Gedächtnisausstellung Sandreuter - Roos - Keller

Hans Krattiger

Die erste der beiden Ausstellungen, die die Kommission für bildende Kunst für 1975 geplant hatte, war dem Schaffen dreier Künstler gewidmet, die für kürzere oder längere Zeit in Riehen gewohnt und des öftern auch die Riehener Landschaft in ihren Bildern dargestellt hatten. Zugleich waren sie Vertreter dreier Generationen, was der Ausstellung im Gemeindehaus einen zusätzlichen Reiz verlieh, weil damit ein überblick auf das schweizerische Kunstschaffen von der Mitte des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts geboten werden konnte. Mit diesem überblick wurde auch veranschaulicht, wie sehr sich das Kunstverständnis gerade in dieser Zeitspanne gewandelt hat. Während Sandreuter mit seinen frühen Bildern zurückweist in jene Zeit, in der die Beherrschung einer figürlichen Komposition als «höchste Kunst» verstanden wurde, weist Keller mit seinen späten, stark abstrahierten Arbeiten in die Zeit, in der mit der Tradition gebrochen wurde und Formen und Farben auch ohne Gegenstand zu Bildinhalten wurden. Roos, der gleichsam die Brücke zwischen den beiden Polen bildet, knüpft in seinen bewusst kompositorisch gebauten Landschaften an Sandreuter an, öffnet aber auch mit seinen skizzenhaften und doch vollendeten Bildern den Weg zum Jüngeren. Gemeinsam aber war allen Dreien das Verwurzeltsein in der Tradition der abendländischen Kunst und die Bemühung, fussend auf dem vorhandenen Boden und ausgehend vom Vorbild vergangener Meister doch etwas Eigenständiges zu schaffen. Dass ihnen dies gelungen ist, so dass ihr hinterlassenes Werk den Stempel einer eigenwilligen Künstlerpersönlichkeit trägt, das machte die Riehener Ausstellung evident.


Und dieses ihr Lebenswerk hatten sie in relativ kurzer Zeit zu bewältigen; denn gemeinsam war ihnen auch, dass sie verhältnismässig früh starben: Hans Sandreuter lebte von 1850 bis 1901, war also erst 51jährig, als er durch den Tod aus seiner Arbeit und aus seinem, wenige Jahre zuvor erbauten Riehener Heim gerissen wurde; Otto Roos wurde 1887 geboren und starb 1945 im Alter von 58 Jahren; der 1923 geborene Josef Keller schied 1964 als 41jähriger freiwillig aus dieser Zeit und Welt. Es ist müssig zu fragen, was aus ihnen geworden wäre, was sie noch geschaffen hätten, wäre ihnen eine längere Lebenszeit beschieden gewesen; immerhin war es ihnen vergönnt, den Zenit ihres Schaffens und ihrer Möglichkeiten zu erreichen und ein Werk zu hinterlassen, das, wie die Ausstellung zeigte, dank seiner Qualität und Ehrlichkeit Bestand hat.


Es hatte auch jeder der drei Künstler seinen eigenen Kampf zu bestehen, und keinem wurde es leicht gemacht, zu sich selbst zu finden und der eigenen Persönlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Für Hans Sandreuter bestand dieser Kampf darin, dass er sich vom Einfluss seines verehrten Meisters Arnold Böcklin frei machen musste. Durch Böcklin war das in ihm schlummernde Talent geweckt worden; ihm folgte er nach München, später nach Florenz, und so malen zu können wie der Meister, das war sein Ehrgeiz. Und wirklich, in den Fusstapfen Böcklins brachte er es, vor allem in technischer Hinsicht und auf dem Gebiet der Komposition, erstaunlich weit. Der Vorwurf, ein Böcklin-Epigone zu sein, muss ihn schwer getroffen, ihm aber auch geholfen haben, sich von Böcklin zu lösen und selbständig zu werden. Die ausgestellten Bilder deuteten diesen Wandlungsprozess an, nämlich im übergang von der figürlichen Komposition, in der eine Landschaft nicht mehr als ein schmückendes Beiwerk ist, zum eigenständigen Landschaftsbild. Es muss für Sandreuter ein unerhörtes Wagnis gewesen sein, ein Bild zu malen, das nur eine Landschaft darstellt; und es muss für ihn wie eine Entdekkung gewesen sein, dass auch eine Landschaft als solche einen Bildinhalt abgeben kann. Der Auftakt zu dieser Wandlung wurde in der Ausstellung mit der noch skizzenhaft angelegten «Südlichen Landschaft» sichtbar, und sie erreichte ihren Höhepunkt in dem von der National-Versicherungsgesellschaft zur Verfügung gestellten «Blick von der Mohrhalde» von 1899, die auch etwas Figürliches enthält, nämlich einen Bauern mit einer weidenden Kuh im Mittelgrund des Bildes; aber im Gegensatz zu früher ist nun diese figürliche Komposition der Landschaft untergeordnet.


Der Kampf, den Otto Roos zu bestehen hatte, bestand wohl in seiner Doppelbegabung als Maler und Bildhauer, und wie oft mag er vor der Frage gestanden sein, ob er nicht das eine zugunsten des andern aufgeben müsse. Er hat es nicht getan, und sein Werk überblickend, wie es mit der für die Ausstellung getroffenen Auswahl von Bildern und Plastiken vorgestellt wurde, gebührt unsere Bewunderung sowohl dem Maler als auch dem Bildhauer. Sein Weg führte ihn über eine Holzbildhauerlehre zur Malerei, zu der ihn vor allem die Bielersee-Landschaft anregte, und wieder zur Plastik, für die er sich in Paris unter dem Einfluss von Aristide Maillol, dem Antipoden Rodins, entschied. Verrät die frühe Plastik seines Malerfreundes Karl Dick noch deutlich den Einfluss Rodins, so macht sich in den späteren Plastiken das mehr auf Ruhe und Ausgewogenheit ausgerichtete Kunstverständnis Maillols bemerkbar. Und welch' eine Herausforderung des Baslers, dem berühmten «Penseur» von Rodin eine «Penseuse» nach Maillolscher Art gegenüberzustellen! So plastisch Roos in seinen Skulpturen ist, so malerisch ist er in seinen Bildern. Das ist das Erstaunliche, dass er malend ganz Maler und modellierend ganz Bildhauer war. Der in beidem gleiche Mensch und die gleiche Hand zeigen sich jedoch im Suchen und im Herausarbeiten grosser, geschlossener und harmonischer Formen und Farben.


Josef Kellers Kampf bestand in der Tragik seines Lebensschicksals, das wie eine schwere Bürde auf ihm lastete, ihn einerseits zu einem fast übereifrigen Schaffen anspornte und seinen Geist nach allen Seiten des Lebens hin wach hielt, ihn andrerseits aber fast krankhaft empfindlich gegenüber Kritik machte und deshalb wohl auch zu wenig selbstkritisch. Mit geradezu leidenschaftlichem Interesse beschäftigte er sich mit allem, was sich im Bild darstellen lässt, sei es Mensch oder Tier, eine Landschaft oder ein Interieur, und die Auswahl, die die Organisatoren der Ausstellung, Hans Behret und Hans Jakob Barth, getroffen haben, liess erkennen, dass Josef Keller mit seinen Arbeiten neben den berühmteren Namen Sandreuter und Roos durchaus bestehen konnte.


Die Ausstellung, die vom 23. Mai bis zum 8. Juni dauerte, fand bei den Kunstfreunden — auch aus der Stadt — ein überaus gutes Echo; zum erfreulichen Besuch von rund 3000 Personen mag das Abstimmungswochenende vom 6.—8. Juni beigetragen haben. Auf Empfehlung der Kunstkommission wurden für die Sammlung der Gemeinde folgende Bilder angekauft:

Hans Sandreuter: «Südliche Landschaft», öl;


Josef Keller: «Konzert im Musiksaal», «Kammermusik», «Ressliryti»


und «Winterlandschaft».


Da die ausgestellten Werke von Otto Roos aus Privatbesitz stammten und grösstenteils unverkäuflich waren, konnte weder ein Bild noch eine Plastik von Otto Roos erworben werden.


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1975

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