99 sowie die gesundheitlichen Probleme von Carlo Liverani überzeugten das Ehepaar, den dreijährigen Pachtvertrag nicht zu erneuern. Im September 2000 war dann Schluss, einen Monat später standen bereits die Nachfolger bereit. 


Heute heisst das Restaurant ‹Schlipf@work› und wird vom Verein ‹Lebensträume›, der Arbeitsraum für Menschen mit oder ohne Behinderung zur Verfügung stellt, betrieben. Auch hier gilt: Was zunächst vielversprechend aussah, wäre beinahe in einem Fiasko geendet. In diesem Fall ist der Konjunktiv Pflicht, denn die Gaststätte hat Anfang 2014 gerade noch die Kurve gekriegt. Der von der Insolvenz bedrohte Trägerverein konnte das Schlipf@work allerdings nur dank der Hilfe der Gemeinde Riehen weiterbetreiben, die einen Teil des dem Verein Lebensträume gehörenden Inventars aus dem Restaurant zum Preis von 88 000 Franken übernahm.


Keine Restaurantschliessung ohne Medienbericht


Die Liste der Beispiele könnte nahezu endlos erweitert werden. Das Restaurant ‹Schützengarten› an der Bahnhofstrasse musste im Dezember vergangenen Jahres nach 152 Jahren seine Türen endgültig schliessen. Seine Geschichte begann im September 1862, als der Metzger Simon Wenk ein «Wirthschaftspatent» beim Gemeinderat anmeldete. Dessen Präsident Niklaus Löliger unterstützte Wenks Begehren offenbar, sonst hätte er wohl kaum folgende Zeilen an den damaligen Statthalter Johann Jakob Heimlicher gerichtet: «Jedenfalls wird sich die ganze Hölle aufmachen und über den Gemeinderath herfallen, wenn Wenk mit seinem Gesuch abgewiesen wird und wenn dessen Ruin später erfolgen sollte […].» Nach vielen Hochs und Tiefs schrieb Wirtin Sonny Frei-Etter – aufgrund ihrer auffallenden Haarfarbe die ‹Rote Zora› genannt – das letzte Kapitel des Schützengartens. Sie hatte die Traditionsbeiz Mitte der 1980er-Jahre übernommen und ihr zu neuem Glanz verholfen. Mit Freis Tod im Juli 2014 gab es auch für diese Gaststätte keine Zukunft mehr. 


Wir könnten noch über das edle Restaurant ‹Ascot› berichten, das einem minder erfolgreichen chinesischen Restaurant weichen musste. Etwas über zwei Jahre blieb das ‹Hilammun› offen, bevor es im Juni 1992 vom ‹Mongolian Han Barbecue› abgelöst wurde. Seitdem ist im Parterre der Liegenschaft an der Baselstrasse 67 Ruhe eingekehrt.


Interessant ist auch die Geschichte der Liegenschaft Baselstrasse 60: Innerhalb von sieben Jahren, zwischen 1995 und Juli 2002, haben mit dem ‹Adriatic›, dem ‹Parkcafé› und der ‹Piccanteria› gleich drei Restaurants versucht, in Riehen Fuss zu fassen – ohne Erfolg. Erst das Res-taurant ‹Tonking›, das vietnamesische, chinesische und thailändische Spezialitäten serviert, konnte sich nunmehr zwölf Jahre am Standort an der Ecke Baselstrasse-Rössligasse halten.


Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Restaurantschliessungen und Pächterwechsel den Medien immer eine Erwähnung wert sind? Der Grund ist einfach: Zeitungen, Radios und Fernsehstationen wissen genau, welche Art von Nachrichten das Interesse der Medienkonsumenten weckt. Wenn man plötzlich an der Eingangstür der einzigen Dorfwirtschaft oder der beliebten Quartierbeiz das Schild «Für immer geschlossen» entdeckt, will man wissen, wie es so weit kommen konnte. Und zwar schnell. Die wahre Ursache bleibt aber oft verborgen, denn die meisten Wirtinnen und Wirte sind eher verschlossen und geben kaum Auskunft. So ärgerlich diese Wortkargheit für die Journalisten ist, so verständlich ist die Haltung der Beizer – in praktischer und emotionaler Hinsicht. Einerseits müssen sie darauf achten, ihren angekratzten Ruf nicht noch weiter mit unbedachten Äusserungen zu schädigen. Schliesslich wollen sie in Zukunft vielleicht einen Neustart wagen. Andererseits, und das ist wohl der Hauptgrund für die Zurückhaltung, macht ihnen das Päckchen an Traurigkeit und Enttäuschung, das sie herumtragen, zu schaffen. Denn man kann einen noch so breiten Buckel haben, Rückschläge wegstecken und immer positiv nach vorne schauen: Es tut weh, wenn es plötzlich vorbei ist. 


 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2015

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