Gehobene Tischkultur im Wenkenhof


Dominik Heitz


Während des Ersten Weltkriegs erwarb der Seidenfärberei-Industrielle Alexander Clavel den Wenkenhof als Wohnsitz. Gemeinsam mit seiner Gattin Fanny gab er hier festliche Empfänge für die gehobene Gesellschaft. Das mondäne Leben des Ehepaars zeigte sich auch in der Tischkultur, wie sie Fanny Clavel-Respinger in ihren Erinnerungen festhielt.


70 Zentimeter mass er in der Höhe, 60 Zentimeter in der Breite und 30 Zentimeter in der Tiefe. Gefertigt aus Zucker und Krokant, stand er in der Mitte des Buffets, flankiert von Kristallkandelabern, Pferden aus weisser Schokolade und Schalen mit Pralinen: der Wenkenhof – detailgenau en miniature nachgebaut. Die Confiserie Spillmann hatte erstklassige Arbeit geleistet; die Zuckerbäcker gingen gar soweit, ihn von innen zu beleuchten. Er war das Prunkstück des Abends.


Alexander (1881–1973) und Fanny Clavel-Respinger (1883–1967) hatten bei ihren Basler Freundinnen und Freunden, Bekannten und Gästen aus der übrigen Schweiz für eine Überraschung gesorgt. Es war auch ein besonderer Anlass: Die Eheleute, seit 1905 miteinander verheiratet, feierten an jenem Abend des 7. Septembers 1951 auf dem Neuen Wenken «1200 Jahre Wenkenhof».1


Gemäss den Aufzeichnungen von Fanny Clavel nahmen sie den Wenkenhof bei einem Ausritt im Jahr 1915 erstmals bewusst wahr. Ihre Pferde waren erst wenige Tage zuvor von der Grenzbesetzung beim Stab des ersten Armeekorps in ihre Stallungen im ‹Goldenen Löwen› an der Aeschenvorstadt zurückgekehrt. Fanny Clavel erinnerte sich an Geschichten ihrer Grossmutter Emilie His-Burckhardt: Diese hatte ihr oft von den schönen Abendanlässen auf dem Wenken erzählt. Familienmitglieder und Freunde seien dort mit ihren Equipagen erschienen, sodass die Gespanne oft für mehrere Stunden die ganze Bettingerstrasse entlang aufgestellt waren.


Fanny Clavel wollte dieses Leben im Wenkenhof wieder zum Blühen bringen. Zwei Jahre später gab die Witwe Elisa Valeria Burckhardt-Zahn dem Drängen nach und verkaufte Alexander Clavel das barocke Herrschaftsgut, das sie ausschliesslich als Sommersitz genutzt hatte. Im Laufe der Zeit renovierten die Clavels den repräsentativen Sitz über Basel sorgfältig, bauten ihn unter anderem mit einer respektablen Reithalle aus und entwickelten ihn zu einem Zentrum gesellschaftlicher Anlässe.


Kochaffine Grossmütter


Vielleicht noch etwas mehr als bei anderen Familien grossbürgerlichen Standes üblich, gaben die Clavels regelmäs-sig grössere und kleinere Empfänge. Zudem brachten die internationalen Geschäfte des Textilindustriellen immer wieder Gäste auf den Wenken, die gut verpflegt sein wollten. 


Fanny Clavel selber hielt, was Gastfreundschaft und kulinarisches Verständnis ihrer Familien anging, nicht hinter dem Berg. «Basel als alte burgundische Stadt», so hielt sie schriftlich fest, «war von jeher bekannt für seine feine, reichhaltige Küche. Die Mahlzeiten im sogenannten Deutschen Haus bei meiner Tante Vischer-Burckhardt sowie diejenigen im His’schen Haus bei meiner Grossmama His-Burckhardt waren berühmt.» Man habe über alte Rezepte diskutiert und oft sogar die Bücher des französischen Schriftstellers Brillat-Savarin gelesen, der damals noch als Meister der französischen Küche galt.


Fanny Clavel stellte sich in die Reihe ihrer kochaffinen Grossmütter: «In meinem Elternhaus war es nicht Sitte gewesen, sich in der Küche aufzuhalten und sich mit der Arbeit des Kochens zu befassen, denn meine Mutter hatte ebenfalls nie die Erlaubnis erhalten, die Küche zu betreten […]. Meine Grossmama verstand dagegen viel vom Kochen. Jeden Morgen zitierte sie ihren alten Drachen in ihr Wohnzimmer, um mit ihm an Hand herrlicher alter Kochrezepte die Mahlzeiten zu besprechen.» Und ihrer Grossmutter wollte sie nacheifern, vor allem, nachdem ihr Gatte kurz nach der Hochzeitsreise fordernd gesagt hatte: «Anstatt Deinen Klaviersonaten bei Deinem verehrten Lehrer Dr. Hans Huber so viel Zeit zu widmen, solltest Du besser den Kochlöffel schwingen lernen.»


Für Fanny Clavel galt es also erst einmal, nach dem gemeinsamen Morgenritt Menüs zu studieren und auszuarbeiten; damals wohnte das Ehepaar noch im Goldenen Löwen in der Aeschenvorstadt. Dann besuchte sie einen Kochkurs – und zeigte sich offenbar talentiert. «Denn schon bald sprach es sich herum, dass wir eine gute Küche führten, und wir hatten nun fast täglich Gäste», schrieb sie. Während des Ersten Weltkriegs, wenn ihr Mann auf Urlaub weilte, soll zum Beispiel häufig Oberstdivisionär Treytorrens de Loys von Pruntrut, seinem Stabshauptquartier, seinen Wagen in den Hof des herrschaftlichen Sitzes in der Aeschenvorstadt gesteuert und sich wie ein Kind darauf gefreut haben, eine seiner von Fanny Clavel zubereiteten Lieblingsplatten zu geniessen.


Die Hausherrin hielt unbescheiden fest: «Später, im Wenkenhof, verlangte das grosse Haus mehr Dienstboten und einen guten Küchenchef. Den unsrigen hatten wir lange Jahre; er wurde überall bekannt und beinahe berühmt. Seine hohe Kochmütze trug er mit Würde.» Paul Hüssy hiess er, kam aus Safenwyl und arbeitete siebzehn Jahre für die Clavels. «Wir nahmen ihn nach Paris und Rom mit, um seine Kenntnisse zu verbessern. Nach seinem Tode war es schwer, Ersatz zu finden, und oft musste ich selber wieder an den Herd und meine eigene Chef-Mütze aufsetzen, was mir viel Vergnügen machte.»


Manchmal, wenn gute Freundinnen und Freunde oder wichtige Geschäftsherren zu Besuch waren, trug sie die Platten selber auf – in einem Kochkostüm, «was dem Dîner», so resümierte sie, «am schön gedeckten Tisch eine vergnügte Note gab und zu einem glücklichen Ausgang der Verhandlungen beitrug».


Eine knusprige Apfeltorte


Fanny und Alexander Clavel führten ein mondänes Leben, das sie zwangsläufig mit guter Küche zusammenbrachte. Auf einer Kreuzfahrt hatte Fanny Clavel unter anderem die Gelegenheit, sich mit dem Oberküchenchef auszutauschen. Als die Clavels das Schiff verliessen, drückte der Koch der Wenkenhof-Besitzerin ein von Hand geschriebenes Rezept in die Hand: ‹Le Gigot Morvandel›, dessen Zubereitung zwei Tage beansprucht.


Ganze oben auf der Liste guter Speisen stehen für Fanny Clavel ‹Scampi à la Paysanne› sowie ‹Ecrevisses au Vermouth› und ‹Potage Bisque›, beide von der Hausherrin selber erfunden und anscheinend von den Freundinnen und Freunden des Hauses sehr geschätzt.


Dem Pariser Möbelgestalter und Innenausstatter Armand Rateau, der für die High Society arbeitete, zeigte sie einmal, wie man einen luftigen Blätterteig herstellt. «Zum Glück geriet er mir sehr schön und wurde von allen Gästen Rateaus voll anerkannt; ich hatte eine knusprige Apfeltorte fabriziert.»


Ein andermal – und zwar in St-Jean-de-Luz im Golf von Biskaya – bereitete Fanny Clavel in der Küche des Malers Pierre Ribera für vierzig Personen eine ‹Soupe à l’oignon› zu. Sie soll so gut gewesen sein, dass sich der Violinist Jacques Thibaut Hals über Kopf in die Köchin verliebte.


Für die Reitgesellschaft Spiegeleier und Hefegebäck


Das Reiten war im Grossbürgertum zur Zeit der Clavels fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Der Wenkenhof war deshalb auch ein Treffpunkt pferde- und reitbegeisterter Menschen. An schönen Sonntagmorgen hielten sich nicht selten zehn und mehr Freundinnen und Freunde der Clavels im Springgarten des Wenkenhofs auf. Dann gab es ab neun Uhr auf der Terrasse ein ausgiebiges Frühstück mit Kaffee, Spiegeleiern und Hefegebäck.


Das Ehepaar organisierte auch Schnitzeljagden zu Pferd, die meist in den Langen Erlen anfingen und entlang der Wiese führten. Im Schritttempo bewegte sich die Reitgesellschaft anschliessend durch das Dorf Riehen. Dann ging es im Trab und Galopp in die Hügel und Wälder des Markgräflerlands oder hinauf auf das Plateau von Adelhausen – mit Finish auf der Chrischona. Von dort ging es im Schritt hinunter zum Wenkenhof, wo in der Reithalle ein Frühschoppen bereitstand: Markgräfler Weine, ‹Wienerli›, Sandwiches und anderes mehr. Danach behielten die Clavels noch etwa dreissig der Mitreitenden zum Mittagessen zurück.


Im Sommer 1932 fand auf dem Wenkenhof ein ‹Concours Hippique› statt. «Auf der Terrasse war ein grosses Buffet errichtet, das unser Koch sehr schön und reichlich garniert hatte», ist in den Erinnerungen von Alexander und Fanny Clavel zu lesen. «Herr Füglistaller von der Brauerei Warteck hatte uns zwei Fässer Bier und Eis gespendet.»


Heute ist der Wenkenhof mit seiner Reithalle erneut ein Ort der Festlichkeiten und kulinarischen Höhenflüge, womit an die einstigen Clavelschen Feste und Empfänge angeschlossen wird. Stand bei den Clavels während mehrerer Jahre in der Fasnachtszeit eine ‹Metzgete› mit Blut- und Leberwürsten, gebratenen Schweinswürsten und einem Säulein aus Aprikoseneis auf dem Programm, so findet diese nun in der sogenannten ‹Gribi-Metzgete›, einer vorweihnachtlichen Wohltätigkeitsveranstaltung in der Reithalle, ihre Fortsetzung. Für das exklusive Essen zeichnet die Riehener Firma Albrecht Catering verantwortlich, welche die Reithalle seit Juli 2013 als Pächterin verwaltet und bewirtschaftet.


1 Alle Angaben stammen aus Alexander und Fanny Clavel-Respinger: Das Buch vom Wenkenhof, Basel 1957.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2015

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