Geld ist nicht alles

Michel Ecklin

Unser Sozialsystem, viele Sportveranstaltungen, das Riehener Kulturleben - undenkbar, würden sich nicht tausende Riehenerinnen und Riehener jahraus, jahrein unentgeltlich dafür engagieren.

 

Wie viel Freiwilligenarbeit in Riehen geleistet wird, darüber gibt es kaum Angaben. Einen überblick vermittelte eine Umfrage, die die Interessengemeinschaft der sozialen und medizinischen Dienste Riehen und Bettingen (IGSMD) im Jahr 2000 durchführte: Schon nur in den 14 befragten sozialen Organisationen waren 846 Menschen freiwillig tätig - dabei ist der Sozialbereich nur einer unter vielen, wo ohne Entgelt gearbeitet wird.

«Freiwilligenarbeit geschieht meistens unauffällig im Hintergrund», weiss Ruth Stöckli, die als Leiterin Soziales bei der Gemeinde ein Verzeichnis führt mit vielen Riehener Institutionen, in denen Freiwilligenarbeit geleistet wird. Darin findet man auch zahlreiche Organisationen aus dem Sozialbereich, bei denen unter wachsendem Kostendruck nicht bezahlte Arbeit immer wichtiger wird, auch im zwischenmenschlichen Bereich. Die Gefahr des Kostendrucks liege darin, dass das persönliche Gespräch zu kurz komme, so Stöckli.

In ihrer Kartei ist eine weitere Reihe von Organisationen, die sich höchst unterschiedlichen Zielen widmen: Sportklubs, Musikgesellschaften, Frauen- und Kunstverein, Bibliotheken, Pfadi und ähnliche Jugendorganisationen. Das Leben der Kirchgemeinden wäre ohne den freiwilligen Einsatz von Helfern undenkbar. Auch die Arbeit in Interessenverbänden, Parteien und politischen Gremien geschieht nach Feierabend und am Wochenende. Stöckiis Kartei ist sehr umfangreich und vielfältig.

 

«Wer Freiwilligenarbeit leistet, soll dafür gebührend Anerkennung kriegen, auch von der Gemeinde», meint Stöckli. Angeregt durch einen Anzug im Einwohnerrat im März 2001, will die Gemeinde sporadisch ein Freiwilligenfest oder eine kulturelle Veranstaltung für die Helferinnen und Helfer organisieren. Der erste Anlass im Oktober 2001 stiess auf ein grosses Echo. Schon seit längerem fördert die Gemeinde Riehen die ehrenamtlichen Vereine, in dem sie ihnen ihre Infrastruktur günstig oder kostenlos zur Verfügung stellt: Räume vor allem, aber zum Beispiel auch Material für Feste.

Wer stellt sich für Freiwilligenarbeit zur Verfügung? Ruth Stöckli erklärt, dass viele Frauen an der Basis im Einsatz sind, zum Beispiel bei Besucherdiensten oder Mittagstischen. Wenns hingegen um Führungspositionen geht, in Vereinsvorständen etwa, sind mehr Männer am Ruder. Beliebt ist Freiwilligenarbeit auch bei Pensionierten.

Dass in Riehen auch junge Menschen bereit sind, sich ohne Aussicht auf Lohn zu engagieren, dafür ist Sarah Schmutz ein gutes Beispiel. Die 18-jährige Gymnasiastin ist Gruppenleiterin in der Jungschar des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM). Jeden Samstagnachmittag geht sie mit einer Gruppe von 5- bis 11-jährigen Buben und Mädchen in den Wald, macht mit ihnen Geländespiele, erzählt ihnen Geschichten, übt das Leben in der Natur. Wenns kalt ist, liegt auch ein Bastelnachmittag oder ein Zollibesuch drin. Sarahs Zeitaufwand für die Jungschar beträgt sechs bis acht Stunden pro Woche, dazu kommen ein bis zwei Wochen Lager pro Jahr. Schon seit ihrem achten Lebensjahr ist sie in der Jungschar dabei, «ich fand das von Anfang an unheimlich toll», erzählt sie begeistert. Mit den Jahren wuchs sie ins Team hinein, nach zwei jungscharinternen Weiterbildungskursen trägt sie jetzt die Hauptverantwortung für ihre Kindergruppe.

«Ich bin einfach gerne mit Menschen zusammen», antwortet sie auf die Frage, warum sie sich so engagiere. Jungschar ist für sie wie eine grosse Familie, sie liebt ihre kleinen Kinder über alles und findet es sinnvoll, sie raus in die Natur zu bringen. Hätte sie nicht gerne mal einen freien Samstagnachmittag? Nicht wirklich. «Samstag ist Jungschitag», so lautet ihre Devise.

Nach der Matur will Sarah beruflich etwas im sozialen Bereich machen. Sie weiss, dass dafür ihr jahrelanger Einsatz mit Kindern in der Jungschar nützlich sein dürfte: Miteinander umgehen können, anderen etwas beibringen, das einfache Leben draussen gemessen, das ist es, was sie jeden Samstagnachmittag einübt.

Schon immer lieber freiwillig als gegen Geld gearbeitet hat Margrit Zaugg. «Das hat mit meiner Lebenseinstellung zu tun», erklärt die 77-jährige Frau. «Ohne Lohn fühle ich mich freier, meine eigenen Ideen umzusetzen.» Als ihre Kinder ausgeflogen waren, gründete die gelernte Kindergärtnerin die Kinderspielgruppe «Schpatzenäschtli». Später leitete sie ein Tagesheim für Kinder, deren Eltern kein kostenpflichtiges Heim zahlen konnten. Das gab bis zu 18 Stunden täglich zu tun, ohne einen Rappen Lohn. Möglich war das, weil ihr Mann Geld verdiente.

Heute kann Margrit Zaugg gar nicht alles aufzählen, wo sie sich auf freiwilliger Basis engagiert: So kocht sie regelmässig Mittagessen im Andreashaus, lädt immer wieder mal ein Kind von berufstätigen Eltern zum Essen ein, begleitet jemanden bei einer Abdankung, besucht jemanden im Altersheim, führt für Kinder Puppentheaterstücke auf und so weiter. Für sie ist Helfen so selbstverständlich, dass sie gar nicht den Anspruch hat, dass man ihr hilft, wenn sie es selber mal nötig hat. «Natürlich ist es schön, als Anerkennung etwas Kleines zu kriegen, eine Rose zum Beispiel», sagt sie. «Aber ich erwarte das nicht.»

Seit 45 Jahren wohnt sie im Niederholz-Quartier, in der Zeit hat sie sehr viele Leute kennen gelernt. «Es gibt hier unheimlich viele Menschen, die ihre Arbeitskraft unentgeltlich zur Verfügung stellen», berichtet sie. Deshalb hat sie vor etwas mehr als einem Jahr das Quartiernetz Niederholz gegründet, zusammen mit anderen engagierten Frauen. Das Prinzip ist einfach: Wer seine Arbeitskraft unentgeltlich anbieten will, lässt sich in eine Kartei einschreiben. Sucht jemand Hilfe, findet man, ohne lange suchen zu müssen, die entsprechende hilfsbereite Person. Häufig benötigt eine Mutter Aufsicht für ihre Kinder oder während der Ferien soll jemand Tiere und Pflanzen pflegen. Oft geht es auch um Aufgaben, die ältere Menschen nicht selber verrichten können: Einzahlungen machen oder die Steuererklärung ausfüllen, Rasen mähen, eine Glühbirne auswechseln oder einen Knopf annähen. Manchmal wollen die Leute aber einfach Geselligkeit: Da brauchts dann jemanden, der für Senioren Geschichten erzählt, ein Kaffeekränzchen organisiert oder mit ihnen jasst. Erstaunlicherweise ist zurzeit das Angebot an Arbeitskraft grösser als die Nachfrage. «Viele ältere Menschen scheuen sich, um fremde Hilfe zu bitten, ohne dafür zu zahlen», so erklärt sich das Margrit Zaugg.

Neben den Museen und dem Kulturbüro, die professionell geführt werden, wäre Riehen ohne freiwillige Arbeit kulturell um einiges ärmer. «Viele Möglichkeiten, die Freizeit zu verbringen, gäbe es einfach nicht», meint Vera Stauber, Abteilungsleiterin Kultur, Freizeit und Sport bei der Gemeinde. Riehener Kultur findet zu einem grossen Teil in Vereinen statt, zum Beispiel in den diversen Musikvereinen, Chören, Musikgruppen und Orchestern. Ebenfalls im kulturellen Bereich anzusiedeln sind der Video-Film-Club, die Frauenbibliothek, die Ludothek und viele andere. Ohne den Einsatz von Musiklehrkräften, Vorstandsmitgliedern und sonstigen «Machern» liefe einiges weniger.

Jeder im weitesten Sinne kulturell aktive Verein erhält auf Gesuch hin jedes Jahr einen finanziellen Zustupf von der Gemeinde. Besonders berücksichtigt werden Vereine, die die Jugend in ihre Aktivitäten einbeziehen. So fördert die Gemeinde eine Art von Kultur, die laut Stauber «nach innen» stattfindet, also hauptsächlich für die Vereinsmitglieder selber und deren Angehörige.

Daneben gibt es noch die Arena Literaturinitiative zusammen mit Kaleidoskop in der Arena, die Lesungen mit renommierten und weniger bekannten Autorinnen und Autoren organisiert, sowie Kunst in Riehen, seit über einem halben Jahrhundert eine beachtete klassische Konzertreihe. Beide Vereine sind ehrenamtlich geführt, nehmen allerdings professionelle Dienstleistungen des Kulturbüros Riehen in Anspruch, das von der Gemeinde finanziert wird.

Ebenfalls an die Grenze dessen, was ohne Professionalisierung möglich ist, stösst man beim Turnverein Riehen (TVR), mit rund 700 Mitgliedern der grösste Riehener Sportverein. Präsident Thomas Fuchs hat folgende Rechnung aufgestellt: Was die über siebzig Personen im Vor stand, im technischen Stab, als Trainer und als Funktionäre an freiwilliger Arbeit leisten, entspricht acht oder neun 100-Prozent-Stellen. Er selber opfert jede Woche sieben bis acht Stunden für den Verein.

Der TVR bietet breit gefächerte Aktivitäten für alle Generationen an, vom Spitzensport über Leistungssport und Breitensport bis zu Wandergruppen für Senioren und der Gesangssektion. Dementsprechend haben die verschiedenen Mitglieder oft nicht viel Gemeinsames. Doch wenns mal freiwillige Helfer braucht, zum Beispiel bei Grossanlässen, die der Verein selber organisiert, dann gibts immer genug Hände, die anpacken. Als Präsident sieht Fuchs eine seiner Aufgaben darin, diese Vereinssolidarität aufrechtzuerhalten: «Die Stimmung im Verein ist sehr kollegial.»

Doch das reicht nicht immer: In Sportvereinen werde heute Arbeit auf professionellem Niveau verlangt, «das können und wollen Ehrenamtliche immer seltener leisten», erklärt der Vereinspräsident. Deshalb sieht er sich gezwungen, für gewisse Aufgaben nach Profis Ausschau zu halten, hauptsächlich in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Marketing und Informatik.

Die CVJM-Jungschar, das Quartiernetz Niederholz und der TV Riehen sind nur einige ausgesuchte Beispiele für Riehener Organisationen, in denen Menschen ohne Bezahlung ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. «Freiwilligenarbeit ist sehr wichtig für den Zusammenhalt einer Gemeinde», sagt Ruth Stöckli, Leiterin Soziales in der Gemeindeverwaltung. Wer sich freiwillig engagiere, entwickle oft einen hohen Sinn für die Gemeinschaft und identifiziere sich mit dem Gemeinwesen, «und das trägt auch in Riehen dazu bei, dass die sozialen Netze gestärkt werden», meint sie.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2002

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