Füss vornen, Kopf hinten

Michèle Hansen

Am Karfreitag war in einem nahen Dorf eine Frau gestorben. Sie wurde am gleichen Tag wie Jesus von ihren Leiden erlöst. Ihr Mann musste sich auf dem Zivilstandsamt melden. Die Standesbeamtin, die Pikettdienst hatte, erwartete ihn vor der Gemeindeverwaltung.

«Das tut mir leid für Sie, Herr Lemma.» «Danke», sagte er. Sie führte ihn in ihr Büro, liess sich die Personalien der Verstorbenen geben, trug den Tod ins Todesregister ein und liess den Mann unterschreiben. Damit war die Frau auch als Rechtsperson gestorben. Die Beamtin füllte die Todesscheine und die Statistikkarte aus und gab Herrn Lemma auch einen Schein ab, für Versicherungen und so. Nun besprachen sie die Beerdigung. Zum Schluss wollte Herr Lemma wissen, wo auf dem Friedhof seine Frau beerdigt werden sollte. Sie zogen beide ihre Regenmäntel an, da es draussen in Strömen regnete, und machten einen kurzen Gang zum Friedhof. Zwei neue Gräber waren in der jüngsten Reihe schon ausgehoben worden. Die Standesbeamtin deutete auf den Platz nebenan. «Da wird das Grab Ihrer Frau sein.» Der Witwer nickte. Da nun alle Formalitäten erledigt und die Beerdigung organisiert war, gingen sie zurück und verabschiedeten sich.

Am Mittwoch nach Ostern fand die Beerdigung statt. Das Wetter hatte sich über Ostern beruhigt, doch auch am Mittwoch war der Friedhof noch sehr nass.

 

Herr Lemma, der seine Frau schon am Donnerstag besucht hatte, kam gleich nach dem Friedhofsgang ganz aufgelöst in der Gemeindeverwaltung an. «Meine Frau liegt auf dem Kopf», keuchte er. «Ich ... ich weiss nicht genau, wie Sie das meinen», erwiderte die Standesbeamtin. Er atmete tief durch und versuchte es nochmals. «Der Kopf meiner Frau liegt am Friedhofsweglein. Dort sollten aber die Füsse liegen.» «Kommen Sie. Wir schauen uns die Sache zusammen an.»

Die Standesbeamtin zog ihre Jacke an und begleitete den Witwer ein zweites Mal zum Friedhof. Vor dem Grab begann der Mann von neuem. «Sehen Sie, so ist der Sarg hinuntergelassen worden und nun ist der Kopf am falschen Ende.» Die Frau schüttelte den Kopf. «Nein, Herr Lemma. Am Karfreitag hat es doch so stark geregnet, darum hat der Friedhofsgärtner am Kopfende der Gräber eine Bahn aus Brettern gelegt. Auf diesen haben Sie an der Beerdigung gestanden. Unterdessen hat er sie aber weggeräumt. Wir stehen nun auf dem Friedhofsweglein am Fussende des Grabes.» Den Witwer überzeugte diese Erklärung überhaupt nicht und auch das mehrmalige Wiederholen der Brettertheorie empörte ihn nur mehr und mehr.

Den Rest des Tages verbrachte Herr Lemma fast ausschliesslich auf der Gemeindeverwaltung, wo er jedem Angestellten, den er traf, sein Unglück darlegte.

Donnerstagabends ist Gemeinderatssitzung. Da die Beamten schon ziemlich mürbe waren, hatten sie ihn dort angemeldet. Das neuerliche öffnen eines Grabes ist zudem nur durch einen Gemeinderatsbeschluss zu erreichen. Herr Lemma vertrat seine überzeugung unbeirrt und so wortreich, dass er die Erlaubnis zur öffnung des Grabes in seinem Beisein erhielt. Nur so konnte der Gemeinderat doch noch zur Traktandenliste übergehen.

Am nächsten Tag sah der Witwer dem Friedhofsgärtner zu, wie er die Blumendekoration und das Holzkreuz zur Seite stellte und schweigend das Grab aushob. Mit einem kleinen Besen wischte er den Rest der Erde vom Sarg und löste die Schrauben. Vorsichtig öffnete er den Deckel und schaute zuerst nach, ob der Anblick der Toten dem Hinterbliebenen zuzumuten wäre. Glücklicherweise war dies der Fall und der Mann konnte sich selber überzeugen, dass seine Frau richtig ausgerichtet lag. Dies hatte Herrn Lemma so beruhigt, dass er die Tote von nun an in Frieden ruhen liess und sich wieder dem Leben zuwandte.

Kurze Zeit später schon konnten die Gemeindeangestellten ihn frisch verliebt die Hauptstrasse hinunterschweben sehen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2001

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